Bauwerk
Erweiterung eines Siedlungshauses
Architektur 109 - Ludwigsburg (D)
Skulptur im Garten
»Verwarzung« nennt Arne Fentzloff, was derzeit mit vielen Siedlungen der fünfziger Jahre geschieht. Man kann es auch Verfettung nennen oder schlicht: Verunstaltung. Weil die bescheidenen Häuschen dem gewachsenen Wohlstand ihrer Bewohner nicht mehr entsprechen, werden sie oft ohne Rücksicht auf ihren Charakter um- und angebaut. Für sein eigenes Haus schlug der Architekt deshalb einen radikal anderen Modus vor – und hatte trotz Ensembleschutz Erfolg.
31. August 2007 - Christoph Gunßer
Schlicht ist das Haus der Fentzloffs am Schlösslesweg: Der weiß verputzte Giebelbau bewahrt mit seinen klaren Proportionen, Fensterläden, sparsam profiliertem Ortganggesims und Dachgaupen noch viel vom Original aus dem Jahr 1954.
Schlicht zu klein wurde das Haus aber, als die zwei Kinder kamen. Nun fehlten in den 114 Quadratmetern ein Schlafzimmer und ein zweites Bad.
Was tun? Woanders hinziehen, wo doch für die ganze Familie enge Freundschaften gewachsen waren? Die Nähe zur Stadt, eine Viertelstunde zu Fuß, für etwas irgendwo, weit draußen aufgeben? Nein, das wollte man nicht. Der Familienrat tagte, auch die Kinder, mittlerweile 8 und 14, brüteten und skizzierten mit. Der Blick fiel auf einen Nistkasten im Baum hinterm Haus. Dieser, heruntergeholt, aufgepumpt und hinters Haus gestellt, wirkte als Leitidee vom Haus im Garten mit!
Doch es galt ein Bauverbot in der Siedlung. Es beginnt just vier Meter hinter den Häusern. Mittendrin stand der Nistkasten respektive das für einen eigenständigen Anbau avisierte Baufenster – Ensembleschutz contra mutige Architektur. Die Bauverwaltung und der Bauausschuss zeigten ein Einsehen: Befreit konnte bald an der Gestaltung des Solitärs gefeilt werden. Fünfzehn Arbeitsmodelle entstanden, bis die kupferne Skulptur »im Kasten« respektive ausführungsreif war.
Verträgliche Fremdheit
Was da schließlich im Garten der Fentzloffs hochgezogen wurde, hatte die Siedlung noch nicht gesehen – auf der unterhalb vorbeiführenden, übrigens ziemlich lauten Zubringerstraße gab es am Anfang vor Staunen fast Staus.
Paradoxerweise wirkt aber das Fremde, Maßstabslose der Skulptur im Grünen gerade verträglicher als ein anpässlerischer Anbau. Das kantige Objekt mit dem schroffen Antlitz ist in diesem Kontext mehr Kunst- als Bauwerk. Baumkronen überragen es, so vergleichsweise klein ist es mit seinen 66 Quadratmetern Nutzfläche; es ist schmaler als das alte Haus dahinter und von der Siedlung aus kaum sichtbar.
Was es indes vor allem von ähnlich kantigen Strukturen in der Nachbarschaft (Garagen zum Beispiel) unterscheidet, ist die große Sorgfalt, mit der es gestaltet wurde. Die handwerklich meisterliche Ausführung der Kupferbandfassade macht sie im Licht- und Schattenspiel zu einem plastischen Relief, die allmählich bemerkbare Patina, der Grünspan, korrespondiert mit dem Grün der Umgebung … Kurz: Man schaut sich das Haus einfach gern an. Übrigens auch, weil es drinnen – trotz einer gewissen Wehrhaftigkeit der Erscheinung – viel zu sehen gibt. Der Architekt staffierte das »Schaufenster« anfangs sogar extra mit Zeichen aus und erwog Großbildprojektionen, um den Voyeurismus der Leute zu reizen. Und auch hinter den Schlitzfenstern von Steg und Treppenhaus bleiben Bewegungen sichtbar – die Skulptur lebt.
