Bauwerk
Bijvoet Centre for NMR-facilities
UNStudio - Utrecht (NL) - 2000
Künstliche Gebäudelandschaft
Ein Laborgebäude von Ben van Berkel in Utrecht
3. Mai 2002 - Hubertus Adam
Laborgebäude zählen nicht eben zu den Bauaufgaben, die prädestiniert sind für eine ambitionierte Gestaltung. Sicherheitsanforderungen haben Priorität, der Raumbedarf verändert sich entsprechend den jeweils praktizierten experimentellen Verfahren - gegenüber der Laborausstattung gilt Architektur schlicht als quantité négligeable. Die Gebäude sehen denn auch bald wie stereotype Bürobauten, bald wie fensterlose Kisten aus. Dass es auch anders geht, beweist ein Laborgebäude, das Ben van Berkel mit seinem Amsterdamer Büro UN Studio in Utrecht realisiert hat. Hier, auf dem am Ostrand der Stadt gelegenen Universitätscampus «De Uithof», ist der seltene Fall eingetreten, dass ein Forscherteam gemeinsam mit dem Architekten an die Planung ging. Zunächst analysierten die Wissenschafter ihren Raumbedarf, dann liessen sie sich von Architekten Konzepte entwickeln, schliesslich fiel die Wahl auf UN Studio. Die enge Kooperation zwischen Nutzern und Architekt hat sich ausgezahlt: Selten hört man die Nutzer eines Gebäudes so begeistert über ihr neues Domizil sprechen.
Fliessender Beton
Das Utrechter Universitätsgelände ist ein typisches Produkt der sechziger Jahre. Zwei Hochhäuser - eines in Kreuzform, das andere als Scheibe - bilden die vertikalen Dominanten einer Ansammlung von Institutsbauten, die allein durch den Strassenraster etwas zusammengehalten werden. Die einstige Vision einer Campusuniversität nach amerikanischem Modell verlor im Lauf der Realisierung ihre Strahlkraft, so dass Rem Koolhaas mit seinem Office for Metropolitan Architecture (OMA) 1986 den Auftrag erhielt, Konzepte für eine Nachverdichtung und Neustrukturierung des immer noch von Freiflächen durchzogenen Areals zu entwickeln. Der Masterplan bot seitdem die Grundlage für eine Reihe von Neubauprojekten, die den «Uithof» wie ein Freilichtmuseum der zeitgenössischen niederländischen Architektur erscheinen lassen. Die Sequenz der Neubauten begann 1995 mit der um drei Innenhöfe gruppierten Hochschule für Wirtschaft und Management, einem Projekt der Delfter Architektengruppe Mecanoo. Es folgte das «Educatorium» als allen Fakultäten offen stehendes Auditoriums- und Mensagebäude, bei dem OMA die einzelnen Funktionsbereiche in ein Kontinuum von Verkehrsflächen integrierte (NZZ 6. 2. 98), dann das «Minnaertgebouw» von Neutelings Riedijk. Ein weiteres spektakuläres Projekt befindet sich im Bau: die Bibliothek von Wiel Arets.
Verglichen mit diesen Bauvorhaben nimmt sich das neue Labor von van Berkel vom Volumen her bescheiden aus. Gleichwohl besetzt es einen exponierten Standort innerhalb des Areals. Im Westen erhebt sich das kreuzförmige Hochhaus, im Osten jenseits eines schmalen, von Bäumen gesäumten Kanals das «Educatorium»; im Norden stösst der Neubau an eine das Universitätsgelände durchmessende Strasse, im Süden an ein architektonisch belangloses Fakultätsgebäude. Der Hauptzugang erfolgt von dieser Seite über eine gläserne Brücke. Geschwungene Betonbänder, mit Glasflächen alternierend, bestimmen das Laborgebäude aussen und innen. Fast wirkt es, als sei das Volumen mit Beton eingewickelt worden. Doch der Baustoff tritt hier nicht wuchtig auf, er ist zur dünnen Membran geworden, welche die Raumstruktur lediglich umhüllt.
Immer wieder bilden biologische und mathematische, speziell topologische Strukturen und Modelle den Ausgangspunkt für die Arbeit des Niederländers. Mit der rationalistischen Doktrin einer Spät-, Neo- oder Zweitmoderne haben seine Bauten und Projekte nichts gemein, doch ebenso wenig folgen sie einer dekonstruktivistischen Idee des scheinbar zufälligen Arrangierens von Disparatem. Im Gegenteil: Der Amsterdamer Architekt zeigt sich interessiert daran, Vielheit auf einer höheren Ebene in Einheit überzuführen - etwa bei dem «Möbius-Haus» (1998) bei Naarden, dessen schleifenförmige Raumorganisation auf den Tagesrhythmus des Bewohnerpaares abgestimmt ist und Distanz sowie Nähe gleichermassen ermöglicht. Indem van Berkel dynamische Formen einsetzt, welche auf die Bewegung der Benutzer reagieren, ergänzt er Architektur um die vierte Dimension, die der Zeit.
