Bauwerk
Hotel Astoria
Herzog & de Meuron - Luzern (CH) - 2007
Harmlose Gletscherspalte
Herzog & de Meuron waren fünf Jahre mit dem Hotelier Urs Karli unterwegs auf Planungswanderung. Resultat ist der erste Hotelbau der Architekten und ein letzter Passstein in Karlis Hotelimperium. Das ‹Astoria› in Luzern sollte eine bewohnbare ‹Gletscherspalte› werden, doch nach Gletscherlicht, Eiskristallen und Gipfelerlebnis sucht man vergeblich.
16. Januar 2008 - Roderick Hönig
Der Luzerner Hotelier- und Gastrounternehmer Urs Karli liess sich bereits 2000 von Jean Nouvel ‹The Hotel› bauen. Beim nur ein paar Schritte entfernten ‹Astoria› erteilte er den 23-Millionen-Franken-Auftrag wieder an Architekten mit Namen – Stararchitekten generieren Hotelnächte und erhöhen den Marktwert eines Hauses. Doch es scheint, dass Herzog & de Meuron mehr als Marketing-Etikett dienen, denn als Architekten. Es wundert deshalb nicht, dass die Basler beim Projekt den Gipfel nicht erklimmen konnten. Das Projekt bleibt in der durchaus spannenden Grundriss-Figur stecken. Karli, der sein Geschäft à coeur kennt, wollte die eierlegende Wollmilchsau: Herzog & de Meuron sollten für die nur 21 Meter breite und 34 Meter tiefe Blockrand-Parzelle zwischen Winkelriedstrasse und Kauffmannweg ein Passstück entwerfen, das möglichst viele Zimmer, ein Tageslicht-Kongress- und Seminargeschoss auf dem Dach und mehrere Küchen im Keller hat sowie die 150 Zimmer der drei bereits bestehenden Hotelbauten des ‹Astoria› mit einer zentralen Lobby verbindet. Herzog & de Meuron haben trotz minimalem städtebaulichen Spielraum eine originelle und auch funktionale Antwort gefunden. Sie füllen die wenig lichtverwöhnte Baulücke mit einer komplizierten Hoffigur, mit einem Glashaus, dessen vier tiefe, über die gesamte Gebäudehöhe verlaufende Einschnitte, sogenannte ‹Gletscherspalten›, Tageslicht bis in die unteren Geschosse holen. Die Raumskulptur ist nicht nur Lichttrichter, sondern verlängert auch die Fassadenlinie: Es gelingt den Architekten, 90 unterschiedliche Zimmer, natürlich belüftet und belichtet, entlang dieser ‹Gletscherspalten› aufzureihen – deutlich mehr, als wenn sie alle direkt auf die Strasse hin orientiert hätten. Noch spannender wäre, von der einen zur anderen Strasse durch das Haus zu laufen, was ursprünglich geplant war.
Soweit die Vorgeschichte. Die effiziente Ausnutzung der Parzelle und die geschickte Verknüpfung durch eine zentrale Lobby mit den Nachbarhäusern führen zwar zu kurzen Wegen, zu einem reibungslosen Hotelbetrieb und zu einem unverwechselbaren Haustyp, nicht aber zu besonderen räumlichen oder architektonischen Qualitäten. Die Erwartungen, welche die expressive Fassadenskulptur von aussen schürt, werden im Inneren nicht erfüllt. «Das ‹Astoria› ist ein interessantes Projekt, doch wir konnten aus Kostengründen viele unserer Ideen nicht realisieren», resümiert Jacques Herzog, «Das Konzept hätte eine radikale Umsetzung verlangt – dass wir die letzten Meter nicht gehen konnten, sieht man dem Projekt heute an. Vielleicht waren wir zu nachsichtig.»
Wo ist der Kofferlift?