Das Eltern-Haus
Die interne Organisation des Ensembles ist einfach: Im Altbau trifft sich die Familie, oben wohnen die Kinder – ihnen nimmt der Neubau zwar nicht das Licht wie bei anderen Anbau-Optionen, aber die Aussicht gen Neckar. Der Neubau ist den Eltern vorbehalten, Wohnen, Schlafen, Bad und Ankleide sind hier übereinandergestapelt, verbunden durch einen Treppenschacht, den ein über alle Etagen reichender Schrank von den Wohnräumen trennt. Die Privatheit nimmt also von oben nach unten zu, die Helligkeit ab. Der Verbindungssteg vom Altbau, seitlich verrückt und scheinperspektivisch verlängert, landet auf dem Treppenpodest zwischen Wohn- und Schlafebene. Der Eichendielenboden zieht sich durch Wohnräume wie Treppenhaus (als tragende Stufen) und verbindet fast nahtlos Alt und Neu. Wollte man den Annex später einmal als separate Einheit nutzen, müsste lediglich der Steg gekappt und im Untergeschoss eine Küche eingebaut werden.
Wohnen im Baum: Subtile Verortungen
Lage und Proportion der Fenster sind auf die Nutzungen abgestimmt: Da ist das Schaufenster als optisch fast nicht vorhandene Außenwand. Es nimmt die gesamte Nordseite des offenen Wohnraums ein und holt den bislang wenig integrierten Garten mit seinen wechselnden Stimmungen groß herein. Den mächtigen Walnussbaum habe man bis dahin gar nicht recht wahrgenommen, erzählt der Architekt. Nun nehme die Familie regen Anteil am Leben der Eichhörnchen, Eichelhäher und Fledermäuse; sengende Sommerhitze wie Novembernebel sind im »Naturkino« hinter der Scheibe live erlebbar.
Außenbündig wie dieses Schaufenster in die Wände integriert sind die geschosshohen Schlitzfenster, welche dem Treppenhaus, einer Sonnenuhr gleich, Streifen von Morgen- und Abendlicht bringen. Und man erheischt hier einen raschen Blick auf die Nachbarschaft, auf Leute und Gärten, neben denen man lebt. Der waagerechte Schlitz im Schlafzimmer gewährt den Ruhenden ein Neckarpanorama auf Augenhöhe. Es lässt sich, wie die Schränke, durch Milchglasscheiben verschließen. So bleiben Zeit und Ort im nur scheinbar verschlossenen Haus wohl präsent. Eine entgegenkommende Geste in dieser Hinsicht: Die Fensterflügel eines dänischen Herstellers schwingen nach außen auf. Die schlanken, schwarz beschichteten Aluprofile der Rahmen bzw. Festverglasung sind innen überdämmt, so dass die meisten Öffnungen nur aus Glas bestehen. Dies trägt zur Großzügigkeit des eigentlich kleinen Gebäudes nicht unwesentlich bei.
Ein schönes Detail ist noch die Lichtrutsche im halb unterirdischen Bad: Le Corbusier entlehnt, sorgt sie für angenehme Helligkeit. Den reinen Raumeindruck unterstreichend, wurden auch die Beleuchtungskörper, wo sichtbar, klein und unauffällig gehalten. Das Hauptlicht in Wohn- und Treppenraum bilden in die Fensterlaibungen eingeschlitzte orangefarbene Leuchtröhren, welche die tektonische Fügung des Bauwerks betonen.
Dickholztafeln auf Beton
Zur Fremdheit der Skulptur, dazu, dass sie eigentlich nicht als Haus »gelesen« wird, trägt auch die Konstruktion bei: Binnen weniger Tage wurde sie – auf einem Stahlbeton-Sockel – aus Dickholztafeln zusammengefügt (sie schwebten, wie auch das halbtonnenschwere Schaufenster, per Kran ein).
Dem Gebäudeentwurf liegt ein 22-cm-Raster zugrunde, in Grund- wie Aufriss. So haben auch die Treppensteigungen dieses Maß, was vergleichsweise steil ist, indes einem Turm angemessen.
Bleibt zu erwähnen, dass alle Räume über eine Fußbodenheizung verfügen, die haustechnisch an den Altbau gekoppelt ist. Eine Lüftungsanlage gibt es nicht, vor sommerlicher Überhitzung schützen zum einen eine EnEV-gemäße Dämmung, zum anderen die Lüftungsflügel im Schaufenster, das im Übrigen, da nach Norden orientiert, keines Sonnenschutzes bedarf.
