Bauwerk
Gewollte Vielfalt
Die Bebauung am Sandtorkai, Dalmannkai und Kaiserkai
Die HafenCity gewinnt allmählich Konturen. Wo sich vor ein paar Jahren noch Brachen, marode Lagerschuppen und einsturzgefährdete Kaimauern erstreckten, stehen heute exklusive Loftwohnungen und Bürohäuser. Die Projekte am Dalmannkai und am Kaiserkai stehen kurz vor dem Abschluss, der Sandtorkai ist längst bebaut. Und auch das Überseequartier, das zentrale Dienstleistungsviertel der Hafen-City, wächst bereits über seine Sockelgeschosse hinaus. Die Zeit ist reif für eine architektonische Zwischenbilanz, die allerdings eher durchmischt ausfällt.
Positiv hervorzuheben ist dagegen zunächst einmal der hohe Stellenwert, den das Wohnen in der HafenCity genießt. 5500 Einheiten für 10.000 bis 12.000 Menschen sind geplant, von denen bis Ende Mai 2008 rund zehn Prozent bereits fertiggestellt wurden. Die citynahen Grundstücke haben allerdings auch ihren Preis, und die starke Nachfrage, von der wohl sogar etliche Investoren überrascht wurden, hat noch ein Übriges getan, um das neue Quartier für Normalverdiener nahezu unerschwinglich zu machen. Wer hier wohnen möchte, muss mindestens 3000 Euro pro Quadratmeter zahlen. Die Spitzenwerte liegen zurzeit bei rund 8000 Euro für einzelne Penthouses. Selbst die Baugenossenschaften, die ursprünglich mit ins Boot geholt wurden, um für eine stärkere soziale Durchmischung des Viertels zu sorgen, bieten ihre Wohnungen mittlerweile für 12 bis 13 Euro pro Quadratmeter an. Unwuchten gibt es jedoch nicht nur in ökonomischer Hinsicht. Es zeigt sich auch deutlich, dass Haushalte mit Kindern in der HafenCity bisher die Ausnahme bilden.
Zu monieren ist auch das städtebauliche Konzept. Die uninspirierte »Klötzchenstruktur« des Masterplans wurde eins zu eins umgesetzt, ohne Rücksicht auf reizvolle Durchblicke und übergeordnete räumliche Zusammenhänge zu nehmen. Die neuen Straßen und Plätze öffnen sich eher ungezielt zu den Wasserflächen und zur gründerzeitlichen Speicherstadt, – eben dort, wo sich gerade zufällig eine Lücke zwischen den schematisch gereihten Baukörpern auftut. Besonders deutlich zeigt sich dies am Sandtorkai, wo ein Ensemble aus acht wuchtigen kubischen Gebäuden die neogotischen Speicherfassaden verstellt. Der ursprünglich versprochene durchlässige Charakter dieser Struktur vermittelt sich kaum. Bereits bei leichter Schrägansicht wirkt das Ensemble wie eine undurchdringliche Wand.
Immer an der Kante entlang: Flutschutz und öffentlicher Raum
Hier rächt sich die vorrangig wirtschaftlich begründete Entscheidung, die HafenCity nicht durch kostspielige Deiche, Schleusen und Sperrwerke vor Sturmfluten zu schützen, sondern das gesamte Gelände stattdessen auf mindestens 7,50 Metern über NN aufzuhöhen (zum Vergleich: die Speicherstadt liegt bei rund 5 bis 5,50 Metern über NN). Mit anderen Worten: Die HafenCity wird vollständig auf einem Plateau errichtet, das fast bis zur Höhe der ersten Obergeschosse der Lagerhäuser reicht. Das führt nicht nur zu problematischen Nahtstellen zwischen der Speicherstadt und der neuen Bebauung, sondern hat auch zur Konsequenz, dass entlang der historischen Kais, die ja auf dem ursprünglichen Niveau liegen, eine geschlossene Sockelzone entsteht, die sich aus naheliegenden Gründen nur sporadisch durch Cafés und Restaurants beleben lässt. Selbst an den attraktiven Wasserseiten wird das »Basement« der HafenCity deshalb vor allem als Tiefgarage genutzt.
