Bauwerk
Felsen im Park
Im Innenraum angewendet, gilt Grün als beruhigend und hat sich deshalb vor allem als »Spitalfarbe« etabliert. Fassaden grün zu streichen, ist hingegen ein Wagnis, denn die Farbe der Pflanzenwelt kann an einem Gebäude unerträglich deplatziert erscheinen. Die Architekten Annette Gigon und Mike Guyer haben sich zusammen mit dem Künstler Pierre André Ferrand der schwierigen Aufgabe gestellt. Das Farbkonzept ist ausgefeilt und der Erfolg verblüffend: Die drei Neubauten im Park der Villa Grünenberg wirken wie überdimensionierte Elemente eines Landschaftsgartens, ohne ihren Charakter als Wohnhäuser zu verleugnen.
Differenzierte Volumina, Wohnungen und Farben
Ganz pragmatisch ging es vorerst darum, alle Wohnungen an den Vorzügen der Lage teilhaben zu lassen: Seesicht im Nordosten, Sonne im Südwesten und Bezug zum umgebenden Landschaftspark. Die drei Neubauten sind leicht von der Villa abgerückt und bilden ein eigenes Ensemble, dessen Anordnung jedoch mit derjenigen des Altbaus korreliert. Weil sie versetzt und leicht gegeneinandergedreht stehen, bleibt die räumliche Kontinuität des Parks weiterhin spürbar. Eine differenzierte, auf unregelmäßigen Polygonen basierende und mit Erkern variierte Volumetrie ermöglicht immer neue Aus- und Durchblicke in den Park und auf den See. Die Wohnungsgrundrisse sind nicht weniger sorgfältig optimiert als die Gebäudeformen. Die dreißig Einheiten teilen sich in acht verschiedene Typen auf. Das kleinere Gebäude, ein Zweispänner, enthält dreiseitig orientierte Geschosswohnungen mit drei bis fünf Zimmern. In den beiden anderen Häusern sind weitere unterschiedlich große Geschosswohnungen untergebracht, die mindestens zweiseitig ausgerichtet sind und teilweise über die ganze Bautiefe reichende Wohnräume aufweisen sowie kreuzweise angeordnete Maisonette-Wohnungen, deren Orientierung von einer Etage zur anderen wechselt. Trotz dieser Vielfalt gibt es zwischen den Wohnungen auch Gemeinsamkeiten: Alle verfügen über mindestens zweiseitig orientierte Loggien, die in räumlichem Zusammenhang zwischen der Küche und dem weitläufigen Wohn- und Essraum stehen; die Tag- und Nachtbereiche sind getrennt, die Nassräume innen liegend, die Fenster großflächig. Bemerkenswert sind auch die zentralen Treppenhäuser: Die einläufigen Treppen sind gerade, das Treppenauge und die Podeste jedoch aufgrund der polygonalen Grundform der Bauten geknickt oder trapezförmig. Diese Unregelmäßigkeit wird dadurch unterstrichen, dass der Handlauf nicht exakt über dem Geländer verläuft, sondern eine eigene, ebenfalls geknickte Bahn verfolgt – eine sehr wirkungsvolle Abweichung. Subtil und kraftvoll zugleich ist auch die Farbigkeit der Fassaden. Der in Genf und Krakau lebende Künstler Pierre André Ferrand hat jedem Haus eine eigene, raffinierte und schwer definierbare Nuance von Grün zugewiesen: Das kleinere Haus schimmert in hellem Gelbgrün, während die beiden größeren zu erdigen Ocker- und Olivtönen tendieren. Je nach Standort, Wetter und Lichtstimmung wirken die mineralischen Farben gedeckt oder leuchtend, dumpf oder lebendig; nur bunt erscheinen sie nie, was umso erstaunlicher ist, als die Fassaden meist als Hintergrund zur Vegetation zu sehen sind.
Wechselspiel von mineralischem und pflanzlichem Grün Farbe ist im Werk von Gigon / Guyer ein immer wiederkehrendes Thema, ebenso wie die Zusammenarbeit mit Kunstschaffenden. Davon zeugen, um nur zwei zu nennen, Bauten wie das Sportzentrum Davos oder die Wohnüberbauung Susenbergstraße in Zürich (1996 bzw. 2000, Farbkonzept Adrian Schiess). Deren leuchtende Farben haben in den letzten zwei Jahrzehnten die Schweizer Architekturlandschaft unübersehbar geprägt, sei es als Inspiration für Nachwuchstalente oder als Vorlage für stümperhafte Investoren-Kopien; entsprechend wird das Büro Gigon / Guyer häufig mit Farbigkeit assoziiert. Doch längst nicht alle Bauten von Gigon / Guyer sind auch wirklich farbig. Die beiden betonen, dass sie Farbe als ein Gestaltungsmittel unter vielen betrachten und nur dann einsetzen, wenn sie für das Projekt unentbehrlich ist. Und in der Tat ist im Park Grünenberg nur das Äußere der Häuser farbig, während in den Wohnungen zurückhaltende Materialtöne vorherrschen. Die Treppenhäuser sind weiß – strahlende, flimmernde Übergangsräume von einer Farbenwelt in die andere. Die unterschiedlichen Grüntöne der Fassaden erfüllen mehrere Aufgaben. Zum einen setzen sie die drei Häuser voneinander ab: Durch die farbliche Unterscheidung nimmt man sie auch dann als einzelne Volumina wahr, wenn man sie hintereinander sieht, was den Raum zwischen ihnen größer erscheinen lässt. Zum anderen trägt die Farbe dazu bei, die Bauten in den Park zu integrieren: Natürliches und künstliches Grün überlagern, relativieren und verstärken sich gegenseitig, im Herbst kommt der Kontrast durch gold- und rostfarbenes Laub hinzu; die Bauten werden zu ungewohnten, aber nicht grundsätzlich fremdartigen Bestandteilen der Gartengestaltung. Am ehesten erinnern sie an sorgfältig platzierte, mit Moos und Flechten überzogene Felsbrocken – eine durchaus gewollte Analogie, wurde doch im Park ein Steingarten entdeckt, der nach Abschluss der Bauarbeiten auch wiederhergestellt wurde. Bemerkenswert ist, wie dieser Effekt durch das Zusammenwirken von Volumen, Farbe und Konstruktion zustande kommt. Alle Elemente bedingen einander. Bei der Fassade handelt es sich um ein Zweischalenmauerwerk, wobei die äußere Betonschale nicht lediglich selbsttragend ist, sondern sich stellenweise von der inneren Schale entfernt und auskragende Loggien bildet. Dank dieser Materialisierung war es auch möglich, die Bauten in den Hang zu integrieren und gleichsam aus dem Boden heraus wachsen zu lassen. Der Beton ist fein sandgestrahlt, Grün gestrichen ist jedoch nur die äußerste Oberfläche, während die Laibungen grau belassen sind. Dem Farbauftrag wurde besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Erste Muster, bei denen die Betonstruktur stark durchschimmerte und die Oberfläche wie ein wolkiges Gemälde erscheinen liess, wurden wieder verworfen: Großflächig angewendet, hätte diese Technik die Bauten frühzeitig verwittert erscheinen lassen. Von einer nur geringfügigen Abstufung der Farben kam man ebenfalls ab: Übereck betrachtet, hätten sich die besonnten beziehungsweise verschatteten Fassaden des selben Hauses mehr voneinander unterschieden als vom Nachbargebäude. Um die gewünschte Wirkung zu erreichen, wurde das olivgrüne Haus schließlich dreimal gestrichen, während beim ockergrünen ein Farbauftrag ausreichte. Diese fein austarierte Kombination von massiver Außenschale, unregelmäßigem Volumen und hauchdünner Farbschicht ist es, die den Eindruck des Felsig-Überwachsenen erzeugt. Gleichsam als zusätzlicher Gewinn bewirkt die farbige Fassung nicht nur die scheinbar mühelose Integration der Häuser in den Park, sondern auch – und das erscheint noch erstaunlicher – in die gebaute Umgebung. Denn diese ist teilweise äußerst farbig: Zwischen Fabrikantenvilla im Osten, Fabrik im Norden und leuchtend fleischkäsefarbenen Mehrfamilienhäusern im Süden zeigen die Neubauten, was Farbe vermag, ohne ihre Nachbarn zu desavouieren. Zu Recht wurden sie 2008 mit der Auszeichnung »Gute Bauten« der Stadt Wädenswil geehrt.
Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung
Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkel
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