Bauwerk

Münchener Rück - Sanierung des Bürogebäudes
Baumschlager Eberle Architekten - München (D) - 2002
Münchener Rück - Sanierung des Bürogebäudes, Foto: Eduard Hueber
Münchener Rück - Sanierung des Bürogebäudes, Foto: Eduard Hueber

Betonkoffer im Hotel de de villes

Stadtreparatur und Optimierung der Büroflächen: unter diesen Vorzeichen stand die Sanierung einer „Bausünde“ der „Münchener Rück“ in Schwabing. Das von Baumschlager & Eberle runderneuerte Gebäude ist in ökologischer wie in arbeitsorganisatorischer Hinsicht auf der Höhe der Zeit.

26. Juli 2002 - Liesbeth Waechter-Böhm
Das Stammhaus der Münchener Rück - einer Versicherung der Versicherungen - war immer schon gediegen und repräsentativ: Es datiert von 1913 und hat den Charakter eines „Hôtel de ville“ mit Ehrenhof und schönem, altem Garten. Gelegen ist es in Schwabing, zwischen Leopoldstraße und Englischem Garten, in einem Viertel, dessen Charakter durch die sogenannte Staffelbauweise bestimmt ist: einzelne, große, gründerzeitliche Bürgerhäuser mit begrünten Höfen und Hofeinfahrten, die die Impression von Durchlässigkeit vermitteln.

Das klingt gut. Aber was sich an der einen Seitenfassade des Stammhauses, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, architektonisch abgespielt hat, das war schon weniger gut. Denn hier hatte die Münchener Rück Ende der sechziger Jahre - in zwei Bauetappen, zwischen 1969 und 1973 - ein Bürohaus errichtet, das ursprünglich für Drittnutzung gedacht war, aber schon bald von der eigenen Expansion „rück“-geholt wurde. Das Haus war städte-baulich ein schwerer Sündenfall, denn es besetzte in einem einzigen, ungegliederten Block die Parzellen von gleich zwei alten Bürgerhäusern. Das war maßstabsprengend für das Quartier. Abgesehen davon, daß ja bekanntlich viele solcher Sechziger-Jahre-Bauten - Stahlbeton-Skelett, Waschbeton-Fassade - inzwischen auch aus anderen Gründen nicht mehr verträglich sind: Das Geld wird zum Fenster hinaus-geheizt, oft gibt es ein Asbest-Problem, und atmosphärisch stellt man sich heutige Arbeitswelten sowieso anders vor.

Die Münchener Rück ging an die Aufgabe der Sanierung dieser maroden Substanz mittels Wettbewerb (zehn geladene Teilnehmer) heran. Und den hat im Jahr 1998 das Vorarlberger Team Carlo Baumschlager & Dietmar Eberle gewonnen. Die Zielsetzung war klar definiert: Es ging um die Sanierung des Hauses unter Ausnutzung der Möglichkeiten im Bestand, aber vor allem auch unter dem Vorzeichen der Stadtreparatur, und es ging um eine Optimierung von Büroflächen.

Die Königsidee von B & E bestand darin, dem dreiachsigen Baukörper - dunkle Mittelzone, rundum laufende Büros - hinten eine vierte Achse anzubauen. Dadurch mußten zwar zwei kleinere bestehende Objekte auf dem Areal (aus Abstandsgründen) geschleift werden - ein neues, nur zweigeschoßiges Nebengebäude, das sogenannte Dienstleistungszentrum mit hauseigener Druckerei und Poststelle, fügt sich dort nun in einen Gartenhof ein -, dafür schuf diese Maßnahme die Möglichkeit einer echten Rundumreparatur. Drinnen und draußen. Denn vorne, straßenseitig, nimmt nun ein tiefer Einschnitt in die Gebäudekonfiguration das Motiv der gliedernden Hof-einfahrten im Quartier auf: Hier liegt der Haupteingang. Der gartenseitige Nebeneingang ist ebenfalls in einem Gebäudeeinschnitt situiert.

Das Haus ist ganz streng, kantig, horizontal gegliedert und strahlt gläsern-grün. Man müßte schon ein Vogel sein, um zu überblicken, daß aus dem 80 Meter langen Betonkoffer von einst eine S-förmige Konfiguration geworden ist. Es genügt aber auch, als schlichter Passant hier entlangzubummeln. Was die Maßnahmen für das Quartier gebracht haben, teilt sich unmittelbar mit.

Aber vor allem haben sie für das Innenleben dieses Hauses der Münchener Rück etwas gebracht. Denn durch den Büroflächengewinn der vierten Achse konnten die Architekten das Gebäude innen aufschneiden. Der Effekt ist ziemlich eindrucksvoll: Man betritt das Haus über den gläsernen Windfang und findet sich in einer 55 Meter langen, sieben Meter breiten und sechs Meter hohen Halle wieder, die rundum mit massivem kanadischem Ahorn im Stäbchenformat verkleidet ist. Die Überraschung gelingt perfekt: Urplötzlich steht man in einem - durch drei asymmetrisch ins Hallendach eingeschnittene Oberlichten - auch natürlich belichteten Raum, der aber atmosphärisch ganz deutlich eine eher introvertierte Charakteristik hat. Diese Halle ist übrigens nicht nur Verteiler. Sie funktioniert auch als Aufenthaltsraum für die Mitarbeiter (es gibt ein Automatenbüffet) und durch temporär mögliche Bühnenaufbauten als kleinerer Veranstaltungsort (für 80 bis 100 Personen).

Wenn man in dieser Halle steht, muß man sich dann entscheiden: links oder rechts. Da liegen die beiden Kerne des Hauses mit den Liften. Jedenfalls sind beide jetzt so situiert, daß man auf jedem Geschoß einen Außenbezug hat, schon wenn man den Lift verläßt.

Die Herausforderung für B & E bestand in der Transformation der Bürowelt. Was macht man mit kleinen, kleinsten Bürozellen, wenn die vorhandene Struktur einen bestimmten Raster vorgibt? Und in diesem Fall war das Rastermaß extrem eng: nicht mehr als 62,5 Zentimeter. Das heißt, ein einachsiges Büro ist nur 1,875 Meter breit. Und eine Gebäudeachse besteht aus drei solchen Büroachsen. An diesen Zwängen der Primärstruktur der Substanz (die Kerne des Hauses wurden allerdings verschoben) war nicht zu rütteln. Da hätte man besser ganz neu gebaut.

Das war wirklich eine Herausforderung. Denn im Haus ist zwar optimale Flexibilität angesagt (Bürowelten können sich praktisch über Nacht ändern), vorläufig setzt man bei der Münchener Rück aber noch auf das Einzelbüro. Also ging es um eine Addition von mehrheitlich einachsigen, manchmal zweiachsigen und nur ausnahmsweise größeren Bürozellen. B & E haben eine diffizile Raumgliederung entwickelt, die sich durch das gesamte Haus zieht: In jedem Büro, egal wie groß es ist, gibt es einen niedrigeren Eingangsbereich - an der Decke: ein ahornverkleidetes Element, das die Technik aufnimmt - mit Garderobe und Schrank, dann einen höheren Arbeitsbereich und schließlich eine Fassadenzone mit
natursteinverkleideter Brüstung - die Höhe war durch die Unterzüge der bestehenden Primärkonstruktion vorgegeben - in der thermischen Haut der zweischaligen Fassade.

Atmosphärisch wichtig für das gesamte Haus: B & E haben durch die Einführung einer zweigeschoßigen Eingangs- und Verteilerhalle auch einen Innenhof schaffen können, der das Bild dieser Bürowelt vollkommen wandelt. Es gibt keinen dunklen Winkel mehr. Auch die Erschließungskorridore sind hell und freundlich. Obendrein ist der Blick auf die Hallendach-Gestaltung des Zürcher Landschaftsplaners Günther Vogt - mit künstlich bemoosten Tuffsteinen - auf jeden Fall einen Blick wert.

Es ist vielleicht nebensächlich, aber es erweist sich darin wieder einmal die spezifische Pragmatik und darauf gründende Qualität von B & E: In diesem Bürohaus ist eigentlich nichts mehr beliebig. Es wurde genau durchgecheckt, wie flexibel die Struktur wirklich ist. Man weiß, wo Türen sitzen und wie schnell die transluzenten Elemente der Glaswände zum Korridor und die Bürotrennwände auf- und abgebaut werden können. Das Innenleben des Hauses ist für jede künftige Entwicklung optimal programmiert.

Ebenso verhält es sich mit den klimatischen Verhältnissen im Haus. Ziel war ein Niedrigenergiekonzept mit Quell-Lüftung, Wärmerückgewinnung und Fußbodenkühlung. Wobei es aber nach wie vor jedem Mitarbeiter überlassen bleibt, individuell zu entscheiden: Er kann, wo es sie gibt, die automatischen Rollscreens auch hochfahren, und er kann sein Fenster aufmachen.

Es gehört zum ökologischen Konzept des Gebäudes, daß B & E eine zweischalige Fassadenlösung gewählt haben. Die ungemein elegante, wie gesagt gläsern-grün schimmernde Außenhaut funktioniert zwar auch sehr wirksam als „öffentliche Visitenkarte“, als spannender optischer Beitrag zum Quartier (und als Spiegel für das alte Stammhaus gegenüber). Aber der „leichte Mantel“ (Dietmar Eberle), in den das gesamte Haus nun gehüllt ist, kann natürlich noch mehr. Er besteht aus geschoßhohen Gläsern, die in einem Abstand von 60 Zentimetern leicht schräg vor die thermische Haut mit den Fenstern gesetzt sind, und reduziert die äußeren thermischen Lasten. B & E haben schon bei ihrer Öko-Hauptschule in Mäder, Vorarlberg, eine solche Fassade realisiert, ebenso beim neuen Bürohaus auf dem Flughafenareal in Wien-Schwechat. In München hat man es aber besonders genau genommen: Dort wurde mit einer temporären Baugenehmigung sogar ein Musterhaus errichtet, in dem in der Realisierungsphase das Baubüro war und wo alle Details der Fassade, aber auch verschiedene Maßnahmen des Büro-Innenausbaus eins zu eins umgesetzt und überprüft wurden.

Der Aufwand, mit dem hier Stadt-reparatur betrieben wurde, ist sicher groß. Scheinbar wurde nichts außer acht gelassen. Günther Vogt hat das Haus in eine ausgesprochen subtile, dabei städtische, formalisierte Grünplanung mit nordamerikanischem Ahorn und schmalen, strengen Wasserbecken eingebettet. Seine bemoosten Tuffsteine auf dem Hallendach kehren übrigens als künstlerische Maßnahme (Olafur Eliasson) auch außen, über den Eingängen, wieder. Und ganz oben, auf den begehbaren Dachterrassen rund um die beiden amöbenartigen, gekurvten, fast organisch formulierten Dachaufbauten (Besprechungsräume, Vorstandsbüros), hat Vogt für eine besonders sparsame, aber umso reizvollere Bepflanzung gesorgt.

Natürlich ist all das eine Sicherheitswelt: Betreten kann sie nur, wer eine Kennkarte hat. Als Besucher kommt man nicht direkt hinein. Da wird man beim Haupteingang des Stammhauses in Empfang genommen und über das unterirdische Passagensystem, das alle Objekte der Münchener Rück im Quartier miteinander verbindet, ins neue Haus hinübergeleitet. Der Weg lohnt sich allerdings: Die Passage hinüber zum B-&-E-Objekt wird durch eine wunderbare Lichtarbeit von Keith Sonnier „erleuchtet“.

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