Natürlich war dieser »Geburtsfehler« der HafenCity von Anfang an offensichtlich, und es ist daher wohl auch kaum Zufall, dass mit dem Freiraumkonzept von EMBT Architekten aus Barcelona ein besonders extravaganter Entwurf gewählt wurde, um diese Nachteile zu kaschieren. Rampen, Treppen und schiefwinklig übereinandergeschichtete Terrassen überspielen die Niveauunterschiede und lockern zugleich die starren Kaikanten spielerisch auf. Reliefartige Backsteinmuster, die Fische und Vogelschwärme assoziieren sollen oder auch einfach nur Rautenmuster bilden, dekorieren die Sockelmauern. Außerdem gibt es skurrile Leuchtgestänge, skulptural anmutende Betonelemente, Ballkörbe, Sandbahnen zum Boulespielen und am Dalmannkai sogar etwas Rasen. Das ist hübsch anzusehen und wird von den Anwohnern und Spaziergängern auch gerne genutzt. Aber man fragt sich auch unweigerlich, was diese bizarre Szenerie eigentlich mit dem Genius loci der Hafenlandschaft zu tun haben soll?
Winkel, Punkt und Linie: Das städtebauliche Konzept
Mittlerweile sind die Projekte am Dalmannkai nahezu abgeschlossen und lassen sich objektiv beurteilen, während am Kaiserkai noch einige Rohbauten stehen. Eine Erschließungsstraße teilt die Kaizunge in Längsrichtung im Verhältnis eins zu zwei, wodurch am Kaiserkai für die Gebäude kaum mehr als ein schmaler Uferstreifen zwischen zwei öffentlichen Räumen – der Straße und der Kaipromenade – übrig blieb. Nachteilig macht sich hier auch bemerkbar, dass die ruhigere Seite am Sandtorhafen und somit nach Norden liegt. Ein modisches, ovales Glashochhaus von Ingenhoven Architekten durchbricht die lineare Baustruktur. Die beiden Kaienden wurden für Bürohäuser reserviert, von denen das östliche – ein erstaunlich banaler Backsteinbau mit Brüstungsbändern – von David Chipperfield Architects stammt. Überhaupt sind die östlichen Abschnitte bis zum Vasco-da-Gama-Platz auf beiden Seiten der Kaizunge eher enttäuschend geraten und werden hier daher auch nicht weiter thematisiert.
Weitaus gelungener mutet demgegenüber das städtebauliche Konzept für den Dalmannkai an, an dem die Gebäude zu U-förmigen Komplexen zusammengefasst wurden, die sich nach Süden öffnen und private Binnenräume abschirmen. Allerdings wurde dort auf eine vollständig geschlossene Blockrandbebauung zugunsten winkelförmiger Strukturen in Kombination mit Punkthäusern verzichtet, wodurch man ungehindert in die Gartenhöfe und vor allem direkt auf die Terrassen blicken kann. Dabei werden die Wohnungen in den beiden unteren Geschossen ohnehin schon dadurch beeinträchtigt, dass sie sich mit raumhohen Fenstern unmittelbar zur Straße öffnen. Das liegt daran, dass hier ursprünglich vor allem Dienstleistungen – Einzelhandel, Gastronomie, Büros – vorgesehen waren, was aber bei den meisten Investoren kaum auf Interesse stieß, so dass diese Flächen in Maisonetten umgeplant wurden. Hier wohnt man jetzt wie in einem Schaufenster.
Bunt wie eine Wundertüte: Die Wettbewerbsergebnisse
Auffällig ist der heterogene Charakter der Entwürfe, die am Dalmannkai und am Kaiserkai realisiert wurden, ein Eindruck der durch die unterschiedliche Materialfarbigkeit noch verstärkt wird. Der betont monolithische Entwurf von APB.
