Bauwerk
Seniorenzentrum Pichling
Karl und Bremhorst Architekten - Linz (A) - 2010
Mein digitaler Butler und ich
Ambient Assisted Living verbindet Technologie mit Dienstleistung. Zu Gast in der vollvernetzten Seniorenwohnung von Paula Lengauer.
13. August 2011 - Wojciech Czaja
DDR, Tschechoslowakei und Sowjetunion. Alle noch da. „Mein Gott, den Globus habe ich schon eine Ewigkeit“, sagt Paula Lengauer, die mit dem Zeigefinger um die Welt fliegt. „Keine Ahnung, wo ich den damals gefunden habe.“
Doch der Schein verstaubter Tage trügt. Mehr denn je ist die rüstige 75-jährige Pensionistin nämlich eine Anhängerin digitaler Medien. Fernbedienung für den Fernseher, Fernbedienung für den elektronischen Homebutler, Fernbedienung für die Jalousien. In ihrem Schlafzimmer, das mit altrosafarbenem Plüsch ausstaffiert ist, steht auf dem Schreibtisch ein weißer Apple iMac, Baujahr 2009. Den braucht sie, um mit ihren Kindern und mit ihrer Schwester in Phoenix, Arizona, zu skypen.
Die 50-Quadratmeter-Wohnung in Linz-Pichling könnte nicht besser auf sie zugeschnitten sein. Neben dem Alten- und Pflegewohnheim, das vor genau einem Jahr an die Bewohner übergeben wurde, errichtete die Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft der Stadt Linz (GWG) ein Wohnhaus mit 25 betreuten beziehungsweise betreubaren Wohnungen. Die Architektur stammt vom Wiener Büro kub a, das auf diesem Sektor schon einige Erfahrungen gesammelt hat. Eine adrette, geschmackvolle Kiste mit guten, kompakten Grundrissen. Davon könnten Stadt und Land ruhig mehr vertragen.
Das Außergewöhnliche daran: Alle 25 Wohnungen sind mit einem elektronischen Sicherheitskonzept des österreichischen Unternehmens Beko Engineering & Informatik AG ausgestattet. Es ist das erste Projekt österreichweit, in dem die neuen Technologien in diesem Ausmaß installiert wurden. Anders ausgedrückt: Es ist das erste komplett vernetzte Smart Home, das nicht nur in den Köpfen von Forschern und Entwicklern existiert, sondern auch im Alltag ganz normaler Bewohnerinnen und Senioren.
„Technologie allein macht keinen Sinn“, sagt Ingmar Goetzloff, Leiter des Competence Centers für Smart Home Solutions bei Beko. „Die digitalen Wohnlösungen funktionieren nur dann, wenn man sie auch mit entsprechenden Dienstleistungen kombiniert.“ Und er nennt sogleich ein Beispiel: „Was nützt mir ein Brandmelder, der sofort die Feuerwehr kontaktiert, die dann mit einem Löschzug ausrückt, nur weil mir der Fisch in der Pfanne angebrannt ist?“
In den betreubaren Wohnungen in Linz-Pichling ist das Problem anders gelöst: Sämtliche Sensoren sind mit einer Telefonzentrale verbunden. Sobald die lernfähigen Bewegungsmelder, Brandmelder oder Steuerungseinheiten einen Störfall oder ein Abweichen des normalen Verhaltensmusters erkennen, wird die Information an die Samariter übermittelt.
Bevor irgendeine Aktion gesetzt wird, greifen diese zunächst einmal zum Telefonhörer und rufen im jeweiligen Haushalt an. „Frau Lengauer“, heißt es dann am anderen Ende der Leitung, „wie geht's Ihnen denn heute?“ Viele unangenehme und oft auch teure Folgen eines Noteinsatzes können auf diese Weise abgefedert werden. Ambient Assisted Living nennt sich diese Kombination aus Technologie und Dienstleistung im Fachjargon.
