Bauwerk

Auditorium Parco della Musica
Renzo Piano - Rom (I) - 2002
Auditorium Parco della Musica, Foto: Andreas Secci / ARTUR IMAGES
Auditorium Parco della Musica, Foto: Matteo Rossi / ARTUR IMAGES

Die drei Musiktiere

Das neue Auditorium von Renzo Piano in Rom

Nach einer Bauzeit von einem knappen Jahrzehnt ist Ende letzten Jahres in Rom der von Renzo Piano gestaltete «Parco della musica» vollendet und eröffnet worden. Damit verfügt die italienische Hauptstadt, deren Sinfonieorchester ohne geeigneten Sitz war, über einen modernen Komplex für Konzerte aller Art.

19. Februar 2003 - Peter Hagmann
Mahlers Achte in Rom - das ist ein Widerspruch in sich selbst. Die Ewige Stadt als einer jener Orte, an die im Zusammenhang mit einer Aufführung der «Sinfonie der Tausend» zu denken wäre? Nicht doch. Rom, das ist die Stadt der Kirchenmusik, die Stadt Palestrinas und des vierstimmigen A-cappella-Satzes. Und Rom ist die Stadt der Kastraten, Zentralort jener, was Virtuosität und Artifizialität betrifft, extremen Gesangskunst, die sich daraus ergeben hat, dass Frauen einem päpstlichen Dekret zufolge die Mitwirkung an musikalischen Veranstaltungen untersagt war. Natürlich, es gibt die Accademia Nazionale di Santa Cecilia, eine würdige, über vierhundert Jahre alte Institution - aber auch da assoziiert man zuerst Palestrina und das Pantheon, wo sie in frühen Jahren ihren Sitz hatte. Indessen führt die Santa Cecilia auch ein Sinfonieorchester - das jetzt eben Mahlers Achte aufgeführt hat.

Bis vor kurzem wäre das noch undenkbar gewesen. Nur knappe drei Jahrzehnte lang verfügte Rom über einen Konzertsaal, der dieser Bezeichnung entsprochen hätte - darin hebt sich diese Stadt von manchem weitaus kleineren Gemeinwesen nördlich der Alpen ab. 1908 wurde das Augusteo eröffnet, ein etwas seltsamer, aber mit offenbar geeigneter Akustik versehener Bau an der Stelle, an der das Mausoleum des Augustus gestanden hatte. Doch schon 1936 liess Mussolini die Spitzhacke anfahren; die faschistische Regierung wollte zum Zwecke ihrer eigenen Glorifizierung die Reste eben dieses Mausoleums freilegen. In der Folge wanderte die Accademia Nazionale di Santa Cecilia erst ins Teatro Adriano, später ins Teatro Argentina und schliesslich in einen aus den fünfziger Jahren stammenden, dem Vatikan gehörenden Saal an der Via Conciliazione. Nun hat es aber ein Ende mit dem Provisorium, nun hat auch Rom eine «Cité de la musique».


Mehr als ein Konzertsaal

1993 wurde der Beschluss gefasst, einen neuen Konzertsaal zu errichten; als Standort wurde ein brachliegendes Gelände am nordwestlichen Stadtrand gewählt. Ein Jahr später - die Macht in der Stadt war inzwischen von Franco Carrara an Francesco Rutelli übergegangen - wurde ein Wettbewerb unter eingeladenen Architekten durchgeführt; den Sieg trug Renzo Piano davon. 1995 begann tatsächlich der Aushub - doch bald kam es zu einem Unterbruch; die Erdarbeiten hatten die Reste eines römischen Anwesens ans Licht gebracht. Es folgten Jahre der archäologischen Forschung und der Modifikationen im Baukonzept, bis das auf 150 Millionen Euro angelegte Projekt - nicht ohne die üblichen Kostensteigerungen und Differenzen mit Baufirmen - zwischen 1998 und 2002 verwirklicht werden konnte.

Jetzt ist der «Parco della musica» Realität; kurz vor Weihnachten 2002 wurde der letzte Teil eröffnet. Da stehen sie nun, die drei Skarabäen, wie die Konzertsäle im Römer Volksmund bereits getauft sind. Tatsächlich gleichen sie drei überdimensionierten Käfern; im Halbkreis kauern sie, um neunzig Grad voneinander abgedreht, um ein zentrales Amphitheater - links, sozusagen auf Position neun des Zifferblattes, der grosse Saal, im Mittag der mittlere, rechts der kleine, dazwischen die archäologischen Reste und eine kleine (auch etwas belanglose) Präsentation wertvoller Musikinstrumente aus der Sammlung der Santa Cecilia. Verbunden sind die drei Gebäude durch ein an ihren Stirnseiten umlaufendes, durchgehendes Foyer. Man betritt es, um beim Bild des Zifferblattes zu bleiben, auf Position vier, wo sich ein grosses Dienstgebäude befindet: mit der Verwaltung und dem Archiv der Santa Cecilia, ihrer reichen Bibliothek und einer noch aufzubauenden Mediathek, mit Restaurant und Café, Billettkasse und Buchhandlung. Einen äusseren Ring um die Anlage bilden zwei in den Boden versenkte Stockwerke, welche die Garderoben und nicht weniger als fünf Probesäle verschiedener Grösse enthalten.

Hell ist es hier, freundlich und ruhig - ja, eine Oase der Stille und des bewusst gestalteten Klangs in dieser lauten Stadt. Die Anlage liegt in einem Garten, der noch fertiggestellt werden und dann wachsen muss. Bestimmend der helle Travertin der Böden, die Mauern aus Backstein und die Dächer, die sich dank einer speziellen Holzkonstruktion über die einzelnen Gebäude wölben; geht man aussen herum, fühlt man sich von ferne an das Bayreuther Festspielhaus erinnert. Die Dächer übrigens sind aus Blei: Anklang an die vielen, aus ebendiesem Material gefertigten Kuppeln der Ewigen Stadt und zugleich Abschirmung gegen die unerwünschten Handy-Strahlen - tatsächlich steht das Mobiltelefon im Innern der Säle auf null. Wer durch das Foyer wandelt, und hier wandelt zu jeder Tageszeit jemand durchs Foyer, sieht durch grosse Fenster ins Freie, auf der einen Seite in den Park, auf der anderen in die «cavea», das im Vergleich zu den Konzertsälen etwas vertieft angelegte (halbe) Amphitheater für maximal 3000 Personen, das im Sommer Freiluftveranstaltungen bis hin zu Rockkonzerten aufnehmen soll.

Vom Foyer aus gelangt man über Treppen oder Lifte in die drei Säle, die, was die verwendeten Materialien betrifft, gleich gehalten sind, die sich hinsichtlich ihrer Grösse und ihrer Ausstattung aber voneinander abheben. Spektakulär die «Sala Santa Cecilia» mit ihren 2756 Plätzen. In seiner Anlage lehnt sich der Raum klar an die Berliner Philharmonie von Hans Scharoun an. Über dem Parkett sind Balkone verschiedener Dimensionen angeordnet; sie ziehen sich rund um den Saal, also auch bis hinters Orchesterpodium - und von allen Plätzen aus soll der klangliche Eindruck der gleiche, mindestens der gleich gute sein. Bestimmend das leuchtende Rot der Sitze und das warme Braun der mit dem Holz des amerikanischen Kirschbaums verkleideten, wabenförmigen Decke. Die Wände sind mit gewölbten Elementen aus Gips gefertigt, wie sie der deutsche Akustiker Helmut A. Müller vorgesehen hat. Sie sind in pompejanischem Rot gehalten - und da ist denn zu erleben, was ein auf Logik und Ruhe bauendes Farbkonzept bewirken kann. Auffällig, dass die Orgel fehlt; der junge Architekt, der durch die Gebäude führt, erklärt dazu, Orgeln gebe es in den vielen Kirchen Roms genügend.

Der Zweckbestimmung des «Parco della musica» entsprechend gibt es noch zwei weitere, kleinere Säle. Die «Sala Giuseppe Sinopoli» mit ihren 1273 Sitzen präsentiert sich als ein funktionales Rechteck. Die Besonderheit besteht hier darin, dass die Bestuhlung vollkommen mobil ist - eine «salle modulable» also, wie sie Pierre Boulez für das IRCAM und die «Cité de la musique» in Paris durchgesetzt hat, nur ist im Gegensatz zu jenen Räumen die Akustik der «Sala Sinopoli» festgelegt. Variable Akustik bietet dafür der kleine Saal, wo aber die 750 Sitze wiederum fest montiert sind. Für Kammermusik ist dieser ebenfalls nüchterne, ja strenge Raum gedacht, für Konferenzen eventuell, vor allem aber für experimentelles Musiktheater, denn als einziger verfügt dieser Saal über eine vielfach modifizierbare Bühne mit einem Vorhang sowie über die Möglichkeit, einen Orchestergraben zu öffnen.

