Bauwerk

Überbauung der Leibnitzkolonnaden
Helga Timmermann, Hans Kollhoff - Berlin (D) - 2001

Deutsche Italianità

Vor nicht allzu langer Zeit wurde einem in Berlin noch eine dünne braune Brühe in einer ebenso dünnen weissen Tasse als Espresso verkauft. Doch seit Berlin Hauptstadt ist, ist vieles anders geworden, auch der Kaffee.

1. September 2002 - Roderick Hönig
Der Italiener um die Ecke (und es gibt davon unzählige) weiss um die Italophilie seiner anspruchsvoll gewordenen Kundschaft und zelebriert ihr zuliebe Italianità - meist italienischer als in Italien. In den Berliner Ristoranti wird einem heute hervorragender Caffè serviert, rabenschwarz und in dickwandigen Tassen.

Die Liebe der Deutschen zu Italien und seiner Kultur geht jedoch weit über Caffè, Linguine und Rosso di Montepulciano hinaus - zumindest unter den Architekten. Denn die Architektur der italienischen Renaissance ist, neben jener der klassischen Moderne, immer noch gültige Referenz für viele zeitgenössische Architekten. Idealtypische Städte mit ihren am Reissbrett entworfenen Grundrissen, ihren klar gegliederten Palazzi und wohlgeformten Piazze haben nicht nur den Dichterfürsten Goethe vom «Land der Formen» schwärmen lassen, sondern beispielsweise auch den grossen Berliner Baumeister Karl Friedrich Schinkel auf seiner ersten Italienreise derart fasziniert, dass er über 400 Zeichnungen mit nach Hause brachte.

Bei der Überbauung «Leibnitzkolonnaden» in Berlin hat nun die Sehnsucht nach dem mediterranen Leben den kühlen Geist des Nordens getroffen. Der international renommierte Berliner Architekt Hans Kollhoff hat mit seiner Partnerin Helga Timmermann und seinem Team unter einen Hut gebracht, was unvereinbar schien: die italienische Piazza und die Neuinterpretation des Berliner Gründerzeithauses. Auf dem fast 10 000 Quadratmeter grossen Grundstück in unmittelbarer Nähe des Kurfürstendamms konnten die Architekten einen 32 Meter breiten und 100 Meter langen Stadtplatz bauen, den Walter-Benjamin-Platz. Er wird von zwei imposanten U-förmigen Riegeln gefasst. In den sieben- und achtgeschossigen Bauten befinden sich, verteilt auf insgesamt acht Häuser, 108 Wohnungen, 22 Läden, eine Kindertagesstätte im Dachgeschoss sowie grosse Büroflächen in drei Häusern.

Selbstverständlich gab das architektonische Schwergewicht mit der monumentalen Palazzofassade in Berlin schon vor Baubeginn Anlass zu Diskussionen: Zum einen bangte die Auto- und Gewerbelobby um die zentralen Parkplätze, die sich bis anhin auf der Baubrache befanden, zum andern wollten die Initianten einer Bürgerinitiative nicht verstehen, dass statt einer introvertierten Wohnhofbegrünung, wie sie in Berlin allgemein üblich ist, nun ein monumentaler Stadtplatz mitten in Charlottenburg entstehen sollte, den erst noch kein Grün zierte. Zu guter Letzt stimmten die Architekturkritiker in den Kanon ein und bemängelten, was sie bei den Bauten von Kollhoff und Timmermann immer bemängeln: dass die Fassadengestaltung einem Stadtbild aus der Gründerzeit Leben einhauche - wo man sich doch im 21. Jahrhundert befinde!

Knapp ein Jahr nach Bezug sind 95 der nicht eben günstigen 108 Wohnungen vermietet oder verkauft, und die Aufregung um den Bau hat sich gelegt. Geblieben sind die strenge Raster-Natursteinfassade, die das Gebäude rundherum einhüllt, und das fehlende Grün. Nur zu einem leicht aus der Mittelachse geschobenen Baum und zu einem Wasserspiel auf der gegenüberliegenden Seite konnten sich die Architekten auf dem Walter-Benjamin-Platz durchringen.

Sonst ist alles aus Stein, wie es sich für eine italienische Piazza gehört. Die Fassade besteht aus einem grüngrauen Sandstein, der dem Bau Schwere und damit Wichtigkeit und Autorität verleiht. Die Pflasterung der Piazza mit grauen Granitplatten setzt sich unter den Kolonnaden fort, wird dort jedoch kleinteiliger, fast mosaikartig und damit wohnlicher. Hauptmerkmal der Überbauung sind die eher für Turin oder Bologna typischen Kolonnadengänge. Sie erweitern den Aussenraum ins Haus hinein und umgekehrt. Sie funktionieren für die Bewohner als Portale zu diesem riesigen steinernen Salon.

Die beiden Riegel sind nach klassischer Manier in einen hohen Sockel, einen dominanten Mittelteil und eine kurze Balustrade als Dachabschluss unterteilt. Wie auch bei anderen Bauten von Kollhoff und Timmermann zerlegt die ausgeklügelte Fassadengestaltung die Grossform in einzelne Hauseinheiten, ohne dass das gemeinsame Fassadenthema verloren geht.

Die Architekten beherrschen die Kunst, den Eindruck eines steinernen Hauses zu erwecken und trotzdem den heutigen Ansprüchen an Grösse und Anzahl der Öffnungen gerecht zu werden. Es geht ihnen darum, dass die Wand und damit die kubische Geschlossenheit bei dieser Menge Fenster nicht verloren geht. Der Trick liegt in der Tiefenstaffelung der Fassade: Die zurückversetzten Gesimse rund um jede Öffnung lassen das Haus schwerer und mächtiger erscheinen, als es in Wirklichkeit ist. In den Leibnitzkolonnaden herrscht ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Öffnung und Stein, was dem Bau eine elegante Note verleiht.

Die Eleganz dieses öffentlichen Salons mit seinem Steinteppich setzt sich im Foyer der Wohnhäuser fort: Schwere Bronze-Eiche-Türen öffnen sich auf einen langgezogenen hohen Raum, der zur einen Seite den Blick auf den begrünten Hinterhof freigibt. Seine Wände sind mit Holz verkleidet, der Boden ist mit in Flechtmuster ausgelegtem Naturstein belegt - das Entrée eines Stadtpalais. Diese Grandezza steigert die Erwartungen, doch die werden nicht erfüllt: Die Räume der Standardwohnungen sind nur gerade zweieinhalb Meter hoch, die Wohnungen zwischen 54 und 169 Quadratmeter gross. Sie haben oft eine sehr grosse Raumtiefe, worunter die natürliche Belichtung leidet und oft auch die Psyche der Bewohner. Sie erinnern eher an die Neben- als an die Haupträume eines Stadtpalais. Prächtig ist einzig der Blick auf den Platz mit seinen mächtigen Fassaden. Den für Berliner Verhältnisse hohen Preis der Eigentumswohnungen rechtfertigt hauptsächlich die zentrale Lage. Zu haben sind derzeit noch Wohnungen zwischen 167 000 Euro (54 Quadratmeter) und 640 000 Euro (182 Quadratmeter).

Die Leibnitzkolonnaden sind in erster Linie ein städtebaulicher Wurf: Kollhoff und Timmermann haben mit viel Hartnäckigkeit gegen den begrünten Schmückplatz und für den «leeren» Stadtplatz gekämpft. Sie haben deshalb dieses heterogene Bauprogramm nicht, wie das derzeit sehr viele Architekten in Berlin tun, wie in einem Shoppingcenter rund um eine introvertierte Mall gebaut, sondern Tiefgarage, Restaurants, Wohnungen, Appartements, Büros und Kindergarten dem öffentlichen Raum untergeordnet. So kommt beim Caffè auf der Piazza ein bisschen Ferienstimmung auf - und das gleich hinter dem Kurfürstendamm.

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