Bauwerk

Institutsanlage
Edward Cullinan Architects - Cambridge (GB) - 1998

Bauen für die Besten

Das Centre for Mathematical Sciences in Cambridge

2. November 2001 - Ursula Seibold-Bultmann
Die mathematische Fakultät der Universität Cambridge gilt als eine der besten der Welt. Zurzeit baut das Londoner Büro Edward Cullinan Architects eine neue Institutsanlage für diese prominente Bauherrschaft. Der kürzlich erfolgte Abschluss der ersten Bauphase gibt Anlass, einige Parameter universitärer Architektur zu überdenken.

Architektonisch adäquate Arbeitsplätze für Wissenschafter sind ein rares Gut. Die meisten neueren Universitätsgebäude haben den Charakter von Verwaltungsbauten, die im besten Fall eine neutrale Hülle für Forschung und Lehre bieten und im schlechtesten das tätige Denken durch deprimierende Lichtführung, minderwertige Materialien, schematisch gedachte Zirkulationswege und ähnliche Störfaktoren behindern. Auf andere Weise unschön sieht es dort aus, wo gegen den Teufel ästhetischer Nullität der Beelzebub visuellen Overkills ins Feld geschickt wird - Beispiele sind die Computational Engineering Faculty der Rice University in Houston von John Outram Associates (1993-97) oder die jüngst von Carrier Johnson vorgelegten, grell historisierenden Pläne für das Science and Technology Center der Universität von San Diego.


Haus mit Glaskern

Eine funktional ausgefeilte Lösung hat das Londoner Büro Edward Cullinan Architects für die mathematische Fakultät in Cambridge, die auch die theoretische Physik umfasst, erarbeitet. Mathematiker brauchen einerseits die Möglichkeit zur ruhigen Arbeit in abgeschlossenen Räumen, andererseits aber auch Anreize zur Kommunikation. Bei rund 800 ständigen Nutzern und über 20 Arbeitsgruppen verschiedener Grösse, die in unterschiedlich engem Kontakt miteinander sind, steht und fällt der praktische Erfolg eines Baus mit der Grundrissdisposition und den Verbindungswegen. Diagramme, die der Bauherr im Rahmen des Raumprogramms erstellte, veranschaulichten mustergültig den Charakter der wissenschaftlichen Nachbarschaften zwischen diesen Arbeitsgruppen: Die Zahlentheoretiker etwa arbeiten nur mit einer weiteren Gruppe direkt zusammen, die theoretischen Physiker hingegen mit vieren - davon mit einer sehr eng, mit einer lose und mit zwei weiteren bei mittlerer Intensität.

Die Antwort der Architekten auf diese komplizierte Situation ist ein baulicher Organismus aus sechs quadratischen, vierstöckigen und mit je vier mal zehn Büros ausgestatteten Pavillons von 32 Metern Seitenlänge, die sich zusammen mit einem weiteren Pavillon doppelter Grösse zu einer trapezähnlichen Figur zusammenfügen. In deren Mitte liegt ein lang gestreckter, im Grundriss an eine Parabel angelehnter Zentralbau mit grosszügiger Cafeteria, der von einem zur Stirnseite hin ansteigenden Grasdach überwölbt wird. Eine nordöstlich dieses Komplexes gelegene Bibliothek mit kreisförmigem Grundriss bietet Platz für 12 000 Regalmeter Fachliteratur und 200 Leseplätze. Zehn Hörsäle für 40 bis 180 Personen sowie zwei Labors befinden sich teils in den Pavillons, teils unter der Cafeteria. Fast alle Räume verfügen über ein computergesteuertes System natürlicher Belüftung; einzig die Hörsäle haben Air-Conditioning.