Neben Bewegungs- und Brandmeldern gibt es in den Seniorenwohnungen eine thermische Herdplattenkontrolle, Feuchtigkeitssensoren im Bereich von Abwasch und Geschirrspüler, einen Notzugtaster im Bad sowie einen zentralen Ein-und-Aus-Schalter neben der Wohnungstür.
Die Idee dahinter: „In Hotelzimmern wird der gesamte Stromkreis aktiviert, sobald man die Zimmerkarte in den Schlitz gesteckt hat“, erklärt Goetzloff. „Wir wollten diese Technik übernehmen, haben uns statt der Karte aber für den Wohnungsschlüssel entschieden. Das ist den Leuten vertrauter.“
Sobald sich ein Bewohner durch Abziehen des Schlüssels abmeldet, wird der gesamte Haushalt heruntergefahren. Der Strom wird abgedreht, der Wasserabsperrhahn blockiert. Nur der Kühlschrank bleibt an. Im Gegenzug wird der Stromkreis im aktivierten Zustand automatisch kontrolliert. Wenn untertags vier Stunden lang keine einzige elektrische Aktion - etwa durch Betätigung eines Lichtschalters - erfolgt, obwohl jemand laut Schlüsselkontrolle zu Hause ist, dann gibt es wieder einen freundlichen Anruf aus der Zentrale. Bösartige Stürze und plötzliche Bewegungsunfähigkeiten der Bewohnerinnen sollen auf diese Weise rechtzeitig erkannt werden.
„Ja, ich weiß, das klingt alles furchtbar kompliziert“, sagt Frau Lengauer. „Und meine Bekannten fragen mich manchmal, ob ich mich in dieser Wohnung denn nicht rund um die Uhr überwacht fühle.“ Aber nein, das sei nicht der Fall. „Ganz im Gegenteil, ich sehe das mehr als eine Art sichere Vorbeugung.“ Ob sie in den letzten zwölf Monaten seit Einzug vom Ambient Assisted Living schon einmal Gebrauch machen musste? „Zum Glück noch nicht. Aber das kommt noch. Man wird ja nicht jünger.“
Bewährte Technologie
Ergänzt wird die Hightech-Wohnung durch den sogenannten Homebutler. Über eine kundenoptimierte Menüführung im TV soll sich die Golden-Age-Generation mit ein paar Klicks zum Fernsehprogramm, zum SMS-Menü oder zur Homepage der Stadt Linz scrollen können. Sogar digitales Shopping über den Lebensmittelmarkt Spar wird angeboten. „Den Homebutler nutze ich fast nie“, meint Frau Lengauer. „Alles, was ich brauche, habe ich am iMac auch. Und beim Einkaufen will ich nicht digital sein, sondern in den Supermarkt gehen und Leute treffen. Ich brauche soziale Kontakte. So ist das im Alter.“
Auch die Technologie-Planer von Beko haben dazugelernt. „Die Wohnungen in Linz-Pichling für den Bauträger GWG sind ein Pilotprojekt“, sagt Goetzloff. „Jetzt wissen wir, dass sich die Smart-Home-Technologien bei älteren Menschen vor allem im Bereich von Gesundheit und Sicherheit bewähren. Der Bereich Kommunikation und Unterhaltung kommt bei der jetzigen Seniorengeneration noch zu früh.“ Das nächste Projekt steht bereits kurz vor Fertigstellung. Im September wird in Salzburg ein Wohnhaus mit 43 betreuten Wohnungen übergeben. Der Homebutler ist in diesem Projekt bereits eine Spur erwachsener.
Ambient Assisted Living eignet sich nicht nur für Neubauten. Aufgrund der drahtlosen Ausstattung - alle Schalter funktionieren per Funk - können auch bestehende Wohnungen mit der Smart-Home-Technologie nachgerüstet werden. Rund 5000 Euro kostet ein komplettes Paket mit Hardware, Software und dazugehöriger Dienstleistung. Viel Geld. Aber immer noch billiger als ein Umzug in eine neue Wohnung. Vor allem aber viel billiger als ein für Nutzer und Sozialstaat kostspieliges Bett in einem Pflegeheim.
Damit ist das digitalisierte Wohnen nicht nur ein Sicherheitspolster im Lebensalltag älterer Menschen, sondern langfristig auch ein volkswirtschaftlicher Gewinn für alle. Enter.
Doch der Schein verstaubter Tage trügt. Mehr denn je ist die rüstige 75-jährige Pensionistin nämlich eine Anhängerin digitaler Medien. Fernbedienung für den Fernseher, Fernbedienung für den elektronischen Homebutler, Fernbedienung für die Jalousien. In ihrem Schlafzimmer, das mit altrosafarbenem Plüsch ausstaffiert ist, steht auf dem Schreibtisch ein weißer Apple iMac, Baujahr 2009. Den braucht sie, um mit ihren Kindern und mit ihrer Schwester in Phoenix, Arizona, zu skypen.
Die 50-Quadratmeter-Wohnung in Linz-Pichling könnte nicht besser auf sie zugeschnitten sein. Neben dem Alten- und Pflegewohnheim, das vor genau einem Jahr an die Bewohner übergeben wurde, errichtete die Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft der Stadt Linz (GWG) ein Wohnhaus mit 25 betreuten beziehungsweise betreubaren Wohnungen. Die Architektur stammt vom Wiener Büro kub a, das auf diesem Sektor schon einige Erfahrungen gesammelt hat. Eine adrette, geschmackvolle Kiste mit guten, kompakten Grundrissen. Davon könnten Stadt und Land ruhig mehr vertragen.
Das Außergewöhnliche daran: Alle 25 Wohnungen sind mit einem elektronischen Sicherheitskonzept des österreichischen Unternehmens Beko Engineering & Informatik AG ausgestattet. Es ist das erste Projekt österreichweit, in dem die neuen Technologien in diesem Ausmaß installiert wurden. Anders ausgedrückt: Es ist das erste komplett vernetzte Smart Home, das nicht nur in den Köpfen von Forschern und Entwicklern existiert, sondern auch im Alltag ganz normaler Bewohnerinnen und Senioren.
„Technologie allein macht keinen Sinn“, sagt Ingmar Goetzloff, Leiter des Competence Centers für Smart Home Solutions bei Beko. „Die digitalen Wohnlösungen funktionieren nur dann, wenn man sie auch mit entsprechenden Dienstleistungen kombiniert.“ Und er nennt sogleich ein Beispiel: „Was nützt mir ein Brandmelder, der sofort die Feuerwehr kontaktiert, die dann mit einem Löschzug ausrückt, nur weil mir der Fisch in der Pfanne angebrannt ist?“
In den betreubaren Wohnungen in Linz-Pichling ist das Problem anders gelöst: Sämtliche Sensoren sind mit einer Telefonzentrale verbunden. Sobald die lernfähigen Bewegungsmelder, Brandmelder oder Steuerungseinheiten einen Störfall oder ein Abweichen des normalen Verhaltensmusters erkennen, wird die Information an die Samariter übermittelt.
Bevor irgendeine Aktion gesetzt wird, greifen diese zunächst einmal zum Telefonhörer und rufen im jeweiligen Haushalt an. „Frau Lengauer“, heißt es dann am anderen Ende der Leitung, „wie geht's Ihnen denn heute?“ Viele unangenehme und oft auch teure Folgen eines Noteinsatzes können auf diese Weise abgefedert werden. Ambient Assisted Living nennt sich diese Kombination aus Technologie und Dienstleistung im Fachjargon.
Neben Bewegungs- und Brandmeldern gibt es in den Seniorenwohnungen eine thermische Herdplattenkontrolle, Feuchtigkeitssensoren im Bereich von Abwasch und Geschirrspüler, einen Notzugtaster im Bad sowie einen zentralen Ein-und-Aus-Schalter neben der Wohnungstür.
Die Idee dahinter: „In Hotelzimmern wird der gesamte Stromkreis aktiviert, sobald man die Zimmerkarte in den Schlitz gesteckt hat“, erklärt Goetzloff. „Wir wollten diese Technik übernehmen, haben uns statt der Karte aber für den Wohnungsschlüssel entschieden. Das ist den Leuten vertrauter.“
Sobald sich ein Bewohner durch Abziehen des Schlüssels abmeldet, wird der gesamte Haushalt heruntergefahren. Der Strom wird abgedreht, der Wasserabsperrhahn blockiert. Nur der Kühlschrank bleibt an. Im Gegenzug wird der Stromkreis im aktivierten Zustand automatisch kontrolliert. Wenn untertags vier Stunden lang keine einzige elektrische Aktion - etwa durch Betätigung eines Lichtschalters - erfolgt, obwohl jemand laut Schlüsselkontrolle zu Hause ist, dann gibt es wieder einen freundlichen Anruf aus der Zentrale. Bösartige Stürze und plötzliche Bewegungsunfähigkeiten der Bewohnerinnen sollen auf diese Weise rechtzeitig erkannt werden.
„Ja, ich weiß, das klingt alles furchtbar kompliziert“, sagt Frau Lengauer. „Und meine Bekannten fragen mich manchmal, ob ich mich in dieser Wohnung denn nicht rund um die Uhr überwacht fühle.“ Aber nein, das sei nicht der Fall. „Ganz im Gegenteil, ich sehe das mehr als eine Art sichere Vorbeugung.“ Ob sie in den letzten zwölf Monaten seit Einzug vom Ambient Assisted Living schon einmal Gebrauch machen musste? „Zum Glück noch nicht. Aber das kommt noch. Man wird ja nicht jünger.“
Bewährte Technologie
Ergänzt wird die Hightech-Wohnung durch den sogenannten Homebutler. Über eine kundenoptimierte Menüführung im TV soll sich die Golden-Age-Generation mit ein paar Klicks zum Fernsehprogramm, zum SMS-Menü oder zur Homepage der Stadt Linz scrollen können. Sogar digitales Shopping über den Lebensmittelmarkt Spar wird angeboten. „Den Homebutler nutze ich fast nie“, meint Frau Lengauer. „Alles, was ich brauche, habe ich am iMac auch. Und beim Einkaufen will ich nicht digital sein, sondern in den Supermarkt gehen und Leute treffen. Ich brauche soziale Kontakte. So ist das im Alter.“
Auch die Technologie-Planer von Beko haben dazugelernt. „Die Wohnungen in Linz-Pichling für den Bauträger GWG sind ein Pilotprojekt“, sagt Goetzloff. „Jetzt wissen wir, dass sich die Smart-Home-Technologien bei älteren Menschen vor allem im Bereich von Gesundheit und Sicherheit bewähren. Der Bereich Kommunikation und Unterhaltung kommt bei der jetzigen Seniorengeneration noch zu früh.“ Das nächste Projekt steht bereits kurz vor Fertigstellung. Im September wird in Salzburg ein Wohnhaus mit 43 betreuten Wohnungen übergeben. Der Homebutler ist in diesem Projekt bereits eine Spur erwachsener.
Ambient Assisted Living eignet sich nicht nur für Neubauten. Aufgrund der drahtlosen Ausstattung - alle Schalter funktionieren per Funk - können auch bestehende Wohnungen mit der Smart-Home-Technologie nachgerüstet werden. Rund 5000 Euro kostet ein komplettes Paket mit Hardware, Software und dazugehöriger Dienstleistung. Viel Geld. Aber immer noch billiger als ein Umzug in eine neue Wohnung. Vor allem aber viel billiger als ein für Nutzer und Sozialstaat kostspieliges Bett in einem Pflegeheim.
Damit ist das digitalisierte Wohnen nicht nur ein Sicherheitspolster im Lebensalltag älterer Menschen, sondern langfristig auch ein volkswirtschaftlicher Gewinn für alle. Enter.
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