Bauwerk
Wohnhaus und Sammlung Boros
Realarchitektur - Berlin (D) - 2007
Weltenübergang
Der Hochbunker in Berlin-Mitte hat eine abwechslungsreiche Geschichte hinter sich: Als zivile Luftschutzanlage in der NS-Zeit errichtet und Zufluchtsort Zigtausender, wurde er nach Ende des Zweiten Weltkrieges von der Roten Armee als Gefängnis genutzt und später zum Obstlager, zur Partylocation und nun zum Museum. Doch die erlesene, zeitgenössische Kunst bleibt die meiste Zeit unter Verschluss – schließlich ist die Sammlung Boros in dem aufwendig umgebauten und um ein Penthouse aufgestockten Hochbunker »nur« ein Privathaus des Kunstsammlers, das Kunst und Raum eindrucksvoll vereint.
1. Dezember 2008 - Christine Fritzenwallner
Schwer und laut fällt die Tür ins Schloss. Abrupt schneidet sie die Außenwelt ab. Ins Innere des ehemaligen Bunkers eingedrungen, hinter meterdicken, nackten, fensterlosen Wänden, weist zunächst nichts auf seine neue Nutzung hin. Nur der Untergrund ist irritierend weich: Ein knallgrüner Teppich belegt den Eingangsbereich. Erst ein paar Ecken weiter erwartet ein nüchtern weißer Tresen den Besucher. Darüber eine Glocke, die wie von Geisterhand gesteuert läutet, ohne einen Ton von sich zu geben, sich ohne Klöppel still hin und her bewegt. Sie ist das erste Kunstwerk, das den Besucher empfängt, und ihn zugleich leicht schaudern lässt. Diese Stimmung wird ihn auch später beim Gang durch die fünf Ausstellungsebenen begleiten. Zwar hat sich die Kunst »ihren Raum« genommen – reine Kulisse sind die Wände und Decken des Bunkers dennoch nicht. In jeder Ecke spürt man sein Vorleben. Das mag in vielen ein Unbehagen hervorrufen und ist dennoch das große Verdienst aller Planungsbeteiligten, ein perfektes Gleichgewicht zwischen Zeitzeugnis und neuer Nutzung. Der Bunker wurde seiner Geschichte nicht beraubt, nicht entmachtet, nicht mit Farbe übertüncht oder mit Kunst überfrachtet. Möglichkeiten dazu hätte es zahlreich gegeben, stehen neben Fassade und Türen doch nur die Treppenhäuser unter Denkmalschutz. Vor allem dort zeigen sich noch deutlich die Spuren der Vergangenheit: Fernsprecher und mächtige Stahltüren blieben original erhalten, ebenso die Oberflächen der Treppenhauswände aus unbehandeltem Sichtbeton mit dem Abdruck der Bretterverschalung.
Die Kunst der Architekten bestand aber auch in den Innenräumen darin, sich zurückzunehmen. Der größte Kraftakt war das Entfernen von Wänden und vor allem von Decken, was nun Sichtbeziehungen auch zu den darunter- beziehungsweise darüberliegenden Etagen schafft. Ohne dies und ohne Kunstwerke würde die Orientierung beim Rundgang wahrhaft schwerfallen – die Kunst, verzahnt über Lufträume, hilft, sich im labyrinthartigen Inneren zurechtzufinden; Raum und Kunst werden eins. Verputzt wurden nur Wände in der eigentlichen Ausstellung, in Absprache mit den Bauherren und Künstlern, die, einbezogen in den Planungsprozess, teilweise Werke speziell für den Bunker konzipierten oder ihre Arbeiten dafür nochmals veränderten. Nur an wenigen Stellen kamen neue Wände in Form von Brüstungen hinzu, »sozusagen das einzige Gestaltungselement von uns«, schmunzeln die Architekten. Sie fanden teilweise über ihr vorheriges Büro zusammen, aus dieser Zeit stammte auch der Kontakt zum Bauherrn. Doch inzwischen haben sich die Wege von Petra Petersson, Jens Casper und Andrew Strickland schon wieder getrennt. Petersson führt das Büro unter dem Namen Realarchitektur weiter, Casper arbeitet eigenständig in Berlin und Strickland hat es in die Schweiz verschlagen.