Der alte Baumbestand beschirmt das Haus und dämpft zudem den Straßenlärm, dessentwegen das 650 Quadratmeter große Hanggrundstück im Freien nur eingeschränkt nutzbar ist – auch darum überzeugt das Wohnen »im Baum« über dem Garten, neben den Nistkästen.
Schlicht zu klein wurde das Haus aber, als die zwei Kinder kamen. Nun fehlten in den 114 Quadratmetern ein Schlafzimmer und ein zweites Bad.
Was tun? Woanders hinziehen, wo doch für die ganze Familie enge Freundschaften gewachsen waren? Die Nähe zur Stadt, eine Viertelstunde zu Fuß, für etwas irgendwo, weit draußen aufgeben? Nein, das wollte man nicht. Der Familienrat tagte, auch die Kinder, mittlerweile 8 und 14, brüteten und skizzierten mit. Der Blick fiel auf einen Nistkasten im Baum hinterm Haus. Dieser, heruntergeholt, aufgepumpt und hinters Haus gestellt, wirkte als Leitidee vom Haus im Garten mit!
Doch es galt ein Bauverbot in der Siedlung. Es beginnt just vier Meter hinter den Häusern. Mittendrin stand der Nistkasten respektive das für einen eigenständigen Anbau avisierte Baufenster – Ensembleschutz contra mutige Architektur. Die Bauverwaltung und der Bauausschuss zeigten ein Einsehen: Befreit konnte bald an der Gestaltung des Solitärs gefeilt werden. Fünfzehn Arbeitsmodelle entstanden, bis die kupferne Skulptur »im Kasten« respektive ausführungsreif war.
Verträgliche Fremdheit
Was da schließlich im Garten der Fentzloffs hochgezogen wurde, hatte die Siedlung noch nicht gesehen – auf der unterhalb vorbeiführenden, übrigens ziemlich lauten Zubringerstraße gab es am Anfang vor Staunen fast Staus.
Paradoxerweise wirkt aber das Fremde, Maßstabslose der Skulptur im Grünen gerade verträglicher als ein anpässlerischer Anbau. Das kantige Objekt mit dem schroffen Antlitz ist in diesem Kontext mehr Kunst- als Bauwerk. Baumkronen überragen es, so vergleichsweise klein ist es mit seinen 66 Quadratmetern Nutzfläche; es ist schmaler als das alte Haus dahinter und von der Siedlung aus kaum sichtbar.
Was es indes vor allem von ähnlich kantigen Strukturen in der Nachbarschaft (Garagen zum Beispiel) unterscheidet, ist die große Sorgfalt, mit der es gestaltet wurde. Die handwerklich meisterliche Ausführung der Kupferbandfassade macht sie im Licht- und Schattenspiel zu einem plastischen Relief, die allmählich bemerkbare Patina, der Grünspan, korrespondiert mit dem Grün der Umgebung … Kurz: Man schaut sich das Haus einfach gern an. Übrigens auch, weil es drinnen – trotz einer gewissen Wehrhaftigkeit der Erscheinung – viel zu sehen gibt. Der Architekt staffierte das »Schaufenster« anfangs sogar extra mit Zeichen aus und erwog Großbildprojektionen, um den Voyeurismus der Leute zu reizen. Und auch hinter den Schlitzfenstern von Steg und Treppenhaus bleiben Bewegungen sichtbar – die Skulptur lebt.
Das Eltern-Haus
Die interne Organisation des Ensembles ist einfach: Im Altbau trifft sich die Familie, oben wohnen die Kinder – ihnen nimmt der Neubau zwar nicht das Licht wie bei anderen Anbau-Optionen, aber die Aussicht gen Neckar. Der Neubau ist den Eltern vorbehalten, Wohnen, Schlafen, Bad und Ankleide sind hier übereinandergestapelt, verbunden durch einen Treppenschacht, den ein über alle Etagen reichender Schrank von den Wohnräumen trennt. Die Privatheit nimmt also von oben nach unten zu, die Helligkeit ab. Der Verbindungssteg vom Altbau, seitlich verrückt und scheinperspektivisch verlängert, landet auf dem Treppenpodest zwischen Wohn- und Schlafebene. Der Eichendielenboden zieht sich durch Wohnräume wie Treppenhaus (als tragende Stufen) und verbindet fast nahtlos Alt und Neu. Wollte man den Annex später einmal als separate Einheit nutzen, müsste lediglich der Steg gekappt und im Untergeschoss eine Küche eingebaut werden.
Wohnen im Baum: Subtile Verortungen
Lage und Proportion der Fenster sind auf die Nutzungen abgestimmt: Da ist das Schaufenster als optisch fast nicht vorhandene Außenwand. Es nimmt die gesamte Nordseite des offenen Wohnraums ein und holt den bislang wenig integrierten Garten mit seinen wechselnden Stimmungen groß herein. Den mächtigen Walnussbaum habe man bis dahin gar nicht recht wahrgenommen, erzählt der Architekt. Nun nehme die Familie regen Anteil am Leben der Eichhörnchen, Eichelhäher und Fledermäuse; sengende Sommerhitze wie Novembernebel sind im »Naturkino« hinter der Scheibe live erlebbar.
Außenbündig wie dieses Schaufenster in die Wände integriert sind die geschosshohen Schlitzfenster, welche dem Treppenhaus, einer Sonnenuhr gleich, Streifen von Morgen- und Abendlicht bringen. Und man erheischt hier einen raschen Blick auf die Nachbarschaft, auf Leute und Gärten, neben denen man lebt. Der waagerechte Schlitz im Schlafzimmer gewährt den Ruhenden ein Neckarpanorama auf Augenhöhe. Es lässt sich, wie die Schränke, durch Milchglasscheiben verschließen. So bleiben Zeit und Ort im nur scheinbar verschlossenen Haus wohl präsent. Eine entgegenkommende Geste in dieser Hinsicht: Die Fensterflügel eines dänischen Herstellers schwingen nach außen auf. Die schlanken, schwarz beschichteten Aluprofile der Rahmen bzw. Festverglasung sind innen überdämmt, so dass die meisten Öffnungen nur aus Glas bestehen. Dies trägt zur Großzügigkeit des eigentlich kleinen Gebäudes nicht unwesentlich bei.
Ein schönes Detail ist noch die Lichtrutsche im halb unterirdischen Bad: Le Corbusier entlehnt, sorgt sie für angenehme Helligkeit. Den reinen Raumeindruck unterstreichend, wurden auch die Beleuchtungskörper, wo sichtbar, klein und unauffällig gehalten. Das Hauptlicht in Wohn- und Treppenraum bilden in die Fensterlaibungen eingeschlitzte orangefarbene Leuchtröhren, welche die tektonische Fügung des Bauwerks betonen.
Dickholztafeln auf Beton
Zur Fremdheit der Skulptur, dazu, dass sie eigentlich nicht als Haus »gelesen« wird, trägt auch die Konstruktion bei: Binnen weniger Tage wurde sie – auf einem Stahlbeton-Sockel – aus Dickholztafeln zusammengefügt (sie schwebten, wie auch das halbtonnenschwere Schaufenster, per Kran ein).
Dem Gebäudeentwurf liegt ein 22-cm-Raster zugrunde, in Grund- wie Aufriss. So haben auch die Treppensteigungen dieses Maß, was vergleichsweise steil ist, indes einem Turm angemessen.
Bleibt zu erwähnen, dass alle Räume über eine Fußbodenheizung verfügen, die haustechnisch an den Altbau gekoppelt ist. Eine Lüftungsanlage gibt es nicht, vor sommerlicher Überhitzung schützen zum einen eine EnEV-gemäße Dämmung, zum anderen die Lüftungsflügel im Schaufenster, das im Übrigen, da nach Norden orientiert, keines Sonnenschutzes bedarf.
Der alte Baumbestand beschirmt das Haus und dämpft zudem den Straßenlärm, dessentwegen das 650 Quadratmeter große Hanggrundstück im Freien nur eingeschränkt nutzbar ist – auch darum überzeugt das Wohnen »im Baum« über dem Garten, neben den Nistkästen.
Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung
Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkel