Bauwerk

Anbau an einen Wohnbungalow
Kunst + Herbert - Grasberg (D) - 2005
Anbau an einen Wohnbungalow, Foto: Oliver Heissner
Anbau an einen Wohnbungalow, Foto: Oliver Heissner
Anbau an einen Wohnbungalow, Foto: Oliver Heissner

Faltwerk im Grünen

Das Haus aus den siebziger Jahren, dessen Architektur dem Prinzip addierter Scheiben folgt, erhielt auf seiner Nordseite eine Erweiterung. Die Gestaltung des Anbaus verweist zwar auf Formen und Farben der Siebziger, findet aber einen eigenständigen Ausdruck und entwickelt neben skulpturalen auch eine ganze Reihe von funktionalen Qualitäten.

31. August 2007 - Claas Gefroi
Die Architektur der siebziger Jahre wird heute weitgehend ignoriert oder unterschätzt. Dabei ereignete sich damals Erstaunliches: Zum ersten und bis heute einzigen Mal verbreitete sich die architektonische Moderne in weiten Kreisen der Bevölkerung. Menschen, die bis dato den Traum vom Eigenheim mit Sprossenfenstern und Satteldach träumten, ließen sich vom Architekten Häuser mit fließenden Räumen, bodentiefen Panoramascheiben und Flachdächern bauen. Zu einem Zeitpunkt, an dem das Projekt der Moderne bereits an seine ökonomischen, ökologischen und gestalterischen Grenzen geriet, galten die kubischen, eingeschossigen Bungalows in den Kleinstädten und Vororten Deutschlands als fortschrittlich und begehrenswert.
Heute sind diese Gebäude mit ihren Besitzern in die Jahre gekommen und haben Patina angesetzt. Frische und Strahlkraft sind gewichen, die großen Scheiben mit Gardinen verhängt, der einst weiße Putz oft ergraut. Das steht ihnen meist gar nicht schlecht. Als gebaute Versprechen ewigen Aufbruchs und Fortschritts sind sie erstaunlich würdevoll gealtert. Und so ist es wohl kein Zufall, dass jüngere Generationen diese Bungalows für sich entdecken, weil sie einen eigentümlichen Charme, aber auch räumliche Qualitäten besitzen, die Fertighäuser nicht bieten können.

Auch eine junge Hamburger Akademikerfamilie »verguckte« sich in einen dieser Bungalows aus den Siebzigern. Das Haus steht weitab der Ballungsräume, versteckt auf einem Pfeifenstielgrundstück nahe dem Künstlerdorf Worpswede. In dieser ländlichen Gegend mit ihren niedlichen reetgedeckten Häusern wirkt der weiß gestrichene, winkelförmige Ziegelbau auch nach dreißig Jahren noch außergewöhnlich. Im Inneren wurde nur behutsam renoviert, weshalb noch viele schöne Details aus der Ursprungszeit erhalten geblieben sind. Hierzu gehören eine für die damalige Zeit ungewöhnliche Hypokaustenheizung oder die wunderbaren Falttüren, die bei Bedarf auf die denkbar zarteste und fragilste Art die Räume trennen. Erstaunlich die damalige Radikalität in einem gutbürgerlichen Einfamilienhaus: Selbst bei der Toilettentür kam ein lederbespannter Faltmechanismus zum Einsatz.

