Bauwerk
Fuglsang-Kunstmuseum
Tony Fretton - Toreby Lolland (DK) - 2008
Reverenz an die dänische Landschaft
Das Fuglsang-Kunstmuseum von Tony Fretton
Der Londoner Tony Fretton zählt derzeit zu den interessantesten Architekten Grossbritanniens. Unbeeindruckt vom englischen Hightech, baute er in Dänemark ein formal überzeugendes Kunstmuseum.
4. April 2008 - Hubertus Adam
Nach der Überfahrt über den Fehmarnbelt erreicht die Fähre den dänischen Hafen Rødby. Danach durchquert der Zug Lolland und hält nach 20 Minuten in Nykøbing, dem Brückenkopf auf der Insel Falster. Die 25 000 Einwohner zählende Stadt an der «Vogelfluglinie» genannten ICE-Strecke Hamburg–Kopenhagen besitzt ein historisches Zentrum mit einer Klosterkirche und zahlreichen Fischer- und Bürgerhäusern aus dem 16. bis 18. Jahrhundert. Die Touristen, die hierherkommen, fahren aber gleich weiter zu den weissen Klippen auf der Insel Møn. Doch seit neustem kann Nykøbing mit einer Attraktion aufwarten: dem Fuglsang-Kunstmuseum, das in einsamer Landschaft acht Kilometer südwestlich der Stadt jenseits des Guldborgsunds liegt.
Entstehung einer Sammlung
Obwohl das nach dem Gutshof Fuglsang benannte Museum sein neues Domizil eben erst bezogen hat, reicht seine Geschichte bis ins 19. Jahrhundert zurück. Im Zusammenhang mit der Entdeckung der Kulturlandschaften und der historischen Traditionen des Landes wurde 1887 in Maribo auf Lolland ein Museum gegründet, dem auch eine Kunstsammlung angeschlossen werden sollte. Enge Kontakte, die zur Ny Carlsberg Glyptotek in Kopenhagen bestanden, führten zum Aufbau einer Kollektion von Gipsen. Darüber hinaus konzentrierte sich die Sammlungstätigkeit und Ankaufspolitik auf die Kunst der Region. Erst in den 1940er Jahren erhielt die Kunst eigenständige Ausstellungsräume in Maribo, die seit 1966 zunächst als Lolland-Falsters-Kunstmuseum und dann als Storstrøms-Kunstmuseum selbständig geführt wurden. Durch eine grosszügige Schenkung konnten 1984 die Lücken im Bereich der dänischen Nachkriegsavantgarde geschlossen werden.
Im Jahre 2004 entschied man sich, der seit der Gründung andauernden Platznot zu begegnen und endlich geeignete Räumlichkeiten zu schaffen. Mit dem idyllisch situierten Gut Fuglsang, das sich durch die seit Mitte des 19. Jahrhunderts veranstalteten Kammerkonzerte einen Namen in der dänischen Musikszene gemacht hat, war ein geeigneter Standort gefunden. Die heutigen Eigentümer, an kultureller Synergie interessiert, stellten das Bauland unentgeltlich zur Verfügung. Die für den Bau erforderlichen 7,2 Millionen Euro wurden durch kommunale Beiträge, EU-Fördermittel sowie den Kulturfonds Realdania aufgebracht. In einem eingeladenen Wettbewerb des Jahres 2005 konnte sich der Londoner Architekt Tony Fretton gegen Gigon/Guyer aus Zürich und drei dänische Konkurrenten durchsetzen.
Wege und Blicke
Tony Frettons genialer Schachzug bestand darin, das weitläufige Ensemble der bestehenden Bauten – anders als von den Mitbewerbern vorgesehen – nicht durch einen Riegel auf der Ostseite zu einem Geviert zu schliessen. Vielmehr ordnete er den Neubau in west-östlicher Ausrichtung an, indem er die Achse eines bestehenden Gebäudes fortsetzte. Der Blick der von Westen her sich nähernden Besucher schweift, vom Neubau kaum tangiert, in die Ferne: über die von einzelnen Baumgruppen akzentuierten Viehweiden bis zum nahen Guldborgsund und über diesen hinweg zur Küste von Falster. Denn nicht nur der Gutshof mit seinem englisch inspirierten Park macht den Reiz der Lage aus, sondern ebenso die Einbettung in die Weite der tellerflachen dänischen Landschaft und der Bezug zum Wasser. Diese Öffnung zur Umgebung passt bestens zu einem Museum, dessen Kunstwerke sich eben der Entdeckung dieser Landschaft verdanken.