Man versteht das Gesamtkonzept der Anlage nur, wenn man auch das von den Cambridger Architekten Annand & Mustoe auf demselben Grundstück errichtete, 1992 eröffnete Isaac Newton Institute kennt. Hier halten sich Mathematiker aus aller Welt für wenige Monate auf, um sich in intensiver Kollaboration bestimmten Forschungsproblemen zu widmen. Das Innere dieses unscheinbaren Baus ist dafür auf innovative Weise massgeschneidert. Wegen der kurzen Verweildauer der Forscher schien es wichtig, dass jeder von ihnen die räumliche Situation auf den ersten Blick übersieht und mit möglichst vielen seiner Kollegen sofortigen Kontakt aufnehmen kann. Im Erdgeschoss ist die über drei Stockwerke reichende, atriumsähnliche Halle inmitten des Instituts deshalb nur durch transparente Glaswände von der Rezeption, den Seminarräumen und der hauseigenen Bibliothek abgetrennt. Die einzige Treppe führt von hier aus direkt zu Balkongalerien, entlang deren die Büros liegen. Inmitten der Halle schwebt zwischen dem zweiten und dritten Geschoss eine Plattform mit Sitzgruppen; um die dort spontan geführten Diskussionen kommen die Forscher im Wortsinne nicht herum.


Rechnen auf der Wiese

In Cullinans benachbarter Anlage beträgt die durchschnittliche Verweildauer der Nutzer etwa drei Jahre, weshalb die räumliche Organisation vielgestaltiger sein sollte. Für jeden Arbeitsplatz gibt es hier drei Zuwege. Will man einen gerade gefassten Gedanken nicht durch ungewollte Ablenkung verlieren, so kann man sein Büro durch die Hintereingänge der Pavillons erreichen. Wählt man hingegen den Weg durch die Cafeteria, die zugleich als Eingangshalle des ganzen Pavillonkomplexes dient, dann bietet sich dort die Chance zum interdisziplinären Gespräch - in dessen Verlauf man mathematische Formeln auf abwischbare gläserne Tischplatten schreiben darf. Und wem es nach frischer Luft zumute ist, der wandert über das Grasdach des durch schmale Brücken mit den Pavillons verbundenen Mittelbaus.

Um Anreize zur Kommunikation in Arbeitspausen zu geben, sind die Räume ausserhalb der Büros in abgestufter Weise attraktiver gestaltet als diese selbst. Die Cafeteria mit ihrem kraftvollen und geschickt beleuchteten Betongerippe, dessen Zwischenfelder durch hölzerne Lattenroste belebt werden, ist der einladendste Ort, während die einfacheren Common Rooms in den einzelnen Pavillons mit starkfarbigem Mobiliar locken. Lange Korridore, an deren Ende Wissenschafter räumlich vom Kommunikationsfluss abgeschnitten wären, gibt es nicht: Stattdessen bietet sich in den Zwickeln um die zylindrischen Treppenhäuser der Pavillons und damit direkt bei den Büros Platz zum Diskutieren vor Wandtafeln.

Die Bausumme für die gesamte Anlage wird 50 Millionen Pfund betragen. Da rund die Hälfte davon aus ausseruniversitären Quellen kommt, bot das gewählte Modulsystem nicht zuletzt Vorteile bei der Mitteleinwerbung: Für private Geldgeber ist es attraktiver, einen benennbaren Pavillon zu finanzieren als eine Etage in einem Grossbau. Viele der Einzelheiten - etwa die Absenkung aller Pavillons um ein Geschoss unter Strassenniveau - erklären sich aus Forderungen der Baubehörde und der Nachbarn. Auf ästhetische Gesichtspunkte kam es laut Aussage des Bauherrn nicht in erster Linie an, doch wirkt die Formensprache Cullinans, die bei anderen seiner Bauten gern winkelreich zwischen Referenzfiguren wie Philip Webb, Gerrit Rietveld und Berthold Lubetkin hin und her springt, hier beruhigt und gestrafft. Der Bau hat optische Schwächen unter anderem bei den Entlüftungsschächten, dem Einsatz von Glasbausteinen oder den unterschiedlichen Farbqualitäten in den Innenräumen. Getroffen ist aber zweifellos die atmosphärische Balance zwischen Formalität und Informalität, die für ein gut funktionierendes Universitätsgebäude unabdingbar ist.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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