Bauwerk
Mercedes-Benz-Museum
UNStudio - Stuttgart (D) - 2006
Rettender Wirbelsturm
Die Ausstellungsbereiche im Mercedes-Benz Museum in Stuttgart von UN Studio sind durch ein Atrium und Rampen offen miteinander verbunden. Für diese Architektur entwickelten die Ingenieure von Imtech ein aussergewöhnliches Entrauchungskonzept: Ein Tornado aus 28 Tonnen Luft entraucht die Ausstellungsebenen, zieht den Brandrauch durch das Atrium nach oben und führt den Luftstrom über einen Ventilator ins Freie ab.
15. Oktober 2010 - Rüdiger Detzer
Brände in Gebäuden stellen neben der zerstörerischen Wirkung für Sachmittel eine grosse Gefahr für Personen dar, die sich in dem Gebäude aufhalten. Aus der Statistik ist bekannt, dass 95 % der Brandtode nicht durch unmittelbare Brandeinwirkung, sondern durch Brandrauch verursacht sind, der neben hohen Russanteilen auch toxische gasförmige Bestandteile wie Kohlenstoffmonoxid und Blausäure enthält. Derartige Bestandteile können auch bei frühzeitiger Rettung zu Langzeiterkrankungen führen. Es ist deshalb wichtig, Rettungswege von Brandrauch weitgehend freizuhalten; dies gilt sowohl über den Zeitraum einer möglichen Selbstrettung als auch darüber hinaus für eine mögliche Fremdrettung durch die Feuerwehr.
Bekannte Entrauchungsprinzipien
Die Ausbreitung von Brandrauch im Gebäude unterliegt den strömungstechnischen Gesetzmässigkeiten der Raumluftströmung: Die beim Brand freigesetzte Wärmeenergie bildet den Auftriebsmechanismus für Thermikstrahlen, die massgeblich die Rauchausbreitung verursachen. Die Aufgabe des Strömungstechnikers ist es, diese Mechanismen zu nutzen und den Brandrauch aus dem Gebäude so zu entfernen, dass kontaminationsfreie Zonen geschaffen werden.
Die Entrauchung durch Nachführen unkontaminierter Zuluft und durch Schichtenströmung sind zwei bekannte Entrauchungsprinzipien. Durch die Vermischung von Brandrauch mit unkontaminierter Zuluft reduziert sich nach dem Prinzip des Verdünnens die Schadstoffkonzentration. Um hierbei tolerierbare Grenzwerte zu erreichen, sind extrem grosse Ströme unkontaminierter Luft erforderlich, die häufig nicht bereitgestellt werden können.
Die Entrauchung durch Schichtenströmung basiert auf der Tatsache, dass der durch Konvektion nach oben abströmende Brandrauch dazu tendiert, sich aufgrund seiner geringeren Dichte im oberen Raumbereich einzuschichten. Um Rückströmungen nach unten in die Aufenthaltszone des Menschen zu verhindern, muss der Brandrauch oben abgesaugt und unkontaminierte Zuluft in der Aufenthaltszone nachgeführt werden. Aufgrund der Induktionswirkung der Thermikstrahlen wird Umgebungsluft in den Brandrauchstrahl aufgenommen, sodass das Volumen dieses Strahles mit wachsender Lauflänge zunimmt. Diese Volumenzunahme ist deutlich überproportional mit der Lauflänge, sodass die Rauchfreihaltung im Aufenthaltsbereich nur dann erfolgreich sein kann, wenn der im Thermikstrahl bewegte Luftstrom bis zu einer Höhe von etwa 2.50 m durch Absaugung und Nachführen von Zuluft bereitgestellt werden kann (Abb. 7).