Die subtile Lenkung des Blicks, dank der Fretton in seinem Bau auf alle Architekteneitelkeiten verzichten kann, bestimmt auch die räumliche Organisation des Inneren. Durch den Rücksprung des vorderen Gebäudeteils ist ein kleiner Vorplatz entstanden. Hier betritt man unter einem wie ein minimalistischer Baldachin ausgebildeten Vordach das Museumsfoyer: Links befindet sich ein Café, geradeaus ein kleiner Veranstaltungssaal. Nach rechts hin – und wieder auf die West-Ost-Achse einschwenkend – gelangt man in die Ausstellungsbereiche. Ein Gang durchmisst die gesamte Länge des Gebäudes, trennt die Kabinette von den grossen Oberlichtsälen im Norden und kulminiert ganz im Westen in einem über die Gebäudebegrenzung hinweg vorstossenden, dreiseitig verglasten, quadratischen Raum, in dem Sitzgelegenheiten zum Blick über die Felder und Wiesen einladen. Dieser Saal fungiert gleichsam als visuelle Fermate im Takt der Ausstellungssäle, und man kann ihn zugleich als Reverenz an einen Pavillon verstehen, wie man ihn im benachbarten Landschaftsgarten findet. Der lange Gang selbst ist breit genug, um nicht als Korridor zu wirken, und wird ebenfalls zur Hängung von Kunstwerken genutzt.
Der eigentliche Rundgang beginnt im Süden mit den kleinen Ausstellungskabinetten, in denen das «goldene Zeitalter» der dänischen Malerei Revue passiert – vom Klassizismus über die Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts bis zum Symbolismus. Diagonal gesetzte Oberlichter, die als Dachaufsätze am Äusseren markant in Erscheinung treten, sorgen für Tageshelle, während die Decken mit ihren geometrischen Bändern diskret historische Stuckornamente anklingen lassen, wie man sie auch im benachbarten Gutshaus findet. Die grossen, flexibel unterteilbaren Säle sind reduzierter gestaltet; hier wird anlässlich der Eröffnungsschau die Kunst des 20. Jahrhunderts präsentiert, darunter eine Anzahl von exquisiten Werken aus dem Cobra-Umfeld.
Bauen für die Kunst
Der 1945 geborene Tony Fretton zählt heute zu den interessantesten Architekten in London. Mit dem Hightech, der unter Tony Blair gleichsam zum Mainstream geworden ist, hat er wenig zu tun, und auch zu einer Ästhetik des Minimalismus, wie sie David Chipperfield vertritt, wahrt er Abstand. Mehr Nähe besteht zum sensualistischen, an der Schweizer Architektur geschulten Purismus von Caruso St John oder Sergison Bates. Den Durchbruch erzielte Fretton 1992 mit der Lisson Gallery in Paddington; vor vier Jahren konnte er das Camden Arts Centre in London umbauen. Auch wenn sich das Büro derzeit intensiv mit Wohn- und Geschäftshäusern beschäftigt – etwa in Amsterdam und Kopenhagen –, stellen Bauten für die Kunst weiterhin den eigentlichen Schwerpunkt des Schaffens dar. Davon zeugen das unlängst fertiggestellte Atelierhaus für Anish Kapoor in Chelsea sowie das Fuglsang-Kunstmuseum. In seinem bescheidenen und doch kalkulierten Gestus sowie mit seinen weiss geschlämmten Fassaden mag es an das grandios in die Küstenlandschaft nördlich von Kopenhagen eingebettete Louisiana-Museum erinnern. Man kann auch an Bauten von Alvaro Siza denken, der sich bekanntlich selbst an Aalto orientiert, mithin einem skandinavischen Architekten.
[ Katalog: Our Best Pieces. Hrsg. Tine Nielsen Fabienke. Fuglsang-Kunstmuseum, Toreby 2008. 140 S., 248 dKr ]
Entstehung einer Sammlung
Obwohl das nach dem Gutshof Fuglsang benannte Museum sein neues Domizil eben erst bezogen hat, reicht seine Geschichte bis ins 19. Jahrhundert zurück. Im Zusammenhang mit der Entdeckung der Kulturlandschaften und der historischen Traditionen des Landes wurde 1887 in Maribo auf Lolland ein Museum gegründet, dem auch eine Kunstsammlung angeschlossen werden sollte. Enge Kontakte, die zur Ny Carlsberg Glyptotek in Kopenhagen bestanden, führten zum Aufbau einer Kollektion von Gipsen. Darüber hinaus konzentrierte sich die Sammlungstätigkeit und Ankaufspolitik auf die Kunst der Region. Erst in den 1940er Jahren erhielt die Kunst eigenständige Ausstellungsräume in Maribo, die seit 1966 zunächst als Lolland-Falsters-Kunstmuseum und dann als Storstrøms-Kunstmuseum selbständig geführt wurden. Durch eine grosszügige Schenkung konnten 1984 die Lücken im Bereich der dänischen Nachkriegsavantgarde geschlossen werden.
Im Jahre 2004 entschied man sich, der seit der Gründung andauernden Platznot zu begegnen und endlich geeignete Räumlichkeiten zu schaffen. Mit dem idyllisch situierten Gut Fuglsang, das sich durch die seit Mitte des 19. Jahrhunderts veranstalteten Kammerkonzerte einen Namen in der dänischen Musikszene gemacht hat, war ein geeigneter Standort gefunden. Die heutigen Eigentümer, an kultureller Synergie interessiert, stellten das Bauland unentgeltlich zur Verfügung. Die für den Bau erforderlichen 7,2 Millionen Euro wurden durch kommunale Beiträge, EU-Fördermittel sowie den Kulturfonds Realdania aufgebracht. In einem eingeladenen Wettbewerb des Jahres 2005 konnte sich der Londoner Architekt Tony Fretton gegen Gigon/Guyer aus Zürich und drei dänische Konkurrenten durchsetzen.
