Bauwerk

Kaufhaus Tyrol
David Chipperfield, DMArchitekten - Innsbruck (A) - 2010
Kaufhaus Tyrol, Foto: B&R
Kaufhaus Tyrol, Foto: B&R

Wäre da nicht dieser Knick...

Es ist nicht nur ökonomisch ein Erfolg, es genießt auch allgemeine Anerkennung – sogar von Architekten: das Kaufhaus Tyrol in Innsbruck.

Selten hat es so viel Wirbel um ein Gebäude gegeben wie um das Kaufhaus Tyrol. Sicher, es ist ein Haus mit langer Tradition und liegt in der ensemblegeschützten Innsbrucker Prachtstraße, der Maria-Theresien-Straße. Dass die Diskussionen darüber bis in die Neunzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts zurückreichen, ist dennoch ungewöhnlich. Schließlich geht es hier ja nicht um ein Museum oder sonst einen öffentlichen Repräsentationsbau.

Die Ausgangssituation war sehr verzwickt, schon aufgrund der unterschiedlichen Eigentümerverhältnisse und der historischen Häuserfassaden an der Maria-Theresien-Straße – darf man sie abreißen oder nicht? Sie war es aber auch, weil Einkaufszentren heutzutage längst eine eigene architektonische Typologie sind, die ziemlich genau definierte Eigenschaften erfüllen muss, wenn sie funktionieren soll. Allen voran: Sie braucht sehr viel Nutzfläche, die unter den ursprünglichen Verhältnissen nicht zu erreichen gewesen wäre, und sie braucht eine großzügige öffentliche Erschließung – also das, was wir heute Mall nennen. Ohne den räumlichen Erlebniswert eines solchen – gewaltigen – Raumes kommen Einkaufszentren nicht aus.

Um es vorwegzunehmen: Es kam zum guten Ende, das Haus ist nicht nur ökonomisch ein Erfolg, es hat auch allgemeine Anerkennung – selbst bei den Architekten – gefunden. Und das ist wohl David Chipperfield zu verdanken, dem letzten in der Reihe der mit dem Projekt befassten Architekten, sowie seinem kongenialen Innsbrucker Partnerbüro, Dieter Mathoi Architekten.

Rekapitulieren wir: Es gab Studien in den Neunzigerjahren und dann ein ausgearbeitetes Projekt von Johann Obermoser, das mit seiner signifikanten Betonblase einen starken zeitgenössischen Akzent in den historischen Straßenzug eingeführt hätte. Diese Blase, so sagt man, wäre allerdings in bautechnologischer Hinsicht ein Problem und sehr kostspielig gewesen. Trotzdem wurde nach der Planung von Obermoser mit den Bauarbeiten begonnen, obwohl immer noch Unklarheit über die Fassadenlösung herrschte.

Aus einem diesbezüglichen Wettbewerb ging das Wiener Büro BEHF als eindeutiger Sieger hervor, die „Schweizer-Käse-Fassade“ (runde Verglasungen, unregelmäßig über die Gebäudehaut verteilt) fand bei den Innsbruckern aber keine Gegenliebe. Nächster Versuch: ein Fassadenvorschlag des Wiener Büros Heinz Neumann. Und der wurde zwar vom damaligen Bundeskanzler Gusenbauer favorisiert, die Innsbrucker Architektenschaft stand aber in ungewöhnlicher Geschlossenheit dagegen auf. Diese Art der kommerziellen, banalen Allerweltsarchitektur wollte hier einfach niemand haben. Und dann wandte sich René Benko, der allseits akklamierte Jungstar unter den heimischen Investoren, an David Chipperfield.

Nun rangiert Chipperfield an der architektonischen „Star“-Front – was für ein abstoßendes Phänomen der heutigen Architekturberichterstattung, dieses ewige Gerede von den „Stars“ – ganz vorne. Sein Friedhof in Venedig, sein Museum in Berlin, das sind schon Höhepunkte im zeitgenössischen Bauen. Aber siehe da: Er kann auch etwas so Alltägliches wie ein Einkaufszentrum. Innsbruck hat es, Wien sieht ihm mit Spannung entgegen (Peek & Cloppenburg in der Kärntner Straße).

Das vielleicht Wesentlichste an Chipperfields Leistung ist, dass er eine Architekturauffassung vertritt, die nicht auf einer prononcierten individuellen Handschriftlichkeit basiert, sondern aus der Situation (und Funktion) heraus entwickelt wird.

Die Fassade des Kaufhaus Tyrol ist so einfach, einfacher geht es schon nicht mehr. Wäre da nicht dieser Knick, der sehr folgerichtig aus dem Straßenverlauf heraus entwickelt wurde, den Eingang ausgesprochen diskret, aber doch betont und – wenn man drinnen ist, in den Geschäften – Ausblicksmöglichkeiten in alle Richtungen eröffnet. Architektonisch ist das ein brillantes Konzept, weil der Knick eine Erinnerung an die ursprüngliche Maßstäblichkeit der Häuser bewahrt und auch den Nutzern (Besuchern, Kunden) die klaustrophobische Situation anderer Kaufhäuser erspart.

Dieses Potenzial wird übrigens von den wenigsten Geschäften erkannt und genutzt. Wie man damit umgeht, weiß ich eigentlich nicht. Ich glaube, da würden nicht einmal Ausbildungsseminare für Filialbetreiber nutzen, denn die sind in ihren Vorgaben so festgeschrieben, enger geht es nicht.

Dieter Mathoi hat ganz nebenbei erwähnt, dass er den Bau zwar von vorne bis hinten als Generalplaner bearbeitet, organisiert und bis ins Detail überwacht hat, aber keiner ist je auf die Idee gekommen, ihn zur Einrichtung eines der Geschäfte einzuladen. Das machen die großen Ketten immer selbst, nach ihrem eigenen Schema, und die kleinen Mieter, die machen es halt nach ihrem Geschmack. Der ist sicher nicht immer der beste. Vor allem hängen und bauen sie alle die an sich wunderbaren Glasöffnungen zur Maria-Theresien-Straße zu. Da haben Leute Wesentliches nicht verstanden.

Das Haus hat eine überraschend einfache Fassade. Einen Fassadenraster, wie gesagt: mit einem Knick – ausgeführt in Fertigteile-Elementen, Beton, mit einem Weißzement-und einem Marmor-Zusatz, außen sandgestrahlt, in den leicht konischen Laibungen poliert. Der Gussterrazzo in der Mall gleicht sich im Farbton an, ebenso die Brüstungen. Nebenfassaden sind aus Aluminium, das in einem Bronzeton eluxiert wurde – diesem Material begegnet man auch im Gebäudeinneren. Der Materialminimalismus wurde konsequent durchgezogen. Es braucht ja auch nicht mehr. Der Besucherstrom ist so bunt, das genügt.

Die Mall, die Erschließung, ist im weitesten Sinn als glasüberdachter öffentlicher Raum aufgefasst. Alle Wegführungen – die Rolltreppen, die Brücken und Stiegen – folgen einer Logik des Rundgangs, der den Kunden wie selbstverständlich leitet. Mir ist das nicht sympathisch, ich sage es ganz ehrlich. Mir ist eine Architektur, die Menschen zum Konsum verleitet, nicht angenehm.

Es gäbe viel anzumerken zu diesem Bau. Immerhin, er hat ja mitten in der Stadt stattgefunden. Die Betonfertigteile für die Fassade wurden morgens um sechs angeliefert und – verbaut. Die wurden nicht gelagert. Dafür war gar kein Platz. Das heißt, es war eine absolut minutiös geplante und von Mathoi Architekten perfekt umgesetzte Aktion. Das muss man können. Man muss es wirklich können.

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