Bauwerk
Museum Rietberg
Adolf Krischanitz, Alfred Grazioli - Zürich (CH) - 2006
Architektonische Dichtung
Der «Baldachin», mit dem der Neubau des Museums Rietberg in Zürich oberirdisch in Erscheinung tritt, reflektiert die bestehende Villa. Als Hommage an die einstigen Protagonisten des Hauses ist er auch in Architektur übersetzte Lyrik.
14. Februar 2007 - Rahel Hartmann Schweizer
Von der Gablerstrasse durch eine hohe Mauer abgeschirmt, lassen sich die Villa , die Leonhard Zeugheer in den Jahren 1855–1857 für Otto und Mathilde Wesendonck im neoklassizistischen Stil erbaute, und der Park, den Theodor Froebel gestaltete, eigentlich erst in den Blick nehmen, wenn man bereits bei der Pergola angelangt ist. Diese fasst den Raum zwischen der Villa und dem ehemaligen Ökonomiegebäude, vermittelt zwischen den beiden Bauten, bindet sie aneinander und verleiht dem Raum dazwischen Intimität: Er ist nicht mehr Park und noch nicht Haus. Auf der Westseite der Villa, der bisherigen Eingangssituation, fehlte ein Gegenstück. Erst jetzt, da der schmale Glasbau, der sich über der unterirdischen Erweiterung erhebt, sie gleichsam wie eine Laterne bekrönt, zeigt sich, dass da bisher eine Leerstelle war. Der «Baldachine von Smaragd» – die schon im Wettbewerb verwendete Bezeichnung verweist auf eine Zeile aus dem von Wagner vertonten Gedicht «Im Treibhaus» Mathilde Wesendoncks (siehe «Wesendonck-Lieder») – bildet nun gleichermassen das Gegenstück zur Villa wie das Pendant zu deren vorgelagertem Baldachin. Er ist ein zweites Gesicht, ein Alter Ego.
Dreierbeziehung zu Dreigestirn
Auf diesen Ensemblecharakter berufen sich die Architekten auch: Die Zweierbeziehung von Villa und Ökonomiegebäude wurde zu einer Dreierbeziehung, die das Ensemble ausgewogener erscheinen lässt. Alfred Grazioli und Adolf Krischanitz verstehen das Glashaus aber auch als jene vierte Fassade der Villa, die durch den Wintergarten verdeckt wird und daher gleichsam «herausgezogen» werden musste. Die Dreierbeziehung mag als Analogie zum Dreigestirn Wagner, Nietzsche und Semper gelesen werden: Wagner gastierte in der Villa Wesendonck, Nietzsche war Bibliothekar Wagners und las in dessen Bibliothek die Bücher Sempers.
Nun ist denn auch der Raum vor der Villa definiert, sodass man vom pergolagesäumten «Vestibül» ins Atrium zwischen Villa und Neubau gelangt, der oberirdisch äusserst bescheiden in Erscheinung tritt – zumindest was die Baumasse betrifft. Optisch dagegen hat der schmale Glasbau – konstruktiv ein statisches Gebilde (siehe Kasten «Glasbau»), funktional ein Portikus, ästhetisch ein Baldachin – magnetische Ausstrahlung. Und er ist nicht nur der Antipode zur Villa, sondern auch Reflexion der Geschichte des Hauses.
Gehüllt in eine mit abstrahierten Smaragdkristallen in einem Emailverfahren tätowierte Draperie aus Glas, ist er kaum noch (Bau-)Körper, eher Tüll, Vorhang, Schleier. Das passt zur Konzeption des Platzes, der sich zwischen der Villa mit deren bestehendem und dem neuen Baldachin aufspannt: Mit seinem feingliedrigen Parkett aus Akazienholz suggeriert er einen Innenraum, ein «Wohnzimmer unter freiem Himmel», wie ihn die Architekten beschreiben.
Der Glasbau ist Hülle für das Foyer. Dieses wird von zwei sich kontrastierenden Materialien dominiert: dem brasilianischen Schiefer der Bodenplatten und dem durchscheinenden, hinterleuchteten Onyx der Decke. Der Schiefer verweist auf den steinernen Untergrund, in den der grösste Teil der neuen Ausstellungsflächen eingetieft ist. Der Onyx, als Vermittler zum Aussenraum, evoziert Bilder von Stellschirmen und Fensterfüllungen der traditionellen ostasiatischen Architektur. Die Schieferplatten sind von mit Vlies gedeckten Lüftungsrinnen durchzogen, deren Pendants an der Decke – Schlitze zwischen den Onyxplatten – die Luft absaugen. Die mit zweiflammigen Leuchten, rötlich und gelb, hinterleuchteten Onyxplatten unterspannen die Deckenfelder, die von den Unterzügen gebildet werden, welche die Decke des Erdgeschosses tragen und ein Lichtrasterfeld von 3.40 × 10.20 m – ein Verhältnis von 1 : 3 – bilden.
