Bauwerk

Ricola Kräuterzentrum
Herzog & de Meuron - Laufen (CH) - 2014
Ricola Kräuterzentrum, Pressebild: Markus Bühler-Rasom
Ricola Kräuterzentrum, Pressebild: Markus Bühler-Rasom

Aus dem Boden gewachsen

Produktions-und Lagergebäude in Laufen (CH)

Ein maßstabsloses Volumen, gefasst von Wänden aus Stampflehm, erhebt sich am Rand von Laufen südlich von Basel. Der weltgrößte Lehmbau ist das neue Kräuterzentrum der Firma Ricola – und zugleich das siebte Gebäude, das Herzog & de Meuron über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren für das Unternehmen realisiert haben.

2. November 2014 - Hubertus Adam
Das großformatige Foto des Ricola-Lagerhauses von 1991, das Thomas Ruff von dem vier Jahre zuvor in Laufen errichteten Gebäude von Herzog & de Meuron anfertigte, gilt nicht nur als eine Ikone der Architekturfotografie, es steht auch für den internationalen Durchbruch des Architekturbüros aus Basel. Das, mit einer Struktur aus Eternitplatten bekleidete Lagergebäude ist eines der wichtigsten Frühwerke des Büros. Bildhaft evoziert das Bauwerk das Prinzip des Lagerns, mit alltäglichen, fast banalen Elementen ist die schlichte Box umgeben, und doch überzeugt der Minimalismus durch Präzision der Details.

Zwischen dem Unternehmen Ricola und den Architekten Herzog & de Meuron besteht seit nunmehr gut 35 Jahren eine enge Beziehung, die in der Zeit wurzelt, als Jacques Herzog noch unsicher war, ob er als Künstler oder als Architekt reüssieren würde. Der Basler Galerist Diego Stampa hatte Alfred Richterich, dem Kunstsammler und Sohn des Firmengründers, Ende der 70er Jahre den jungen Herzog für eine Freiluftinstallation auf dem Firmengelände empfohlen. Das Projekt scheiterte zwar, doch 1980 ließ sich Richterich das eigene Wohnhaus von den beiden Architekten umbauen. Auf diesen privaten Bauauftrag folgten über die Jahrzehnte insgesamt sieben realisierte Projekte für die Firma Ricola – das Akronym steht für Richterich & Co. Laufen –, die 1967 aus der von Emil Richterich 1930 in Laufen gegründeten Confiseriefabrik hervorgegangen war. Auf den Umbau des Firmensitzes (1983) folgten der Umbau (1985/86) der als Keimzelle der Firma bedeutsamen Bäckerei im Ortszentrum, das Lagerhaus (1986/87) sowie das diesem benachbarte Reitergebäude (1989-91). Mit der bedruckten Fassade des für die Bedienung des europäischen Markts nötigen Vertriebsgebäudes in Mulhouse (1992/93) sowie den kristallinen Formen des Marketinggebäudes in Laufen (1998/99) konnten Herzog & de Meuron neue Themen setzen, die nicht nur Zäsuren im eigenen Werk bildeten, sondern die jüngste Architekturgeschichte prägten.

Das Gleiche gilt auch für das aktuelle und nunmehr siebte Ricola-Gebäude: das Mitte des Jahres eingeweihte Kräuterzentrum in Laufen gilt als weltgrößtes Bauwerk aus Lehm.

»Chrüterchraft«

Bergkräuter bilden die wichtigsten Ausgangsstoffe für die unterschiedlichen Produkte von Ricola, besonders die 13 Kräuter, die für den legendären, 1940 von Emil Richterich erfundenen Kräuterzucker benötigt werden. 1 400 t frischer Kräuter, für deren biologischen Anbau Vertragslandwirte in den diversen Berggebieten der Schweiz sorgen, werden jährlich in Laufen verarbeitet. Für das Trocknen, Reinigen, Schneiden und Mixen waren bisher Fremdunternehmen verantwortlich, doch im Zuge einer »vertikalen Integration« sollten diese bislang ausgelagerten Arbeitsschritte ebenfalls in die Obhut der Firma gelangen. Das hat nicht nur mit der Optimierung von Logistik und Betriebsabläufen sowie der Wachstumsstrategie des Unternehmens zu tun, sondern auch mit einem veränderten Auftritt von Ricola in der Öffentlichkeit. In einer Zeit, in der ökologische Ausrichtung und regionale Herkunft von Produkten ständig an Bedeutung gewinnen und die Omnipräsenz von künstlichen Aromastoffen in der Öffentlichkeit kritisch diskutiert wird, setzt Ricola verstärkt auf die natürliche Qualität seiner Ausgangsprodukte und rückt nicht mehr den chemisch-technischen Prozess des Bonbonskochens in den Vordergrund. Folgerichtig wurde auch der überaus erfolgreiche Werbeslogan »Wer hat's erfunden?« zugunsten des für ausländische Ohren ungewöhnlichen Worts »Chrüterchraft« abgelöst, der eine gewisse Eigenartigkeit der Schweizer ebenso zum Ausdruck bringt wie das Potenzial der Bergkräuter.

Vor einigen Jahren entschied sich Ricola, die eigentliche Produktion vom Firmengelände an der Baslerstraße im Norden an die Wahlenstraße im Süden von Laufen zu verlagern. Zuvor hatten sich Pläne von Herzog & de Meuron, die bestehenden Produktionsgebäude mit einer neuen Struktur zu überbauen, als ungeeignet erwiesen. Die 2006 eingeweihte Fabrikationsanlage wurde daraufhin einem Ingenieurbüro übertragen und zeigt sich heute dementsprechend als technoid wirkendes Ensemble.

Getrennt durch eine Hecke, die bis zur Straße hin verlängert wurde, ist auf dem Nachbargrundstück das Kräuterzentrum entstanden, das von einer Magerwiese umgeben und unterirdisch mit dem Produktionsgelände verbunden ist. Gegensätzlicher könnten die beiden Anlagen, welche die zwei Pole des Produktionsprozesses verkörpern, kaum sein: Hier das Primat der architektonischen Form, dort die Dominanz der technischen Installation; hier der Bezug zu Material und Natur, dort die »Ortlosigkeit« des Ingenieurbaus.

Tradition und Trägheit

Zunächst experimentierten die Architekten mit einer partiell offenen hölzernen Struktur, mussten diesen Ansatz jedoch aufgrund von hygienischen Anforderungen aufgeben. Die Alternative war das Bauen mit Lehm, welches das Büro seit Längerem interessiert hatte und auch schon für das Schaulager in Münchenstein bei Basel vorgesehen war, dort aber schließlich verworfen werden musste. Mit dem Lehmbauspezialisten Martin Rauch aus Vorarlberg, der inzwischen als Gastprofessor an der ETH Zürich unterrichtet, fanden die Architekten einen mit dem Material erfahrenen Partner. Ton, Lehm, Mergel und Kies sind Materialien, die in der Umgebung von Laufen mit seiner Tradition der Tonindustrie (»Keramik Laufen«) zur Verfügung stehen. In einer leer stehenden Industriehalle im benachbarten Zwingen produzierte Rauch die insgesamt 666 Blöcke aus Stampflehm, welche die 45 cm dicke Hülle des neuen Kräuterzentrums bilden. Dieses zeigt sich als ein rechtwinkliges Volumen von 111 m Länge, 30 m Breite und 11 m Höhe. Die Lehmschale umfasst dabei das Stahlbetontragwerk der Halle und wird durch das leicht überstehende Dach sowie die Betonplatte am Boden vor eindringender Feuchtigkeit geschützt; Kalkschichten, die an der Fassade als horizontale Fugen sichtbar sind, beugen überdies der Erosion vor.

Die »Trägheit« der Lehmblöcke sorgt im Innern für eine konstante Luftfeuchtigkeit von 50 % – im Bereich der Lagerhalle, die die hintere Hälfte des Gebäudes beansprucht, blieb die Lehmhülle innen unbekleidet. Vorne hingegen, wo eine Beheizung – für diese wird die Abwärme der benachbarten Produktionshalle genutzt – nötig war, wurden Backsteinwände eingezogen. Hier befinden sich die Bereiche der Anlieferung und Trocknung, dahinter die Anlagen für das Schneiden und Mixen der Kräuter. Ein Versammlungsraum im OG, der mit ebenfalls von Herzog & de Meuron entworfenen Holzmöbeln und Hängeleuchten ausgestattet ist (eine Vitrine zeigt römische Tonfunde aus der nahen Umgebung), ermöglicht über einige Fenster Einblicke in die Produktionsbereiche.

Abstraktion in Lehm

Wie auch das Lagerhaus in Laufen und das Vertriebszentrum in Mulhouse bleibt das Kräuterzentrum von außen betrachtet rätselhaft – und überdies maßstablos. Die vier Rundfenster, je eines pro Fassade, stärken mit ihrem Durchmesser von 5,5 m die Abstraktheit der Fassade. Natürlich dienen sie der Belichtung des Innern, doch ist ihre Platzierung eigentlich kompositorisch innerhalb des Gesamtbilds der Fassaden begründet. Die zweigeteilten Fenster sind ohne Stützkonstruktion mit Dornen in den Stampflehmblöcken verankert und aus Gründen der Erdbebensicherheit mittig mit einem Pfeiler im Innern hinterfangen. Zu den Rundfenster treten als zusätzliche Durchbrüche der Außenwände die vereinzelten, aus Lärchenholz bestehenden Tore und Fluchttüren an den Längsseiten.

Mit der Geometrie der einfachen Box knüpfen Herzog & de Meuron an Themen an, die sie schon in ihrem Frühwerk beschäftigt haben, während die Materialisierung in Stampflehm eine seit Längerem verfolgte, nun aber erstmals umgesetzte Idee darstellt. Eine intelligente Verknüpfung von Kontinuität und Innovation zeichnet seit jeher die besten Bauten des Basler Architekturbüros aus.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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