Wege und Blicke
Tony Frettons genialer Schachzug bestand darin, das weitläufige Ensemble der bestehenden Bauten – anders als von den Mitbewerbern vorgesehen – nicht durch einen Riegel auf der Ostseite zu einem Geviert zu schliessen. Vielmehr ordnete er den Neubau in west-östlicher Ausrichtung an, indem er die Achse eines bestehenden Gebäudes fortsetzte. Der Blick der von Westen her sich nähernden Besucher schweift, vom Neubau kaum tangiert, in die Ferne: über die von einzelnen Baumgruppen akzentuierten Viehweiden bis zum nahen Guldborgsund und über diesen hinweg zur Küste von Falster. Denn nicht nur der Gutshof mit seinem englisch inspirierten Park macht den Reiz der Lage aus, sondern ebenso die Einbettung in die Weite der tellerflachen dänischen Landschaft und der Bezug zum Wasser. Diese Öffnung zur Umgebung passt bestens zu einem Museum, dessen Kunstwerke sich eben der Entdeckung dieser Landschaft verdanken.
Die subtile Lenkung des Blicks, dank der Fretton in seinem Bau auf alle Architekteneitelkeiten verzichten kann, bestimmt auch die räumliche Organisation des Inneren. Durch den Rücksprung des vorderen Gebäudeteils ist ein kleiner Vorplatz entstanden. Hier betritt man unter einem wie ein minimalistischer Baldachin ausgebildeten Vordach das Museumsfoyer: Links befindet sich ein Café, geradeaus ein kleiner Veranstaltungssaal. Nach rechts hin – und wieder auf die West-Ost-Achse einschwenkend – gelangt man in die Ausstellungsbereiche. Ein Gang durchmisst die gesamte Länge des Gebäudes, trennt die Kabinette von den grossen Oberlichtsälen im Norden und kulminiert ganz im Westen in einem über die Gebäudebegrenzung hinweg vorstossenden, dreiseitig verglasten, quadratischen Raum, in dem Sitzgelegenheiten zum Blick über die Felder und Wiesen einladen. Dieser Saal fungiert gleichsam als visuelle Fermate im Takt der Ausstellungssäle, und man kann ihn zugleich als Reverenz an einen Pavillon verstehen, wie man ihn im benachbarten Landschaftsgarten findet. Der lange Gang selbst ist breit genug, um nicht als Korridor zu wirken, und wird ebenfalls zur Hängung von Kunstwerken genutzt.
Der eigentliche Rundgang beginnt im Süden mit den kleinen Ausstellungskabinetten, in denen das «goldene Zeitalter» der dänischen Malerei Revue passiert – vom Klassizismus über die Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts bis zum Symbolismus. Diagonal gesetzte Oberlichter, die als Dachaufsätze am Äusseren markant in Erscheinung treten, sorgen für Tageshelle, während die Decken mit ihren geometrischen Bändern diskret historische Stuckornamente anklingen lassen, wie man sie auch im benachbarten Gutshaus findet. Die grossen, flexibel unterteilbaren Säle sind reduzierter gestaltet; hier wird anlässlich der Eröffnungsschau die Kunst des 20. Jahrhunderts präsentiert, darunter eine Anzahl von exquisiten Werken aus dem Cobra-Umfeld.
Bauen für die Kunst
Der 1945 geborene Tony Fretton zählt heute zu den interessantesten Architekten in London. Mit dem Hightech, der unter Tony Blair gleichsam zum Mainstream geworden ist, hat er wenig zu tun, und auch zu einer Ästhetik des Minimalismus, wie sie David Chipperfield vertritt, wahrt er Abstand. Mehr Nähe besteht zum sensualistischen, an der Schweizer Architektur geschulten Purismus von Caruso St John oder Sergison Bates. Den Durchbruch erzielte Fretton 1992 mit der Lisson Gallery in Paddington; vor vier Jahren konnte er das Camden Arts Centre in London umbauen. Auch wenn sich das Büro derzeit intensiv mit Wohn- und Geschäftshäusern beschäftigt – etwa in Amsterdam und Kopenhagen –, stellen Bauten für die Kunst weiterhin den eigentlichen Schwerpunkt des Schaffens dar. Davon zeugen das unlängst fertiggestellte Atelierhaus für Anish Kapoor in Chelsea sowie das Fuglsang-Kunstmuseum. In seinem bescheidenen und doch kalkulierten Gestus sowie mit seinen weiss geschlämmten Fassaden mag es an das grandios in die Küstenlandschaft nördlich von Kopenhagen eingebettete Louisiana-Museum erinnern. Man kann auch an Bauten von Alvaro Siza denken, der sich bekanntlich selbst an Aalto orientiert, mithin einem skandinavischen Architekten.
[ Katalog: Our Best Pieces. Hrsg. Tine Nielsen Fabienke. Fuglsang-Kunstmuseum, Toreby 2008. 140 S., 248 dKr ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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