Die Eingangshalle beherbergt Kasse, Garderobe, Shop und Lift. Die Rückwand wird beherrscht von einem Relief des Künstlers Helmut Federle, das an jenes an der Schweizerischen Botschaft in Berlin erinnert. Der in roher Holzschalung geformte Beton wirkt aber archaischer als das Botschaftsrelief. Es kommt dem Charakter eines «Tors zur Unterwelt» (Architekten) näher – der Pavillon greift zwölf Meter tief in eine Endmoräne ein und unterhöhlt sie – und evoziert vor allem Bilder von asiatischen Grottentempeln.
Von der Eingangshalle führt der Weg über eine Treppe hinunter in die beiden je 1300 m² grossen Untergeschosse. Beide unterirdischen Räume sind über eine zweite Treppe mit der Villa Wesendonck verbunden. Die Architekten verstehen diese Erschliessungen als Möbelstücke. Ihrer aufwändigen Gestaltung und ihrer Dimensionierung wegen wirken sie aber schon eher wie mobile Kabäuschen. Es sind Architekturen für sich. Denn die Wände, ein Gitterwerk aus Eichenholz, die in die Treppen hineingestellt sind (tatsächlich sind sie aufgehängt), lassen, obwohl durchbrochen, keinen Zweifel an ihrer Stabilität.
Unterbaut
Die Decken der Untergeschosse werden, ebenso wie jene des Foyers, von Unterzügen getragen (Kassettendecke). Z-förmig gefaltete Polycarbonatplatten sind in die Felder (von 10.4 × 3.6 m) der Kassettendecke eingelegt. Ästhetisch verleiht die Z-Form ihnen einen papierenen Charakter, konstruktiv wirkt sie versteifend, was erlaubte, sie ohne Sprossen anzubringen. Der Boden in den Räumen ist analog zu dem auf dem Platz draussen in Eichenstirnholzverbund verlegt.
Nicht nur erschliessungstechnisch, sondern auch konstruktiv besteht eine Verbindung zwischen oberirdischen und unterirdischen Räumen, indem Decken und Wände einem geschossübergreifend wirksamen, komplementären Tragsystem «unterworfen» sind, das aus einer massiven Stahlbetonkonstruktion besteht. Im 1. UG ist ein zentraler Raum eingestellt, dessen Scheiben nicht nur das darüber liegende Geschoss, sondern auch die an ihnen aufgehängte Decke des 2. UG tragen. Dieses weist – komplementär zum 1. UG – zwei Raumgevierte aus tragenden Wänden auf, die gleichzeitig die Treppenhäuser bergen. Der zentrale Raum im 1. UG und die beiden Gevierte im 2. UG haben nur an vier Stellen gemeinsame Auflager. Die Komplementarität des Systems gewährleistet einerseits die Abtragung der Deckenlasten und gewährt andererseits grösstmögliche Freiheit in der Bespielung der grossen freien Flächen. Für deren Unterteilung haben die Architekten 40 cm starke und dennoch verstellbare Wände konzipiert.
Um nicht nur die Statik der Villa nicht zu «untergraben», sondern auch Schäden am Terrazzoboden des einstigen Wintergartens zu vermeiden, musste sie aufwändig abgefangen werden. Bei allem Respekt gegenüber dem Bestand – Villa und Ökonomiegebäude wurden renoviert – haben die Architekten in die Farbgebung eingegriffen und das Weiss der Wände, Fensterleibungen und Profile durch dunkle Töne ersetzt. Um ihnen etwas Körperhaftes zu verleihen, verwendeten sie lasierende Keimfarben, die in drei Schichten auf Weissputz aufgetragen werden, aber erst bei der letzten Schicht ihren definitiven Farbton erhalten. Das Licht wird nun nicht an der Oberfläche reflektiert, sondern dringt erst tief in die Schichten ein und wird erst auf der Grundierung bzw. auf dem Weissputz zurückgeworfen und «durchläuft» erneut drei Schichten, ehe es abstrahlt. Der Effekt ist frappierend. Die Wände gewinnen Plastizität, Körperhaftigkeit.
Architektonische Lyrik
Grazioli / Krischanitz haben einen Bau geschaffen, der den Bestand respektiert, ohne sich ihm anzubiedern. Sie nehmen Bezug ohne platte Reverenzen und Äusserlichkeiten. Sie würdigen die Architektur, ohne sie bloss zu zitieren, wenn sie etwa die Erschliessung als Übersetzung der räumlichen Enfilage der Villa interpretieren. Sie erweisen den kabinettartigen Räumen der Villa die Reverenz, wenn sie den Hallencharakter mit bordeaux, olivgrün, grau, aubergine und anthrazit bemalten Raumkompartimenten brechen. Und sie betreiben Archäologie, wenn sie den Textilkünstler Gilbert Bretterbauer im ehemaligen Wintergarten bewegliche Screens entwerfen lassen mit einer Bespannung, die Pflanzenmotive aufweist. Mit der Gestaltung des Glasbaus als smaragdenen Baldachin aber transponieren sie nicht nur die Geschichte des Hauses und ihrer Bewohner. Wenn Wagner Mathilde Wesendoncks Gedichte vertonte, so haben Grazioli / Krischanitz ihre Lyrik in Architektur verwandelt.
Dreierbeziehung zu Dreigestirn
Auf diesen Ensemblecharakter berufen sich die Architekten auch: Die Zweierbeziehung von Villa und Ökonomiegebäude wurde zu einer Dreierbeziehung, die das Ensemble ausgewogener erscheinen lässt. Alfred Grazioli und Adolf Krischanitz verstehen das Glashaus aber auch als jene vierte Fassade der Villa, die durch den Wintergarten verdeckt wird und daher gleichsam «herausgezogen» werden musste. Die Dreierbeziehung mag als Analogie zum Dreigestirn Wagner, Nietzsche und Semper gelesen werden: Wagner gastierte in der Villa Wesendonck, Nietzsche war Bibliothekar Wagners und las in dessen Bibliothek die Bücher Sempers.
Nun ist denn auch der Raum vor der Villa definiert, sodass man vom pergolagesäumten «Vestibül» ins Atrium zwischen Villa und Neubau gelangt, der oberirdisch äusserst bescheiden in Erscheinung tritt – zumindest was die Baumasse betrifft. Optisch dagegen hat der schmale Glasbau – konstruktiv ein statisches Gebilde (siehe Kasten «Glasbau»), funktional ein Portikus, ästhetisch ein Baldachin – magnetische Ausstrahlung. Und er ist nicht nur der Antipode zur Villa, sondern auch Reflexion der Geschichte des Hauses.
Gehüllt in eine mit abstrahierten Smaragdkristallen in einem Emailverfahren tätowierte Draperie aus Glas, ist er kaum noch (Bau-)Körper, eher Tüll, Vorhang, Schleier. Das passt zur Konzeption des Platzes, der sich zwischen der Villa mit deren bestehendem und dem neuen Baldachin aufspannt: Mit seinem feingliedrigen Parkett aus Akazienholz suggeriert er einen Innenraum, ein «Wohnzimmer unter freiem Himmel», wie ihn die Architekten beschreiben.
Der Glasbau ist Hülle für das Foyer. Dieses wird von zwei sich kontrastierenden Materialien dominiert: dem brasilianischen Schiefer der Bodenplatten und dem durchscheinenden, hinterleuchteten Onyx der Decke. Der Schiefer verweist auf den steinernen Untergrund, in den der grösste Teil der neuen Ausstellungsflächen eingetieft ist. Der Onyx, als Vermittler zum Aussenraum, evoziert Bilder von Stellschirmen und Fensterfüllungen der traditionellen ostasiatischen Architektur. Die Schieferplatten sind von mit Vlies gedeckten Lüftungsrinnen durchzogen, deren Pendants an der Decke – Schlitze zwischen den Onyxplatten – die Luft absaugen. Die mit zweiflammigen Leuchten, rötlich und gelb, hinterleuchteten Onyxplatten unterspannen die Deckenfelder, die von den Unterzügen gebildet werden, welche die Decke des Erdgeschosses tragen und ein Lichtrasterfeld von 3.40 × 10.20 m – ein Verhältnis von 1 : 3 – bilden.
Die Eingangshalle beherbergt Kasse, Garderobe, Shop und Lift. Die Rückwand wird beherrscht von einem Relief des Künstlers Helmut Federle, das an jenes an der Schweizerischen Botschaft in Berlin erinnert. Der in roher Holzschalung geformte Beton wirkt aber archaischer als das Botschaftsrelief. Es kommt dem Charakter eines «Tors zur Unterwelt» (Architekten) näher – der Pavillon greift zwölf Meter tief in eine Endmoräne ein und unterhöhlt sie – und evoziert vor allem Bilder von asiatischen Grottentempeln.
Von der Eingangshalle führt der Weg über eine Treppe hinunter in die beiden je 1300 m² grossen Untergeschosse. Beide unterirdischen Räume sind über eine zweite Treppe mit der Villa Wesendonck verbunden. Die Architekten verstehen diese Erschliessungen als Möbelstücke. Ihrer aufwändigen Gestaltung und ihrer Dimensionierung wegen wirken sie aber schon eher wie mobile Kabäuschen. Es sind Architekturen für sich. Denn die Wände, ein Gitterwerk aus Eichenholz, die in die Treppen hineingestellt sind (tatsächlich sind sie aufgehängt), lassen, obwohl durchbrochen, keinen Zweifel an ihrer Stabilität.
Unterbaut
Die Decken der Untergeschosse werden, ebenso wie jene des Foyers, von Unterzügen getragen (Kassettendecke). Z-förmig gefaltete Polycarbonatplatten sind in die Felder (von 10.4 × 3.6 m) der Kassettendecke eingelegt. Ästhetisch verleiht die Z-Form ihnen einen papierenen Charakter, konstruktiv wirkt sie versteifend, was erlaubte, sie ohne Sprossen anzubringen. Der Boden in den Räumen ist analog zu dem auf dem Platz draussen in Eichenstirnholzverbund verlegt.
Nicht nur erschliessungstechnisch, sondern auch konstruktiv besteht eine Verbindung zwischen oberirdischen und unterirdischen Räumen, indem Decken und Wände einem geschossübergreifend wirksamen, komplementären Tragsystem «unterworfen» sind, das aus einer massiven Stahlbetonkonstruktion besteht. Im 1. UG ist ein zentraler Raum eingestellt, dessen Scheiben nicht nur das darüber liegende Geschoss, sondern auch die an ihnen aufgehängte Decke des 2. UG tragen. Dieses weist – komplementär zum 1. UG – zwei Raumgevierte aus tragenden Wänden auf, die gleichzeitig die Treppenhäuser bergen. Der zentrale Raum im 1. UG und die beiden Gevierte im 2. UG haben nur an vier Stellen gemeinsame Auflager. Die Komplementarität des Systems gewährleistet einerseits die Abtragung der Deckenlasten und gewährt andererseits grösstmögliche Freiheit in der Bespielung der grossen freien Flächen. Für deren Unterteilung haben die Architekten 40 cm starke und dennoch verstellbare Wände konzipiert.
Um nicht nur die Statik der Villa nicht zu «untergraben», sondern auch Schäden am Terrazzoboden des einstigen Wintergartens zu vermeiden, musste sie aufwändig abgefangen werden. Bei allem Respekt gegenüber dem Bestand – Villa und Ökonomiegebäude wurden renoviert – haben die Architekten in die Farbgebung eingegriffen und das Weiss der Wände, Fensterleibungen und Profile durch dunkle Töne ersetzt. Um ihnen etwas Körperhaftes zu verleihen, verwendeten sie lasierende Keimfarben, die in drei Schichten auf Weissputz aufgetragen werden, aber erst bei der letzten Schicht ihren definitiven Farbton erhalten. Das Licht wird nun nicht an der Oberfläche reflektiert, sondern dringt erst tief in die Schichten ein und wird erst auf der Grundierung bzw. auf dem Weissputz zurückgeworfen und «durchläuft» erneut drei Schichten, ehe es abstrahlt. Der Effekt ist frappierend. Die Wände gewinnen Plastizität, Körperhaftigkeit.
Architektonische Lyrik
Grazioli / Krischanitz haben einen Bau geschaffen, der den Bestand respektiert, ohne sich ihm anzubiedern. Sie nehmen Bezug ohne platte Reverenzen und Äusserlichkeiten. Sie würdigen die Architektur, ohne sie bloss zu zitieren, wenn sie etwa die Erschliessung als Übersetzung der räumlichen Enfilage der Villa interpretieren. Sie erweisen den kabinettartigen Räumen der Villa die Reverenz, wenn sie den Hallencharakter mit bordeaux, olivgrün, grau, aubergine und anthrazit bemalten Raumkompartimenten brechen. Und sie betreiben Archäologie, wenn sie den Textilkünstler Gilbert Bretterbauer im ehemaligen Wintergarten bewegliche Screens entwerfen lassen mit einer Bespannung, die Pflanzenmotive aufweist. Mit der Gestaltung des Glasbaus als smaragdenen Baldachin aber transponieren sie nicht nur die Geschichte des Hauses und ihrer Bewohner. Wenn Wagner Mathilde Wesendoncks Gedichte vertonte, so haben Grazioli / Krischanitz ihre Lyrik in Architektur verwandelt.
Für den Beitrag verantwortlich: TEC21
Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Solt
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