Problematische Geschossdurchdringungen
Um die im Raum zu bewegenden Luftströme zu begrenzen, werden häufig weitgehend abgeschottete Rauchabschnitte gebildet oder der Versuch unternommen, die Induktionswirkung der Thermikstrahlen durch Direkterfassung im Nahfeld des Brandszenarios auszuschalten. Im Gebäudeinneren angeordnete hohe Atrien mit Galeriebereichen oder auch geschossdurchdringende Öffnungen stellen für den Strömungstechniker besondere Anfor derungen dar, wenn die oberhalb des Brandgeschehens liegenden Raumbereiche raucharm verbleiben sollen. Eine derartige Aufgabe ergab sich im Mercedes-Benz Museum in Stuttgart (vgl. TEC21 21/2006). In der offenen Architektur müssen die wertvollen Gegenstände, die in verschiedenen Ausstellungsebenen angeordnet sind, ebenso vor Brandrauch geschützt werden wie die Personen, die sich in den Räumlichkeiten aufhalten (Abb. 3).
Die Ausstellungsebenen münden offen in ein im Zentrum des Gebäudes angeordnetes Atrium (Abb. 1), das neben der Gebäudeerschliessung auch zur Ableitung von Brandrauch im Falle eines Gebäudebrandes oder eines Brandgeschehens an einem der zahlreichen Ausstellungsstücke dienen sollte. Zur Überprüfung der Situation im Falle eines Brandes und zur Bewertung der Brandrauchströmung wurde eine Untersuchung an einem verkleinerten Gebäudemodell im Massstab 1:18 durchgeführt (Abb. 5). Es zeigte sich, dass thermische Ausgleichströmungen zwischen den klimatisierten Ausstellungsebenen und dem Atrium, genutzt zur Rauchabführung, ein vollständiges Verrauchen des Gebäudes hervorrufen. Begünstigt wird dies auch durch Strömungsvorgänge an den zum Atrium offenen Ausstellungsebenen. Da es weder gewünscht noch möglich war, das Gebäude in verschiedene Rauchabschnitte aufzuteilen oder Rauchschürzen anzubringen, musste ein neues Konzept gefunden werden, das den Anforderungen der Brandbehörde gerecht wurde und die Wünsche des Bauherrn erfüllen konnte: Rettungswege mussten rauchfrei gehalten und Kontamination von Ausstellungsgegenständen mit Brandrauch verhindert werden
Analogie zur Tornadoströmung
Das Entrauchungskonzept besteht darin, im Atrium einen Unterdruck aufzubauen, der verhindert, dass Brandrauch nach aussen in die Ausstellungsbereiche abströmt. Die Ingenieure entwickelten dafür eine Technik, die im Brandfall im Atrium eine Strömungsform aufbaut, die in der Natur von Tornadoströmungen bekannt ist. Sie entsteht, indem etwa 250 000 m³/h Luft aus dem Atrium abgesaugt werden und Zuluft aus den einzelnen Ausstellungsebenen gleichmässig am Rand des Atriums nachgeführt wird; dabei werden ausschliesslich die zur Belüftung der Ebenen vorgesehenen raumlufttechnischen Anlagen verwendet. In die Gebäudekerne integrierte Treibstrahldüsen, die tangential in das Atrium einblasen und nach Detektion eines Brandszenarios in Betrieb genommen werden, versetzen das Luftvolumen von etwa 28 t in eine kreisförmige Bewegung (Abb.4). Ist das Strömungsfeld geschlossen, bildet sich automatisch die gewünschte Strömungsform aus (Abb. 8). Die Stromlinien verlaufen auf logarithmischen Spiralen zu einem Kernbereich, wobei die Umfangsgeschwindigkeit kontinuierlich anwächst bis zu einem Maximum um den Kern herum.
Entsprechend dieser hohen Umfangsgeschwindigkeit entsteht ein hoher dynamischer Druck, der sich im Kern in einen statischen Unterdruck mit einem Effektivwert von mehreren Tausend Pascal umwandelt. Durch diesen Unterdruck strömt kein Brandrauch in die Ausstellungsbereiche ab. Das Druckgefälle bleibt längs der Drehachse konstant und hält die erforderliche Druckdifferenz über die gesamte Atriumshöhe von 35 m aufrecht. Der aus einer Ausstellungsebene in das Atrium eintretende Brandrauch wird in die Rotationsströmung eingemischt und ins Auge des Tornados transportiert. Im Wirbelkern zieht der Rauch zur Absaugestelle in der achten Ebene und wird dort von einem Brandrauchventilator nach aussen befördert.