Erster Berührungspunkt mit dem Hotel ist der Empfang. Die Art der Inszenierung der Ankunft definiert das Niveau der Gastfreundschaft, kein Hotelier bekommt eine zweite Chance auf den ersten Eindruck. Die Dramaturgie im ‹Astoria› und die Fassade orientieren sich an internationalen Vorlagen. Höhepunkt ist die gelbe Kaskadentreppe in Stein, welche die verspiegelte Glassschlucht an der Winkelriedstrasse herunterplätschert, ein Auftritt der funktioniert und beeindruckt: Die Treppe zur Lobby im ersten Obergeschoss (weil im Erdgeschoss eine Bar oder ein Restaurant entstehen soll) wird zur Bühne und sie markiert zeichenhaft den neuen Haupteingang im nachts von innen heraus leuchtenden Glasgebirge. Gleichzeitig verströmt die 2800 Quadratmeter grosse Fassade aber auch das Flair eines Hotel-Towers in Manhattan oder Shanghai: Grossflächige Spiegelgläser, gefasst von klobigen, glänzenden Chromstahlleisten verkleiden den Bau vollflächig. Sie reduzieren ihn auf ein markantes abstraktes Volumen und unweigerlich hebt man in der ‹Gletscherschlucht› den Kopf zum Himmel, was sicherlich einigen Gästen ein kleines «Ah» abringt. Ihre Tücken zeigt die internationale Schaufassade im Luzerner Alltag – und das nicht nur bei Regen: Rolltreppe und Gepäcklift haben die Architekten so gut versteckt, dass zumindest tagsüber – wer nicht weiss, dass sie sich hinter der Spiegelwand im Erdgeschoss befinden – der Gast entweder den Koffer mühsam ins Obergeschoss schleppt oder darauf hofft, dass ihm jemand den Geheimgang zum Kofferlift zeigt. Hat man diese Hürde einmal geschafft, wird die erste Etappe der Gletscherwanderung aber nicht mit einem Ort der persönlichen, opulenten und warmen Gastlichkeit belohnt, sondern mit einer unterkühlten, klinisch weissen (eben nicht schnee- oder gletscherweissen) Hotellobby. Sie geniesst zwar dank des rückseitigen Einschnitts viel Tageslicht und durch die doppelte Raumhöhe einen weiten Atem, doch ist sie hilflos mit drei grauen Ledersofas und einer modisch-organisch geformten Reception möbliert, die auf einem Lichtband schwebt: Ihr steriler Charme erinnert eher an den Warteraum einer Zahnarztpraxis als an die Hotelhalle eines Viersternehotels. Die Sperma-Lampen, die lustlos von der Decke hängen, und der kalte Steinboden unterstreichen – gewollt oder ungewollt – die medizinischen Assoziationen. Kurz, zum Verweilen, zum Tee trinken oder zum Zeitunglesen lädt dieser Ort nicht ein.
Fliessende Schlaf- und Badelandschaft
In den Gängen der oberen Geschosse wird der geschliffene Terrazzoboden der Lobby von einem schwarz-grauen Leoparden-Teppich abgelöst, wie er auch in den Büroräumen der Neuen Zürcher Zeitung am Boden liegt. Hier erinnert auch mit viel Vorstellungskraft nichts mehr an die Gletscherwelt, die aussen und in der Lobby angetönt wurde. Die 90 neuen Zimmer sind im Normalfall einseitig raumhoch verglast, in den Spitzen gegen die Strassen hin sogar dreiseitig. Weiss ist auch hier das erste Farbthema, nur der Boden ist mit einem rotbraunen Kirschholz-Parkett ausgelegt. Die Bäder sind – so ein neuer Trend in der Hotellerie – vom Schlafzimmer nicht räumlich abgetrennt, sondern befinden sich in einer offenen, weiss gekachelten Nische hinter dem Bett. Die fliessende Schlaf- und Badelandschaft verleiht den eher kleinen Zimmern zwar Grosszügigkeit, das Geruch- und Privatsphäreproblem des offenen WCs bleibt hingegen ungelöst. «Wir haben die Bäder als dunkle Gruften geplant, sie hätten im Kontrast zur kristallinen Zimmerwelt stehen sollen. Das Möblierungskonzept sah unzählige Einzelstücke vor, die sich an den spannendsten Berghotels orientierten, doch am Schluss blieb dafür zu wenig Geld», erklärt Jacques Herzog.
