Bauwerk

Museum für Kultur- und Landesgeschichte
Walter Angonese, Markus Scherer, Klaus Hellweger - Meran (I) - 2003
Museum für Kultur- und Landesgeschichte, Foto: David Ausserhofer

Steinalt und rostfrisch

Man staunt: über die radikal neuen Einbauten, die Markus Scherer im Schloss Tirol für das Museum für Kultur- und Landesgeschichte gestaltet hat; und fast mehr noch über die Billigung des Denkmalamts.

20. September 2003 - Walter Zschokke
Alpensüdseite, Bilderbuchwetter, geschichtsträchtige Landschaft an den Schlüsselstellen uralter Übergänge: Wir befinden uns in Südtirol, wo jeder Felskopf, jeder Höcker eine alte Kloster- oder Burganlage oder zumindest einen Ansitz trägt. Nicht der geringsten eine ist das Schloss Tirol, Dynastenburg der Grafen von Tirol - bis ins 14. Jahrhundert deren Regierungssitz - und Namengeber für das Land beidseits von Alpenkamm und Brennerpass. Hoch über dem Kurort Meran besetzt die markante Anlage eine felsige Anhöhe.

Nach wechselvoller Geschichte und längerem Niedergang erfuhren die zerfallenden Gemäuer im 19. Jahrhundert eine romantisch überhöhende Renovierung. Unter anderem wurde der vormals gedrungene Bergfried, der vielleicht einmal einen hölzernen Oberbau getragen hatte, um fast das Anderthalbfache auf 33 Meter Höhe aufgestockt. Er markiert die vertikale Dominante, während der Südpalas davor mit dem angeschlossenen Rundchor der Schlosskapelle den lagerhaften Kontrapunkt bildet.

Man staunt ob dieses freien Umgangs mit der Altsubstanz, die der besonderen Lage sowie einer signifikanteren Erscheinung denkmalpflegerische Bedenken unterordnete. Im Detail zeigt sich allerdings, dass die damaligen Einbauten in den prächtigen Kaisersaal nicht dieselbe Qualität aufweisen. In der ehemals stützenfrei überspannten Halle beanspruchen sie mit kräftigen Pfosten und ornamentierten Kopfbändern die Raummitte zu sehr und zerstörten jene Qualität, die erhalten zu wollen sie vorgaben.

Heute beherbergt die symbolträchtige Burganlage Südtirols Landesmuseum für Kultur- und Landesgeschichte. Die wissenschaftlichen Kuratoren Hans Heiss und Giorgio Mezzalira sowie Benno Erhard aus Nordtirol und Barbara Gabrielli haben unter der Gesamtleitung von Direktor Siegfried de Rachewiltz dank zahlreichen Leihgaben aus der Bevölkerung eine äußerst lebensnahe und instruktive Schau zusammengestellt, die das bewegte 20. Jahrhundert und seine Auswirkungen auf die selbstbewusste Region zusammenfasst.

Doch wie bringt man eine Ausstellung in einen steinernen Turm? Weil die Zusätze des 19. Jahrhunderts, da nicht so alt und nicht „authentisch“, vom Denkmalamt als weniger schützenswert eingestuft wurden, konnten sämtliche hölzernen Einbauten - bis auf das Zeltdach, das für die Umbauphase abgehoben wurde - entfernt werden. Der junge Bozener Architekt Markus Scherer, zuvor schon mit seinem damaligen Partner Walter Angonese mit den Museumseinbauten in den Südpalas befasst, stellte sich der nicht geringen Herausforderung. Seine Interventionen beginnen in ehemaligen Wirtschaftsgebäuden im Westteil der Burganlage, die nun den Shop, Garderoben, Toiletten sowie das Café enthalten, und ziehen sich über den Hocheingang in den Bergfried hinein und hinauf bis zum Ausguck.

