Bauwerk

Prime Tower
Annette Gigon / Mike Guyer - Zürich (CH) - 2011
Prime Tower © Prime Tower Zürich
Prime Tower, Foto: Hans Ege

Skelett auf Pfählen

Im Juli 2008 begannen die Bauarbeiten für die Baugrube des Prime Tower, deren Sohle man fünf Monate später erreichte. Es folgten die Fundationsarbeiten, und ab April 2009 bis Juli 2010 kletterte der Rohbau bis ins 36. Geschoss. Zu diesem Zeitpunkt baute man die unteren Geschosse bereits im Innern aus. Das Tragwerk erfüllt unprätentiös seine Funktion: Es ermöglicht die dicht gestaffelt geplanten Ausführungsarbeiten und leitet die hohen Lasten des Hochhauses ausgewogen in den Baugrund – einfach und effizient.

4. November 2011 - Gregorij Meleshko
Im Jahr 2004 schrieb die SPS Swiss Prime Site AG einen Wettbewerb für ein 126 m hohes Bürohochhaus auf dem ehemaligen Industrieareal der Maag-Zahnradfabrik in Zürich West aus. Aus einem internationalen Teilnehmerfeld wurde das Projekt von Gigon / Guyer Architekten ausgewählt (vgl. «Flirrender Koloss», S. 22). Das Tragwerk hatten sie zusammen mit Dr. Schwartz Consulting entworfen. Die beiden Ingenieurbüros Dr. Lüchinger Meyer Bauingenieure und Freihofer & Partner verstärkten das Team während der darauffolgenden Planung bis zur Ausschreibung. 2006 schrieb die Bauherrschaft das Projekt als Totalunternehmungsauftrag aus, mit der Auflage, es auf mögliche Optimierungen zu untersuchen. Losinger Construction als mitbietende Unternehmung fragte das Ingenieurbüro Walt Galmarini für diese Aufgabe an. Als Losinger Ende 2007 den Zuschlag erhielt, erteilte sie Walt Galmarini den Auftrag, die in der Offertphase angegebenen Ideen zu überprüfen und darauf basierend die Ausführungsplanung für das Tragwerk des Hochhauses anzugehen. Die bis zur Ausschreibung beteiligten Ingenieurbüros wurden als Verstärkung beigezogen: Sie planten die weiteren Bauwerke auf dem Areal wie die Baugrube, die Gebäude Cubus, Diagonal und Platform. Vom Geripp e über Platt e und Pfähl e in den Baugrund Der Prime Tower ist als Skelettbau aus Stahlbeton konzipiert. Flachdecken tragen die Lasten zu den massiven Kernen und den vorfabrizierten Stützen an den äusseren Deckenrändern. Dieses Deckensystem ist für eine gegebene Spannweite die schwerste Konstruktion und deshalb im internationalen Vergleich eher ungewöhnlich für ein Hochhaus. Systeme mit Unterzügen und teilvorfabrizierten Deckenplatten oder Stahlbeton-Verbunddecken sind beispielsweise wesentlich leichter. Da die Gebäudehöhe des Prime Tower aber gegeben war, galt es im Wettbewerb, ein Deckensystem mit kleinen Konstruktionshöhen zu wählen, um ein Geschoss mehr einplanen zu können. Eine Flachdeckenkonstruktion zeichnet sich gerade dadurch aus.

Kerne und Stützen tragen die Lasten direkt über die Fundation in den Baugrund aus typischem Limmatschotter. Bis in 20 m Tiefe besteht dieser aus dichtem Kiessand, gefolgt von mitteldichtem siltigem Sand. Er ist ein wichtiger Grundwasserleiter und muss entsprechend geschont werden. Die Oberkante der Bodenplatte liegt wegen der beiden Untergeschosse der umliegenden Bauten und wegen der Platzanforderungen an die Haustechnik aber nur 40 cm über der Mittelwasserkote. Dies beeinträchtigt den Grundwasserstrom, weshalb Ersatzmassnahmen erforderlich waren. Seitlich der Bodenplatte des Prime Tower stellt deshalb eine durchlässige Kiespackung den Durchfluss auf einer Breite von 2 m sicher. Das Hochhaus ist über eine Pfahlplattengründung fundiert. Durch die kombinierte Wirkung von Platte und Pfählen konnten die Bauingenieure die Stärke der Bodenplatte minimieren – ebenso reduzierten sie dadurch die prognostizierten Setzungen. Für die abzutragenden 800 MN auf Gebrauchsniveau wurden 79 Bohrpfähle mit einem Durchmesser von 1 m und eine Bodenplatte von 2.20 m Stärke ausgeführt. Lüftungskanäle mit Abmessungen bis zu 350×92 cm, die in der Bodenplatte eingeplant werden mussten, erschwerten dabei die Bodenplattendimensionierung. Da der grösste Anteil der vertikalen Last über den Kernbereich des Gebäudes abgeleitet wird, wurden die Pfähle unter den Kernwänden mit 35 m Länge ausgeführt; unter den Fassadenstützen sind sie 15 m lang (Abb. 8).