Einbauten im Bodenbereich des Atriums wie Bestuhlungen und Fahrzeuge beeinflussten die Stabilität der Tornadoströmung. Sie wurden strömungstechnisch optimiert. Grundsätzlich aber konnte das gewünschte Schutzziel mit dem im Labor entwickelten Entrauchungskonzept erreicht werden – auch die Umsetzung in das Gebäude entsprach den Erwartungen, wie man mit vor Ort durchgeführten Rauchversuchen feststellte. Modelluntersuchungen im Labor lassen sich somit auch in diesem Fall auf Realbedingungen übertragen, sofern die geometrischen und physikalischen Ähnlichkeitsgesetze eingehalten werden.
[ Rüdiger Detzer, Prof. Dr.-Ing., Imtech GmbH, Hamburg ]
Bekannte Entrauchungsprinzipien
Die Ausbreitung von Brandrauch im Gebäude unterliegt den strömungstechnischen Gesetzmässigkeiten der Raumluftströmung: Die beim Brand freigesetzte Wärmeenergie bildet den Auftriebsmechanismus für Thermikstrahlen, die massgeblich die Rauchausbreitung verursachen. Die Aufgabe des Strömungstechnikers ist es, diese Mechanismen zu nutzen und den Brandrauch aus dem Gebäude so zu entfernen, dass kontaminationsfreie Zonen geschaffen werden.
Die Entrauchung durch Nachführen unkontaminierter Zuluft und durch Schichtenströmung sind zwei bekannte Entrauchungsprinzipien. Durch die Vermischung von Brandrauch mit unkontaminierter Zuluft reduziert sich nach dem Prinzip des Verdünnens die Schadstoffkonzentration. Um hierbei tolerierbare Grenzwerte zu erreichen, sind extrem grosse Ströme unkontaminierter Luft erforderlich, die häufig nicht bereitgestellt werden können.
Die Entrauchung durch Schichtenströmung basiert auf der Tatsache, dass der durch Konvektion nach oben abströmende Brandrauch dazu tendiert, sich aufgrund seiner geringeren Dichte im oberen Raumbereich einzuschichten. Um Rückströmungen nach unten in die Aufenthaltszone des Menschen zu verhindern, muss der Brandrauch oben abgesaugt und unkontaminierte Zuluft in der Aufenthaltszone nachgeführt werden. Aufgrund der Induktionswirkung der Thermikstrahlen wird Umgebungsluft in den Brandrauchstrahl aufgenommen, sodass das Volumen dieses Strahles mit wachsender Lauflänge zunimmt. Diese Volumenzunahme ist deutlich überproportional mit der Lauflänge, sodass die Rauchfreihaltung im Aufenthaltsbereich nur dann erfolgreich sein kann, wenn der im Thermikstrahl bewegte Luftstrom bis zu einer Höhe von etwa 2.50 m durch Absaugung und Nachführen von Zuluft bereitgestellt werden kann (Abb. 7).
Problematische Geschossdurchdringungen
Um die im Raum zu bewegenden Luftströme zu begrenzen, werden häufig weitgehend abgeschottete Rauchabschnitte gebildet oder der Versuch unternommen, die Induktionswirkung der Thermikstrahlen durch Direkterfassung im Nahfeld des Brandszenarios auszuschalten. Im Gebäudeinneren angeordnete hohe Atrien mit Galeriebereichen oder auch geschossdurchdringende Öffnungen stellen für den Strömungstechniker besondere Anfor derungen dar, wenn die oberhalb des Brandgeschehens liegenden Raumbereiche raucharm verbleiben sollen. Eine derartige Aufgabe ergab sich im Mercedes-Benz Museum in Stuttgart (vgl. TEC21 21/2006). In der offenen Architektur müssen die wertvollen Gegenstände, die in verschiedenen Ausstellungsebenen angeordnet sind, ebenso vor Brandrauch geschützt werden wie die Personen, die sich in den Räumlichkeiten aufhalten (Abb. 3).
