Bauwerk

Museum und Ausstellungszentrum
Atelier Kempe Thill - Veenhuizen (NL) - 2008
20. Februar 2011 - newroom
Inszenierung von Geschichte: Eine Strafkolonie als Idealstadtentwurf
Veenhuizen wurde im beginnenden 19. Jahrhundert planmäßig angelegt als eine offen zugängliche Besserungsanstalt für die „verwilderte Unterklasse“. Nach kurzer Zeit wurde jedoch das fortschrittliche Ideal der Umerziehung durch die „Gesellschaft für Wohltätigkeit“ verlassen. Der Ort von der Außenwelt wurde hermetisch abgeriegelt zu einer Art „Gefängnisdorf“. Freiwillige Aufnahme wurde Gefangenschaft.
Im Laufe der Zeit hat sich die gesamte Region um Veenhuizen zu einer weiträumigen monofunktionalen Strafkolonie entwickelt, einer Ansammlung einer ganzen Reihe von Gefängnissen mit den dazugehörigen ergänzenden Nutzungen.
Veenhuizen ist eine spätklassizistische Totalplanung, in der Städtebau und Architektur ein Gesamtkunstwerk formen. Wo normalerweise in Dörfern der Markplatz das Herzstück des Ortes bildet, befindet sich in Veenhuizen ein enormer Gefängnishof. Von diesem Gefängnishof ausgehend laufen achsenförmig Straßen in die umgebende Landschaft. Entlang dieser Straßen befinden sich Gebäudekomplexe mit ergänzenden Nutzungen. Die Gebäude sind zu einem großen Teil einheitlich bis ins Detail entworfen. Zur Abrundung des Gesamtkonzeptes tragen viele der Gebäude eingemeißelte, weit sichtbare Losungen, wie „Arbeite und Bete“, „Zucht und Ordnung“ oder „Arbeit ist Leben“.
Durch die Umstrukturierung der gesamten niederländischen Justiz verliert die monofunktionale Region um Veenhuizen ihre ökonomische Basis. Durch seine Abschottung von der Außenwelt ist der Ort bis heute weitestgehend unbekannt geblieben. Durch die derzeitige stattfindende Umnutzung verschiedener Gebäude in Museen und andere touristische und kulturelle Einrichtungen, kommt die historische Bedeutung von Veenhuizen als klassizistischer Idealstadtentwurf nun erst ans Tageslicht.
Einer der Gebäudekomplexe ist der so genannte „Handwerkshof“ – eine Ansammlung ehemaliger kleiner Handwerksbetriebe zur Beschäftigung von Strafgefangenen. Auch der Handwerkshof erhält eine kulturelle Bestimmung und wurde zum Museum und Zentrum für historisches Handwerk umgebaut.

Inszenierte Reinigung: klassizistischer Ursprung
Der Handwerkshof ist integraler Bestandteil des – mittlerweile denkmalgeschützten - Gesamtkunstwerkes Veenhuizen. Im Laufe der Zeit war der Komplex jedoch durch eine Vielzahl hinzugefügter Schuppen, Überdachungen und massiver Anbauten bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet. Kern des Projektes war darum zunächst der strategische Abriss aller unpassenden Gebäudeteile. Ziel war hierbei die beinahe archäologische Freilegung der originalen Gebäude in ihrer ursprünglichen Erscheinung und die Wiederherstellung der städtebaulichen Kernidee einer klassizistischen Idealstadt.
Um dieses Ziel zu erreichen musste 40% der bestehenden Bausubstanz abgerissen werden. Pragmatisch hilfreich war hierbei der Umstand, dass große Teile der Schuppendächer mit Asbestplatten gedeckt waren und durch den 15jährigen Leerstand erhebliche – zu einem großen Teil verborgenen Bauschäden an den Gebäuden auftraten. Dennoch hatte der Abriss selbst der einfachsten Schuppen eine weit reichende Diskussion mit der Denkmalpflege als Konsequenz, da der architektonische Wert der Anlage gegenüber seinem sozialgeschichtlichen Wert abgewogen werden musste.
Bei der Freilegung wurde jedoch nicht nur schlichtweg der Originalzustand der Gebäude angestrebt. Durch die nackte Freilegung der Gebäude und deren Befreiung von Zufügungen wie Schornsteinen und Regenrohren sowie die betont strenge Anlage der Außenanlagen wurde der wahre frühere Charakter Veenhuizens für den Besucher inszeniert: ein Ort äußerster Rigidität und Strenge.

Neue historische Schicht: die neuen Türelemente
Sowohl der gesamte Handwerkshof als Ensemble als auch die einzelnen Gebäude jeweils für sich genommen waren von ihren Grundvoraussetzungen – auch nach dem reinigenden Abriss - unzulänglich für eine öffentliche Funktion. Das Ensemble als Ganzes war räumlich zu schwach und diffus. Die einzelnen Gebäude waren entworfen als reine Zweckbauten, denen jeder Gestus eines öffentlichen Gebäudes fehlte.
Um diesem Manko entgegen zu wirken, wurden die durch den Abriss entstandenen Öffnungen zum Anlass genommen, neue Türelemente zu entwerfen als Teil des städtebaulichen Konzeptes. Großzügige, vier Meter hohe und strukturell verleimte Festverglasungen wurden kombiniert mit vier Meter hohen Türen, die mit emailliertem, schwarzem Spiegelglas beklebt sind. Von außen betrachtet schließen die Fassadenelemente die Öffnungen nicht nur pragmatisch, sondern steigern die Monumentalität der Gebäude. Durch ihre Einheitlichkeit wird die einheitliche Nutzung des Ensembles als Museum und dessen öffentliche Dimension unterstrichen. Diese inszenatorische Wirkung der Türelemente wird noch verstärkt durch deren reflektierende Wirkung, durch die sich Gebäude und Umgebung in vielfältiger und unerwarteter Weise widerspiegeln und hierdurch räumlich stärker miteinander verbunden werden.
Auch die Türelemente wurden entworfen als Bestandteil der Strategie, Geschichte maximal zu inszenieren: Hierzu sind diese nicht in die bestehenden Öffnungen eingepasst, sondern werden als eine neue historische Schicht außen über die Öffnungen überlappend angebracht. Sowohl die Gebäude als auch die neuen Türelemente bewahren dadurch ihre Autonomie und Authentizität und treten dennoch in eine sinnfällige Beziehung: Es entsteht der Eindruck von Vitrinen, durch deren Glasscheiben die historisch authentischen Gebäude ausgestellt werden.

Klassizistisches Interieur: ein Fabrikgebäude wird Museum
Auch im Umgang mit dem Interieur wurde ausgegangen von einer Strategie der geschichtlichen Inszenierung verborgener Potenziale. Es galt, einen geeigneten Museumsraum innerhalb der Anlage zu suchen und zu entwerfen.
Das interessanteste Gebäude des Handwerkshofes ist die alte Schmiede. Ihr verhältnismäßig großer Maßstab mit ihrem vier Meter hohen Erdgeschoß sowie die beeindruckende Dachkonstruktion, ließen sie von den Grundbedingungen her am besten als Museums – und Empfangsgebäude geeignet erscheinen. Im Erdgeschoß war das Gebäude allerdings mit einer konstruktiven Zwischenwand unglücklich eingeteilt. Die beeindruckende Dachkonstruktion aus Holzbindern mit runden Bögen war versteckt in einem ungenutzten Dachgeschoß.
Um dem Gebäude die Räumlichkeit eines Museums – und Empfangsgebäudes zu geben wird die konstruktive Zwischenwand im Erdgeschoß entfernt und die Deckenkonstruktion durch Stahlträger verstärkt. Die Decke zum Dachgeschoß wird um eine Fläche von 10 m Länge und über die gesamte Breite von ca. 10 m geöffnet. Hierdurch wird der Dachstuhl auch im Erdgeschoß als räumliche Bereicherung erfahrbar. Eine stählerne monolithische Treppe verbindet das Erdgeschoß mit dem Dachgeschoß.
Das gesamte Interieur einschließlich der Wände und der Dachkonstruktion wird so einheitlich wie möglich behandelt, so zurückhaltend wie möglich detailliert und in seiner Gänze monolithisch weiß gestrichen. Der Boden wird mit glänzender weißer Betonfarbe versehen.
Die Erscheinung des Innenraumes ist trotz der strukturellen Veränderungen bewusst darauf ausgelegt, einen Eindruck von Homogenität und Synthese mit der historischen Gebäudesubstanz zu erwecken. Es entsteht ein neuer attraktiver Museumsraum, der als eine inszenierte historische Projektion entworfen ist wie ein klassizistisches Interieur und sich gerade dadurch sehr gut in das Ensemble einfügt.


Das gesamte Projekt ist entworfen nach der Strategie der historischen Inszenierung. Ein historischer Gebäudekomplex wird nicht schlichtweg gezeigt, sondern mit den Elementen der Architektur wird eine Geschichte erzählt über Geschichte. Alle angewandten Mittel - die Reinigung, die Hinzufügung einer neuen Schicht sowie das klassizistische Interieur – gehen bewusst aus von einer historischen Projektion sowie von einer Grundhaltung, die nicht historische Brüche, sondern Kontinuität in den Vordergrund stellt. Es ist, als hätte der Architekt des originalen Handwerkshofes hundert Jahre später den Auftrag zum jetzt erfolgten Umbau seines eigenen Projektes bekommen. (Text der Architekten)

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