Als radikale konzeptionelle Vorgabe konfrontiert er das Vorhandene, vornehmlich sichtbar gemauerter Naturstein, mit Roststahl. Dem alten Gemäuer - egal ob 850 oder 150 Jahre alt (Fachleute erkennen den Unterschied) - setzt er den Stahl, das Material des späten 19. Jahrhunderts, in für unser Empfinden gealterter Erscheinungsform, eben „angerostet“ entgegen. Und das betrifft einfach alles: Toiletten, Garderobekästchen, Treppenstufen und Geländer hinauf zum Bergfried. Es überkommt einen da und dort, etwa in den Garderoben, ein unbestimmt mulmiges Gefühl von Zeitverschiebung. Obwohl die Formen und Details aktuell sind, wirken sie schockgealtert, als hätte man eine Zeitreise gemacht, selber bloß wenige Wochen abwesend, doch zurückgekommen in eine seit Jahrzehnten verlassene Umgebung.

Im Bergfried, dessen Mauern oben sehr viel schlanker sind - im 19. Jahrhundert waren keine fortifikatorischen Zwecke mehr zu erfüllen, der gesuchte visuelle Effekt konnte günstiger erzielt werden -, wird das architektonische Konzept aus Naturstein und Roststahl auf die Spitze getrieben. Im hohen, nach oben weiter werdenden Raumprisma stehen vier stählerne Pylone in Windradanordnung. Unten gut verankert, streben die Hohlkästen oben auseinander und sind zuoberst an einen die Mauerkrone festigenden Ankerring aus Stahlbeton angeschlossen. Das Natursteingemäuer erhielt so eine aussteifende innere Armierung aus Stahl.

Um diese vier Pylone und teilweise auch in dem von ihnen umhüllten Innenraum ist eine Folge kleiner Plattformen montiert, die den einzelnen ausstellungsdidaktischen Schritten entsprechen und jeweils durch Stufen verbunden. So steigt man thematisch im 20. Jahrhundert höher und höher, bis man an der Wende zum 21. Jahrhundert angelangt ist und durch die Turmscharten die Aussicht auf die zeitgenössische Wirklichkeit nach Westen in den Vinschgau und nach Süden auf Meran und in das Etschtal hinaus genießen kann.

Durch Lücken in den Plattformen gelingt immer wieder ein kurzer Blick hinauf in die vertikale Raumentwicklung - oder umgekehrt: von oben hinunter in die thematischen Kammern im Raumkern. Es dauert, bis die Reise auf der Zeitspirale den Turm hinauf absolviert ist. Zum Abschluss enthält das pyramidenförmige Dach einen „Sprach-Klangraum“ des Schriftstellers Kurt Lanthaler, der das heutige gemischtsprachige Südtirol thematisiert. Auch hier sind Roststahlbleche als Raumbegrenzung eingesetzt. Die äußerst engagierte Arbeit hinterlässt einen entsprechend positiven Gesamteindruck. Darüber hinaus gefällt die ländlich-alpenländische Robustheit, die sich keine Sorgen macht, ob einzelne Besucher an den rostigen Stahlplatten anstreifen könnten.

Jeder kann sehen, wie die Oberflächen sind, und sich danach richten. Der höhere Grad an Eigenverantwortung, der auf die selbstverständliche Vertrautheit der Bergler mit der dritten Dimension zurückzuführen sein dürfte, wirkt befreiend. Man imaginiere sich als Kontrast dazu, was für hypertrophe Abwehrstrategien sauertöpfische Wiener Museumsbeamte gegen derartige rostige Oberflächen im Ausstellungsbereich kreißen würden.

Die Alpensüdseite ist klimatisch anders. Die deutlich höhere Zahl an Sonnenstunden und mildere Winter machen gestalterische Konzeptionen möglich, die im feuchteren Norden nur schwer funktionieren. Es lässt sich daher nicht alles überall gleich anwenden. Eine alte Erkenntnis, die schon die historistischen Architekten plagte. Doch wer hindert Interessierte an einer Reise nach Südtirol?

Der 1962 geborene Markus Scherer kennt Wien durchaus, denn er hat an der Technischen Universität Architektur studiert. Aber ebenso kennt er, dank Studien in Venedig, die italienische Tradition im Umgang mit alter Bausubstanz. Praktische Erkenntnisse sammelte er bei den Aufträgen für das Bergbaumuseum in Steinhaus im Ahrntal und bei der Adaptierung der Josefsburg in der Festung Kufstein, ausgeführt zusammen mit Walter Angonese und anderen. Diese Erfahrungen ermöglichten ihm, an das Schloss Tirol zugleich abgeklärter und radikaler heranzugehen und die architektonische Spannung wirkungsvoll auf die Spitze zu treiben.

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