Bauwerk

Kosmonautik-Museum
M.O. Barsh, A.N. Kolchin - Moskau (RUS) - 1981

Mütterchen Erde und der Mann im Himmel

Das Kosmonautik-Museum in Moskau gibt nicht nur eine Vorstellung von Ausflügen ins All, sondern zeigt auch sehr bodenständige Szenarien aus der Sowjetzeit

15. November 2002 - Andrea Winklbauer
Die Form des Bauwerks drückt Dynamik aus. Untergebracht im Sockel des monumentalen Denkmals zur Verherrlichung der sowjetischen Raumfahrt dient auch das Moskauer Kosmonautik-Museum diesem Zweck auf sehr russische Weise. Auf einer Höhe von etwa hundert Metern ist eine, während des Starts „eingefrorene“, Rakete zu sehen. Die beiden Reliefs im Sockel stellen die Entwicklung der Raumfahrt in der Sowjetunion dar. Sie tun das auf eine übertrieben heroisierende Art, die zum Schmunzeln anregt. Aber ohne Propaganda ging eben anno 1964, bei der Enthüllung des Denkmals, gar nix.

Im Inneren des Gebäudes erwartet den Besucher ein Wiedersehen. Er wähnt sich in einer nie ausgestrahlten Folge von „Raumschiff Enterprise“, unter all den Relikten einer ausgestorbenen Kultur. Der Hauptraum des Museums ist recht finster, nur die einzelnen Objekte sind ausgeleuchtet und werden von verschiedenen Seiten in bunten Farben angestrahlt. Gleich beim Eingang stößt man auf eine größere Anzahl von niedrigen bunten Glaslampen im Stil der Sechziger, die mit Raumfahrt an sich nichts zu tun haben. Sie sind reine Dekoration. Weil auch ein Großteil der Ausstellungsstücke aus den Sixties stammt, oder zumindest so aussieht, glaubt man zunächst, sich in einem Original-Interieur der späten Sechzigerjahre zu befinden, doch der Schein trügt.

Das Museum wurde erst 1981 eröffnet, und wie zum Beweis dafür findet sich an der Stirnwand ein postmodernes Ensemble, bestehend aus der überlebensgroßen Bronzefigur eines Kosmonauten vor einem ebenfalls bronzenen, sehr postmodernen Tierkreis. Dahinter strahlt, wie in einer Kirche, ein farbenfrohes Glasfenster. Dieses Arrangement passt nicht nur stilistisch gut in die Achtzigerjahre. Es verleiht dem Museum auch so etwas wie einen sakralen Charakter: der Mann im Himmel, wir kennen ihn. Er ist ein Kosmonaut.

Zu den Exponaten gehört so einiges an Weltraumschrott, Objekte, die tatsächlich dort draußen waren und wieder zurückgekehrt sind. Eines davon ist die Raumkapsel der „Vostok“, des ersten bemannten Satelliten, in dem Yuri Gagarin am 12. April 1961 als erster Mensch im All in den berühmten 108 Flugminuten ein Mal um die Erde kurvte. Daneben steht sein kosmonautischer Trainingsanzug.

Zur Erprobung der Lebensbedingungen schickten die Sowjets ab 1949 auch Versuchstiere ins All. Während des nur kurz dauernden Fluges einer Höhenrakete wurden deren Lebensfunktionen mithilfe von Sonden und einer Filmkamera genauestens überwacht und lieferten erhebliche Daten für die spätere bemannte Raumfahrt. Das berühmteste Versuchstier, die Hündin Leica, wurde am 3. November 1957 mit dem zweiten Satelliten in den Orbit geschossen. Von den fünf Monaten, die „Sputnik 2“ in der Umlaufbahn um die Erde spukte, erlebte Leica nur eine Woche. Länger hielten die Batterien der Lebenserhaltungssysteme leider nicht. Besser erging es ihren beiden Nachfolgerinnen Belka und Strelka. Nach 18 Erdumrundungen im August 1960 kehrten sie in ihrer Fallschirmkapsel wohlbehalten auf Mütterchen Erde zurück.

Das Kosmonautik-Museum ist der Glücksfall eines Museums. Die Inszenierung des auf Ausstellungen spezialisierten Designers Lomako hält sich glücklicherweise fern vom Pathos des Monuments über dem Museum. Das einzelne Objekt ist wichtig, aber der Gesamteindruck ist es nicht minder. Für den angeschlossenen Kinosaal, in dem in Anlehnung an Sowjetzeiten eine Diashow über die Helden im Helm von bewegender Musik untermalt wird, griff Lomako auf ältere Vorbilder zurück.

Angesichts der künstlichen, wie aus lauter Rhomboiden bestehenden Höhlendecke fühlt sich der Besucher an die Theatertradition der russischen Moderne erinnert, aber auch an die Sets früher expressionistischer Stummfilme wie Robert Wienes „Raskolnikow“, für den der russische Architekt Andreij Andreijew angeheuert worden war. Als Vorbild für die Gestaltung des Hauptraumes dienten Lomako wohl westliche Setdesigns der 60er-Jahre. Nicht ohne Grund fühlt man sich an gute alte Bekannte wie James Bond oder Barbarella erinnert. Oder treffender gesagt: Das Kosmonautik-Museum gibt eine Vorstellung davon, wie Russland zur Zeit der Bond-Filme hätte aussehen können. Es konserviert damit nicht nur tatsächlich vorhandenes Space-Design, sondern auch seine Möglichkeiten in der Alltags-kultur.

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