Zeitschrift

tec21 2006|7
Le Corbusier
tec21 2006|7
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG
Marginalien?

Werke Le Corbusiers, die in Vergessenheit geraten sind? Erstaunlich, dass es Orte gibt, in denen sich Schätze des Meisters verbergen konnten. Im Falle der «Maison Blanche» in La Chaux-de-Fonds ist ihr Urheber daran nicht ganz unschuldig, hat er doch mit seiner Heimatstadt früh gebrochen. Doch nun ist sein Erstlingswerk dem Vergessen entrissen, ein Spätwerk (Eglise Saint-Pierre, Firminy) rehabilitiert und ein Schlüsselwerk erkannt («Immeuble Clarté», Genf) – und alle drei sind auf dem Weg ins kollektive Bewusstsein.
Ausgeblendet ist eine Facette seines Œuvres, das vor allem in der Romandie hohe Wellen wirft: Le Corbusiers Verhältnis zum Nationalsozialismus. Entfacht wurde die Debatte von Daniel de Roulets Artikel «Le Corbusier in Vichy» (S. 22), der in Ausgabe 20/05 von «Tracés» erstmals publiziert war. Die Diskussion dreht sich kaum um Le Corbusiers politisches Bewusstsein, um die Frage, wie sehr er sich mit dem Vichy-Regime identifizierte, dass er ihm seine Dienste anbot, oder ob er «nur» darauf spekulierte, in Pétain einen finanziell und politisch potenten Bauherrn zu akqui-rieren.

Eine der wenigen Stimmen zur Sache selbst erhob der Kunsthistoriker Jean-Louis Cohen, der die Äusserungen Le Corbusiers im «Impartial» vom 29. Oktober 2005 anlässlich der Eröffnung der «Maison Blanche» resümierte: «Le Corbusier était un homme un peu naïf et pas très democrate.» Ansonsten fokussieren die Reaktionen nicht das Thema, sondern nehmen den Autor ins Visier, werfen ihm Spitzfindigkeit, Profilierungssucht und «intellektuellen Terrorismus» vor, prangern ihn der «Tyrannei des politisch Korrekten» an, bezichtigen ihn des Revisionismus – ein Umkehrschluss: Es waren die Revisionisten, die im «Historikerstreit» die «Normalisierung der Geschichtsschreibung» in dem Sinne forderten, dass der Nationalsozialismus aus der damaligen Weltanschauung heraus begriffen werden müsse. Der Tenor der Stimmen zu Le Corbusier lautet denn auch: «Alle dachten so.» So, wie Le Corbusier schrieb? «(...) der kleine Jude wird eines Tages bezwungen», «Hitler kann sein Leben mit einem grossartigen Werk krönen: dem Ausbau Europas».

Warum fallen die Reaktionen auf de Roulets Erfahrungsbericht derart geharnischt aus? Warum sollen weltanschauliche Zeugnisse von ArchitektInnen nicht auch Gegenstand der Forschung sein?
Bei Giuseppe Terragni lag der Fall anders. Ihn traf postum eine Abwehrreaktion, sein Œuvre wurde als faschistisch gebrandmarkt, bis Bruno Zevi ihn bzw. seine Architektur rehabilitierte und die Einsicht etablierte: Ein faschistisch denkender Mensch kann Bauten ersinnen, die der Monumentalität entbehren, die keine städtebaulichen Gewaltakte sind – und vice versa.

Wenn das Ethos eines Baukünstlers als Marginalie seines gebauten Werks behandelt wird, dann mindestens eingedenk der Bedeutung der Randnotiz im Buchdruck: In neuen Büchern mag sie als Kritzelei und Sachbeschädigung wahrgenommen werden, in noch unpublizierten Manuskripten ist sie hingegen Korrektur und Kommentar, in alten Texten aber erschliesst sich dank ihr oft erst das Werk.

Rahel Hartmann Schweizer, hartmann@tec21.ch

Standpunkt / Inhalt

Palimpsest | Rahel Hartmann Schweizer
Mit archäologischer Akribie wurde Le Corbusiers Erstlingswerk, die «Maison Blanche» (1912­1919), in La Chaux-de-Fonds renoviert: ein spannender Prozess, bei dem so manches Geheimnis gelüftet wurde.

Inkunabel | Isabelle Claden
Auf Druck der Behörden wird das «Immeuble Clarté» in Genf endlich renoviert. Das bedeutendste Werk von Le Corbusier in der Schweiz ist seit langem in schlechtem Zustand. Doch renoviert wird nur aussen.

Matrize | Gilles Ragot
Er hatte sie bis zuletzt nicht aufgegeben: die Kirche Saint-Pierre in
Firminy, dem Ort, in dem er eine Unité d¹Habitation, ein Kulturhaus und ein Stadium geplant hatte. Nun ist sie postum verwirklicht worden.

Le Corbusier in Vichy | Delia Santschi
Eine literarische Annäherung an Le Corbusiers Vergangenheit in Vichy anhand seiner Briefe.

Blickpunkt Wettbewerb
Neue Ausschreibungen und Preise / Berlin: Erneuter Wettbewerb für die «Topographie des Terrors»

Magazin
Lehren aus dem Fall Galmiz / Aktion für Basler Flachdächer: weniger Heizenergie und mehr Natur

Aus dem SIA
Beschäftigungslage im 4. Quartal 2005: Wachsende Zufriedenheit im Projektierungssektor / Informationsveranstaltung über Lichtemissionen / Bewilligung zum Umbau des SIA-Hochhauses

Produkte

Impressum

Veranstaltungen

teilen auf

Weiterführende Links:
Verlags-AG der akademischen technischen Vereine

Tools: