Bauwerk

Neues Nationalparkzentrum Zernez
Valerio Olgiati - Zernez (CH) - 2008

Das gedachte Haus

«Der Bau ist konzeptionell, nicht funktional», sagt Valerio Olgiati zum Nationalparkzentrum.

8. Dezember 2008 - Benedikt Loderer
Herr Olgiati, herzliche Gratulation zum Goldenen Hasen für das Informationszentrum des Schweizerischen Nationalparks in Zernez siehe HP 6-7 / 08. Sind Sie zufrieden damit?
Ja, mit beidem, dem Hasen und dem Bau. Im Wettbewerb war die Grundrissfigur noch komplizierter, jetzt ist sie straff und symmetrisch. Ist es ein Grundrisskonzept? Nein, es ist auch ein Volumen- und Schnittkonzept. Beim Wettbewerb gab es ein grösseres und ein kleineres Quadrat und in der Mitte eine Wendeltreppe. Damals war es ein Sackgassenmuseum. Grundsätzlich muss man sich bei einem Museum überlegen: Sackgasse oder Rundgang? Heute ist es ein Rundgangmuseum, man endet dort, wo man begonnen hat. Es sind zwei gleiche Quadrate oder besser Würfel, die sich übereck berühren. Ich wollte ein Gebäude bauen, dass so unkontextuell und so wenig funktional wie möglich ist, ein Haus, das so nah wie möglich an eine absolute Architekturidee herankommt. Sobald es nach Funktionen riecht, ist es vorbei. Hat man ein grosses und ein kleines Quadrat, dann kann das nur aus funktionalen Gründen so sein, zwei gleiche hingegen haben nichts mit Funktionen zu tun.

Könnte man das Museum auch für einen andern Zweck gebrauchen? Man könnte es bewohnen, als Lagerhaus gebrauchen oder als Kirche?

Stimmt, es hat etwas Sakrales. Doch was mich mehr interessiert: Wie weit können Sie beim Entwerfen die Wirkung abschätzen, die Irritation der Drehung zum Beispiel? Das Modell und die Pläne waren schon in Ausstellungen zu sehen, für die Betrachter war das Projekt offenbar nicht zu lesen, erst im Bau selbst haben die Leute erfahren wie es ist. Nun aber die Wirkung: Von aussen hat man zwei Volumen, zwei kann man sich gut merken. Wären es drei, sähe es schon nach einer Komposition aus. Jetzt sind da 24 gleiche Löcher und 3 Geschosse. Das ist es, was man von aussen sieht. Man hat einen vollständigen Überblick, doch wenn man hineinkommt, verliert man sich in einem Labyrinth, die Raumsituation wiederholt sich und bald weiss man nicht mehr, wo man ist. Man bringt das, was man von aussen sah und das Innere nicht zur Deckung. Dass es so funktioniert, habe ich schon gehofft, aber es war doch ein Risiko dabei.

Im Wettbewerb stand das Gebäude noch neben dem Schloss, jetzt steht es als Solitär auf der andern Strassenseite. War der ursprüngliche Standort nicht besser?

Es wäre vor allem für den Nationalpark besser, denn dann wäre Verwaltung und Informationszentrum beieinander. Einen Moment, kommt da nicht trotzdem der Kontext ins Spiel, das Schloss als ausgezeichneter Ort? Nur im Gebrauch, sozusagen funktional angebunden, und das Haus selbst hätte mehr Platz gehabt, wäre freier gestanden als heute neben der Schule. Ich sage ja nicht, dass das Zentrum ohne Kontext dasteht, ich sage nur, dass die Entwurfsidee grundsätzlich nicht aus dem Kontext entwickelt ist. Heute ist, vor allem in der deutschen Schweiz, die Herleitung aus dem Kontext, die Lektüre des Ortes geradezu eine moralische Verpflichtung. Selbstverständlich gibt es den Kontext, natürlich ist der Bau an das Dorf angeschlossen und ist der Eingang auf der richtigen Seite, die Idee des Gebäudes hingegen ist absolut unkonzeptionell. Man könnte es auch anderswo aufstellen, solange das Terrain flach ist.

Die Decken und Wände sind aus Dämmbeton, wie kamen Sie auf dieses Material?

Durch den Ingenieur Patrick Gartmann, mit dem ich oft zusammenarbeite. Das Wettbewerbsprojekt war noch verputzt. Während der Planungsphase ist der Dämmbeton verbessert worden und heute ist das Gebäude ein Monolith, es gibt zwar Arbeits-, aber keine Dilatationsfugen. Ging es auch um Schwere und Massivität? Dass es eine Schalenkonstruktion ist, das ist mir wichtig, dass die Mauer so dick ist, ist mir egal. Würde das Haus auf 2000 Metern über Meer stehen, wäre die Wand wohl noch zehn Zentimeter dicker, das hätte ich nicht gemacht. Dann würde die Dicke der Mauer wichtig. Jetzt ist es noch eine normale Mauer, heute sind alle so dick. Man versucht immer wieder, mir den Bergler anzudichten, einer der archaisch baut. Wenn Archaik, dann jene der alten Hochkulturen, nicht die rurale.

