Zeitschrift
Metamorphose 03/08
Neues im Osten
Fokus Neues im Osten
„Seit Bestehen der Deutschen Demokratischen Republik hat unsere Regierung wesentliche Kräfte für den Bau neuer zweckmäßiger Wohnungen eingesetzt. […] Die Grundrisse dieser Wohnungen entsprechen den modernsten Gesichtspunkten. Grundlage bilden die objektiven Bedürfnisse der in unserer Gesellschaft lebenden Menschen, nicht, wie im Kapitalismus, das auch beim Wohnungsbau vorherrschende Profitstreben.“ (aus: „Handbuch für das Haus“; Verlag für die Frau, DDR, Leipzig 1974.)
Die Architektur der sozialistischen Ära ist in die Jahre gekommen. Vor allem beim Siedlungsbau stellt sich heute die Frage: Abriss oder Erneuerung? Denn erstmals in der Geschichte ist mehr Wohnraum vorhanden als benötigt. Beim Stadtumbau Ost geht es über Rückbaustrategien hinaus vor allem um langfristige Aufwertungskonzepte für schrumpfende Städte – auf Architekten warten viele anspruchsvolle Aufgaben.
Architekten wollen bauen und nicht abreißen. Doch seit mehreren Jahren haben die Städte in den neuen Bundesländern nahezu flächendeckend weitreichende Schrumpfungsprozesse zu bewältigen.
Abwanderung und niedrige Geburtenraten bewirkten, dass im Jahr 2002 bereits 16 Prozent aller Wohnungen leerstanden, die den vom GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen vertretenen Firmen gehören. Eine Dimension, die nicht nur die Nachbarschaften, sondern auch die Existenz vieler Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften gefährdete.
Die Politik hat mit dem Förderprogramm „Stadtumbau Ost“ reagiert, das seit 2002 den Umbau der Städte durch Aufwertung und Rückbau anregt. Die Größenordnung des seither erfolgten Umbaus ist beachtlich:
Zwischen 2002 und 2007 wurden 194.000 Wohnungen abgerissen, circa 90 Prozent davon waren in industrieller Bauweise errichtet. Die Leerstandsquote konnte dadurch auf etwa 11 Prozent gesenkt werden, ohne Rückbau läge sie heute wohl bei 18 Prozent. Um die Innenentwicklung der Städte zu stärken, vollzog sich der Rückbau im Wesentlichen von „außen“ nach „innen“, wobei in den Innenstädten gleichzeitig die Schwerpunkte für Aufwertungsmaßnahmen lagen.
Nach fünf Jahren sind die Probleme längst nicht gelöst. Vor allem in den weniger attraktiven Lagen der Gründerzeitquartiere sind die Leerstände immer noch besorgniserregend hoch, Häuser an lärmbelasteten Straßen finden kaum noch Interessenten. Deshalb wird es mindestens noch bis zum Jahre 2020 darum gehen, das Programm Stadtumbau Ost konsequent weiterzuführen, nicht mehr vermietbare Bestände abzureißen und den dauerhaft notwendigen Wohnungsbestand zukunftsfähig zu gestalten.
Wohngebiete der 50er bis 80er Jahre modernisieren
Weil Altstadtkerne und Gründerzeitviertel für die Identität der Gesamtstadt bedeutend sind, dominiert in der öffentlichen Diskussion über das urbane Wohnen häufig eine enge Vorstellung der zu bewahrenden Innenstadt, die mit der Bebauung um 1918 aufhört. Damit wird aber der größte Teil der gebauten Stadt und ihrer Wohnungen ausgeschlossen oder gar als städtebauliche Fehlentwicklung abqualifiziert. (Tatsächlich beherbergen die Bauten aus der Zeit vor 1918 in der Regel kaum mehr als 15 bis 25 Prozent des Wohnungsbestandes der jeweiligen Stadt.) Mit solchen reduktionistischen Vorstellungen lässt sich weder der Wohnbedarf der Zukunft befriedigen, noch können die Kommunen ihrem aktuellen sozialen Versorgungsauftrag nachkommen.
Deshalb erneuern die Wohnungsunternehmen Bestände des komplexen industriellen Wohnungsbaus der 70er und 80er Jahre. Und zwar jene Bereiche, die in integrierten Stadtentwicklungskonzepten als dauerhaft notwendig für die Wohnraumversorgung ausgewiesen sind. Diese Wohngebiete stellen nun einmal die größten Marktsegmente des Mietwohnungsbaus dar. Hier lebt ein erheblicher Teil, nämlich in vielen Städten mehr als die Hälfte der Bevölkerung.
Der Umbau dieser Bestände wirft viele Fragen auf: Wie ernst nimmt man die Bauten jener Jahre? Sie entstanden in einer Gesellschaft mit einem egalitären Menschenbild und drücken den Gleichheitsgedanken auch konsequent aus. Muss heute in einer stärker individualisierten Gesellschaft jeder Bau einen eigenen Charakter erhalten? Wann gilt es, lange Zeilen in kleinere Teile zu zerlegen, wann ist das Bekenntnis zur einheitlichen Großform sinnvoll? Wann lohnt sich Abriss, wann Modernisierung? Differenziertes Herangehen und das Fingerspitzengefühl der Architekten sind gefragt.
Dr. Bernd Hunger ist Stadtplaner und Stadtsoziologe aus Berlin. Beim GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V. ist er Referent für Wohnungsbau, Städtebau, Forschung und Entwicklung.
Bestandsaufnahme
06-15 | Projekte, Bücher, Termine
18-19 | Neues im Osten
20-25 | Industriell oder individuell? Vier Plattenbauexperten im Gespräch
26-27 | Zwischen Abriss und Umbau - Plattensanierung: Erfahrungen der Wohnungswirtschaft
28-33 | 01 Ein Gartenhaus für Kinder: Umbau einer Kindertagesstätte in Berlin-Oberschöneweide
34-39 | 02 Masse mit Klasse: Rück- und Umbau der Wohnquartiers C4 in Greifswald
40-47 | 03 Leuchtturm der Moderne: Sanierung und Umbau der „Prager Zeile“ in Dresden
48-51 | 04 Wiedergutmachung für die Platte? Lausitztower in Hoyerswerda
52-55 | 05 Ostmoderne relaunched: Fassadensanierung an zwei Typenschulen in Berlin-Friedrichshain
Technik
56-63 | Brandschutz versus Denkmalschutz: Was lässt sich aus dem Brand der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar lernen?
Produkte
64-65 | Farben
66-67 | Flachdach
68-69 | Neuheiten
Fortbildung
70-71 | Aufbaustudium in Frankfurt, Oder
Rubriken
74 | Vorschau, Impressum, Bildnachweis
„Seit Bestehen der Deutschen Demokratischen Republik hat unsere Regierung wesentliche Kräfte für den Bau neuer zweckmäßiger Wohnungen eingesetzt. […] Die Grundrisse dieser Wohnungen entsprechen den modernsten Gesichtspunkten. Grundlage bilden die objektiven Bedürfnisse der in unserer Gesellschaft lebenden Menschen, nicht, wie im Kapitalismus, das auch beim Wohnungsbau vorherrschende Profitstreben.“ (aus: „Handbuch für das Haus“; Verlag für die Frau, DDR, Leipzig 1974.)
Die Architektur der sozialistischen Ära ist in die Jahre gekommen. Vor allem beim Siedlungsbau stellt sich heute die Frage: Abriss oder Erneuerung? Denn erstmals in der Geschichte ist mehr Wohnraum vorhanden als benötigt. Beim Stadtumbau Ost geht es über Rückbaustrategien hinaus vor allem um langfristige Aufwertungskonzepte für schrumpfende Städte – auf Architekten warten viele anspruchsvolle Aufgaben.
Architekten wollen bauen und nicht abreißen. Doch seit mehreren Jahren haben die Städte in den neuen Bundesländern nahezu flächendeckend weitreichende Schrumpfungsprozesse zu bewältigen.
Abwanderung und niedrige Geburtenraten bewirkten, dass im Jahr 2002 bereits 16 Prozent aller Wohnungen leerstanden, die den vom GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen vertretenen Firmen gehören. Eine Dimension, die nicht nur die Nachbarschaften, sondern auch die Existenz vieler Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften gefährdete.
Die Politik hat mit dem Förderprogramm „Stadtumbau Ost“ reagiert, das seit 2002 den Umbau der Städte durch Aufwertung und Rückbau anregt. Die Größenordnung des seither erfolgten Umbaus ist beachtlich:
Zwischen 2002 und 2007 wurden 194.000 Wohnungen abgerissen, circa 90 Prozent davon waren in industrieller Bauweise errichtet. Die Leerstandsquote konnte dadurch auf etwa 11 Prozent gesenkt werden, ohne Rückbau läge sie heute wohl bei 18 Prozent. Um die Innenentwicklung der Städte zu stärken, vollzog sich der Rückbau im Wesentlichen von „außen“ nach „innen“, wobei in den Innenstädten gleichzeitig die Schwerpunkte für Aufwertungsmaßnahmen lagen.