Van Berkel ist mit Projekten in den USA ebenso beschäftigt wie mit dem Bahnhofsneubau in Arnhem oder einem Pier in Genua; in Innsbruck steht ein Umspannwerk kurz vor der Fertigstellung, und unlängst erst legte der Architekt einen neuen Plan für die Erweiterung des Hotels Castell in Zuoz vor (NZZ 7. 9. 01). Das kleine Projekt für Utrecht dokumentiert beispielhaft van Berkels Arbeitsweise. Es handelt sich um ein sogenanntes NMR-Labor (Nuclear Magnetic Resonance), in dem mit Hilfe von starken Elektromagneten molekulare Strukturen untersucht werden. Die entstehenden Spektren können Auskunft geben über den Aufbau der DNA - eine Forschungsmethode, die beispielsweise für den Kampf gegen das HIV von erheblicher Bedeutung ist.
Die wichtigste Aufgabe bestand darin, ideale Bedingungen zu schaffen für die Aufstellung der Elektromagneten, deren Stärke das bis zu Fünfhunderttausendfache des Kraftfelds der Erde beträgt. Jede Störung von aussen würde die Versuchsergebnisse ihrer Prägnanz berauben, und so entschied man sich bei den beiden Laborräumen für eine homogene, also fensterlose Hülle aus Stahlbeton, die überdies stützenfrei organisiert werden musste. Die inneren Abmessungen ergaben sich aus den nötigen Abständen der Magneten zueinander, zu den Wänden und zur Decke. So erforderte der grösste Magnet eine Raumhöhe von neun Metern.
Der Boden wird zur Decke
Mit den grauen, bandähnlich gewundenen Sichtbetonflächen schuf Ben van Berkel eine das Äussere und das Innere bestimmende All-over- Struktur, welche die Laborräume umhüllt - das zugrunde liegende Strukturmodell war eine topologische «Seifert surface», die van Berkel in seiner dreibändigen Publikation «MOVE» als «orientable surface» beschrieb. In diesem Sinne wird bei dem Utrechter Laborgebäude der Boden zur Wand, die Wand zur Decke, die Decke wieder zur Wand, erneut zur Decke, zur Wand und wieder zum Boden. Um den funktionalen Kern, der aus zwei Laborsälen für die Magneten besteht, lagern sich technische Betriebsräume im Erdgeschoss sowie Büros, Aufenthaltsbereiche und chemische Labors im Obergeschoss. Da der Einbau eines Fahrstuhls die elektromagnetischen Felder beeinträchtigt hätte, bildet eine dreiseitig das Gebäude umlaufende Rampe die Verbindung zwischen den Geschossen. - Ben van Berkels künstlichen Gebäudelandschaften wurde bisweilen Beliebigkeit vorgeworfen. Das Utrechter NMR-Labor belegt jedoch, in welchem Masse seine Architektur aus den funktionalen Anforderungen entwickelt ist.
Fliessender Beton
Das Utrechter Universitätsgelände ist ein typisches Produkt der sechziger Jahre. Zwei Hochhäuser - eines in Kreuzform, das andere als Scheibe - bilden die vertikalen Dominanten einer Ansammlung von Institutsbauten, die allein durch den Strassenraster etwas zusammengehalten werden. Die einstige Vision einer Campusuniversität nach amerikanischem Modell verlor im Lauf der Realisierung ihre Strahlkraft, so dass Rem Koolhaas mit seinem Office for Metropolitan Architecture (OMA) 1986 den Auftrag erhielt, Konzepte für eine Nachverdichtung und Neustrukturierung des immer noch von Freiflächen durchzogenen Areals zu entwickeln. Der Masterplan bot seitdem die Grundlage für eine Reihe von Neubauprojekten, die den «Uithof» wie ein Freilichtmuseum der zeitgenössischen niederländischen Architektur erscheinen lassen. Die Sequenz der Neubauten begann 1995 mit der um drei Innenhöfe gruppierten Hochschule für Wirtschaft und Management, einem Projekt der Delfter Architektengruppe Mecanoo. Es folgte das «Educatorium» als allen Fakultäten offen stehendes Auditoriums- und Mensagebäude, bei dem OMA die einzelnen Funktionsbereiche in ein Kontinuum von Verkehrsflächen integrierte (NZZ 6. 2. 98), dann das «Minnaertgebouw» von Neutelings Riedijk. Ein weiteres spektakuläres Projekt befindet sich im Bau: die Bibliothek von Wiel Arets.
Verglichen mit diesen Bauvorhaben nimmt sich das neue Labor von van Berkel vom Volumen her bescheiden aus. Gleichwohl besetzt es einen exponierten Standort innerhalb des Areals. Im Westen erhebt sich das kreuzförmige Hochhaus, im Osten jenseits eines schmalen, von Bäumen gesäumten Kanals das «Educatorium»; im Norden stösst der Neubau an eine das Universitätsgelände durchmessende Strasse, im Süden an ein architektonisch belangloses Fakultätsgebäude. Der Hauptzugang erfolgt von dieser Seite über eine gläserne Brücke. Geschwungene Betonbänder, mit Glasflächen alternierend, bestimmen das Laborgebäude aussen und innen. Fast wirkt es, als sei das Volumen mit Beton eingewickelt worden. Doch der Baustoff tritt hier nicht wuchtig auf, er ist zur dünnen Membran geworden, welche die Raumstruktur lediglich umhüllt.
Immer wieder bilden biologische und mathematische, speziell topologische Strukturen und Modelle den Ausgangspunkt für die Arbeit des Niederländers. Mit der rationalistischen Doktrin einer Spät-, Neo- oder Zweitmoderne haben seine Bauten und Projekte nichts gemein, doch ebenso wenig folgen sie einer dekonstruktivistischen Idee des scheinbar zufälligen Arrangierens von Disparatem. Im Gegenteil: Der Amsterdamer Architekt zeigt sich interessiert daran, Vielheit auf einer höheren Ebene in Einheit überzuführen - etwa bei dem «Möbius-Haus» (1998) bei Naarden, dessen schleifenförmige Raumorganisation auf den Tagesrhythmus des Bewohnerpaares abgestimmt ist und Distanz sowie Nähe gleichermassen ermöglicht. Indem van Berkel dynamische Formen einsetzt, welche auf die Bewegung der Benutzer reagieren, ergänzt er Architektur um die vierte Dimension, die der Zeit.
Van Berkel ist mit Projekten in den USA ebenso beschäftigt wie mit dem Bahnhofsneubau in Arnhem oder einem Pier in Genua; in Innsbruck steht ein Umspannwerk kurz vor der Fertigstellung, und unlängst erst legte der Architekt einen neuen Plan für die Erweiterung des Hotels Castell in Zuoz vor (NZZ 7. 9. 01). Das kleine Projekt für Utrecht dokumentiert beispielhaft van Berkels Arbeitsweise. Es handelt sich um ein sogenanntes NMR-Labor (Nuclear Magnetic Resonance), in dem mit Hilfe von starken Elektromagneten molekulare Strukturen untersucht werden. Die entstehenden Spektren können Auskunft geben über den Aufbau der DNA - eine Forschungsmethode, die beispielsweise für den Kampf gegen das HIV von erheblicher Bedeutung ist.
Die wichtigste Aufgabe bestand darin, ideale Bedingungen zu schaffen für die Aufstellung der Elektromagneten, deren Stärke das bis zu Fünfhunderttausendfache des Kraftfelds der Erde beträgt. Jede Störung von aussen würde die Versuchsergebnisse ihrer Prägnanz berauben, und so entschied man sich bei den beiden Laborräumen für eine homogene, also fensterlose Hülle aus Stahlbeton, die überdies stützenfrei organisiert werden musste. Die inneren Abmessungen ergaben sich aus den nötigen Abständen der Magneten zueinander, zu den Wänden und zur Decke. So erforderte der grösste Magnet eine Raumhöhe von neun Metern.
Der Boden wird zur Decke
Mit den grauen, bandähnlich gewundenen Sichtbetonflächen schuf Ben van Berkel eine das Äussere und das Innere bestimmende All-over- Struktur, welche die Laborräume umhüllt - das zugrunde liegende Strukturmodell war eine topologische «Seifert surface», die van Berkel in seiner dreibändigen Publikation «MOVE» als «orientable surface» beschrieb. In diesem Sinne wird bei dem Utrechter Laborgebäude der Boden zur Wand, die Wand zur Decke, die Decke wieder zur Wand, erneut zur Decke, zur Wand und wieder zum Boden. Um den funktionalen Kern, der aus zwei Laborsälen für die Magneten besteht, lagern sich technische Betriebsräume im Erdgeschoss sowie Büros, Aufenthaltsbereiche und chemische Labors im Obergeschoss. Da der Einbau eines Fahrstuhls die elektromagnetischen Felder beeinträchtigt hätte, bildet eine dreiseitig das Gebäude umlaufende Rampe die Verbindung zwischen den Geschossen. - Ben van Berkels künstlichen Gebäudelandschaften wurde bisweilen Beliebigkeit vorgeworfen. Das Utrechter NMR-Labor belegt jedoch, in welchem Masse seine Architektur aus den funktionalen Anforderungen entwickelt ist.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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