Wie steht es mit der Schichtung der Geschosse, was ist mit diesen kleinen Vorsprüngen der oberen Geschosse?

Das ist eine tektonische Betonung, die verhindert, dass das Gebäude als volle Box gelesen wird. Die Schichtung der drei Geschosse zeigt, dass es sich wirklich um einen Hohlkörper handelt. Im Grundriss ist ein Stern eingeschrieben, den man nicht sieht, der aber für mich entscheidend ist. Der Bau hat einen absoluten Anspruch, hat auch eine metaphysische Ader. Mir ist die Kombination des Kopf- und des Bauchmässigen und das Dazwischen, das Metaphysische sehr wichtig. Ich will schliesslich keine Neanderthaler-Architektur machen. Beim Gelben Haus zum Beispiel haben viele Leute behauptet, das komme so geerdet daher, aber ich kann mir nichts Ungeerdeteres vorstellen als diese widersprüchliche Konstruktion, die einem fast im Kopf krank macht.

Es geht also um ein intellektuelles Konzept?

Ja, das Gebäude ist vor allem ein verstandesmäs-siges Konzept, weniger ein emotionales.Was ist mit dem Stichwort sinnliche Architektur? Selbstverständlich gefällt es mir, wenn der Bau gefällt. Auch mir gefallen Häuser aus dem Bauch heraus. Doch das Sinnliche steht nicht im Vordergrund.

Das Haus ist karg, einzig die Bronzefenster sind reich und wertvoll. Warum das?

Die Reduktion ist keine moralische Haltung, also gibt es auch keine moralische Einschränkung, was das Material angeht. Der Beton hat einen ärmlichen Charakter, doch zusammen mit der Bronze gewinnt er eine veredelte Anmutung, beinahe wie Naturstein, zum Beispiel Tuffstein.

Die Ausstellung ist doch recht chaotisch, was sagt der Architekt dazu?

Zum Inhalt und zum Ausdruck der Ausstellung sage ich nichts. Beim Wettbewerb war das Ausstellungsprogramm keineswegs klar, einzig, dass es kein Kunsthaus ist und dass vor allem Objekte gezeigt werden. Als Architekt kann man ein Ober-, ein Seiten- oder Kunstlichtmuseum bauen. Ich hielt ein Seitenlichtmuseum mit natürlichem Licht an diesem schönen Ort für richtig. Das war die Grundlage während der Planungszeit. Wir dachten, die Objekte stünden in der Raummitte und der Rundgang gehe den Wänden entlang. Die Storen wären offen, der Ausblick in die Landschaft vorhanden. Nun haben die Betreiber aus dem Seitenlicht- ein Kunstlichtmuseum gemacht. Die Objekte sitzen in den Ecken, was Verdunkelung und massive Kunstlichtbeleuchtung erfordert. Ein krasser Denkfehler der Betreiber. Die Landschaft, die eigentliche Grundlage des Nationalparks, ist total ausgeblendet.

Der Ausblick in die Landschaft war also immer ein Teil des Konzepts?

Der Besucher kommt von der Treppe in einen Raum mit vier gleichen Fenstern in jede der vier Himmelsrichtungen. Dann geht er, oder sie, durch die Stockwerke und sieht immer dieselbe Landschaft. Doch wenn man wieder am Ausgangspunkt ankommt, weiss man nicht, wo man gewesen ist. Das führt auch dazu, dass das Gebäude grösser erscheint, als es ist. Was man nicht erfassen kann, macht man grös-ser, nicht kleiner.

Welche Bedeutung hat dieses Gebäude in der Entwicklung des Architekten Valerio Olgiati?

In meinem Bestreben nach einer konzeptionellen Architektur ist es mein radikalster Bau. Er ist konzeptuell, nicht funktional. Er ist auch nicht phänomenologisch vom Material her bestimmt, obwohl ich weiss, dass Materialkombinationen ihre Wirkung haben. Das ist auch meine Auslegung der Poesie der Architektur. Doch prinzipiell ist es ein gedachtes Haus.

Ist das Zentrum in Zernez ein Findling oder ein Fremdling?

Ein Findling wäre etwas aus der Natur Geborenes, das ist es nicht. Es ist aus dem Hirn geboren, darum ein Fremdling.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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