Bauwerk

Walt Disney Concert Hall
Frank O. Gehry - Los Angeles (USA) - 2003

Stadtwerdung einer Metropole

Die Disney Hall als Symbol urbanistischer Erneuerung

7. November 2003 - Roman Hollenstein
Amerikas Städte leben schnell. Galt downtown Los Angeles - die von öden Parkplatzarealen geprägte Stadtlandschaft zwischen dem vor 222 Jahren gegründeten Pueblo und den Türmen des Geschäftsviertels - unlängst noch als «City of Fear», so erlebt das Herz der südkalifornischen Metropole gegenwärtig eine wunderbare Transformation: Ein mexikanisch bunter Broadway, ein geschäftiger Fashion District, betriebsame Markthallen, restaurierte Baudenkmäler, noble Wohnhochhäuser und prachtvolle Sakral- und Kulturbauten machen Downtown zum neusten In-Bezirk der Riesenstadt, in dem man - laut «San Francisco Chronicle» - die «Bohemian Rhapsody» eines aufkeimenden Nachtlebens von der Roof Bar des hippen Standard-Hotels bis hin zu Little Pedro's Blue Bongo Bar vernehmen kann.

Die Stadtwerdung der auch schon «Kapitale der Dritten Welt» genannten Megalopolis ist das Resultat vieler Häutungen und Metamorphosen. Als ihr strahlendes Symbol darf Frank Gehrys soeben eröffnete Disney Hall bezeichnet werden. Denn trotz schwindelerregender Erscheinung ist dieses weltweit beachtete Monument ein Zeichen der Verdichtung in einer bis anhin von zentrifugalen Kräften und städtebaulichem Wildwuchs geprägten Stadt, die nun durch Schaffung von Wohnbauten, Boulevards und Grünanlagen neue Lebensräume erhalten soll. Angesichts der Aufbruchstimmung geht leicht vergessen, dass Downtown in den Roaring Twenties mit bombastischen Premierenkinos und Theatern bereits einmal das pulsierende Herz der Stadt war. Doch dann läutete der Siegeszug des Autos den Niedergang der Innenstadt ein. Nach dem Wegzug der Oberschicht verlotterten die viktorianischen Herrensitze auf Bunker Hill, dem zentral gelegenen Villenhügel, so dass die mächtige Community Redevelopment Agency (CRA) in den zukunftstrunkenen fünfziger Jahren das Viertel niederwalzen liess, um Platz zu schaffen für die Glitzertürme einer bald schon weithin sichtbaren Skyline.

Den Auftakt zur Neugestaltung von Bunker Hill machte das Hochhaus der Wasserwerke, das seither zusammen mit dem 27-stöckigen Art- déco-Turm der City Hall die Eckpunkte der Verwaltungsachse des Civic Center markiert. Quer dazu wurde entlang der auf dem abgeflachten Hügel verlaufenden Grand Avenue die dreiteilige Akropolis des Music Center mit der 1964 eröffneten Dorothy Chandler Hall realisiert. Schnell galt dieser auf Autofahrer ausgerichtete und von Brachen umgebene Verwaltungs- und Kulturbezirk abends und an Wochenenden als unsicher. Deshalb lancierte die CRA 1980 eine urbanistische Aufwertung der Grand Avenue zwischen dem Music Center und dem sich weiter südlich um die Central Library formierenden Finanzdistrikt. Doch statt auf den vom Büro Maguire & Thomas vorgelegten Entwurf einer kleinteiligen Bebauung durch renommierte Architekten wie Gehry, Legorreta, Moore und Pelli einzugehen, entschied sich die CRA für das Projekt von Fairview & Erickson. Aus diesem gingen schliesslich die von zwei Hochhäusern bewachte California Plaza und - als kleiner städtebaulicher Glücksfall - Arata Isozakis postmodernes Meisterwerk des Museum of Contemporary Art (MOCA) hervor.

Der California Plaza gegenüber bilden seit 1984 die scharfkantigen Wolkenkratzer des Wells Fargo Center von SOM das Tor zur Hope Street. Diese gefällt sich auf der Länge von zwei Strassenblöcken mit ihrem beachtlichen Skulpturenschmuck und dem versunkenen Farngarten der Orchard Plaza schon heute als eleganter (aber nur wenig begangener) Boulevard, welcher zu den von Lawrence Halprin, dem Altmeister der US- Landschaftsarchitektur, als mediterrane Treppenanlage konzipierten Bunker Hill Steps führt. Sie verbinden I. M. Peis 330 Meter hohen Library Tower mit dem tiefer gelegenen Art-déco-Juwel der 1993 renovierten und erweiterten Central Library zu einem modernen Ensemble im Geist der City Beautiful, das ostwärts bis zum Biltmore Hotel reicht und seine Fühler über den 1994 von Ricardo Legorreta umgeformten Pershing Square fast bis zum Broadway hin ausstreckt.

Die zunehmende Verdichtung des Finanzdistrikts machte mit chronisch überlasteten Freeways und astronomischen Parkplatzgebühren die Grenzen des Privatverkehrs deutlich, was in den frühen neunziger Jahren zum Bau der Red Line Metro führte. Gleichzeitig förderte die Stadt den Ausbau der Grand Avenue zur Kulturmeile. Diese schien nach der Eröffnung des MOCA und der Lancierung des Wettbewerbs für die Walt Disney Concert Hall im Jahre 1987 zum Greifen nahe, bevor Rezession, Rassenunruhen und das Northridge-Erdbeben zu Verzögerungen führten. Erst die Wiederaufnahme der vorübergehend eingestellten Bauarbeiten an der Disney Hall, die Vollendung der Colburne School of the Performing Arts und der Wettbewerb für eine neue Kathedrale am Nordende der Avenue verliehen dem Projekt Kulturmeile wieder Aktualität. So plante man im Hinblick auf die Einweihung der prächtigen, von Rafael Moneo entworfenen Kathedrale vor einem Jahr und die Eröffnung der Disney Hall eine Umgestaltung der Grand Avenue zur palmengesäumten und mit Springbrunnen belebten Flanierstrasse, doch wird diese schöne Vision nun nur als Fragment verwirklicht.

Dafür hegt das Grand Avenue Committee Pläne zur Investition von mehr als einer Milliarde Dollar in Büro- und Wohnhochhäuser mit Restaurants, Kinos und Geschäften, die auf die vier östlich und südlich an die Disney Hall anschliessenden, seit bald fünfzig Jahren als Autoparking genutzten Brachflächen zu stehen kommen sollen. Die Stadt ihrerseits verfolgt Ideen weiter, die unterschiedlich genutzten Areale zwischen den Bauten des Civic Center in einen Stadtpark umzuformen. Von der fortschreitenden Reurbanisierung zeugen aber auch die 8000 Lofts und Apartments, die bis 2007 in Neubauten oder umgenutzten Denkmalobjekten entstehen und so den Wohnungsbestand in dem gut 1,5 Quadratkilometer grossen Geviert rund um Grand Avenue und Broadway auf 23 000 Einheiten erhöhen sollen. Schon wird - mit Blick auf Bilbao - vom «L. A. effect» gesprochen. Und in der Tat haben die Kulturbauten an der Grand Avenue, vor allem aber die Disney Hall bereits ein neues Bewusstsein von Urbanität aufkommen lassen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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