Rohbau als Hauptbestandteil der Vertikallasten

Auf dem Pfahlplattenfundament steht das massive Untergeschoss mit den tragenden Kernen. Ab dem Ergeschoss lösen sich die massiven Aussenwände in die tragenden Betonstützen auf. Von den in der Mitte angeordneten Ortbetonkernen spannen die Ortbetondecken zu den Fassaden, wo sie auf den Stützen aufliegen (Abb. 5). Wo die Decken auskragen – bei den auffälligen Versätzen in der Fassade –, fangen schräg angeordnete Stützen die Grundrissveränderung auf; sie bestehen aus einem Stahlkern und einer Betonummantelung (Abb. 3). Der Beton dient nur als Brandschutz, die Kraft wird vollumfänglich von einem Vollstahl RND 260 aufgenommen. Um die Umlenkkräfte in die Decken einleiten und zu den Kernwänden führen zu können, wurden konzentrierte Deckenbewehrungen eingelegt. Die Deckenspannweiten betragen etwa 7.50 beziehungsweise 9.50 m. In Abhängigkeit davon sind die Decken 25 cm oder 28 cm stark ausgeführt. Die Wände der Ortbetonkerne sind über die Gebäudehöhe viermal abgestuft und haben eine Stärke von 22 bis 50 cm. Sie wurden im Kletterverfahren und im Schutze eines Windschildes (Abb. 6) erstellt und kragten während der Ausführung jeweils bis zu drei Geschosse über das Deckenniveau aus (Abb. 1). Sowohl die Kletterschalung wie auch der Windschild waren selbstkletternd konzipiert: Nach dem Erhärten des Betons konnte man die Schalung zurückfahren und dank den im bereits etwas älteren Beton der unteren Wände verankerten Schienen ein Geschoss hochfahren (Abb. 7). Die beiden Krane mussten für diese Arbeiten nicht eingesetzt werden; sie dienten hauptsächlich der Materialförderung. Der für Wände und Decken notwendige Beton wurde ohne Zwischenpumpstation bis in die obersten Geschosse gepumpt.

Ein Vergleich der Einwirkungen am Gebäude zeigte, dass bei dieser Konstruktionsart 80 % aller abzutragenden Vertikallasten aus dem Rohbau stammen, das heisst aus dem Eigengewicht der Decken, der Stützen und der Wände. Deswegen resultieren aus der Flachdeckenkonstruktion hohe vertikale Kräfte. Es lohnte sich deshalb, das Tragwerk gewichtsspezifi sch zu optimieren. Denn die vertikalen Lasten bestimmten auch die Dimension der vertikalen Bauteile und die Grösse der Erdbebenkräfte. Um die Tragkonstruktion möglichst schlank zu halten, betrieben die Bauingenieure während der Ausführung entsprechenden Aufwand. Die Decken wurden beispielsweise überhöht, und man liess sie länger eingespriesst, um den Kriechanteil der Endverformungen zu reduzieren.

Ausgewogene Lastverteilung

Neben dem ausführungsspezifi schen Aufwand betrieben die Bauingenieure auch planerischen Aufwand, um ein effi zientes Tragwerk zu entwickeln. Vor allem in der Steifi gkeit der vertikal tragenden Bauteile sahen sie Potenzial, die Lastabtragung im hochgradig statisch unbestimmten System zu optimieren. Im Unterschied zu sechsgeschossigen Bauten beeinfl usst die Steifi gkeit nämlich massgebend den vertikalen Kräftefl uss. Die Stützen aus hochfestem Beton (C80/95) mit einem Bewehrungsgehalt von bis zu 12 % – etwa die Hälfte mehr als üblich – erfahren bei gleicher Normalkraft eine grössere elastische Stauchung als die in einem wesentlich kleineren Querschnitt ausgeführten Kernwände. Die Kernwände aus Ortbeton schwinden und kriechen hingegen stärker als die vorfabrizierten Stützen. Ausserdem setzt sich die Bodenplatte unterhalb der Kerne stärker als unter den Fassadenstützen, da dort zusätzlich zu den Deckenlasten das gegenüber den Stützen wesentlich höhere Gewicht der Kernwände wirkt. Diese Wechselwirkung der Verformungen (Abb. 2) untersuchten die Bauingenieure genau, um schliesslich einen Ausgleich in der Lastverteilung zwischen Fassadenstützen und Kernwänden zu fi nden. Das ermittelte statische System sorgt für einen solchen ausgewogenen Kräftefl uss über die beiden Lastabtra- gungswege: Aussenfassade mit Stützen und Kernwände im Gebäudeinneren. Die Decken sind konstruktiv in den Kernwänden eingespannt. Wenn sich die Stützen der Last entziehen – infolge der vertikalen, gegenüber dem Kernbereich grösseren Stauchung –, wandert die Last wegen dieser Einspannung verstärkt in die Wände.

Im Sturmfall unter Druck und in Schwingung

Die Druckkräfte in den Tragwänden sind sehr hoch. Selbst wenn die horizontalen Kräfte infolge Wind (qp auf 126 m Höhe: 1.61 kN/m2) und Erdbeben wirken – beziehungsweise das daraus folgende vertikal wirkende Kräftepaar –, sind die Tragwände nur an wenigen Stellen auf Zug beansprucht. Allerdings entstehen auf der Druckseite bereits im Gebrauchszustand sehr hohe Druckspannungen. Deshalb sind die Wände in den hoch beanspruchten Zonen stark bewehrt und verbügelt, was beispielsweise im Erdgeschoss zu einem Bewehrungsgehalt von bis zu 250 kg/m3 führte.

Die Horizontaleinwirkungen infolge Wind und Erdbeben wirken nicht nur statisch, sondern regen das Hochhaus auch dynamisch an. Dadurch entstehen Schwingungen, die von Menschen in den obersten Stockwerken als störend empfunden werden können. Berechnungen mit konservativen Annahmen betreffend Wind, Gebäudesteifigkeit und Dämpfung aus dem Gebäude haben jedoch gezeigt, dass die Beschleunigungen aufgrund von Wind in der obersten Etage im Durchschnitt nur alle 10 Jahre während einer Dauer von 10 Minuten schwach wahrnehmbar wären. Die Auslenkung bei einem solchen Sturm würde 21 cm betragen; im Verhältnis zur Höhe von 126 m ist das 1/600, was nach SIA-Norm 260 unter dem Grenzwert von 1/300 liegt.

Prognostizierte Setzungen grösser als die gemessenen

Neben den Verformungen aus dynamischen Einwirkungen kontrollierten die Bauingenieure vor allem auch die Verformungen infolge Baugrundsetzungen. Obwohl die Bodenkennwerte des Limmatschotters bei drei geologischen Büros angefragt wurden, erwies sich die Setzungsberechnung als komplex. Einerseits wurden die Setzungen von Hand mit der Approximation nach Boussinesq berechnet, andererseits an einem FE-Halbraummodell mit Berücksichtigung der Pfähle. Die Berechnungen ergaben Setzungen zwischen 80 und 120 mm, je nach Eingabewerten. Die 80 mm waren mit den Erwartungswerten der verschiedenen Bodenschichten ermittelt worden und deshalb der wahrscheinlichste Wert. Die Bauingenieure entschieden sich aus diesem Grund, die Überhöhungen und die Anschlusskonstruktionen an die umliegenden Gebäude auf diesen Wert auszulegen. Sie liessen zudem eine Setzungsgasse um die Bodenplatte herum offen, bis die Setzungen abgeklungen waren. Auf diese Weise wollte man Risse in angrenzenden Gebäuden vermeiden. Aufgrund der prognostizierten hohen Setzungen wurde ein umfangreiches Netz von Messpunkten in der Umgebung des Tower gesetzt. Periodische Messungen zeigten den Verlauf der vertikalen und horizontalen Bewegungen (Abb. 13), so auch an den Pfeilern der zeitgleich instand gesetzten Hardbrücke: Die Pfeiler hoben sich während der Aushubarbeiten um 1 bis 2 mm, setzten sich aber während der Rohbauarbeiten durch das aufgebrachte Gewicht um etwa den gleichen Wert. Diese Setzungen fielen kleiner aus als prognostiziert, weshalb die aufwendigen, mittels hydraulischer Pressen geplanten Hebearbeiten an der Brücke obsolet wurden. Auch die laufenden Messungen auf der Höhe der Bodenplatte fielen tiefer aus. Statt der prognostizierten 80 mm mass man nur 40 mm. Deshalb musste von Fall zu Fall wieder neu vor Ort entschieden werden, wie der Konstruktionsdetails der Gebäudeanschlüsse ausgeführt werden sollten.

Die Vertikalität des Tower wurde ebenfalls periodisch gemessen, um eine allfällige Verkippung korrigieren zu können. Die Messungen zeigten einzig eine leichte Verkippung der Bodenplatte um 1 bis 3 mm, die sich in der Richtung der Exzentrizität des Massenschwerpunktes einstellte – dies war in der Toleranz.

Die Tragkonstruktion bewährt sich

Das Tragwerkskonzept und dessen Weiterentwicklung haben sich bewährt: Die Setzungen sind dank der kombinierten Fundation gering geblieben, die Deckenverformungen entsprechen den Berechnungen, und die zahlreichen Messungen bestätigten das prognostizierte Schwingungsverhalten der obersten Geschosse. Das Skelett auf Pfählen – letztlich lässt sich das Tragwerk des Prime Tower darauf reduzieren – erfüllt seine Funktion somit tatsächlich einfach und effizient.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

Archfoto

Hans Ege