Die Ausstellungsebenen münden offen in ein im Zentrum des Gebäudes angeordnetes Atrium (Abb. 1), das neben der Gebäudeerschliessung auch zur Ableitung von Brandrauch im Falle eines Gebäudebrandes oder eines Brandgeschehens an einem der zahlreichen Ausstellungsstücke dienen sollte. Zur Überprüfung der Situation im Falle eines Brandes und zur Bewertung der Brandrauchströmung wurde eine Untersuchung an einem verkleinerten Gebäudemodell im Massstab 1:18 durchgeführt (Abb. 5). Es zeigte sich, dass thermische Ausgleichströmungen zwischen den klimatisierten Ausstellungsebenen und dem Atrium, genutzt zur Rauchabführung, ein vollständiges Verrauchen des Gebäudes hervorrufen. Begünstigt wird dies auch durch Strömungsvorgänge an den zum Atrium offenen Ausstellungsebenen. Da es weder gewünscht noch möglich war, das Gebäude in verschiedene Rauchabschnitte aufzuteilen oder Rauchschürzen anzubringen, musste ein neues Konzept gefunden werden, das den Anforderungen der Brandbehörde gerecht wurde und die Wünsche des Bauherrn erfüllen konnte: Rettungswege mussten rauchfrei gehalten und Kontamination von Ausstellungsgegenständen mit Brandrauch verhindert werden
Analogie zur Tornadoströmung
Das Entrauchungskonzept besteht darin, im Atrium einen Unterdruck aufzubauen, der verhindert, dass Brandrauch nach aussen in die Ausstellungsbereiche abströmt. Die Ingenieure entwickelten dafür eine Technik, die im Brandfall im Atrium eine Strömungsform aufbaut, die in der Natur von Tornadoströmungen bekannt ist. Sie entsteht, indem etwa 250 000 m³/h Luft aus dem Atrium abgesaugt werden und Zuluft aus den einzelnen Ausstellungsebenen gleichmässig am Rand des Atriums nachgeführt wird; dabei werden ausschliesslich die zur Belüftung der Ebenen vorgesehenen raumlufttechnischen Anlagen verwendet. In die Gebäudekerne integrierte Treibstrahldüsen, die tangential in das Atrium einblasen und nach Detektion eines Brandszenarios in Betrieb genommen werden, versetzen das Luftvolumen von etwa 28 t in eine kreisförmige Bewegung (Abb.4). Ist das Strömungsfeld geschlossen, bildet sich automatisch die gewünschte Strömungsform aus (Abb. 8). Die Stromlinien verlaufen auf logarithmischen Spiralen zu einem Kernbereich, wobei die Umfangsgeschwindigkeit kontinuierlich anwächst bis zu einem Maximum um den Kern herum.
Entsprechend dieser hohen Umfangsgeschwindigkeit entsteht ein hoher dynamischer Druck, der sich im Kern in einen statischen Unterdruck mit einem Effektivwert von mehreren Tausend Pascal umwandelt. Durch diesen Unterdruck strömt kein Brandrauch in die Ausstellungsbereiche ab. Das Druckgefälle bleibt längs der Drehachse konstant und hält die erforderliche Druckdifferenz über die gesamte Atriumshöhe von 35 m aufrecht. Der aus einer Ausstellungsebene in das Atrium eintretende Brandrauch wird in die Rotationsströmung eingemischt und ins Auge des Tornados transportiert. Im Wirbelkern zieht der Rauch zur Absaugestelle in der achten Ebene und wird dort von einem Brandrauchventilator nach aussen befördert.
Einbauten im Bodenbereich des Atriums wie Bestuhlungen und Fahrzeuge beeinflussten die Stabilität der Tornadoströmung. Sie wurden strömungstechnisch optimiert. Grundsätzlich aber konnte das gewünschte Schutzziel mit dem im Labor entwickelten Entrauchungskonzept erreicht werden – auch die Umsetzung in das Gebäude entsprach den Erwartungen, wie man mit vor Ort durchgeführten Rauchversuchen feststellte. Modelluntersuchungen im Labor lassen sich somit auch in diesem Fall auf Realbedingungen übertragen, sofern die geometrischen und physikalischen Ähnlichkeitsgesetze eingehalten werden.
[ Rüdiger Detzer, Prof. Dr.-Ing., Imtech GmbH, Hamburg ]
Für den Beitrag verantwortlich: TEC21
Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Solt
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