Bauwerk
Franz Marc Museum
Diethelm & Spillmann - Kochel am See (D) - 2008
Schaukasten zum «Blauen Land»
Der Neubau des Franz-Marc-Museums in Kochel am See
Postum erfüllt sich für das Galeristenpaar Etta und Otto Stangl ein langgehegter Wunsch: Im Neubau des Franz-Marc-Museums in Kochel am See findet ihre Expressionismus-Sammlung ein adäquates Domizil. Dies dank den Zürcher Architekten Diethelm & Spillmann, die einen präzise auf die Landschaft zugeschnittenen Erweiterungsbau geschaffen haben.
27. Juni 2008 - Birgit Sonna
Es war nie ganz klar, wie man den Altbau des seit 1986 in Kochel am See existierenden Franz-Marc-Museums bezeichnen sollte. Für ein der voralpinen Schmucklust angemessenes Bauernhaus war das Gebäude aus der Wende zum 20. Jahrhundert mit seinen grünen Fensterläden und dem Giebeldach viel zu schlicht. Und so zog man sich mit Begriffen wie «Landhaus» oder «Villa» halbwegs elegant aus der Affäre. Im Innern atmete der Bau die behagliche Atmosphäre eines Heimatmuseums, entsprechend dicht hingen auch die Werke. Das kam zweifellos den volkskünstlerischen Interessen von Franz Marc und seinen Gesinnungsgenossen entgegen, sammelten doch die Mitglieder des Blauen Reiters auf der Generalrecherche nach dem Urwüchsigen nicht nur Kunsthandwerk aus der oberbayrischen Region, sondern entdeckten auch die Hinterglasmalerei neu. Bei dem gerne als Tiermaler verharmlosten Franz Marc hat man es aber auch mit einem hochkarätigen Vertreter der frühen Avantgarde im 20. Jahrhundert zu tun. Schon bei der Eröffnung des alten Franz-Marc-Museums gab es deshalb Pläne für einen zeitgemässen Erweiterungsbau. Auf Wunsch des Münchner Galeristen Otto Stangl, des privaten Hauptinitiators des Kochler Museums, sollte dort «die Weiterentwicklung der modernen Kunst in der Nachfolge des «Blauen Reiters» auch in ihrem «visionären Gedankengut» belegt werden. Verzögert erfüllt sich nun Stangls Wille und der seiner Frau Etta.
Kubische Erweiterung
Nach eineinhalbjähriger Bauphase haben Franz Marc, sein Freundeskreis sowie die Vertreter der norddeutschen Brücke und von ZEN 49 würdige Schauräume erhalten. Erhöht über dem Kochelsee gelegen, wacht der kubische Neubau mit seinem an ein riesiges rechteckiges Auge erinnernden Panoramafenster über die Landschaft und das Besucheraufkommen. Die jungen Zürcher Architekten Alois Diethelm und Daniel Spillmann zeichnen für den geschickt in die Waldlichtung gewürfelten und mit Crailsheimer Muschelkalk verkleideten Massivbau verantwortlich. Ein gläserner eingeschossiger Korridor nimmt zur Hofseite direkte Verbindung zum Altbau auf und führt ins weiträumige, abgesenkte Foyer. Das bisherige Franz-Marc-Quartier wurde komplett saniert und beherbergt jetzt Verwaltung sowie Gastronomie.
Sicher wären Etta und Otto Stangl, deren Sammlung mit Werken von Expressionisten und Nachkriegsabstrakten 1995 – fünf Jahre nach ihrem Tod – von den Erben in eine Stiftung übergeführt wurde, mit dem scharf und zugleich dialogbereit in die Landschaft eingeschnittenen Museumsgehäuse höchst zufrieden. Margrit Auer-Ibach, eine der beiden Stiftungsvorsitzenden und Nichten von Etta Stangl, streicht zu Recht das dezente «Kartause-Prinzip» der Architektur heraus. Durch den Erweiterungsbau findet nun auch die beachtliche Klee-Sammlung der Stangl-Stiftung eine mit Kunstlicht erhellte Unterkunft im Erdgeschoss. Etta Stangl, Tochter des Wuppertaler Unternehmers und pionierhaften Moderne-Sammlers Rudolf Ibach, brachte die meisten Werke von Klee in die eheliche Galeristen-Kollektion ein.
Insgesamt flossen 6,5 Millionen aus dem Stiftungsvermögen in die Museumsbauten und in die Landschaftsgestaltung – ein für bayrische Verhältnisse selten generöser Fall mäzenatischer Museumsförderung. Beim Erweiterungsbau handelt es sich um die erste Museumsarchitektur von Diethelm & Spillmann. Dass mittlerweile selbst die Lokalkritiker auf Anwürfe wie «Bunker» oder «kubistischer Klotz» verzichteten, spricht für die Überzeugungskraft des neuen Gebäudes. Seine rustikal geschichtete Natursteinfassade reflektiert das Sonnenlicht auf lebhaft mediterrane Weise. In den drei Geschossen mit ihren über 700 Quadratmetern Ausstellungsfläche wechseln sich grössere Schauräume mit intimen Kabinetten ab. Wie kleine Ufos kleben riesige kreisrunde Beleuchtungskörper an der Decke und verteilen das Kunstlicht im Bedarfsfall so, dass Grafik und Malerei konservatorisch unbedenklich nebeneinander präsentiert werden können. Die Standortbestimmung des Besuchers erleichtern die in jeder Himmelsrichtung sich öffnenden, nahezu raumhohen Schaufenster zur Landschaft.
Bei der Hängung der expressionistischen Werke im ersten Geschoss besticht die Anschaulichkeit, mit der die Kuratorin Cathrin Klingsöhr-Leroy das doch sehr verschieden ausgeprägte Naturverständnis von Brücke und Blauem Reiter herausgearbeitet hat. Bei den Vertretern von ZEN 49, deren Arbeiten eine Etage höher präsentiert werden, erweist sich vor allem Fritz Winter mit seinen röntgenhaft durchleuchteten «Triebkräften der Erde» als legitimer Marc-Nachfahre. Etwas fremd und laut in seiner poppigen Scherenschnitthaftigkeit bleibt der Zyklus «Jazz» (1947) von Henri Matisse. Aber das erklärt sich aus der Genese der Privatsammlung, zu der sich Bilder der Franz-Marc-Stiftung sowie einige Leihgaben aus dem familiären Umfeld der Stangls und den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen gesellen.
Kunst und Aussicht
Während des Museumsbesuchs sollte man sich unbedingt einige Sinnierminuten im kunstfrei gehaltenen Panoramaraum im Obergeschoss gönnen. Dieser Schaukasten gewährt einen geradezu irrealen Blick auf den ozeanblauen, von Bergen gerahmten Kochelsee. Und man begreift fast ein Jahrhundert nach Franz Marc, warum er und seine Freunde im sogenannten Blauen Land die energetischen Rhythmen der Natur leibhaftig erspürt zu haben meinten. Mit dem für die Zeit typischen Pathos schwärmte Marc 1910: «Ich suche mich pantheistisch einzufühlen in das Zittern und Rinnen des Blutes in der Natur, in den Bäumen, in den Tieren, in der Luft; suche das zum Bilde zu machen, mit neuen Bewegungen und mit Farben, die unseres alten Staffeleibildes spotten.»
[ Die erste Sammlungspräsentation im Franz-Marc-Museum in Kochel am See dauert bis zum 11. Januar 2009. Katalog: Fr. 68.– (€ 39.80 im Museum; Information: www.franz-marc-museum.de). ]
Kubische Erweiterung
Nach eineinhalbjähriger Bauphase haben Franz Marc, sein Freundeskreis sowie die Vertreter der norddeutschen Brücke und von ZEN 49 würdige Schauräume erhalten. Erhöht über dem Kochelsee gelegen, wacht der kubische Neubau mit seinem an ein riesiges rechteckiges Auge erinnernden Panoramafenster über die Landschaft und das Besucheraufkommen. Die jungen Zürcher Architekten Alois Diethelm und Daniel Spillmann zeichnen für den geschickt in die Waldlichtung gewürfelten und mit Crailsheimer Muschelkalk verkleideten Massivbau verantwortlich. Ein gläserner eingeschossiger Korridor nimmt zur Hofseite direkte Verbindung zum Altbau auf und führt ins weiträumige, abgesenkte Foyer. Das bisherige Franz-Marc-Quartier wurde komplett saniert und beherbergt jetzt Verwaltung sowie Gastronomie.