Die neuen Bewohner fühlten sich in ihrem neuen Heim wohl, doch bald wurde klar, dass der Platz nicht für Kinderzimmer, zusätzlichen Arbeitsraum und ein Gästezimmer ausreichte. Ein Abriss und Neubau war keine Option – zu sehr war man dem Charme des Hauses verfallen. Ein ¬befreundeter Fassadenplaner empfahl ein Hamburger Architekturbüro, mit dem er schon öfter zusammengearbeitet hatte – so kamen die jungen Architekten Kunst und Herbert zum Zuge. Sie erkannten sofort den speziellen Reiz des Hauses und beschlossen, sich daran zu orientieren. Der von ihnen entworfene und realisierte Anbau ist ganz anders als der Altbau geraten und doch mit ihm verwandt. Da der größte Teil des idyllischen Grundstücks mit seinen vielen Bäumen tabu für eine Bebauung blieb, beschlossen die Architekten, die Erweiterung direkt an der Nordostseite des Areals, quasi auf der Zufahrt zum Haus, anzusiedeln. Passend zur beengten Lage entwarfen sie ein längliches Gebäude, das sich leicht aus der Flucht des alten Bungalows dreht und von ihm absetzt, um ihn nicht zu sehr zu bedrängen. Der ungewöhnliche Winkel und die parallelogrammartige Grundform des Ergänzungsbaus kann man als eine Reaktion auf die Orthogonalität des Altbaus werten; es ergeben sich daraus aber auch äußerst spannungsreiche Raumsequenzen.
Zwischen Ursprungs- und Ergänzungsbau wurde ein Wintergarten eingeschoben, der vom Garten in die beiden Haushälften leitet. Er ist mittlerweile zum Treffpunkt der Familie geworden, weil man sich hier an zentraler Stelle geschützt und doch fast in der Natur aufhalten kann, mit Blick ins Grüne und in den Himmel. Beim Betreten des Anbaus überrascht die Größe im Kleinen, die bei aller räumlichen Beschränktheit zu spüren ist. Drei in Richtung Nordost ausgerichtete Räume liegen hintereinander an einem Flur, an dessen Ende sich, innenliegend, ein Nassbereich befindet. Abgeschlossen wird das Gebäude von einer Garage mit zwei Stellplätzen. Die drei Zimmer besitzen eine schräge, abgewinkelte Fensterfront, die sehr skulptural wirkt, aber vor allem die Aufgabe hat, bei der ungünstigen Nordlage möglichst viel Licht in die Räume zu leiten. Das funktioniert – selbst an trüben Tagen ist es hell wie in Südzimmern. Zudem kann man durch die im Winkel geführten Fenster einen Panoramablick auf die malerische Landschaft genießen. Die Räume selbst sind einfach und schlicht, aber hochwertig ausgestattet. Alle Böden sind mit Schieferplatten bedeckt, die Einbauschränke und -regale sowie Sideboards wurden aus Multiplexplatten angefertigt; die Regale im Bad sind aus Corian, und zur Beleuchtung genügen zumeist schlichte Leuchtstoffröhren. Für sein Arbeitszimmer hat der Bauherr als Clou eine innen mit Tafellack beschichtete Schiebetür erhalten, auf der er im Vorbeigehen Notizen verfassen kann. Das alles wirkt selbstverständlich, alltagstauglich und angemessen für einen Anbau dieser Größenordnung.

Und eben diese unaufgeregte, aber dennoch prägnante Gestaltung ist auch der Fassade zu eigen. Sämtliche Flächen sind mit dunklem vorbewitterten Zinkblech bekleidet, einem Material, das man eigentlich eher aus dem Industriebau kennt. Das Gebäude erhält dadurch einen ganz eigentümlichen Reiz, eine starke körperliche Präsenz; die dunkelgraubraunen Bleche wirken wie eine Panzerung. Verstärkt wird die monolithische Erscheinung noch durch den abrupten Dachabschluss; die Regenrinne wurde hinter die Fassade verlegt – so bleibt nur ein schmales Dreikantprofil als minimierte Attika. Die Stehfalze jedoch zeigen die handwerkliche Verarbeitung und geben dem Ganzen eine angenehm unperfekte Note. Wunderschön wirkt das Zinkblech, wenn das Sonnenlicht auf seine fast samtene Oberfläche fällt und ganz weich reflektiert wird. Aber natürlich ist die dunkelbraune Metallfassade auch eine Reminiszenz an die Siebziger – das Bundeskanzleramt in Bonn und andere vergessene Perlen lassen grüßen. Darüber lässt sich prächtig auf dem Dach sinnieren, denn der Neubau besitzt neben einer Dachbegrünung auch eine kleine Dachterrasse. Es ist angenehm, hier zu sitzen, zumal man auf diese Weise der aus den Torfböden aufsteigenden Feuchtigkeit enthoben ist.

Was letztlich an diesem Projekt gefällt: die Bescheidenheit und Angemessenheit, mit der dieser Anbau seine Aufgaben erfüllt. Und dazu gehört neben vielerlei praktischen Dingen auch, gestalterisch eine Brücke von der Gegenwart in die Vergangenheit zu schlagen. Für das in Ehren ergraute Wohnhaus der Siebziger ist das eine wohltuende Frischzellenkur, die man vielen dieser lange unterschätzten Bungalows wünscht.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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