Bauwerk

Strohballenhaus
Atelier Kaiser Shen - Pfaffenhofen (D) - 2023
Strohballenhaus, Foto: Atelier Kaiser Shen Architekten PartGmbB BDA
Strohballenhaus, Foto: Brigida Gonzalez
3. Januar 2024 - newroom
Die kleine Gemeinde Pfaffenhofen südwestlich von Heilbronn ist geprägt von einem Idyll in der Ortsmitte mit Kirche und Fachwerkhäusern aus dem 16. und 17. Jahrhundert, im Hintergrund erheben sich malerisch Weinberge.
Der Ortskern wurde durch ein neues Wohnhaus in ortstypischer Kubatur nachverdichtet, das in seiner Bauweise – weitgehend aus nachwachsenden und natürlichen Rohstoffen, die in den natürlichen Kreislauf rückgeführt werden können – Haltung und Tätigkeit des Bauherrn widerspiegelt. Für die thermische Hülle für Boden, Decke, Dach und Wand kamen Strohballen kombiniert mit Lehmputz zum Einsatz. Das in der Region üppig vorhandene Lowtech-Material Stroh ist unkompliziert handzuhaben: Die Ballen werden auf einer Dicke von 36,5 cm in eine Holzunterkonstruktion hineingepresst, Überstände lassen sich einfach mit einer Heckenschere abfräsen.
Um auf aufwendige Abdichtungen verzichten und die Strohballen vor allem in der Bodenplatte dennoch dauerhaft vor Wasser schützen zu können, wurde das Haus um ein gesamtes Geschoss aufgeständert. Das kompakte Kernhaus ruht auf einem Betonkreuz und vier Stützen. Bei geschlossenen Holz-Fensterläden entsteht der Eindruck eines aufgebockten Holzmonolithen, der im deutlichen Kontrast zum freien Gartengeschoss steht.

Hinter der einfachen Grundform verbirgt sich ein komplex ineinander verschachteltes Doppelhaus. Beide Wohneinheiten sind punktsymmetrisch zueinander angeordnet und jeweils durch eine einläufige Treppe mit dem Gartengeschoss verbunden, wo sich die Eingangstüren befinden. Alle Bewohner:innen profitieren von allen vier Himmelsrichtungen: Die Blicke reichen von jeder Wohnung aus zum Kirchplatz, zum Garten, zu den Weinhängen und über die Dächer des Dorfs in die Weite.
Im ersten Geschoss ist das Haus in Längs-, im zweiten in Querrichtung geteilt. Die Teilung ist ablesbar: Im Innern sind Fichtenholzkonstruktion und Lehmputz der zur Dorfmitte gerichteten Wohnung weiß pigmentiert, in der zum Garten gerichteten hingegen naturbelassen. An der Fassade aus Weißtanne erkennt das geübte Auge unterschiedliche Brettbreiten für die Boden-Deckelschalung.
Die vier im Erdgeschoss durch das Betonkreuz abgegrenzten offenen Felder sind Möglichkeitsräume, die von den Nutzer:innen unterschiedlich bespielt werden können – denkbar etwa: Ladestation, Werkstatt oder Sommerküche, Wintergarten oder Gästezimmer. Im ersten Ausbaustand entschied sich der Bauherr dazu, in einem der Felder eine Einliegerwohnung zu realisieren.

In den Wohngeschossen sind jeweils acht nahezu quadratische Räume mit einer Abmessung von etwa 4 x 4 Metern angeordnet. Diese sind im ersten Obergeschoss längs und im zweiten Obergeschoss quer zum Haus in einer Enfilade aneinandergereiht. Da alle Räume nahezu identisch sind, können sie wechselweise als Küche, Schlaf-, Wohn- oder Esszimmer genutzt werden. So können sie über die gesamte Lebensspanne des Gebäudes hinweg ohne allzu aufwendige bauliche Eingriffe mehrmals ihre Funktion ändern. Lediglich die dienenden Räume, wie etwa die Bäder, sind aufgrund der Installationen klar festgeschrieben.
Die Gleichwertigkeit der Räume spiegelt sich auch in der Fassade mit lauter identischen Fensterformaten wider. Auch die Bandfester im Dachgeschoss erzeugen eine Gleichwertigkeit der Räume, die es ermöglicht, im Haus verschiedene Wohnungskonfigurationen umzusetzen. Die beiden Doppelhaushälften sind jeweils geschossweise teilbar. So können die zwei großen Maisonettewohnungen in vier kleine Wohneinheiten unterteilt werden. Die interne Treppe wird in diesem Fall zu einem Treppenhaus, das zwei Wohneinheiten erschließt. Die Zimmertüren zum Treppenhaus bilden dann die neuen Wohnungseingänge. Ziehen die Kinder aus, können die Eltern ein Geschoss bewohnen und ohne bauliche Eingriffe das andere getrennt vermieten.

Neben den Hauptmaterialien Stroh, Lehm und Holz weisen auch alle anderen eingebauten Materialien eine gute Ökobilanz auf und lassen sich wieder sortenrein trennen und verarbeiten. Auf schwer lösbare Klebungen wurde weitestgehend verzichtet. Alle Materialien sind einschließlich ihrer Herkunft in einer vom Bauherrn entwickelten Datenbank für nachhaltige Bauprodukte erfasst.
Zum Betrieb des Hauses wird Strom aus Solarzellen gewonnen, die vollflächig als wasserführende Schicht integriert sind. Die Abmessungen der Solarmodule bilden die kleinste Einheit im Raster, das dem gesamten Haus zugrunde liegt.
Es wird mit 30.000 kWh/a gerechnet, was den prognostizierten Verbrauch für Strom- und Wärme um etwa 6000 kWh übersteigt. Ein Tagesstromspeicher mit einer Kapazität von 10 kWh sorgt dafür, dass der tagsüber gewonnene Strom in den Abendstunden und in der Nacht verfügbar bleibt. Reicht dieser Strom einmal nicht aus, wird Energie über das Stromnetz bezogen; umgekehrt werden Überschüsse ins Netz eingespeist.
Geheizt wird mit einer (auf Kühlung umschaltbaren) Wärmepumpe, die eine Deckenflächenheizung bedient. Gegenüber einer Fußbodenheizung bietet diese vergleichbaren Komfort, kann aber deutlich schneller auf geändernten Heizbedarf reagieren. Insgesamt erreicht das Haus den KfW-40-Plus-Effizienzhaus- und den Effizienzhaus-Plus-Standard (negativer Jahres-Primärenergiebedarf als auch negativer Jahres-Endenergiebedarf).
Im Vergleich zu einem konventionellen Doppelhaus-Neubau gleicher Größe aus Beton oder Ziegel und mit klassischer Dämmung konnten 95 % an CO2 eingespart werden. In den insgesamt 140 Kubikmetern verbauten Holzes sind rund 100 Tonnen CO2 gespeichert. (Autor: Achim Geissinger, nach einem Text der Architekten)

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