Bauwerk

Neuer Streckhof Göttlesbrunn
Klaus-Jürgen Bauer - Burgenland - 2023
Neuer Streckhof Göttlesbrunn, Foto: Reinhard Gombas
Neuer Streckhof Göttlesbrunn, Foto: Reinhard Gombas
16. Oktober 2024 - ORTE
Göttlesbrunn ist eines dieser endlosen Straßendörfer, die nahe bei Wien beginnen und von hier aus überall bis nach Serbien, Rumänien, Kroatien, Slowenien und bis in die Batschka hinein das Ortsbild bestimmen. Es sind endlos erscheinende Bauernsiedlungen, wo gleichförmige Einzelhäuser geschlossene Straßenfronten bilden. Diese schematischen, immergleichen Dörfer entstanden aus einer aufklärerischen Idee am Wiener Hof von Maria Theresia und ihrem Sohn Kaiser Joseph II: Die Habsburger standen als ungarische Könige nach dem Ende von 300 Jahren erbitterten und ununterbrochenen Schlachten mit den Osmanen vor einem völlig zerstörten und menschenleeren Land. Es galt nun, die deserta hungaricum – die ungarische Wüste – wieder aufzubauen. Am Wiener Hof entstand daher gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine rationalistische Planung für Dörfer, Kleinstädte, Straßenzüge, Kirchen, Rathäuser und natürlich auch Wohnhäuser. Bis heute bestimmen diese völlig einheitlich nach behördlichen Anordnungen und Musterplänen gestalteten Streckhöfe das Ortsbild dieser mitteleuropäischen Großregion mit mehreren Millionen Bewohnern. Ein Streckhof in Österreich unterscheidet sich nicht von einem Streckhof in Serbien. Es gibt immer ein großes Tor als Einfahrt auf das Grundstück, vorne, zur Straße hin, ist die Stube, dahinter die Küche, über die man die Höfe immer auch betritt und dahinter sind noch ein oder zwei Kammern. Etwa 70 m² groß waren die Standardwohnungen der alten Streckhöfe. Die Wirtschaftsräume – Ställe, Lager etc. – reihten sich dann dahinter an.
Auch die Ortszeile von Göttlesbrunn ist von dieser Bebauungsart bis heute bestimmt. An einer kleinen platzartigen Erweiterung wurde vor einigen Jahren so ein Hof abgerissen. Es war eine typische, eingeschossige, straßenseitig nordwestlich orientierte, zweihüftige Anlage aus dem frühen 19. Jahrhundert. Dieses Haus wurde leider – vor allem nach den Zweiten Weltkrieg – so nachteilig und mit unpassenden Materialien verbaut, dass eine Umgestaltung nicht mehr in Frage kam. Abbruch. Eine Lücke klaffte in der Dorfzeile.
Die Bauherrschaft betreibt neben dieser Lücke ein sehr erfolgreiches international orientiertes Weingut. Es entstand die Idee, diese Lücke als eine Art Alterswohnsitz für die Eigentümer:innen zu bebauen. Von Anfang an war klar, dass der vorher dort gestandene Hof wiederentstehen soll: als eine Art besseres Selbst.
Der Straßentrakt wurde nach dem historischen Vorbild rekonstruiert bzw. mit einigen Anpassungen nachempfunden. Das Haus ist aus massiven Wärmedämm-Ziegeln gebaut und innen und außen einlagig mit Sumpfkalk verputzt. Ganz leichte und subtile Gliederungen unterstützen die historische Lesbarkeit. Die Fenster sind handwerklich hergestellte Holz-Kastenfenster mit Fensterläden. Das ist der Typus von Fenstern, die in unserer Region seit Jahrhunderten das Erscheinungsbild der Orte prägen und die – entgegen bekannter Industriekampagnen gegen diese Typologie – nach wie vor tauglich sind und es immer bleiben werden. Die Schönheit dieser Elemente ist quasi eine Draufgabe. Die straßenseitigen Fenster wurden getreu der historischen Vorbilder und der richtigen Proportion zuliebe bewusst klein gehalten, da sich dort nur Nebenräume – Bäder, Abstellbereiche etc. – befinden. Im Walmdach des Straßentraktes gibt es zusätzlich noch eine Gästewohnung, die vom Hof aus belichtet und erschlossen wird. Erst wenn sich das große Tor öffnet, erlebt man die Qualität des geschlossenen Hofes.
Im linksseitigen Trakt befinden sich Abstellräume, ein Kühlhaus für Rotweine, ein Schwimmkanal und ein Sauna-Häuschen mit Gäste WC. Auch diese Bauelemente entstanden angelehnt an die traditionellen Bauformen der funktionsorientierten Wirtschaftsbauten der alten Streckhöfe. Der Hof selbst ist eine barrierefreie Plattform aus massivem geschliffenen Beton und verbindet alle Wohn- und Lebensbereiche auf einer Ebene: Das Inneren verschmilzt mit dem Äußeren. In einem flachgedeckten Verbindungstrakt befindet sich die doppelte, zweiflügelige Haustür, eine Garderobe, ein Gäste WC. Von dort aus erreicht man auch die master suite der Eigentümer:innen. Der Wohnflügel befindet sich auf der rechten, sonnenabgewandten Seite. Auch das war eine sehr bewusste Entscheidung, weil die Sommer im pannonischen Raum unfassbar heiß werden. Erst durch diese Orientierung ist ein fast ganzjähriges Leben im Freien möglich.
Die sonnenzugewandte Seite des Satteldaches erntet derweilen das ganze Jahr über – visuell unsichtbar – mittels Photovoltaikelementen Sonnenergie. Der im First etwa 10 Meter hohe offene, loftartige Wohnraum erhält von allen Seiten Licht. Die beiden Giebel sind vollkommen verglast, aber gleichzeitig auch verschattet. Im Wohnbereich gibt es mehr als drei Meter hohe, wärmegedämmte Eisentüren und ein Art Arkadenelement schafft zusätzlich eine Art Filterzone zwischen Haus und Hof. Sämtliche Aspekte des Wohnens – Empfang, Kochen, Essen für 12 Personen und mehr, ein Kachelofen etc. – finden dort in Bereichen und Zonen statt. Hinter dem Wohnbereich befindet sich eine 10 Meter hoch überdachte riesige Terrasse, von dort geht es in einen kleinen grünen Garten. Das gesamte Anwesen wird abgeschlossen durch einen großen hölzernen Stadl, das letzte Überbleibsel des alten Streckhofs.
Insgesamt entstand auf nur ca. 160 m² Fläche ein Wohnbereich, der alle Stücke spielt. Neues Wohnen im Streckhof bedeutet, einen innigen und ganzjährigen Bezug zum Innenhof zu haben: Innen und Außen gehen ineinander über. (Text: Architekt, bearbeitet)

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Für den Beitrag verantwortlich: ORTE architekturnetzwerk niederösterreich

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