Bauwerk

Pah Cej Kah Stufenpyramide
PPAG - Deutsch-Wagram (A) - 2016
Pah Cej Kah Stufenpyramide, Foto: Paul Bauer
Pah Cej Kah Stufenpyramide, Foto: Paul Bauer

„Eine Art Hausberg“

30. Mai 2017 - ORTE
Beim Bahnhof von Deutsch Wagram realisierte Immobilienentwickler Reinhard Pacejka mit dem Wiener Architekturbüro PPAG ein unorthodoxes, vielseitiges Büro- und Geschäftshaus mit Strahlkraft und Mehrwert.

Am 23. November 1887 wurde das erste dampfbetriebene Teilstück der Kaiser Ferdinands-Nordbahn zwischen Wagram und Floridsdorf eröffnet, einige Monate darauf frequentierten bereits 176.000 Personen die Strecke. Bis 1929 wuchs Wagram zum größten Ort des Marchfelds an, 1962 wurde die Schnellbahn in Betrieb genommen, heute ist Deutsch Wagram eine Stadt mit rund 8.300 Einwohnern. Im Halb-Stunden-Takt fährt die S-Bahn nach Wien, 2013/14 wurde der Bahnsteig verlängert und mit Flugdach, Lift, barrierefreiem Zugang und einem Fahrscheinautomaten versehen: Damit hatte offenbar der alte Bahnhof seinen Dienst erfüllt, er wurde geschlossen. Der Arbeiterwarteraum des Jahres 1908 dient heute als Eisenbahnmuseum, von April bis Oktober ist jeden ersten und dritten Sonntag im Monat von 10:00 bis 16:00 geöffnet. Das Café Brunner mit Trafik und Gastgarten an der Bahnhofsstraße schräg gegenüber ist nicht mehr in Betrieb.

Impulse setzen Reinhard Pacejka, Firmengründer, -besitzer und Geschäftsführer von AC Wohnen hatte bereits 2012 an der Ortseinfahrt einen vom Wiener Büro querkraft geplanten, markanten Büro-Pyramidenstumpf realisiert, einige Wohnbauten entwickelt und auch die Bücherei und Spielothek in Deutsch-Wagram als Bauträger umgesetzt. Als er im Sonntagskurier las, dass am Bahnhof 1000 m² verkauft würden, ging er sofort auf den Bürgermeister zu. „Früher hatte da ein Kohlehändler sein Superedifikat, da fühlte man sich wie im Ostblock“, sagt Pacejka. „Wir brauchten Büroflächen und wollten am Bahnhof einen Bau entwickeln, der als Wahrzeichen wirkt. Wichtig war auch, dass er keine Vorder- oder Rückseite hat, sondern von überall gut ausschaut.“ Außerdem sollte der Neubau Funktionen aufnehmen, die der leere Bahnhof nicht mehr bieten konnte: Ein Café, ein Restaurant und öffentliche Toiletten. „Es gab kein spezielles Briefing, Reinhard war sehr offen. Wir haben die Erfahrung, dass daraus die besten Sachen entstehen: Aus Offenheit und gegenseitigem Respekt“, sagt Anna Popelka vom Büro PPAG, die mit dem Bau beauftragt wurden. PPAG stehen für unkonventionelle, radikale Konzepte, die sie ebenso konsequent wie pragmatisch umsetzen. So gelingt es ihnen, auch mit kleinsten Budgets ihren Ideen treu zu bleiben. Gespart wird am Material, nie an der Kubatur. „Gleich beim ersten Besuch ist uns aufgefallen, dass die Gegend recht flach ist. Man sieht schon von verhältnismäßig niederen Punkten sehr weit. Wir wollten mit dem Projekt eine Art Hausberg zu Deutsch-Wagram hin zu fügen“, so Popelka.

Das Grundstück hat einen sehr eigenwilligen Zuschnitt und eine exponierte Lage: Im Norden verlaufen die Bahngeleise, im Osten stehen die Bahnhöfe und befindet sich der Zugang auf den Bahnsteig. Hier erinnern Grabsteine am Rand des Bahnhofsvorplatzes an Josef Hörig (1842-1907), einen Inspektor der Kaiser Ferdinand-Nordbahn, Albert Köller, einen Expeditor derselben (1861 – 1903), Othmar Mende, Oberinspektor in Ruhe (1874 – 1929) und seine Frau Rosa Mende (1877 – 1964). Im Süden verläuft die Bahnhofsstraße, gegenüber bezeugt das gemalte Schild des Café Brunner – gegründet 1837 ren. 1952 – mit seiner schmucken Eisenbahn eine lebendige Vergangenheit. Im Westen hinter den Parkplätzen erhebt sich der hohe Siloturm der Raiffeisen: Die Infrastruktur für den Neubau war perfekt, Pacejka wollte damit wieder die Gegend beleben und ein städtebaulich wirksames Zeichen setzten.

Jede Seite anders Für diesen sehr speziellen Standort entwickelten PPAG ein höchst unorthodoxes, vielseitiges Gebäude, das in seiner Unverwechselbarkeit durchaus fernwirksam ist, gleichzeitig aber auch so souverän wie unprätentiös viele Funktionen erfüllt. Es reagiert auf seine unterschiedliche Umgebung auf jeder Seite anders. „Der Bahnhof ist heute unspektakulär. Aber durch die Nähe von Gewerbe und kleiner Produktion ist die Gegend schon rein stadträumlich interessanter als die Einfamilienhausgebiete rundherum“, so Anna Popelka. „Für ein Gebäude ist es natürlich ein Kriterium, wie man sich um es herum und auf es zu bewegt. Die spezielle Annäherung durch den Blick vom Zug aus war uns bewußt. Unser Haus nimmt zum Bahnhofsplatz Kontakt auf, zur Bahntrasse, zum Gewerbegebiet, zum Wirtshaus, nach Wien. Dadurch sieht das Haus von allen Seiten anders aus.“

Viele Atmosphären Das Erdgeschoß öffnet sich im Norden mit einer Fixverglasung und im Osten mit zwei hohen Scheiben, bunten Blumen und dem ausladenden Schanigarten des „Cafe Agnes“ zum Bahnhofsvorplatz. „Der Standort ist toll. Das Haus ist so umspült von Straßen und Zügen: man fährt vorbei, man geht vorbei“, sagt Agnes Horvat, die es von der ersten Stunde an von Montag bis Freitag von sechs bis 21 Uhr betreibt. „Mein Konzept ist absolute Frische: alles wird frisch gekocht.“ Ihr Lokal ist freundlich und hell, inklusive Schanigarten kann sie über 90 Menschen bewirten. Einige Stammgäste hat sie schon. An das Café schließen im Norden die öffentlichen WCs an, dahinter ist ein kleines Sportgeschäft, Daniel Straka begann sein angrenzendes Studio „Tatoo by Daniel“, das von Montag bis Freitag von 13:00 bis 18:00 offen hat, schon während der Baustelle in Betrieb zu nehmen. Beim Parkplatz an der Westseite liegt in der Mitte der geknickten Fassade auch der Eingang: das Foyer ist so geknickt wie die Fassade, das Haus folgt nämlich auch konstruktiv der unregelmäßig vieleckigen Geometrie, die Grundstück und Grundriss vorgeben: alle Stützen verlaufen parallel zu den Fassaden und dienen gleichermaßen als Anker, an denen sich die Wände festkrallen und in ihrem weiteren Verlauf orientieren. So harmonieren sie mit dem Gebäude und wirken die unregelmäßig zugeschnittenen Räume kontextuell und organisch gewachsen.

Upgrade für den Keller Ursprünglich wollten PPAG ihren künstlichen „Hausberg“ für Deutsch-Wagram aus gewellten Schallschutzsteinen errichten, wie es sie über all entlang der Bahn gibt. Schließlich wurden es dann Fertigteil-Hohlwandsysteme aus Sichtbeton, wie sie Häuselbauer für ihre Keller verwenden. Diese haben den Vorteil, schon gedämmt und höchst kostengünstig zu sein, außerdem ist ihre Sichtbetonoberfläche perfekt glatt. Das Kellerwandsystem auf ein Wohn- und Geschäftshaus zu adaptieren, war nicht ganz einfach, erzeugte aber interessante Details, wie beispielsweise die Betonstürze über den Fenstern. Schließlich bestand der Bauherr darauf, es in einem ganz speziell gemischten Ocker zu streichen. Das war essentiell für die Akzeptanz. „Obwohl das Gebäude komisch aussieht, hat es in der Vermietung super funktioniert“, ist Pacejka sehr zufrieden. 16 unterschiedliche Mieter – vom kleinen Tatoo Studio bis zur Zahnärztin – zogen ein. „Man hat hier dank der Bahnhofshähe eine Riesenfrequenz.“

Neue Horizonte In Analogie zur Wanderung wollten PPAG ihren „Hausberg“ ursprünglich nur von außen mit Treppen und umlaufenden Terrassen erschließen. Dank der Entscheidung, doch ein Foyer mit Innenstiege und Lift einzuplanen, reduzierte sich die Zahl der Außenstiegen auf zwei. Eine dieser Treppenlandschaften führt nun am südlichen Eck des Gebäudes spektakulär von einer drei Meter breiten Terrasse zur nächsten. Stockwerk für Stockwerk kann man sich nun sukzessive immer mehr Aussicht erarbeiten oder auch einfach diverse Büros und Praxen von außen betreten. Im ersten Stock gibt es eine Zahnärztin, im zweiten Stock hat AC Wohnen sein Büro, im dritten Stock liegt das Restaurant „Marchfelder Lounge.“ Von seinen umlaufenden Terrassen genießt man im Norden und Osten einen fulminanten Blick. Geschäftsführer Thomas Ehmayr freut sich sehr, dass sein Lokal am Muttertagswochenende ausreserviert war. Alle, die ganz hinauf steigen, belohnt eine öffentlich zugängliche Dachterrasse mit dem Duft von frischer Pfefferminze. Hier wachsen Kräuter und genießt man einen Rundumblick über Deutsch Wagram. Viele Einheimische suchen hier ihre Häuser im Ortsbild, längst haben auch die Jugendlichen den Terrassengipfel für sich erobert. Mission geglückt. (Text: Isabella Marboe, publiziert im Magazin morgen)

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Für den Beitrag verantwortlich: ORTE architekturnetzwerk niederösterreich

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