Nach fünf Jahren sind die Probleme längst nicht gelöst. Vor allem in den weniger attraktiven Lagen der Gründerzeitquartiere sind die Leerstände immer noch besorgniserregend hoch, Häuser an lärmbelasteten Straßen finden kaum noch Interessenten. Deshalb wird es mindestens noch bis zum Jahre 2020 darum gehen, das Programm Stadtumbau Ost konsequent weiterzuführen, nicht mehr vermietbare Bestände abzureißen und den dauerhaft notwendigen Wohnungsbestand zukunftsfähig zu gestalten.
Wohngebiete der 50er bis 80er Jahre modernisieren
Weil Altstadtkerne und Gründerzeitviertel für die Identität der Gesamtstadt bedeutend sind, dominiert in der öffentlichen Diskussion über das urbane Wohnen häufig eine enge Vorstellung der zu bewahrenden Innenstadt, die mit der Bebauung um 1918 aufhört. Damit wird aber der größte Teil der gebauten Stadt und ihrer Wohnungen ausgeschlossen oder gar als städtebauliche Fehlentwicklung abqualifiziert. (Tatsächlich beherbergen die Bauten aus der Zeit vor 1918 in der Regel kaum mehr als 15 bis 25 Prozent des Wohnungsbestandes der jeweiligen Stadt.) Mit solchen reduktionistischen Vorstellungen lässt sich weder der Wohnbedarf der Zukunft befriedigen, noch können die Kommunen ihrem aktuellen sozialen Versorgungsauftrag nachkommen.
Deshalb erneuern die Wohnungsunternehmen Bestände des komplexen industriellen Wohnungsbaus der 70er und 80er Jahre. Und zwar jene Bereiche, die in integrierten Stadtentwicklungskonzepten als dauerhaft notwendig für die Wohnraumversorgung ausgewiesen sind. Diese Wohngebiete stellen nun einmal die größten Marktsegmente des Mietwohnungsbaus dar. Hier lebt ein erheblicher Teil, nämlich in vielen Städten mehr als die Hälfte der Bevölkerung.
Der Umbau dieser Bestände wirft viele Fragen auf: Wie ernst nimmt man die Bauten jener Jahre? Sie entstanden in einer Gesellschaft mit einem egalitären Menschenbild und drücken den Gleichheitsgedanken auch konsequent aus. Muss heute in einer stärker individualisierten Gesellschaft jeder Bau einen eigenen Charakter erhalten? Wann gilt es, lange Zeilen in kleinere Teile zu zerlegen, wann ist das Bekenntnis zur einheitlichen Großform sinnvoll? Wann lohnt sich Abriss, wann Modernisierung? Differenziertes Herangehen und das Fingerspitzengefühl der Architekten sind gefragt.
Dr. Bernd Hunger ist Stadtplaner und Stadtsoziologe aus Berlin. Beim GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V. ist er Referent für Wohnungsbau, Städtebau, Forschung und Entwicklung.
Bestandsaufnahme
06-15 | Projekte, Bücher, Termine
18-19 | Neues im Osten
20-25 | Industriell oder individuell? Vier Plattenbauexperten im Gespräch
26-27 | Zwischen Abriss und Umbau - Plattensanierung: Erfahrungen der Wohnungswirtschaft
28-33 | 01 Ein Gartenhaus für Kinder: Umbau einer Kindertagesstätte in Berlin-Oberschöneweide
34-39 | 02 Masse mit Klasse: Rück- und Umbau der Wohnquartiers C4 in Greifswald
40-47 | 03 Leuchtturm der Moderne: Sanierung und Umbau der „Prager Zeile“ in Dresden
48-51 | 04 Wiedergutmachung für die Platte? Lausitztower in Hoyerswerda
52-55 | 05 Ostmoderne relaunched: Fassadensanierung an zwei Typenschulen in Berlin-Friedrichshain
Technik
56-63 | Brandschutz versus Denkmalschutz: Was lässt sich aus dem Brand der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar lernen?
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Fortbildung
70-71 | Aufbaustudium in Frankfurt, Oder
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74 | Vorschau, Impressum, Bildnachweis
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