Kein Spiel mit Transparenz
Wer aber beurteilen muss, wie die Zimmer heute daherkommen, der wundert sich nicht über die Möblierung, sondern darüber, dass die zur Lichtumlenkung in die Tiefe trichterförmig geneigte Fassade aus 437 verschiedenen Einzelteilen in den Zimmern erstaunlich wenig Thema ist. Das hat mit ihrer Effektivität zu tun, die kaum wahrnehmbar ist, da Vergleichswerte fehlen: Die Gläser sind zwar mit einer lichtreflektierenden Schicht versehen, doch sie lenken das Licht – ausser über Mittag, wenn sich kaum jemand im Zimmer aufhält – wenig spürbar in die Tiefe. Das hat zu Folge, dass man weniger die Lichtlenkwirkung wahrnimmt als ihre Randbedingung: die Nähe zum gegenüberliegenden Zimmernachbar. In den Gasträumen sind denn nicht Helligkeit, Licht-, Schatten- und Wetterspiele oder der in den Himmel gelenkte Blick Hauptthema, sondern Transparenz und Nähe zur nur wenige Meter gegenüberliegenden Hotelfassade. Das ist an sich noch kein Problem, sondern wäre eine Vorlage für den architektonischen Umgang mit Themen gewesen, die beispielsweise der amerikanische Künstler Dan Graham in seinen architekturnahen Glas-Installationen gekonnt umsetzt. Doch ein Spiel mit Einsicht, Durchsicht, Spiegelung oder sogar Desorientierung findet nicht statt. Nur schon Vorhänge, die der Gast vom Bett oder gar von der Dusche aus hätte steuern können, hätten zu so einem Spiel eingeladen. Doch kleine Schmankerl dieser Art fehlen. Wenn der Gast nicht will, dass ihm der Zimmernachbar beim Duschen oder beim Fernsehschauen zuschaut, muss er die Vorhänge ziehen und findet sich damit in einem austauschbaren Hotelzimmer wieder. Die Spiegelbeschichtung dient nicht der Inszenierung der Hotelwelt, sondern bleibt auf ihre profane Funktion reduziert: Sie verhindert tagsüber die Einsicht in die wenige Meter gegenüberliegende Zimmerschicht.
Mit angezogener Handbremse
Beim ‹Astoria› sind die Architekten Herzog & de Meuron mit angezogener Handbremse gefahren. «Wir wollten der Bauherrschaft entgegenkommen, vielleicht sind wir deshalb zu viele Kompromisse eingegangen», sagt Herzog rückblickend. Fazit bleibt: Dieses Hotel schreibt die an Beispielen reiche Architekturgeschichte der (Luzerner) Hotels nicht weiter. Ein Beitrag ist die skulpturale Fassade mit ihren tiefen Einschnitten auf der Vorder- und Rückseite. Sie ist eine intelligente Antwort auf die Frage, wie durchlässig eine Blockrandbebauung sein kann, und macht dabei den Neubau eindeutig zum Haupthaus des ‹Astoria›-Komplexes. Im Inneren hingegen bringen der planerische, finanzielle und bauliche Aufwand der geneigten Glasfassade weder einzigartige Raumqualitäten noch besonders spannende Lichtsituationen. Der kristalline Eindruck bleibt an der Oberfläche haften.
Drei Extras im ‹Astoria›
--› Tagungsgeschoss:
Mit dem neuen Seminar- und Kongressgeschoss auf dem Dach will der Hotelier Übernachtungen generieren und das ‹Astoria› auch als Kongresshotel positionieren. Im Gegensatz zu seinen Konkurrenten geniessen alle zwölf Tagungsräume Tageslicht und einen weiten Blick über die Dächer von Luzern – zwei nicht zu unterschätzende Startvorsprünge. Eine elegante Dachlounge mit Pianobar und riesiger Terrasse verbindet die Räume und hat gute Chancen, nach Tagungsende zum neuen Hotspot des Luzerner Nachtlebens zu werden.
--› Optimierter Betrieb:
Urs Karli ist in der Gastro- und Hotelszene als erfolgreicher Selfmade-Unternehmer bekannt. Es wundert deshalb nicht, dass er mit dem Neubau ‹Astoria› die Betriebsabläufe auf ein Maximum optimiert hat. Das neue, für die Gäste unsichtbare Herz sind die beiden Küchen in den Untergeschossen: In der Produktions- und in der darüberliegenden Fertigungsküche werden Fleisch, Teigwaren und Pasta für alle drei Restaurants im Hotel vorbereitet. Die Wege zu den Restaurants oder den Kongressräumen auf dem Dach sind in der Horizontalen wie auch in der Vertikalen kurz und von den Gästen getrennt.
--› Hotelzimmer:
Die Hotelzimmer sind eher klein, in erster Linie Schlafzimmer. Eine grosszügige Dusche, die gut zu zweit benutzt werden kann, ersetzt die ‹Bakterienfalle› Badewanne. Erwarten würde man in einem Viersternehotel eine abschliessbare Toilette, sie ging zugunsten der offenen Bade- und Schlaflandschaft unter. Die Zimmer funktionieren gut für Einzelpersonen, wie es wohl die meisten Seminarteilnehmer sind. Wenn am Wochenende aber Paare einziehen, wird es eng. Schönes Detail ist das im Bad versteckte Safe und Minibar-Möbel. Es steht im Schlafzimmer nicht im Weg und bietet zusätzliche Staufläche. Jürg Landert
Soweit die Vorgeschichte. Die effiziente Ausnutzung der Parzelle und die geschickte Verknüpfung durch eine zentrale Lobby mit den Nachbarhäusern führen zwar zu kurzen Wegen, zu einem reibungslosen Hotelbetrieb und zu einem unverwechselbaren Haustyp, nicht aber zu besonderen räumlichen oder architektonischen Qualitäten. Die Erwartungen, welche die expressive Fassadenskulptur von aussen schürt, werden im Inneren nicht erfüllt. «Das ‹Astoria› ist ein interessantes Projekt, doch wir konnten aus Kostengründen viele unserer Ideen nicht realisieren», resümiert Jacques Herzog, «Das Konzept hätte eine radikale Umsetzung verlangt – dass wir die letzten Meter nicht gehen konnten, sieht man dem Projekt heute an. Vielleicht waren wir zu nachsichtig.»
Wo ist der Kofferlift?
Erster Berührungspunkt mit dem Hotel ist der Empfang. Die Art der Inszenierung der Ankunft definiert das Niveau der Gastfreundschaft, kein Hotelier bekommt eine zweite Chance auf den ersten Eindruck. Die Dramaturgie im ‹Astoria› und die Fassade orientieren sich an internationalen Vorlagen. Höhepunkt ist die gelbe Kaskadentreppe in Stein, welche die verspiegelte Glassschlucht an der Winkelriedstrasse herunterplätschert, ein Auftritt der funktioniert und beeindruckt: Die Treppe zur Lobby im ersten Obergeschoss (weil im Erdgeschoss eine Bar oder ein Restaurant entstehen soll) wird zur Bühne und sie markiert zeichenhaft den neuen Haupteingang im nachts von innen heraus leuchtenden Glasgebirge. Gleichzeitig verströmt die 2800 Quadratmeter grosse Fassade aber auch das Flair eines Hotel-Towers in Manhattan oder Shanghai: Grossflächige Spiegelgläser, gefasst von klobigen, glänzenden Chromstahlleisten verkleiden den Bau vollflächig. Sie reduzieren ihn auf ein markantes abstraktes Volumen und unweigerlich hebt man in der ‹Gletscherschlucht› den Kopf zum Himmel, was sicherlich einigen Gästen ein kleines «Ah» abringt. Ihre Tücken zeigt die internationale Schaufassade im Luzerner Alltag – und das nicht nur bei Regen: Rolltreppe und Gepäcklift haben die Architekten so gut versteckt, dass zumindest tagsüber – wer nicht weiss, dass sie sich hinter der Spiegelwand im Erdgeschoss befinden – der Gast entweder den Koffer mühsam ins Obergeschoss schleppt oder darauf hofft, dass ihm jemand den Geheimgang zum Kofferlift zeigt. Hat man diese Hürde einmal geschafft, wird die erste Etappe der Gletscherwanderung aber nicht mit einem Ort der persönlichen, opulenten und warmen Gastlichkeit belohnt, sondern mit einer unterkühlten, klinisch weissen (eben nicht schnee- oder gletscherweissen) Hotellobby. Sie geniesst zwar dank des rückseitigen Einschnitts viel Tageslicht und durch die doppelte Raumhöhe einen weiten Atem, doch ist sie hilflos mit drei grauen Ledersofas und einer modisch-organisch geformten Reception möbliert, die auf einem Lichtband schwebt: Ihr steriler Charme erinnert eher an den Warteraum einer Zahnarztpraxis als an die Hotelhalle eines Viersternehotels. Die Sperma-Lampen, die lustlos von der Decke hängen, und der kalte Steinboden unterstreichen – gewollt oder ungewollt – die medizinischen Assoziationen. Kurz, zum Verweilen, zum Tee trinken oder zum Zeitunglesen lädt dieser Ort nicht ein.
Fliessende Schlaf- und Badelandschaft
In den Gängen der oberen Geschosse wird der geschliffene Terrazzoboden der Lobby von einem schwarz-grauen Leoparden-Teppich abgelöst, wie er auch in den Büroräumen der Neuen Zürcher Zeitung am Boden liegt. Hier erinnert auch mit viel Vorstellungskraft nichts mehr an die Gletscherwelt, die aussen und in der Lobby angetönt wurde. Die 90 neuen Zimmer sind im Normalfall einseitig raumhoch verglast, in den Spitzen gegen die Strassen hin sogar dreiseitig. Weiss ist auch hier das erste Farbthema, nur der Boden ist mit einem rotbraunen Kirschholz-Parkett ausgelegt. Die Bäder sind – so ein neuer Trend in der Hotellerie – vom Schlafzimmer nicht räumlich abgetrennt, sondern befinden sich in einer offenen, weiss gekachelten Nische hinter dem Bett. Die fliessende Schlaf- und Badelandschaft verleiht den eher kleinen Zimmern zwar Grosszügigkeit, das Geruch- und Privatsphäreproblem des offenen WCs bleibt hingegen ungelöst. «Wir haben die Bäder als dunkle Gruften geplant, sie hätten im Kontrast zur kristallinen Zimmerwelt stehen sollen. Das Möblierungskonzept sah unzählige Einzelstücke vor, die sich an den spannendsten Berghotels orientierten, doch am Schluss blieb dafür zu wenig Geld», erklärt Jacques Herzog.
Kein Spiel mit Transparenz
Wer aber beurteilen muss, wie die Zimmer heute daherkommen, der wundert sich nicht über die Möblierung, sondern darüber, dass die zur Lichtumlenkung in die Tiefe trichterförmig geneigte Fassade aus 437 verschiedenen Einzelteilen in den Zimmern erstaunlich wenig Thema ist. Das hat mit ihrer Effektivität zu tun, die kaum wahrnehmbar ist, da Vergleichswerte fehlen: Die Gläser sind zwar mit einer lichtreflektierenden Schicht versehen, doch sie lenken das Licht – ausser über Mittag, wenn sich kaum jemand im Zimmer aufhält – wenig spürbar in die Tiefe. Das hat zu Folge, dass man weniger die Lichtlenkwirkung wahrnimmt als ihre Randbedingung: die Nähe zum gegenüberliegenden Zimmernachbar. In den Gasträumen sind denn nicht Helligkeit, Licht-, Schatten- und Wetterspiele oder der in den Himmel gelenkte Blick Hauptthema, sondern Transparenz und Nähe zur nur wenige Meter gegenüberliegenden Hotelfassade. Das ist an sich noch kein Problem, sondern wäre eine Vorlage für den architektonischen Umgang mit Themen gewesen, die beispielsweise der amerikanische Künstler Dan Graham in seinen architekturnahen Glas-Installationen gekonnt umsetzt. Doch ein Spiel mit Einsicht, Durchsicht, Spiegelung oder sogar Desorientierung findet nicht statt. Nur schon Vorhänge, die der Gast vom Bett oder gar von der Dusche aus hätte steuern können, hätten zu so einem Spiel eingeladen. Doch kleine Schmankerl dieser Art fehlen. Wenn der Gast nicht will, dass ihm der Zimmernachbar beim Duschen oder beim Fernsehschauen zuschaut, muss er die Vorhänge ziehen und findet sich damit in einem austauschbaren Hotelzimmer wieder. Die Spiegelbeschichtung dient nicht der Inszenierung der Hotelwelt, sondern bleibt auf ihre profane Funktion reduziert: Sie verhindert tagsüber die Einsicht in die wenige Meter gegenüberliegende Zimmerschicht.
