Bauwerk
Erweiterung Luigi-Bocconi-Universität
Grafton Architects - Mailand (I) - 2008
Architektonischer Paukenschlag
Die Erweiterung der Luigi-Bocconi-Universität von Grafton Architects in Mailand
Wolkenkratzer und die Expo 2015 dienen neuerdings als Projektionsfläche für Mailands Stadterneuerung. Gleichzeitig setzt der jüngst eröffnete Bau zur Erweiterung der Universität Luigi Bocconi in der Innenstadt ein Zeichen des architektonischen Aufbruchs.
23. Dezember 2008 - Gabriele Detterer
Besser hätte es nicht laufen können. Zeitgleich mit seiner Eröffnung Ende Oktober wurde der Bau zur Erweiterung der Luigi-Bocconi-Universität in der Mailänder Innenstadt mit einer Auszeichnung geehrt: dem Preis des Internationalen Architekturfestivals Barcelona. Für Yvonne Farrell und Shelley McNamara von Grafton Architects aus Dublin bestätigt dieser Erfolg die Qualität ihrer Entwurfsidee. Im Rahmen des Architekturwettbewerbs hatten sich Grafton Architects 2002 mit ihrem Vorschlag für das neue Fakultätsgebäude gegen Projekte von Aurelio Galfetti, Diener & Diener, Carlos Ferrater und Josep Llinás durchgesetzt.
Offen und geschlossen
Ausschlaggebend für die Prämierung des Entwurfs der Dubliner Architektinnen war deren Vorschlag, das Foyer des Auditoriums so markant an die Strassenecke des Viale Bligny und der Via Röntgen zu setzen, dass die Durchlässigkeit des Campus zum öffentlichen Raum optisch eindrucksvoll sichtbar wird. Diese Bindung an den Aussenraum wird zudem unterstrichen durch die Strukturierung der Fassade in voneinander abgesetzte, kantige Einzelblöcke, die sich zu einem kohärenten Ganzen fügen und dennoch die Gebäudefront zur Strassenseite hin aufbrechen. Sich dem Trend zur Glaskastenarchitektur verweigernd, optierten die Architektinnen für eine aus Glas und grauem Stein bestehenden Fassade. Auf überzeugende Weise löst das neue Gebäude die Aufgabe, Offenheit und Geschlossenheit des Universitätscampus zu vermitteln und sich als Orientierungspunkt in die bestehende Bebauung einzufügen.
Wer in den vergangenen Jahren gelegentlich den Viale Bligny passierte, konnte miterleben, wie der Neubau, einem immensen Kraftakt gleich, aus dem Boden gestemmt wurde und in die Höhe wuchs. Massig erschien der Rohbau, wirkte eine Spur zu monumental für diesen Mailänder Strassenzug, der – mehr Durchgangsstrasse als Einkaufsmeile – von der Porta Ticinese ins Zentrum führt. Nach der Fertigstellung des Gebäudes sind nun die Bedenken, die der Rohbau weckte, wie weggewischt. Mit dem skulpturalen Tiefenrelief der Fassade und dem von der Strasse aus einsehbaren Foyer erweist sich die unverwechselbare Formengeometrie aus sechs kubischen Modulen als optischer Gewinn für den Viale. Weiter zeigt der Neubau beispielhaft, wie sich ein Markstein für den Stadtumbau setzen lässt, ohne dass damit die Nachbarschaft erdrückt wird.
Alt und neu – lokal und international
Wohl prallen mit dem Bocconi-Neubau die Welten entlang des Viale Bligny noch stärker als bisher aufeinander. Einerseits präsentiert sich die grossstädtische, multiethnische Urbanität in diesem Viertel von ihrer Schattenseite, andererseits zeugt der Mix aus exotischen und italienischen Ladengeschäften, aus Bars, Cafés und Kunstgalerien von einer vitalen sozialen Durchmischung, die für die Gegenwart der Grossstadt steht. In diese Realität kultureller und sozialer Unterschiede ist inselartig der Bocconi-Campus mit seinem hoch organisierten System von Forschung und Lehre eingebettet.
Seit den 1940er Jahren erstreckt sich der Campus der Universität im Geviert von Viale Bligny, Via Bocconi, Via Sarfatti und Via Röntgen. Die 1902 von Ferdinando Bocconi, dem Gründer des Kaufhauses «La Rinascente», als Hochschule für Wirtschaftswissenschaften ins Leben gerufene und nach seinem gefallenen Sohn Luigi benannte Universität zählt heute zu den international renommierten Ausbildungsstätten für Ökonomen und Juristen. 12 000 Studenten sind an der privaten Hochschule immatrikuliert, zehn Prozent der Studierenden kommen aus dem Ausland, rund tausend Lehrkräfte unterrichten an der Kaderschmiede. Rumort es in diesen Wochen an Italiens Universitäten und laufen Studenten Sturm gegen die von der Regierung Berlusconi verordneten Einschnitte im Bildungswesen, so scheint der Bocconi-Campus von den Spannungen unberührt. Auch am Portal und im Foyer des 1941 von Giuseppe Pagano in einem rationalistischen Idiom errichteten ersten Campus-Gebäudes findet sich kein Hinweis auf studentische Protestaktionen.
Das von Pagano als Manifest der italienischen Moderne entworfene Universitätsgebäude war Ausgangspunkt für die spätere Bebauung des Geländes. Auf engstem Raum liess die Ökonomie innerstädtischer Bodennutzung ein heterogenes Ensemble aus über zwanzig Gebäuden entstehen: Vom Erbauer des Mailänder Triennale Palastes, Giovanni Muzio, stammen ein Studentenwohnheim (1953) und die Bibliothek (1966). Die School of Management von Vittorio Ceretti ist ein Nutzbau im Stil der achtziger Jahre. Zum hundertjährigen Bestehen der Universität wurde dann 2001 nach einem Entwurf von Ignazio Gardella aus den frühen neunziger Jahren ein ovaler Bau mit Seminarräumen, das sogenannte Velodromo, errichtet. Kurz: Der sich auf einem fünf Hektaren grossen Areal erstreckende Campus illustriert mit gelungenen und weniger gelungenen, mit ansprechenden und weniger ansprechenden Gebäuden ein Stück Mailänder Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Seit Ende Oktober führt nun der von Grafton Architects konzipierte Erweiterungsbau den Architekturlehrpfad des Campus weiter ins 21. Jahrhundert. Dies mit einem Entwurfsansatz, der – sich auf die Umgebung beziehend – die Stadtarchitektur Mailands neu interpretiert und damit den grauen Viale Bligny in neuem Licht erscheinen lässt.
Ein Fenster zur Strasse
Die Übereckverglasung des Gebäudes lässt Passanten tief hinab in den unterirdischen Innenraum blicken. Auf der ersten Ebene der drei Untergeschosse erstrecken sich das Auditorium Maximum und das über 2000 Quadratmeter grosse Foyer. Tageslicht kann bis zu den unteren Ebenen der sechs Module des Baukomplexes vordringen, weil die Geschosse an Stahlträgern aufgehängt wurden. Das innere Volumen des nach aussen hin kantigen Gebäudes wirkt – von natürlichem Licht durchflutet – hell und freundlich.
Dank offenen, brückenartigen Durchgängen vom einen zum anderen Ende des Baus und dem Blick in bepflanzte Innenhöfe wird jeder Anflug von Geschlossenheit vermieden. Die Materialien und Farben der Innenraumgestaltung (Aluminium, Glas, heller Stein) erzeugen eine sachlich-nüchterne und dennoch angenehme Atmosphäre. Der fünf bis sechs Stockwerke hohe Erweiterungsbau bietet auf einer Fläche von 70 000 Quadratmetern über tausend Arbeitsplätze für den Lehrkörper. Stolze 100 Millionen Euro verschlang diese in der italienischen Universitätslandschaft einmalige Zukunftsinvestition in Forschung und Lehre. Urbanistisch gesehen machen die kreative Formgebung und die ökologisch nachhaltige Architektur den Bocconi-Erweiterungsbau zu einem Vorzeigeprojekt, das demonstriert, wie sich bestehende Stadtstrukturen ohne bauliche Fremdkörper subtil erneuern lassen.
Offen und geschlossen
Ausschlaggebend für die Prämierung des Entwurfs der Dubliner Architektinnen war deren Vorschlag, das Foyer des Auditoriums so markant an die Strassenecke des Viale Bligny und der Via Röntgen zu setzen, dass die Durchlässigkeit des Campus zum öffentlichen Raum optisch eindrucksvoll sichtbar wird. Diese Bindung an den Aussenraum wird zudem unterstrichen durch die Strukturierung der Fassade in voneinander abgesetzte, kantige Einzelblöcke, die sich zu einem kohärenten Ganzen fügen und dennoch die Gebäudefront zur Strassenseite hin aufbrechen. Sich dem Trend zur Glaskastenarchitektur verweigernd, optierten die Architektinnen für eine aus Glas und grauem Stein bestehenden Fassade. Auf überzeugende Weise löst das neue Gebäude die Aufgabe, Offenheit und Geschlossenheit des Universitätscampus zu vermitteln und sich als Orientierungspunkt in die bestehende Bebauung einzufügen.
Wer in den vergangenen Jahren gelegentlich den Viale Bligny passierte, konnte miterleben, wie der Neubau, einem immensen Kraftakt gleich, aus dem Boden gestemmt wurde und in die Höhe wuchs. Massig erschien der Rohbau, wirkte eine Spur zu monumental für diesen Mailänder Strassenzug, der – mehr Durchgangsstrasse als Einkaufsmeile – von der Porta Ticinese ins Zentrum führt. Nach der Fertigstellung des Gebäudes sind nun die Bedenken, die der Rohbau weckte, wie weggewischt. Mit dem skulpturalen Tiefenrelief der Fassade und dem von der Strasse aus einsehbaren Foyer erweist sich die unverwechselbare Formengeometrie aus sechs kubischen Modulen als optischer Gewinn für den Viale. Weiter zeigt der Neubau beispielhaft, wie sich ein Markstein für den Stadtumbau setzen lässt, ohne dass damit die Nachbarschaft erdrückt wird.
Alt und neu – lokal und international
Wohl prallen mit dem Bocconi-Neubau die Welten entlang des Viale Bligny noch stärker als bisher aufeinander. Einerseits präsentiert sich die grossstädtische, multiethnische Urbanität in diesem Viertel von ihrer Schattenseite, andererseits zeugt der Mix aus exotischen und italienischen Ladengeschäften, aus Bars, Cafés und Kunstgalerien von einer vitalen sozialen Durchmischung, die für die Gegenwart der Grossstadt steht. In diese Realität kultureller und sozialer Unterschiede ist inselartig der Bocconi-Campus mit seinem hoch organisierten System von Forschung und Lehre eingebettet.
Seit den 1940er Jahren erstreckt sich der Campus der Universität im Geviert von Viale Bligny, Via Bocconi, Via Sarfatti und Via Röntgen. Die 1902 von Ferdinando Bocconi, dem Gründer des Kaufhauses «La Rinascente», als Hochschule für Wirtschaftswissenschaften ins Leben gerufene und nach seinem gefallenen Sohn Luigi benannte Universität zählt heute zu den international renommierten Ausbildungsstätten für Ökonomen und Juristen. 12 000 Studenten sind an der privaten Hochschule immatrikuliert, zehn Prozent der Studierenden kommen aus dem Ausland, rund tausend Lehrkräfte unterrichten an der Kaderschmiede. Rumort es in diesen Wochen an Italiens Universitäten und laufen Studenten Sturm gegen die von der Regierung Berlusconi verordneten Einschnitte im Bildungswesen, so scheint der Bocconi-Campus von den Spannungen unberührt. Auch am Portal und im Foyer des 1941 von Giuseppe Pagano in einem rationalistischen Idiom errichteten ersten Campus-Gebäudes findet sich kein Hinweis auf studentische Protestaktionen.
Das von Pagano als Manifest der italienischen Moderne entworfene Universitätsgebäude war Ausgangspunkt für die spätere Bebauung des Geländes. Auf engstem Raum liess die Ökonomie innerstädtischer Bodennutzung ein heterogenes Ensemble aus über zwanzig Gebäuden entstehen: Vom Erbauer des Mailänder Triennale Palastes, Giovanni Muzio, stammen ein Studentenwohnheim (1953) und die Bibliothek (1966). Die School of Management von Vittorio Ceretti ist ein Nutzbau im Stil der achtziger Jahre. Zum hundertjährigen Bestehen der Universität wurde dann 2001 nach einem Entwurf von Ignazio Gardella aus den frühen neunziger Jahren ein ovaler Bau mit Seminarräumen, das sogenannte Velodromo, errichtet. Kurz: Der sich auf einem fünf Hektaren grossen Areal erstreckende Campus illustriert mit gelungenen und weniger gelungenen, mit ansprechenden und weniger ansprechenden Gebäuden ein Stück Mailänder Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Seit Ende Oktober führt nun der von Grafton Architects konzipierte Erweiterungsbau den Architekturlehrpfad des Campus weiter ins 21. Jahrhundert. Dies mit einem Entwurfsansatz, der – sich auf die Umgebung beziehend – die Stadtarchitektur Mailands neu interpretiert und damit den grauen Viale Bligny in neuem Licht erscheinen lässt.
Ein Fenster zur Strasse
Die Übereckverglasung des Gebäudes lässt Passanten tief hinab in den unterirdischen Innenraum blicken. Auf der ersten Ebene der drei Untergeschosse erstrecken sich das Auditorium Maximum und das über 2000 Quadratmeter grosse Foyer. Tageslicht kann bis zu den unteren Ebenen der sechs Module des Baukomplexes vordringen, weil die Geschosse an Stahlträgern aufgehängt wurden. Das innere Volumen des nach aussen hin kantigen Gebäudes wirkt – von natürlichem Licht durchflutet – hell und freundlich.
Dank offenen, brückenartigen Durchgängen vom einen zum anderen Ende des Baus und dem Blick in bepflanzte Innenhöfe wird jeder Anflug von Geschlossenheit vermieden. Die Materialien und Farben der Innenraumgestaltung (Aluminium, Glas, heller Stein) erzeugen eine sachlich-nüchterne und dennoch angenehme Atmosphäre. Der fünf bis sechs Stockwerke hohe Erweiterungsbau bietet auf einer Fläche von 70 000 Quadratmetern über tausend Arbeitsplätze für den Lehrkörper. Stolze 100 Millionen Euro verschlang diese in der italienischen Universitätslandschaft einmalige Zukunftsinvestition in Forschung und Lehre. Urbanistisch gesehen machen die kreative Formgebung und die ökologisch nachhaltige Architektur den Bocconi-Erweiterungsbau zu einem Vorzeigeprojekt, das demonstriert, wie sich bestehende Stadtstrukturen ohne bauliche Fremdkörper subtil erneuern lassen.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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