Zeitreise
Der Bau des »Reichsbahnbunker Friedrichstraße« geht Überlieferungen zufolge zurück auf die im September 1941 datierten Musterbaupläne von Karl Bonatz, Bruder des bekannteren Baumeisters Paul Bonatz. Sie sahen an verschiedenen Standorten jeweils einen gleichartigen, »bombensicheren Schutzraumbau für die Reichsbahn« vor. Im Rahmen des Führer-Sofortprogrammes unter der Leitung Albert Speers umgesetzt, soll der Bunker bereits 1942 über zweieinhalbtausend Menschen aus der Umgebung und Reisende aus dem nahe gelegenen Bahnhof-Friedrichstraße bei Luftangriffen Unterschlupf gewährt haben. Eingänge an allen vier Seiten mit Doppeltreppenanlagen ermöglichten schnellen Einlass. Womöglich wegen seiner exponierten Lage im Stadtraum an einer Straßenkreuzung unweit des Deutschen Theaters gelegen, ist der Hochbunker im Gegensatz zu manch anderen wesentlich aufwendiger gestaltet. Den oberen Abschluss der symmetrischen und jeweils durch Mittelrisalite gegliederten Fassade bildet ein umlaufendes Konsolgesims. Noch heute offenbaren sich an der Fassade die Spuren der Vergangenheit: Sie wurde lediglich gereinigt und in Abstimmung mit der Denkmalpflege an konstruktiv notwendigen Stellen instandgesetzt, die zahlreichen Einschlusslöcher blieben sichtbar.
Nach dem Zweiten Weltkrieg nutzte die Rote Armee den Hochbunker vorübergehend als Militärgefängnis, bis er ab etwa 1950 als Lagerstätte diente, zu DDR-Zeiten zum Beispiel für Südfrüchte, was ihm die Bezeichnung »Bananenbunker« einbrachte. Aus dieser Nutzungsepoche stammt die Öffnung an der nördlichen Fassade, wo ein Lastenaufzug angebracht wurde – bis heute jeweils das einzige Fenster pro Geschoss.
Wenige Jahre nach der Wende betanzten schließlich zunächst Techno-freaks die leerstehenden Räume und feierten hier die angeblich härtesten Technopartys Berlins. Die Wände wurden bunt, besprayt und bemalt, und die Räume zur halblegalen Adresse für weitere Musik-, SM- und Szenepartys. Nach einigen Razzien und Bauauflagen, die spontan wohl kaum zu realisieren waren – wie lässt sich auch eine Versammlungsstättenverordnung mit den starren Gegebenheiten im Bunker in Einklang bringen? – fand das Treiben 1996 ein abruptes Ende. Und 2003, nach einigen temporären Kunstausstellungen, der Bunker seine neue Bestimmung: 2007 bezog der Kunstliebhaber Christian Boros mit seiner Familie das aufgestockte Penthouse auf dem Dach als seinen Zweit- beziehungsweise Wochenendwohnsitz; seit Juni dieses Jahres gilt es, darunter seine beeindruckende Sammlung zeitgenössischer Kunst zu entdecken [1]. Bereits 1990 begann der heutige Inhaber einer erfolgreichen Werbeagentur, Kunstwerke zu sammeln, etwa von Damian Hirst, Olafur Eliasson, Anselm Reyle oder Tobias Rehberger. Derzeit besitzt er nach eigenen Angaben rund fünfhundert Arbeiten, die er leichtfertig-plakativ mit den Worten »Ich sammle Kunst, die ich nicht verstehe.« kommentiert. In dieser ersten Ausstellung sind – auf einer Fläche von etwa 2500 Quadratmetern – ausschließlich Skulpturen, Raum- und Lichtinstallationen von insgesamt 57 Künstlern zu sehen.
Ein Monster aus Beton
Keine Alltagsaufgabe: Eine massive Stahlbetondecke von drei Metern, 1,80 Meter dicke Außenwände, eine Raumhöhe von zwei bis 2,30 Metern und rund 120 Kammern – so fanden »Realarchitektur« ihr Projekt vor. Nach mächtig Handarbeit, Geduld und Zeitaufwand – 750 Kubikmeter Beton (insgesamt ein Würfel mit über neun Metern Kantenlänge) galt es im Bunker zu zerkleinern und zu entfernen – sind nun nur noch achtzig Räume mit teils bis zu 13 Meter hohen Lufträumen geblieben. Sie werden pro Geschoss nach wie vor über den mittigen Rundgang erschlossen.
Doch der statische Nachweis für den geplanten Umbau erwies sich als schwierig; Daten zur Berechnung der Verkehrs - und Bruchlast fehlten. Aufschluss sollte ein direkter Belastungstest geben: Eine hydraulische Presse versuchte, der Deckenkonstruktion Herr zu werden, sie zum Bruch zu zwingen. Und war mit ihrem Scheitern erfolglos und erfolgreich zugleich: Die tatsächliche Bruchlast bleibt für immer ungewiss – eine Bestätigung und Messergebnisse als Berechnungsgrundlage hatte man damit dennoch. Die Abbrucharbeiten, unüberhörbar im umliegenden Straßenraum, konnten beginnen.
Drei Monate sägten und rüttelten die Handwerker mittels Diamantschneidetechnik allein an der Öffnung der Drei-Meter-Decke für den Aufzug und die Erweiterung des Treppenhauses hinauf zur Wohnung des Bauherrn. Durch das beeindruckend monströse, roh belassene Loch sticht nun die neue Erschließung, ausgeführt mit einem Streckmetall, das unprätentiös und dennoch edel wirkt in seiner Einfachheit, kontrastierend mit der Bruchkante der Deckenöffnung und deren herausstehenden, gekappten Bewehrungsstäben. Hier wird die kolossale Konstruktion zum ersten Mal richtig deutlich – und die Mammutaufgabe, der Planer, Handwerker und Bauherren gegenüberstanden.
Auch finanziell war die Umnutzung eine Herausforderung, weitgehend unkalkulierbar die Kosten. Um diese hüllt sich allerdings Schweigen. Zunächst war geplant, die ersten Geschosse zu vermieten, als man sich, so Petersson, »noch nicht der immensen Kraft des Gebäudes« bewusst war.
Himmel über Berlin
Oben angekommen, scheint die Welt wieder eine andere. Dass man eben in einer erlesenen Sammlung zeitgenössischer Kunst war, daran erinnern zwar ebenso exquisit ausgewählte Möbel und Kunstwerke, aber das bedrückend beklemmende Gefühl hat sich verflüchtigt. Luftiger und lichtdurchlässig wurde es schon im oberen Treppenhaus, nun fühlt man sich frei. Das Penthouse übertrifft in einer faszinierenden Großzügigkeit, architektonischen Qualität und nahezu asketischem Purismus alle Erwartungen. Für Ersteres sorgt die Raumhöhe von 3,75 m bei einer Fläche von 26 mal 26 Metern. Zweiteres darf man wohl vor allem den Planern und Ausführenden verdanken. Das Dritte sicher einer eher ungewohnten Bauherrn-Diszipliniertheit; wenige Materialien und ebenso wenige Möbel bestimmen die Anmutung. Der umlaufenden und trotz ihrer filigranen Wirkung auch das Dach tragenden Stahl-Glasfassade stehen robuste Oberflächen gegenüber: Wände und Decken aus Beton, Böden und Sanitärbereiche aus Muschelkalk, Schrank- und Regalwände aus Eichenholz, angeblich gefertigt aus nur einem, 370 Jahre alten, westfälischen Eichenstamm.
Die Qualität und behutsame bis extravagante Materialwahl, die angenehm ruhig und unaufdringlich wirkt, setzt sich auch im Außenbereich fort: Der Terrassenbelag besteht aus Bankiraiholzlamellen, in den sich ein Wasserbecken gräbt, und der verschiebbare, individuell gefertigte Sonnenschutz aus einem Stahlrahmen mit darin gespannten Aluminiumketten. Gemeinsam mit den umlaufenden Dachgärten und Terrassen ergibt sich eine Fläche von knapp tausend Quadratmetern, eine grandiose Dachwohnung inmitten der Stadt. So gar nicht passt da die – dennoch erfreuliche – Vorstellung, dass das Dach noch mit einer Photovoltaikanlage nachgerüstet werden soll.
Auch dem Stadtraum tun das Grün des Dachgartens und überhaupt das aufgestockte Penthouse gut. Als hätte man dem jahrelang leerstehenden Gebäude wieder Leben eingehaucht. Plump und etwas gedrungen hatte es zuvor gewirkt. Mit dem hinzugekommenen Geschoss findet das Gebäude einen wohlproportionierten Abschluss.
Was bleibt, fällt die mächtige Stahltür erst wieder hinter dem Besucher ins Schloss, ist ein Nachsinnen über seine neue Nutzung. Und über einen leise vernommenen Vorwurf, dieser Ort der Geschichte behandele »distanzlos alle Spuren allein als Material und Zeichen, aber nicht als Dokumente«, seine düstere Vergangenheit diene »mehr der Inszenierung von Kunst und Ego« [2]. Das mag zum Teil stimmen, doch wie hätte es anders aussehen sollen, aussehen können? »Es ist ein Segen, dass Boros diese Werke erworben hat – Versäumnisse der Berliner Museen können so zumindest teilweise ausgeglichen werden«, schreibt dafür die Tagespresse [3]. Nicht nur, dass es ein Segen ist, dass er all jene Kunstwerke über die Jahre gesammelt hat, zugegeben sammeln konnte – ein Glücksfall vielleicht auch, dass gerade er den Bunker behutsam und mit viel Sorgfalt umgestalten ließ und ihm zeitge-nössische Kunst als »das höchste Potenzial geistiger Freiheit«, so Boros, gegenüberstellt. Eine bessere Nutzung hätte man sich hier wahrlich nicht vorstellen können.
Die Kunst der Architekten bestand aber auch in den Innenräumen darin, sich zurückzunehmen. Der größte Kraftakt war das Entfernen von Wänden und vor allem von Decken, was nun Sichtbeziehungen auch zu den darunter- beziehungsweise darüberliegenden Etagen schafft. Ohne dies und ohne Kunstwerke würde die Orientierung beim Rundgang wahrhaft schwerfallen – die Kunst, verzahnt über Lufträume, hilft, sich im labyrinthartigen Inneren zurechtzufinden; Raum und Kunst werden eins. Verputzt wurden nur Wände in der eigentlichen Ausstellung, in Absprache mit den Bauherren und Künstlern, die, einbezogen in den Planungsprozess, teilweise Werke speziell für den Bunker konzipierten oder ihre Arbeiten dafür nochmals veränderten. Nur an wenigen Stellen kamen neue Wände in Form von Brüstungen hinzu, »sozusagen das einzige Gestaltungselement von uns«, schmunzeln die Architekten. Sie fanden teilweise über ihr vorheriges Büro zusammen, aus dieser Zeit stammte auch der Kontakt zum Bauherrn. Doch inzwischen haben sich die Wege von Petra Petersson, Jens Casper und Andrew Strickland schon wieder getrennt. Petersson führt das Büro unter dem Namen Realarchitektur weiter, Casper arbeitet eigenständig in Berlin und Strickland hat es in die Schweiz verschlagen.
Zeitreise
Der Bau des »Reichsbahnbunker Friedrichstraße« geht Überlieferungen zufolge zurück auf die im September 1941 datierten Musterbaupläne von Karl Bonatz, Bruder des bekannteren Baumeisters Paul Bonatz. Sie sahen an verschiedenen Standorten jeweils einen gleichartigen, »bombensicheren Schutzraumbau für die Reichsbahn« vor. Im Rahmen des Führer-Sofortprogrammes unter der Leitung Albert Speers umgesetzt, soll der Bunker bereits 1942 über zweieinhalbtausend Menschen aus der Umgebung und Reisende aus dem nahe gelegenen Bahnhof-Friedrichstraße bei Luftangriffen Unterschlupf gewährt haben. Eingänge an allen vier Seiten mit Doppeltreppenanlagen ermöglichten schnellen Einlass. Womöglich wegen seiner exponierten Lage im Stadtraum an einer Straßenkreuzung unweit des Deutschen Theaters gelegen, ist der Hochbunker im Gegensatz zu manch anderen wesentlich aufwendiger gestaltet. Den oberen Abschluss der symmetrischen und jeweils durch Mittelrisalite gegliederten Fassade bildet ein umlaufendes Konsolgesims. Noch heute offenbaren sich an der Fassade die Spuren der Vergangenheit: Sie wurde lediglich gereinigt und in Abstimmung mit der Denkmalpflege an konstruktiv notwendigen Stellen instandgesetzt, die zahlreichen Einschlusslöcher blieben sichtbar.
Nach dem Zweiten Weltkrieg nutzte die Rote Armee den Hochbunker vorübergehend als Militärgefängnis, bis er ab etwa 1950 als Lagerstätte diente, zu DDR-Zeiten zum Beispiel für Südfrüchte, was ihm die Bezeichnung »Bananenbunker« einbrachte. Aus dieser Nutzungsepoche stammt die Öffnung an der nördlichen Fassade, wo ein Lastenaufzug angebracht wurde – bis heute jeweils das einzige Fenster pro Geschoss.
Wenige Jahre nach der Wende betanzten schließlich zunächst Techno-freaks die leerstehenden Räume und feierten hier die angeblich härtesten Technopartys Berlins. Die Wände wurden bunt, besprayt und bemalt, und die Räume zur halblegalen Adresse für weitere Musik-, SM- und Szenepartys. Nach einigen Razzien und Bauauflagen, die spontan wohl kaum zu realisieren waren – wie lässt sich auch eine Versammlungsstättenverordnung mit den starren Gegebenheiten im Bunker in Einklang bringen? – fand das Treiben 1996 ein abruptes Ende. Und 2003, nach einigen temporären Kunstausstellungen, der Bunker seine neue Bestimmung: 2007 bezog der Kunstliebhaber Christian Boros mit seiner Familie das aufgestockte Penthouse auf dem Dach als seinen Zweit- beziehungsweise Wochenendwohnsitz; seit Juni dieses Jahres gilt es, darunter seine beeindruckende Sammlung zeitgenössischer Kunst zu entdecken [1]. Bereits 1990 begann der heutige Inhaber einer erfolgreichen Werbeagentur, Kunstwerke zu sammeln, etwa von Damian Hirst, Olafur Eliasson, Anselm Reyle oder Tobias Rehberger. Derzeit besitzt er nach eigenen Angaben rund fünfhundert Arbeiten, die er leichtfertig-plakativ mit den Worten »Ich sammle Kunst, die ich nicht verstehe.« kommentiert. In dieser ersten Ausstellung sind – auf einer Fläche von etwa 2500 Quadratmetern – ausschließlich Skulpturen, Raum- und Lichtinstallationen von insgesamt 57 Künstlern zu sehen.
Ein Monster aus Beton
Keine Alltagsaufgabe: Eine massive Stahlbetondecke von drei Metern, 1,80 Meter dicke Außenwände, eine Raumhöhe von zwei bis 2,30 Metern und rund 120 Kammern – so fanden »Realarchitektur« ihr Projekt vor. Nach mächtig Handarbeit, Geduld und Zeitaufwand – 750 Kubikmeter Beton (insgesamt ein Würfel mit über neun Metern Kantenlänge) galt es im Bunker zu zerkleinern und zu entfernen – sind nun nur noch achtzig Räume mit teils bis zu 13 Meter hohen Lufträumen geblieben. Sie werden pro Geschoss nach wie vor über den mittigen Rundgang erschlossen.
Doch der statische Nachweis für den geplanten Umbau erwies sich als schwierig; Daten zur Berechnung der Verkehrs - und Bruchlast fehlten. Aufschluss sollte ein direkter Belastungstest geben: Eine hydraulische Presse versuchte, der Deckenkonstruktion Herr zu werden, sie zum Bruch zu zwingen. Und war mit ihrem Scheitern erfolglos und erfolgreich zugleich: Die tatsächliche Bruchlast bleibt für immer ungewiss – eine Bestätigung und Messergebnisse als Berechnungsgrundlage hatte man damit dennoch. Die Abbrucharbeiten, unüberhörbar im umliegenden Straßenraum, konnten beginnen.
Drei Monate sägten und rüttelten die Handwerker mittels Diamantschneidetechnik allein an der Öffnung der Drei-Meter-Decke für den Aufzug und die Erweiterung des Treppenhauses hinauf zur Wohnung des Bauherrn. Durch das beeindruckend monströse, roh belassene Loch sticht nun die neue Erschließung, ausgeführt mit einem Streckmetall, das unprätentiös und dennoch edel wirkt in seiner Einfachheit, kontrastierend mit der Bruchkante der Deckenöffnung und deren herausstehenden, gekappten Bewehrungsstäben. Hier wird die kolossale Konstruktion zum ersten Mal richtig deutlich – und die Mammutaufgabe, der Planer, Handwerker und Bauherren gegenüberstanden.
Auch finanziell war die Umnutzung eine Herausforderung, weitgehend unkalkulierbar die Kosten. Um diese hüllt sich allerdings Schweigen. Zunächst war geplant, die ersten Geschosse zu vermieten, als man sich, so Petersson, »noch nicht der immensen Kraft des Gebäudes« bewusst war.
Himmel über Berlin
Oben angekommen, scheint die Welt wieder eine andere. Dass man eben in einer erlesenen Sammlung zeitgenössischer Kunst war, daran erinnern zwar ebenso exquisit ausgewählte Möbel und Kunstwerke, aber das bedrückend beklemmende Gefühl hat sich verflüchtigt. Luftiger und lichtdurchlässig wurde es schon im oberen Treppenhaus, nun fühlt man sich frei. Das Penthouse übertrifft in einer faszinierenden Großzügigkeit, architektonischen Qualität und nahezu asketischem Purismus alle Erwartungen. Für Ersteres sorgt die Raumhöhe von 3,75 m bei einer Fläche von 26 mal 26 Metern. Zweiteres darf man wohl vor allem den Planern und Ausführenden verdanken. Das Dritte sicher einer eher ungewohnten Bauherrn-Diszipliniertheit; wenige Materialien und ebenso wenige Möbel bestimmen die Anmutung. Der umlaufenden und trotz ihrer filigranen Wirkung auch das Dach tragenden Stahl-Glasfassade stehen robuste Oberflächen gegenüber: Wände und Decken aus Beton, Böden und Sanitärbereiche aus Muschelkalk, Schrank- und Regalwände aus Eichenholz, angeblich gefertigt aus nur einem, 370 Jahre alten, westfälischen Eichenstamm.
Die Qualität und behutsame bis extravagante Materialwahl, die angenehm ruhig und unaufdringlich wirkt, setzt sich auch im Außenbereich fort: Der Terrassenbelag besteht aus Bankiraiholzlamellen, in den sich ein Wasserbecken gräbt, und der verschiebbare, individuell gefertigte Sonnenschutz aus einem Stahlrahmen mit darin gespannten Aluminiumketten. Gemeinsam mit den umlaufenden Dachgärten und Terrassen ergibt sich eine Fläche von knapp tausend Quadratmetern, eine grandiose Dachwohnung inmitten der Stadt. So gar nicht passt da die – dennoch erfreuliche – Vorstellung, dass das Dach noch mit einer Photovoltaikanlage nachgerüstet werden soll.
Auch dem Stadtraum tun das Grün des Dachgartens und überhaupt das aufgestockte Penthouse gut. Als hätte man dem jahrelang leerstehenden Gebäude wieder Leben eingehaucht. Plump und etwas gedrungen hatte es zuvor gewirkt. Mit dem hinzugekommenen Geschoss findet das Gebäude einen wohlproportionierten Abschluss.
Was bleibt, fällt die mächtige Stahltür erst wieder hinter dem Besucher ins Schloss, ist ein Nachsinnen über seine neue Nutzung. Und über einen leise vernommenen Vorwurf, dieser Ort der Geschichte behandele »distanzlos alle Spuren allein als Material und Zeichen, aber nicht als Dokumente«, seine düstere Vergangenheit diene »mehr der Inszenierung von Kunst und Ego« [2]. Das mag zum Teil stimmen, doch wie hätte es anders aussehen sollen, aussehen können? »Es ist ein Segen, dass Boros diese Werke erworben hat – Versäumnisse der Berliner Museen können so zumindest teilweise ausgeglichen werden«, schreibt dafür die Tagespresse [3]. Nicht nur, dass es ein Segen ist, dass er all jene Kunstwerke über die Jahre gesammelt hat, zugegeben sammeln konnte – ein Glücksfall vielleicht auch, dass gerade er den Bunker behutsam und mit viel Sorgfalt umgestalten ließ und ihm zeitge-nössische Kunst als »das höchste Potenzial geistiger Freiheit«, so Boros, gegenüberstellt. Eine bessere Nutzung hätte man sich hier wahrlich nicht vorstellen können.
[1] Die Privatsammlung ist generell nur nach Voranmeldung am
Wochenende zu besuchen; siehe: www.sammlung-boros.de
[2] Claus Käpplinger, in: architektur.aktuell, No.342, 9.2008
[3] Kathrin Wittneven, in: Tagesspiegel, 24. Februar 2008
Wochenende zu besuchen; siehe: www.sammlung-boros.de
[2] Claus Käpplinger, in: architektur.aktuell, No.342, 9.2008
[3] Kathrin Wittneven, in: Tagesspiegel, 24. Februar 2008
Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung
Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkel
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