Mit angezogener Handbremse
Beim ‹Astoria› sind die Architekten Herzog & de Meuron mit angezogener Handbremse gefahren. «Wir wollten der Bauherrschaft entgegenkommen, vielleicht sind wir deshalb zu viele Kompromisse eingegangen», sagt Herzog rückblickend. Fazit bleibt: Dieses Hotel schreibt die an Beispielen reiche Architekturgeschichte der (Luzerner) Hotels nicht weiter. Ein Beitrag ist die skulpturale Fassade mit ihren tiefen Einschnitten auf der Vorder- und Rückseite. Sie ist eine intelligente Antwort auf die Frage, wie durchlässig eine Blockrandbebauung sein kann, und macht dabei den Neubau eindeutig zum Haupthaus des ‹Astoria›-Komplexes. Im Inneren hingegen bringen der planerische, finanzielle und bauliche Aufwand der geneigten Glasfassade weder einzigartige Raumqualitäten noch besonders spannende Lichtsituationen. Der kristalline Eindruck bleibt an der Oberfläche haften.
Drei Extras im ‹Astoria›
--› Tagungsgeschoss:
Mit dem neuen Seminar- und Kongressgeschoss auf dem Dach will der Hotelier Übernachtungen generieren und das ‹Astoria› auch als Kongresshotel positionieren. Im Gegensatz zu seinen Konkurrenten geniessen alle zwölf Tagungsräume Tageslicht und einen weiten Blick über die Dächer von Luzern – zwei nicht zu unterschätzende Startvorsprünge. Eine elegante Dachlounge mit Pianobar und riesiger Terrasse verbindet die Räume und hat gute Chancen, nach Tagungsende zum neuen Hotspot des Luzerner Nachtlebens zu werden.
--› Optimierter Betrieb:
Urs Karli ist in der Gastro- und Hotelszene als erfolgreicher Selfmade-Unternehmer bekannt. Es wundert deshalb nicht, dass er mit dem Neubau ‹Astoria› die Betriebsabläufe auf ein Maximum optimiert hat. Das neue, für die Gäste unsichtbare Herz sind die beiden Küchen in den Untergeschossen: In der Produktions- und in der darüberliegenden Fertigungsküche werden Fleisch, Teigwaren und Pasta für alle drei Restaurants im Hotel vorbereitet. Die Wege zu den Restaurants oder den Kongressräumen auf dem Dach sind in der Horizontalen wie auch in der Vertikalen kurz und von den Gästen getrennt.
--› Hotelzimmer:
Die Hotelzimmer sind eher klein, in erster Linie Schlafzimmer. Eine grosszügige Dusche, die gut zu zweit benutzt werden kann, ersetzt die ‹Bakterienfalle› Badewanne. Erwarten würde man in einem Viersternehotel eine abschliessbare Toilette, sie ging zugunsten der offenen Bade- und Schlaflandschaft unter. Die Zimmer funktionieren gut für Einzelpersonen, wie es wohl die meisten Seminarteilnehmer sind. Wenn am Wochenende aber Paare einziehen, wird es eng. Schönes Detail ist das im Bad versteckte Safe und Minibar-Möbel. Es steht im Schlafzimmer nicht im Weg und bietet zusätzliche Staufläche. Jürg Landert
Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre
Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönig