Bauwerk
U- und S-Bahn-Zugänge in Hamburg
André Poitiers Architekten - Hamburg (D) - 2007
Zwischen Unterwelt und Himmelreich
Wo täglich tausende Passanten vorbeieilen, ankommen, umsteigen, weiterfahren oder sich treffen, können die beiden neuen Zugangsbauten zur S- und U-Bahn schnell mal übersehen werden. Erst recht im städtebaulichen Umfeld des Jungfernstieg an der Hamburger Binnenalster. Die beiden nahezu identischen Bauten überdachen mit einer weit spannenden Stahlkonstruktion jeweils die Treppenanlage – präzise detailliert, kraftvoll in ihrer Wirkung und doch zurückhaltend.
1. November 2007 - Claas Gefroi
Zwei Dächer, Backwarenverkauf, Imbiss, Treppen und Rolltreppen – was soll man daraus schon machen? Die Zugangsgebäude für einen unterirdischen U- und S-Bahnhof sind wohl nichts, was den gestalterischen Ehrgeiz der meisten Architekten beflügelt – selbst wenn sie am bekannten Hamburger Jungfernstieg stehen. Und welcher Passant schaut schon genauer hin, wenn der Zug gleich kommt, die Geschäfte bald schließen. Sekundenbauwerke, kaum wahrgenommen beim hastigen Übergang von der Unterwelt ins Tageslicht. Hauptsache, die Rolltreppe funktioniert.
Doch eilen wir nicht auch deshalb so schnell die Treppen hinauf oder hinab, weil in uns, aller Vernunft und Aufgeklärtheit zum Trotz, ein Unbehagen an den künstlichen Höhlen im Erdinneren schlummert? In den Zugangsbauwerken der unterirdischen Bahnhöfe werden wir mit unseren verdrängten Ängsten konfrontiert: »Im Keller verharren die Dunkelheiten Tag und Nacht. Sogar mit dem Leuchter in der Hand sieht der Mensch im Keller die Schatten über die schwarzen Mauern tanzen ... In unserer Zivilisationsepoche, die das gleiche Licht überallhin verbreitet und auch den Keller elektrisch beleuchtet, geht man nicht mehr mit dem Leuchter in den Keller. Das Unbewusste aber lässt sich nicht zivilisieren.« [1]. Die Verbindung zwischen Tiefe und Erdoberfläche, zwischen Unterwelt und Tageslicht ist ein besonderer Ort. Und so hatte der Hamburger Architekt André Poitiers weit mehr zu gestalten als nur zwei Dächer, Verkaufsflächen und Treppen, als er den Auftrag für neue Zugänge zur U- und S-Bahn am Jungfernstieg erhielt.
Dass die Hamburger Hochbahn AG (HHA) die alten unansehnlichen Eingänge überhaupt durch neue ersetzen ließ, ist einem groß angelegten Umbau des gesamten Jungfernstiegs zu verdanken. Vor einigen Jahren hatten die Hamburger erschrocken bemerkt, dass ihr traditionsreicher Vorzeigeboulevard an der Binnenalster heruntergekommen und mit den eigenen Weltstadtambitionen nicht in Einklang zu bringen war. Der Bürgersinn regte sich, ein prominent besetzter Förderverein sammelte viele Millionen Euro, spannte Politik und Verwaltung ein und führte einen großen Architekturwettbewerb durch. Diesen gewannen die Landschaftsarchitekten WES & Partner und Architekt Poitiers mit einem sehr geradlinigen, reduzierten Entwurf, der ohne Abstriche umgesetzt wurde. Sie entrümpelten und öffneten den Straßenraum, pflanzten eine dreireihige Lindenallee, schufen eine terrassierte Uferpromenade mit verschiebbaren Bänken und ersetzten alte durch neue Pavillons.
Die alten Bahnhofseingänge spiegelten jedoch in keiner Weise die Bedeutung des Jungfernstiegs wider – immerhin ist dies auch der zweitgrößte Verkehrsknotenpunkt der Stadt. Hier treffen fast alle wichtigen U-, S- und Buslinien aufeinander; am Anleger starten die weißen Dampfer der Alsterbootflotte. Der unterirdische U- und S-Bahnhof ist ein allmählich gewachsenes, verwirrendes System mit vier Ebenen, drei Bahnsteigen, diversen Verbindungstunneln und Eingängen, das gestalterisch überwiegend auf dem Stand der siebziger Jahre verharrt. Es war deshalb eine Enttäuschung, dass die HHA den Architekten nur die Zugänge neu gestalten ließ. Doch für den Straßenraum des Jungfernstiegs war der kleine Auftrag an Poitiers ein Glücksfall – war somit doch gewährleistet, dass die beiden neuen Bauten sich in das Gesamtbild der umgebauten Flaniermeile harmonisch einfügen.
Poitiers kam wohl auch deshalb zum Zuge, weil sein architektonischer Ansatz aufs Trefflichste mit der Ingenieurmentalität der Hochbahner korrespondierte. Sein Credo lautet: »Ich bin Konstrukteur!«, und als Anhänger der englischen High-Tech-Architektur und ehemaliger Mitarbeiter Norman Fosters hat er ein Faible für präzise Arbeit und perfekte Lösungen. So ist der millimetergenau zu verarbeitende Stahl eines seiner Lieblingsmaterialien. Poitiers leitet die Großform seiner Zugänge von stählernen Brücken ab und verweist damit auf ein besonderes Charakteristikum der Hamburger U-Bahn, die sich nicht ohne Grund noch immer Hochbahn nennt: Ihre Gleise sind zu einem Großteil aufgestelzt; das Streckennetz führt derzeit über 430 Brücken und Viadukte.
Zwischenraum
Beide Zugangsbauten bestehen konstruktiv aus rechteckigen, geschweißten Hohlkastenträgern, deren U-Form die Brückenanmutung erzeugt. An diese Stahlbügel sind horizontale Zwischenträger angebracht, die die gläsernen, jeweils oben und unten beziehungsweise innen und außen angebrachten Dach- und Rückwandverkleidungen halten. Diese mit einem abstrakten Tropfenmotiv bedruckten Glasscheiben korrespondieren mit der Glasoberfläche eines ebenfalls von Poitiers entworfenen Restaurantpavillons auf der anderen Straßenseite. Es sind diese durchscheinenden Glasflächen, die einen Großteil des Reizes der Bahnhofseingänge ausmachen: Sie tauchen den halboffenen Innenraum in ein diffuses, blaugrünes Licht mit weichen Schatten; der Bahnhofszugang wird wunderbar als ein indifferentes Niemandsland zwischen Unterwelt und Himmelreich inszeniert. Man befindet sich gleichsam in einer »twilight zone«, einem Zwischenreich, wo das Licht in Schatten übergeht, der offene in den geschlossenen Raum. Auch die in dem Hohlraum zwischen den Scheiben verborgene Beleuchtung streut weich und unterstreicht den nicht fassbaren Charakter des Raumes.
Detailarbeit
André Poitiers schafft es, diese Atmosphäre mit einer ganz und gar rationalen, klaren Architektur zu erzeugen, die in Richtung Ingenieurbauwerk tendiert. Die Raffinesse ihrer Details beeindruckt: So ist jede einzelne Scheibe mit wenigen Handgriffen zur Reinigung oder beim Lampentausch aufklappbar und bei Beschädigung rasch auszutauschen. Damit die Großform nicht verunklart wird, sind alle Schrauben und Halterungen hinter Blenden oder in Fugen verborgen. Selbst die Entwässerung des Daches erfolgt unsichtbar in den Stahlträgern.
Eine Besonderheit sind die beiden Verkaufsflächen jeweils im hinteren Teil der Zugänge: ein Backshop und ein Würstchenimbiss. Der Backshop gehört zur Hamburger Kette »Dat Backhus«, für die Poitiers bereits zahlreiche Filialen zu Designpreziosen umgebaut hat. Damit im Winter Kuchen und Personal nicht festfrieren, gibt es eine Fußbodenheizung, eine Glasschürze unter der Decke und Heizstrahler in speziell entworfenen Stahlboxen.
Auch hier folgt alles der gestalterischen Maxime größtmöglicher Einfachheit und Klarheit: Die Technik bleibt für den Kunden unsichtbar, wird eingehüllt oder hinter Blenden verborgen; die Beleuchtung ist bündig in die Decke eingesetzt. Die Glastrennwände werden bei Tag platzsparend an den Seiten des Verkaufsstandes zusammengeschoben. Besonders gut wurde die Haustechnik versteckt – sie befindet sich in Wannen in der Zwischendecke über den Läden. Der Würstchenimbiss im anderen Gebäude wurde nicht vom Architekten eingerichtet, aber Poitiers stand dem Besitzer beratend zur Seite. Hier galt es, ein delikates Problem zu lösen: Den umliegenden, piekfeinen Anwaltskanzleien, Notariaten und Kaufmannskontoren durfte kein Hauch Bratwurstduft in die Räume steigen. Nach aufwändiger Planung gelang es, in die schmale Zwischendecke eine Absaug- und Filteranlage einzubauen, die jegliche Geruchsbelästigung verhindert. In den Rückseiten der beiden Bauten blieb sogar noch Platz für Technikräume. So konnten die früher überall auf dem Fußweg verteilten Schaltkästen für Elektrizität, Telefon und Ampeln abgebaut und ihre gesamte Technik dort konzentriert werden.
Konstruktive Akkuratesse, aufwändige Einfachheit und makellose Oberflächen sind hier kein Selbstzweck. André Poitiers blendet vielmehr die Komplexität des Raumprogramms mit großem Aufwand aus und reduziert die Eingangsbauten auf das einfache Thema der Grenze zwischen Erdinnerem und Erdoberfläche. Die zwei kleinen Bauwerke sind wunderbare Brücken zwischen diesen Welten, deren besondere Atmosphäre den einen oder anderen kurz aufmerken lässt bei der täglichen Hast. Und damit ist hier alles andere als Alltagsarchitektur entstanden.
Doch eilen wir nicht auch deshalb so schnell die Treppen hinauf oder hinab, weil in uns, aller Vernunft und Aufgeklärtheit zum Trotz, ein Unbehagen an den künstlichen Höhlen im Erdinneren schlummert? In den Zugangsbauwerken der unterirdischen Bahnhöfe werden wir mit unseren verdrängten Ängsten konfrontiert: »Im Keller verharren die Dunkelheiten Tag und Nacht. Sogar mit dem Leuchter in der Hand sieht der Mensch im Keller die Schatten über die schwarzen Mauern tanzen ... In unserer Zivilisationsepoche, die das gleiche Licht überallhin verbreitet und auch den Keller elektrisch beleuchtet, geht man nicht mehr mit dem Leuchter in den Keller. Das Unbewusste aber lässt sich nicht zivilisieren.« [1]. Die Verbindung zwischen Tiefe und Erdoberfläche, zwischen Unterwelt und Tageslicht ist ein besonderer Ort. Und so hatte der Hamburger Architekt André Poitiers weit mehr zu gestalten als nur zwei Dächer, Verkaufsflächen und Treppen, als er den Auftrag für neue Zugänge zur U- und S-Bahn am Jungfernstieg erhielt.
Dass die Hamburger Hochbahn AG (HHA) die alten unansehnlichen Eingänge überhaupt durch neue ersetzen ließ, ist einem groß angelegten Umbau des gesamten Jungfernstiegs zu verdanken. Vor einigen Jahren hatten die Hamburger erschrocken bemerkt, dass ihr traditionsreicher Vorzeigeboulevard an der Binnenalster heruntergekommen und mit den eigenen Weltstadtambitionen nicht in Einklang zu bringen war. Der Bürgersinn regte sich, ein prominent besetzter Förderverein sammelte viele Millionen Euro, spannte Politik und Verwaltung ein und führte einen großen Architekturwettbewerb durch. Diesen gewannen die Landschaftsarchitekten WES & Partner und Architekt Poitiers mit einem sehr geradlinigen, reduzierten Entwurf, der ohne Abstriche umgesetzt wurde. Sie entrümpelten und öffneten den Straßenraum, pflanzten eine dreireihige Lindenallee, schufen eine terrassierte Uferpromenade mit verschiebbaren Bänken und ersetzten alte durch neue Pavillons.
Die alten Bahnhofseingänge spiegelten jedoch in keiner Weise die Bedeutung des Jungfernstiegs wider – immerhin ist dies auch der zweitgrößte Verkehrsknotenpunkt der Stadt. Hier treffen fast alle wichtigen U-, S- und Buslinien aufeinander; am Anleger starten die weißen Dampfer der Alsterbootflotte. Der unterirdische U- und S-Bahnhof ist ein allmählich gewachsenes, verwirrendes System mit vier Ebenen, drei Bahnsteigen, diversen Verbindungstunneln und Eingängen, das gestalterisch überwiegend auf dem Stand der siebziger Jahre verharrt. Es war deshalb eine Enttäuschung, dass die HHA den Architekten nur die Zugänge neu gestalten ließ. Doch für den Straßenraum des Jungfernstiegs war der kleine Auftrag an Poitiers ein Glücksfall – war somit doch gewährleistet, dass die beiden neuen Bauten sich in das Gesamtbild der umgebauten Flaniermeile harmonisch einfügen.
Poitiers kam wohl auch deshalb zum Zuge, weil sein architektonischer Ansatz aufs Trefflichste mit der Ingenieurmentalität der Hochbahner korrespondierte. Sein Credo lautet: »Ich bin Konstrukteur!«, und als Anhänger der englischen High-Tech-Architektur und ehemaliger Mitarbeiter Norman Fosters hat er ein Faible für präzise Arbeit und perfekte Lösungen. So ist der millimetergenau zu verarbeitende Stahl eines seiner Lieblingsmaterialien. Poitiers leitet die Großform seiner Zugänge von stählernen Brücken ab und verweist damit auf ein besonderes Charakteristikum der Hamburger U-Bahn, die sich nicht ohne Grund noch immer Hochbahn nennt: Ihre Gleise sind zu einem Großteil aufgestelzt; das Streckennetz führt derzeit über 430 Brücken und Viadukte.
Zwischenraum
Beide Zugangsbauten bestehen konstruktiv aus rechteckigen, geschweißten Hohlkastenträgern, deren U-Form die Brückenanmutung erzeugt. An diese Stahlbügel sind horizontale Zwischenträger angebracht, die die gläsernen, jeweils oben und unten beziehungsweise innen und außen angebrachten Dach- und Rückwandverkleidungen halten. Diese mit einem abstrakten Tropfenmotiv bedruckten Glasscheiben korrespondieren mit der Glasoberfläche eines ebenfalls von Poitiers entworfenen Restaurantpavillons auf der anderen Straßenseite. Es sind diese durchscheinenden Glasflächen, die einen Großteil des Reizes der Bahnhofseingänge ausmachen: Sie tauchen den halboffenen Innenraum in ein diffuses, blaugrünes Licht mit weichen Schatten; der Bahnhofszugang wird wunderbar als ein indifferentes Niemandsland zwischen Unterwelt und Himmelreich inszeniert. Man befindet sich gleichsam in einer »twilight zone«, einem Zwischenreich, wo das Licht in Schatten übergeht, der offene in den geschlossenen Raum. Auch die in dem Hohlraum zwischen den Scheiben verborgene Beleuchtung streut weich und unterstreicht den nicht fassbaren Charakter des Raumes.
Detailarbeit
André Poitiers schafft es, diese Atmosphäre mit einer ganz und gar rationalen, klaren Architektur zu erzeugen, die in Richtung Ingenieurbauwerk tendiert. Die Raffinesse ihrer Details beeindruckt: So ist jede einzelne Scheibe mit wenigen Handgriffen zur Reinigung oder beim Lampentausch aufklappbar und bei Beschädigung rasch auszutauschen. Damit die Großform nicht verunklart wird, sind alle Schrauben und Halterungen hinter Blenden oder in Fugen verborgen. Selbst die Entwässerung des Daches erfolgt unsichtbar in den Stahlträgern.
Eine Besonderheit sind die beiden Verkaufsflächen jeweils im hinteren Teil der Zugänge: ein Backshop und ein Würstchenimbiss. Der Backshop gehört zur Hamburger Kette »Dat Backhus«, für die Poitiers bereits zahlreiche Filialen zu Designpreziosen umgebaut hat. Damit im Winter Kuchen und Personal nicht festfrieren, gibt es eine Fußbodenheizung, eine Glasschürze unter der Decke und Heizstrahler in speziell entworfenen Stahlboxen.
Auch hier folgt alles der gestalterischen Maxime größtmöglicher Einfachheit und Klarheit: Die Technik bleibt für den Kunden unsichtbar, wird eingehüllt oder hinter Blenden verborgen; die Beleuchtung ist bündig in die Decke eingesetzt. Die Glastrennwände werden bei Tag platzsparend an den Seiten des Verkaufsstandes zusammengeschoben. Besonders gut wurde die Haustechnik versteckt – sie befindet sich in Wannen in der Zwischendecke über den Läden. Der Würstchenimbiss im anderen Gebäude wurde nicht vom Architekten eingerichtet, aber Poitiers stand dem Besitzer beratend zur Seite. Hier galt es, ein delikates Problem zu lösen: Den umliegenden, piekfeinen Anwaltskanzleien, Notariaten und Kaufmannskontoren durfte kein Hauch Bratwurstduft in die Räume steigen. Nach aufwändiger Planung gelang es, in die schmale Zwischendecke eine Absaug- und Filteranlage einzubauen, die jegliche Geruchsbelästigung verhindert. In den Rückseiten der beiden Bauten blieb sogar noch Platz für Technikräume. So konnten die früher überall auf dem Fußweg verteilten Schaltkästen für Elektrizität, Telefon und Ampeln abgebaut und ihre gesamte Technik dort konzentriert werden.
Konstruktive Akkuratesse, aufwändige Einfachheit und makellose Oberflächen sind hier kein Selbstzweck. André Poitiers blendet vielmehr die Komplexität des Raumprogramms mit großem Aufwand aus und reduziert die Eingangsbauten auf das einfache Thema der Grenze zwischen Erdinnerem und Erdoberfläche. Die zwei kleinen Bauwerke sind wunderbare Brücken zwischen diesen Welten, deren besondere Atmosphäre den einen oder anderen kurz aufmerken lässt bei der täglichen Hast. Und damit ist hier alles andere als Alltagsarchitektur entstanden.
[1] Gaston Bachelard, Poetik des Raums, München, 1960
Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung
Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkel
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