Sicher wären Etta und Otto Stangl, deren Sammlung mit Werken von Expressionisten und Nachkriegsabstrakten 1995 – fünf Jahre nach ihrem Tod – von den Erben in eine Stiftung übergeführt wurde, mit dem scharf und zugleich dialogbereit in die Landschaft eingeschnittenen Museumsgehäuse höchst zufrieden. Margrit Auer-Ibach, eine der beiden Stiftungsvorsitzenden und Nichten von Etta Stangl, streicht zu Recht das dezente «Kartause-Prinzip» der Architektur heraus. Durch den Erweiterungsbau findet nun auch die beachtliche Klee-Sammlung der Stangl-Stiftung eine mit Kunstlicht erhellte Unterkunft im Erdgeschoss. Etta Stangl, Tochter des Wuppertaler Unternehmers und pionierhaften Moderne-Sammlers Rudolf Ibach, brachte die meisten Werke von Klee in die eheliche Galeristen-Kollektion ein.
Insgesamt flossen 6,5 Millionen aus dem Stiftungsvermögen in die Museumsbauten und in die Landschaftsgestaltung – ein für bayrische Verhältnisse selten generöser Fall mäzenatischer Museumsförderung. Beim Erweiterungsbau handelt es sich um die erste Museumsarchitektur von Diethelm & Spillmann. Dass mittlerweile selbst die Lokalkritiker auf Anwürfe wie «Bunker» oder «kubistischer Klotz» verzichteten, spricht für die Überzeugungskraft des neuen Gebäudes. Seine rustikal geschichtete Natursteinfassade reflektiert das Sonnenlicht auf lebhaft mediterrane Weise. In den drei Geschossen mit ihren über 700 Quadratmetern Ausstellungsfläche wechseln sich grössere Schauräume mit intimen Kabinetten ab. Wie kleine Ufos kleben riesige kreisrunde Beleuchtungskörper an der Decke und verteilen das Kunstlicht im Bedarfsfall so, dass Grafik und Malerei konservatorisch unbedenklich nebeneinander präsentiert werden können. Die Standortbestimmung des Besuchers erleichtern die in jeder Himmelsrichtung sich öffnenden, nahezu raumhohen Schaufenster zur Landschaft.
Bei der Hängung der expressionistischen Werke im ersten Geschoss besticht die Anschaulichkeit, mit der die Kuratorin Cathrin Klingsöhr-Leroy das doch sehr verschieden ausgeprägte Naturverständnis von Brücke und Blauem Reiter herausgearbeitet hat. Bei den Vertretern von ZEN 49, deren Arbeiten eine Etage höher präsentiert werden, erweist sich vor allem Fritz Winter mit seinen röntgenhaft durchleuchteten «Triebkräften der Erde» als legitimer Marc-Nachfahre. Etwas fremd und laut in seiner poppigen Scherenschnitthaftigkeit bleibt der Zyklus «Jazz» (1947) von Henri Matisse. Aber das erklärt sich aus der Genese der Privatsammlung, zu der sich Bilder der Franz-Marc-Stiftung sowie einige Leihgaben aus dem familiären Umfeld der Stangls und den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen gesellen.
Kunst und Aussicht
Während des Museumsbesuchs sollte man sich unbedingt einige Sinnierminuten im kunstfrei gehaltenen Panoramaraum im Obergeschoss gönnen. Dieser Schaukasten gewährt einen geradezu irrealen Blick auf den ozeanblauen, von Bergen gerahmten Kochelsee. Und man begreift fast ein Jahrhundert nach Franz Marc, warum er und seine Freunde im sogenannten Blauen Land die energetischen Rhythmen der Natur leibhaftig erspürt zu haben meinten. Mit dem für die Zeit typischen Pathos schwärmte Marc 1910: «Ich suche mich pantheistisch einzufühlen in das Zittern und Rinnen des Blutes in der Natur, in den Bäumen, in den Tieren, in der Luft; suche das zum Bilde zu machen, mit neuen Bewegungen und mit Farben, die unseres alten Staffeleibildes spotten.»
[ Die erste Sammlungspräsentation im Franz-Marc-Museum in Kochel am See dauert bis zum 11. Januar 2009. Katalog: Fr. 68.– (€ 39.80 im Museum; Information: www.franz-marc-museum.de). ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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