Bauwerk
e3 Siebengeschossiges Wohnhaus
Kaden + Klingbeil - Berlin (D) - 2008
Lückenfüller mit Distanz
Eine Bauinitiative am Prenzlauer Berg
21. März 2009 - Claus Käpplinger
Ein Siebengeschosser in Holzbauweise inmitten der Stadt? – Vor Jahren noch hätte dies niemand für möglich gehalten, insbesondere nicht im „steinernen Berlin“ des neuen Bauweisen gegenüber wenig aufgeschlossenen Senatsbaudirektors Hans Stimmann. Doch gerade dort haben nun zwei Architekten ostdeutscher Herkunft den Beweis angetreten, dass sehr wohl sein kann, was nicht sein darf, nämlich eine siebengeschossige Wohnbau-Holzkonstruktion im gründerzeitlichen Karree. Mit etwas Chuzpe und viel Intelligenz gelang es den Architekten Tom Kaden und Thomas Klingbeil, alle Bedenkenträger auszumanövrieren und einer Baugruppe ein auch räumlich bemerkenswertes Haus zu schaffen.
Den Anfang machte das Projekt „E3“ (für Esmarchstraße 3) von drei Bauinteressenten, die ihren Weg zu den Architekten fanden. Nach dem derzeit in Berlin sehr populären Modell der „Baugruppe“ – einer Bauherrengemeinschaft ohne Bauträger – wollten sie in der Gegend ein Holzhaus bauen, wo sie und die Architekten lebten, nämlich im Szenequartier Prenzlauer Berg. Gezielt wandten sie sich an Kaden Klingbeil, da diese schon viele Holzhäuser gebaut hatten, wenngleich nur an der Peripherie und im Umland Berlins. Eine Baulücke und drei weitere Parteien waren rasch gefunden für ein Hausbauprojekt, das den Blockrand bewusst nicht völlig schließt und jedem Passanten mit seinem abgesetzten Treppenturm ins Auge fällt.
Selbst nach der neuen Berliner Bauordnung von 2006, die fünfgeschossige Holzbauten erlaubt (zuvor nur drei!), dürfte es das Haus „E3“ eigentlich nicht geben. Doch schon früh suchten die Architekten den Kontakt mit der Feuerwehr und einmal mehr erwiesen sich dabei die Feuerpraktiker aufgeschlossener als die Baubehörden. Doch ihre Zustimmung allein reichte nicht, wie auch nicht die Unterstützung prominenter Politiker und der Medien.
Die Baubehörden bestanden weiterhin auf Besprinklerung und einen zweiten Rettungsweg, was höhere Kosten und weniger Wohnraum bedeutet hätte. Erst die Gutachten zweier externer Spezialisten, eines Prüfstatikers aus München und eines Brandprüfers aus Leipzig, ermöglichten den Bau mit dem Nachweis, dass die Holzkonstruktion in der Tat ein vergleichbares Sicherheitsniveau wie ein Haus in konventioneller Massivbauweise besitzt.
Was ist nun an der Esmarchstraße entstanden?
Ein recht pragmatisches Haus ohne jedwede Accessoires, dem man von außen nie und von innen kaum ansieht, dass es aus Holz gebaut ist. Verputzt ist es und gibt nur mit einem zarten Putzrelief zu erkennen, dass es sich um einen Holzskelettbau mit aussteifenden Massivholzwänden handelt, wobei auch seine drei, vermeintlich aleatorisch verteilten Fensterformate Hinweis auf die Dimensionierung seiner Konstruktion geben. Seine Stützen und Riegel bestehen aus Brettschichtholz, das aufgrund regional nicht vorhandenen Know-hows in Süddeutschland gefertigt wurde. Fast alle hölzernen Teile sind eingepackt in eine nicht brennbare Kapselung aus Gipsfaserplatten, um die normalerweise geltenden F90-Anforderungen durch die Kapselklasse K60 zu umgehen: Alle tragende Teile dürfen sich über mindestens 60 Minuten nicht entzünden. Einzig die Untersicht der weit spannenden Holzbetonverbunddecken blieb unverkleidet. Ausgeführt aus 16 Zentimeter starken Holzlamellen und einer darüber liegenden 10 cm dicken Betonschicht entsprechen die Decken der Feuerklasse F90. Über eigens entwickelte Knotenblech-Verbindungen ließen sie sich rasch und problemlos montieren, wie die mit Andreaskreuzen ausgesteiften Wandfüllungen ihre Aufgabe aufs Einfachste lösten.
Alle Etagenräume sind um zwei kompakte Versorgungskerne aus Beton organisiert, sodass ihr Raumfluss durch keine tragenden Innenwände gestört wird. Frei konnten hier die Eigentümer ihre Grundrisse für Wohnungen zwischen 120 und 150 m² wählen, deren Flächendifferenzen jeweils ganz unterschiedlich große Terrassenräume zu Straße und Treppenturm ergaben. Und zudem hatten die Eigentümer noch die freie Wahl, wieviel private Balkonfläche sie an der Hofseite des Hauses wünschten.
Doch der besondere räumliche Clou sind die völlig unerwarteten Terrassenräume und ihre Zwischenräume zum offenen Betontreppenhaus. Dieses nämlich platzierten die Architekten zur Straße hin entlang einer Brandwand als eine Art „soziale Plastik“. Aus dem Holzhaus ausgelagert wurden Treppe und Aufzug, die Etagenwohnungen sind über eingehängte Betonbrücken zugänglich. Damit wurde nicht nur die Variabilität der Grundrisse erhöht und den Wohnungen von drei Seiten Tageslicht verschafft, sondern auch ein höchst spannender sozialer Raum geschaffen, der so gar nicht ins Bild vom fest gefügten und verschlossenen steinernen Block passen will. Einen unverwechselbaren Zwischen-Raum für Stadt und Hausgemeinschaft schafften sich hier die Architekten, die sich noch während des Planungsprozesses entschieden, mit ihrem Büro ins Erdgeschoss einzuziehen.
Fast schon selbstredend handelt es sich auch um ein energetisch vorbildliches Haus, dessen Primärenergieaufwand für den Rohbau bei lediglich 30 Prozent einer traditionellen Massivkonstruktion lag. Mit hochwertiger Dämmung und Wärmeschutzverglasung ausgestattet und mit Fernwärme beheizt, liegt sein Energiebedarf weit unter 40 kWh/m2.
Überzeugende Zahlen und geschicktes Agieren haben den beiden in Dresden und Berlin-Weißensee ausgebildeten Architekten in kürzester Zeit ein öffentliches Renomee verschafft, sodass sie schon an einem weit größeren Holzhaus-Projekt in Berlin arbeiten, dessen Zwischenräume und Funktionsmischungen noch erstaunlicher ausfallen werden. An ihrem Projekt „E3“ bedauern sie nur, dass die sichtbaren Holzdecken aus Kostengründen nur in Fichte und nicht in Weißtanne ausgeführt werden konnten. Und der Kritiker kann allein bedauern, dass es nicht noch mehr solcher mutiger und strukturell gedachter Hausprojekte in Berlin gibt. (Zeitschrift Zuschnitt 33, 2009; Seite 6ff.)
Den Anfang machte das Projekt „E3“ (für Esmarchstraße 3) von drei Bauinteressenten, die ihren Weg zu den Architekten fanden. Nach dem derzeit in Berlin sehr populären Modell der „Baugruppe“ – einer Bauherrengemeinschaft ohne Bauträger – wollten sie in der Gegend ein Holzhaus bauen, wo sie und die Architekten lebten, nämlich im Szenequartier Prenzlauer Berg. Gezielt wandten sie sich an Kaden Klingbeil, da diese schon viele Holzhäuser gebaut hatten, wenngleich nur an der Peripherie und im Umland Berlins. Eine Baulücke und drei weitere Parteien waren rasch gefunden für ein Hausbauprojekt, das den Blockrand bewusst nicht völlig schließt und jedem Passanten mit seinem abgesetzten Treppenturm ins Auge fällt.
Selbst nach der neuen Berliner Bauordnung von 2006, die fünfgeschossige Holzbauten erlaubt (zuvor nur drei!), dürfte es das Haus „E3“ eigentlich nicht geben. Doch schon früh suchten die Architekten den Kontakt mit der Feuerwehr und einmal mehr erwiesen sich dabei die Feuerpraktiker aufgeschlossener als die Baubehörden. Doch ihre Zustimmung allein reichte nicht, wie auch nicht die Unterstützung prominenter Politiker und der Medien.
Die Baubehörden bestanden weiterhin auf Besprinklerung und einen zweiten Rettungsweg, was höhere Kosten und weniger Wohnraum bedeutet hätte. Erst die Gutachten zweier externer Spezialisten, eines Prüfstatikers aus München und eines Brandprüfers aus Leipzig, ermöglichten den Bau mit dem Nachweis, dass die Holzkonstruktion in der Tat ein vergleichbares Sicherheitsniveau wie ein Haus in konventioneller Massivbauweise besitzt.
Was ist nun an der Esmarchstraße entstanden?
Ein recht pragmatisches Haus ohne jedwede Accessoires, dem man von außen nie und von innen kaum ansieht, dass es aus Holz gebaut ist. Verputzt ist es und gibt nur mit einem zarten Putzrelief zu erkennen, dass es sich um einen Holzskelettbau mit aussteifenden Massivholzwänden handelt, wobei auch seine drei, vermeintlich aleatorisch verteilten Fensterformate Hinweis auf die Dimensionierung seiner Konstruktion geben. Seine Stützen und Riegel bestehen aus Brettschichtholz, das aufgrund regional nicht vorhandenen Know-hows in Süddeutschland gefertigt wurde. Fast alle hölzernen Teile sind eingepackt in eine nicht brennbare Kapselung aus Gipsfaserplatten, um die normalerweise geltenden F90-Anforderungen durch die Kapselklasse K60 zu umgehen: Alle tragende Teile dürfen sich über mindestens 60 Minuten nicht entzünden. Einzig die Untersicht der weit spannenden Holzbetonverbunddecken blieb unverkleidet. Ausgeführt aus 16 Zentimeter starken Holzlamellen und einer darüber liegenden 10 cm dicken Betonschicht entsprechen die Decken der Feuerklasse F90. Über eigens entwickelte Knotenblech-Verbindungen ließen sie sich rasch und problemlos montieren, wie die mit Andreaskreuzen ausgesteiften Wandfüllungen ihre Aufgabe aufs Einfachste lösten.
Alle Etagenräume sind um zwei kompakte Versorgungskerne aus Beton organisiert, sodass ihr Raumfluss durch keine tragenden Innenwände gestört wird. Frei konnten hier die Eigentümer ihre Grundrisse für Wohnungen zwischen 120 und 150 m² wählen, deren Flächendifferenzen jeweils ganz unterschiedlich große Terrassenräume zu Straße und Treppenturm ergaben. Und zudem hatten die Eigentümer noch die freie Wahl, wieviel private Balkonfläche sie an der Hofseite des Hauses wünschten.
Doch der besondere räumliche Clou sind die völlig unerwarteten Terrassenräume und ihre Zwischenräume zum offenen Betontreppenhaus. Dieses nämlich platzierten die Architekten zur Straße hin entlang einer Brandwand als eine Art „soziale Plastik“. Aus dem Holzhaus ausgelagert wurden Treppe und Aufzug, die Etagenwohnungen sind über eingehängte Betonbrücken zugänglich. Damit wurde nicht nur die Variabilität der Grundrisse erhöht und den Wohnungen von drei Seiten Tageslicht verschafft, sondern auch ein höchst spannender sozialer Raum geschaffen, der so gar nicht ins Bild vom fest gefügten und verschlossenen steinernen Block passen will. Einen unverwechselbaren Zwischen-Raum für Stadt und Hausgemeinschaft schafften sich hier die Architekten, die sich noch während des Planungsprozesses entschieden, mit ihrem Büro ins Erdgeschoss einzuziehen.
Fast schon selbstredend handelt es sich auch um ein energetisch vorbildliches Haus, dessen Primärenergieaufwand für den Rohbau bei lediglich 30 Prozent einer traditionellen Massivkonstruktion lag. Mit hochwertiger Dämmung und Wärmeschutzverglasung ausgestattet und mit Fernwärme beheizt, liegt sein Energiebedarf weit unter 40 kWh/m2.
Überzeugende Zahlen und geschicktes Agieren haben den beiden in Dresden und Berlin-Weißensee ausgebildeten Architekten in kürzester Zeit ein öffentliches Renomee verschafft, sodass sie schon an einem weit größeren Holzhaus-Projekt in Berlin arbeiten, dessen Zwischenräume und Funktionsmischungen noch erstaunlicher ausfallen werden. An ihrem Projekt „E3“ bedauern sie nur, dass die sichtbaren Holzdecken aus Kostengründen nur in Fichte und nicht in Weißtanne ausgeführt werden konnten. Und der Kritiker kann allein bedauern, dass es nicht noch mehr solcher mutiger und strukturell gedachter Hausprojekte in Berlin gibt. (Zeitschrift Zuschnitt 33, 2009; Seite 6ff.)
Für den Beitrag verantwortlich: zuschnitt
Ansprechpartner:in für diese Seite: Kurt Zweifel