Inzwischen ist deutlich mehr Leben ins Haus gekommen. Noch ist das Auditorium zwar nicht sehr bekannt; die Taxichauffeure wissen sich kaum zu orientieren, obwohl im Stadtzentrum zahlreiche Wegweiser angebracht sind, und dass es sogar eine ganz bequeme Tramlinie gibt, wird dem fragenden Besucher nicht verraten. Dennoch strömen die Menschen in Scharen an den neuen Ort. Jede halbe Stunde wird übers Wochenende eine Gruppe von etwa zwanzig Personen durch die (übrigens streng bewachten) Räumlichkeiten geführt. An der Kasse lange Schlangen, obwohl viele der Konzerte rasch ausverkauft sind. Ein Gedränge sondergleichen im Laden, wo es Literatur, Notentexte und Tonträger gibt. Viel Betrieb auch im Café und im etwas klein geratenen, dafür total durchgestylten Restaurant, in dem man nicht nur essen, sondern die Teller und so weiter auch gleich kaufen kann.


Eine Akustik von gestern

Der «Parco della musica» ist ein Projekt, eine Ambition, auf die viele der Gesprächspartner mit Stolz hinweisen. Nicht nur soll er Rom den lange erwarteten Konzertsaal bringen und die Stadt diesbezüglich dem europäischen Niveau angleichen. Er soll auch Ausdruck sein einer gross angelegten Initiative für die Kunstmusik, insbesondere die Instrumentalmusik. Zu siebzig Prozent soll die Infrastruktur durch die von Luciano Berio präsidierte Accademia Nazionale di Santa Cecilia und ihr Orchester genutzt werden - und bereits hat es dort angezogen: Um zehn Prozent habe sich die Zahl der bisher 6000 Abonnemente in den wenigen Wochen seit der Eröffnung des Auditoriums schon erhöht. Für den Teil, der nicht von Santa Cecilia belegt ist, sorgt die von der Stadt getragene Gesellschaft «Musica per Roma». Bunt ist das Angebot; es reicht vom traditionellen Sinfoniekonzert über das «Progetto Pollini», in dem sich nach den Ideen des Pianisten alte und neue Musik verbinden, bis hin zu einer Reihe pädagogischer Aktivitäten. Berio, Pollini, Rutelli - der «Parco della musica» gilt als eine Sache der Linken. Kein Wunder, liess sich der Ministerpräsident - er soll es mehr mit dem Fussball haben - an der Eröffnung nicht sehen, was zum üblichen Sturm im Wasserglas geführt hat; gekommen ist dafür Staatspräsident Ciampi.

Und nun hat das Orchester für seinen ersten regulären Auftritt im neuen Saal Platz genommen. Mahlers Achte, wie gesagt: ein Findling in dieser Stadt. In ohrenbetäubender Lautstärke lässt Myung-Whun Chung, seit 1997 (und noch bis 2005) Chefdirigent der Santa Cecilia, den ersten Teil aufrauschen. Umso lauter wird kommentiert (in Italien darf gesprochen werden, wenn bloss gespielt und nicht gesungen wird), und der extra- leise Anfang des zweiten Teils geht im Geräuschpegel unter. Die Chöre und das Orchester ordentlich, nicht mehr; die elektronische Orgel dagegen klingt wie aus einem Blechtopf, und die acht Vokalsolisten zeigen sehr unterschiedliche Kompetenz. Myung-Whun Chung, der mit beachtlichen Messiaen-Aufnahmen von sich reden gemacht hat, ist nicht der Mann für dieses Repertoire; er hat kein Gespür für den unglaublich sehnsüchtigen Zug des zweiten Teils und seine Ekstase. Spielt keine Rolle, denn in erster Linie richtet sich das Interesse auf den Raum und seine Akustik - und da ist von einer Enttäuschung zu berichten. Das neue Auditorium setzt, ganz anders als die Berliner Philharmonie und erst recht als der Luzerner Saal von Jean Nouvel und Russell Johnson, nicht auf die Trennung der Stimmen, sondern auf den alten Mischklang. Das klingt im Piano so herrlich, dass man sich Kammermusik wünschte, kommt im Forte aber rasch an die Grenzen der Wahrnehmbarkeit. Vielleicht ist es eine Frage der akustischen Feineinstellung - der Saal ist gebaut, aber noch durchaus Projekt.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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