Architekten antwortet mit Erkern und Lochfassaden auf die benachbarte Speicherstadt und ist außerdem mit orangebraunen, gelben und anthrazitfarbenen Klinkern verkleidet, um die Dreiteilung in zwei individuell geschnittene Eckhäuser und ein Mittelhaus zu unterstreichen. Das Gemeinschaftsprojekt von KBNK Architekten, LRW Architekten und Professor Carsten Lorenzen, das ebenfalls auf die gesamte Palette der traditionellen Ziegelfarben zurückgreift, orientiert sich dagegen an der Vorkriegsmoderne und am gediegenen skandinavischen Bauen (mit einigen charmanten Rückgriffen auf die Nierentisch-Ära). Eine dritte Variante schließlich bestand darin, zumindest einzelne exponierte Bauteile mit Backstein zu verblenden, um die Gebäude gestalterisch ihrer Nachbarschaft anzupassen. Sehr vielversprechend wirken in dieser Hinsicht die Gebäude von Wacker Zeiger Architekten und Bieling Architekten auf dem westlichsten Baufeld, die sich zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses aber noch im Bau befanden. Es gibt aber auch Bauten, die ausschließlich mit Putz oder Naturstein verkleidet sind.
Diese bisweilen verwirrende Vielfalt war jedoch intendiert und wurde sogar vertraglich fixiert. Leitbild war eine möglichst »kleinkörnige« Bebauung für möglichst heterogene Bewohnergruppen (was sich allerdings schnell durch die hohen Preise relativiert hat). Um die Umsetzung dieser Zielvorstellungen zu gewährleisten, wurden die Baufelder am Dalmannkai jeweils an mehrere Investoren vergeben – was angesichts der gemeinsamen Tiefgaragensockel eher widersinnig war – und außerdem getrennte Wettbewerbe für den winkelförmigen Baukörper und für das Punkthaus ausgeschrieben. Paradoxerweise, denn der Winkel wurde anschließend nicht etwa komplett nach dem erstplatzierten Entwurf realisiert, sondern seinerseits wiederum auf mehrere Büros aufgeteilt. Das Ergebnis war eine Art Wolpertinger-Architektur: ein amputierter Siegerentwurf, ergänzt um einen, manchmal sogar um zwei Entwürfe aus der Hand der anderen beiden Preisträger, die ebenso willkürlich zurechtgestutzt wurden, um sie in die verbliebenen Flächen einzupassen.
Man muss sich diese Bedingungen in Erinnerung rufen, um das Sammelsurium zu verstehen, das trotz der vielen herausragenden Einzelentwürfe letztlich entstanden ist. Wenn schon nicht ein insgesamt homogenerer Charakter der Bebauung erwünscht war, so hätte es sich doch zumindest angeboten, jedes Baufeld am Dalmannkai zu einem zwar individuellen, aber in sich stimmigen Ensemble zu formen. Doch offenbar beschränkte sich die Kooperation und Koordination der Architekten im Wesentlichen auf den Vergleich von Mustertafeln für die Fassadenverkleidungen. Und auch der Oberbaudirektor sah sich anscheinend nicht gefordert, den Wildwuchs zu beschneiden. »Junge Wilde« wie LOVE aus Graz wurden vielmehr sogar noch ausdrücklich ermuntert, zu diesem Mix auch noch einen kräftigen Schuss jugendlicher Unbekümmertheit beizusteuern. Das Resultat ist ein Gebäude in der Round-Line-Optik der Pop-Ära, d. h. mit gerundeten Kanten wie bei den damals angesagten Plastikweckern.
Luxus mit Macken: Letztlich hat der Bauträger das Sagen
Um Missverständnissen vorzubeugen: Das richtet sich nicht gegen die Beteiligung von Büros, die noch nicht arriviert sind. Es genügt allerdings auch nicht, jüngere Architekten zu Wettbewerben einzuladen, sie mit ersten Preisen auszuzeichnen und diese Prozesse dann nicht weiter zu steuern. SML Architekten sind mit ihrem virtuosen Projekt offensichtlich an den Vorstellungen des Investors gescheitert. Waren im Wettbewerbsentwurf noch ineinanderverschachtelte Maisonetten mit offenen Grundrissen vorgesehen, so wurden schließlich konventionelle Einheiten mit relativ kleinen Zimmern realisiert – bei Mieten von bis zu 18 Euro pro Quadratmeter und unverbaubarem Elbblick! Und auch die äußere Gestaltung hat sich von der ursprünglichen Idee einer komplex geschichteten Fassade aus edel anmutenden Materialien weit entfernt und wirkt mit den vor die Balkone gehängten Schiebenelementen aus kupferfarbenem Blech nur noch wie grobe Schlosserarbeit. Das Gespür der Architekten für Detailqualität kann man jetzt leider nur noch im Treppenhaus erleben.
Von einem weiteren Newcomer, nämlich spine architects, stammt das exklusive »La Taille Vent«: ein kompakter Solitär, der durch seine Hard-Edge-Architektur im Stil der siebziger Jahre mit braunen Fensterbändern und einer kantigen Kalksteinverkleidung auffällt. Überraschend konventionell, obgleich sehr kultiviert, präsentieren sich hier die Grundrisse: Großzügige und gleichwertige Räume, die sich an langen Korridoren reihen (was an die in Hamburg so beliebten bürgerlichen Wohnungen aus der Kaiserzeit erinnert und räumliche Qualitäten ins Spiel bringt, die in der HafenCity nicht selbstverständlich sind). Der eigentliche Clou ist jedoch die Einschnürung des Baukörpers – die Taille –, die den Vorteil bietet, dass man auch von den rückwärtigen Balkons aus das Hafenpanorama genießen kann. Außerdem war es durch diesen Einschnitt problemlos möglich, die unteren Geschosse in jeweils vier, die oberen dagegen in jeweils zwei Wohnungen aufzuteilen.
Höchsten Ansprüchen sollten auch die yoo-Wohnungen von SEHW Architekten und Léon Wohlhage Wernik Architekten genügen. Die Käufer konnten hier zwischen unterschiedlichen Ausstattungslinien wählen – von »classic« bis »minimal« -, die von dem Stardesigner Philippe Starck vorgegeben wurden (im Kaufpreis inbegriffen war allerdings nur die Grundausstattung, u. a. die bekannten Sanitärelemente). Bis zu 8000 Euro pro Quadratmeter haben die 63 Luxuseinheiten gekostet. Sparsamkeit waltete allerdings bei der Ausführung. Während sich Léon Wohlhage Wernik Architekten glücklich schätzen können, dass ihr Entwurf, ein unprätentiöser kubischer Backsteinbau mit geschlämmten Fassaden, kenntlich geblieben ist, wurden die Details im Abschnitt von SEHW Architekten erbarmungslos »heruntergerechnet« und vergröbert: Kunststoffplatten in Holzoptik statt Echtholz an den Sockelgeschossen, mausgrauer Eternit statt geschliffener sandsteinfarbener Faserbeton an den Seitenwänden der Loggien, gerahmte Glasscheiben statt Ganzglas als Geländer ...
Es ist immer das gleiche Lied. Der Architekt darf bei der Ausführungsplanung bestenfalls noch die Leitdetails festlegen und muss sich ansonsten dem unerbittlichen Willen der Generalübernehmer und der Vertreter anonymer Investoren beugen, die kaum einen Bezug zum Ort haben. Dass es auch anders geht, belegen die Entwürfe von KBNK Architekten, LRW Architekten und Professor Carsten Lorenzen für mehrere traditionelle Hamburger Baugenossenschaften, die sich der Verantwortung, in diesem anspruchsvollen Umfeld zu bauen, bewusst gestellt haben. Das erleichterte vieles. Die Architekten konnten eine Arbeitsgemeinschaft für das Baufeld bilden und wurden mit sämtlichen Leistungsstufen bis zur Ausführungsplanung beauftragt, wobei letztere in der Hand von KBNK Architekten lag. Das Ergebnis ist ein harmonisches Ensemble von zeitlos schönen Klinkerarchitekturen, akzentuiert durch eine Werksteinfassade, die jeweils durch eine geradezu baumeisterlich anmutende Detailqualität und nicht zuletzt auch durch ihren hohen Wohnwert hervorstechen. Man sieht es: Hier wurde nicht für Lifestyle-Konzepte, sondern für Menschen gebaut.
Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung
Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkel