Zeitschrift
archithese 5.2010
Russland
Vierzig Grad im Schatten, die Silhouette der Stadt in gelblich-grauen Dunst gehüllt, rauchiger Brandgeruch: In diesem Sommer wirkte Moskau wie eine apokalyp-tische Riesenmetropole. Die rings um die Stadt schwelenden Torffeuer sind -gleichermassen ein Produkt der sozialistischen Ära wie der seither vergangenen zwei Dekaden: Die Torfabbaugebiete, zuvor zur Energiegewinnung ausgebeutet, sind sich selbst überlassen worden und entzündeten sich in den heissen Monaten des Jahres. So können die Feuer als Indikator für einen abrupten, kaum abgefederten Wandel von der sozialistischen Planwirtschaft zu einem hemmungslosen Turbokapitalismus verstanden werden, bei dem der Gewinn des Einzelnen alles ist, das Gemeinwohl dagegen kaum etwas zählt. Die Schere zwischen Arm und Reich hat denn auch Dimensionen angenommen, welche mit dem Einkommens- und Besitzgefälle im übrigen Europa nicht zu vergleichen ist.
Bitter und resignativ fällt daher das Resümee von Evgeny Asse aus, der als Lehrer an der Moskauer Architekturfakultät unterrichtet, inzwischen aber auf das Bauen mehr oder minder verzichtet. Korruption, absurde Bürokratie und schlechte Bauausführung sind nur drei der Faktoren, welche eine qualitätvolle Architektur behindern, zumeist sogar verhindern. Noch mehr aber schmerzt Asse, dass der soziale Aspekt der Architektur überhaupt keine Rolle spielt. Gebaut wird, was den Investoren Profit verspricht: Shopping Malls, Bürogebäude, Gated Communities. Öffentliche Bauaufgaben werden vernachlässigt, ein Wettbewerbswesen ist so gut wie unbekannt. Bei einigen Prestigeprojekten – etwa dem Mariinskij-Theater oder dem Gazprom-Tower in St. Petersburg – fanden zwar Konkurrenzen statt, doch das Schaulaufen westlicher Architekturstars führte nicht zum Erfolg: Kaum ein ausländischer Stararchitekt, der es geschafft hätte, ein Bauprojekt in Russland auch wirklich auszuführen. Als ein leises Hoffnungszeichen sieht Asse die unlängst gegründete Architekturschule Strelka, in unmittelbarer Nähe des Kreml am Ufer der Moskwa gelegen. Von Rem Koolhaas und seinem Thinktank AMO programmiert, ist Strelka ein Gegenentwurf zu den noch ganz auf der Beaux-Arts-Tradition fussenden russischen Architekturfakultäten. Finanziert wird sie von einigen wohlhabenden Privatleuten, die sich des Wohlwollens der russischen Führungselite erfreuen. Doch das kann sich in Russland schnell ändern.
Das vorliegende Heft wurde gemeinsam mit der in Berlin lebenden Architektin und Architekturkritikerin Elena Kossovskaja konzipiert und realisiert.
Redaktion
02 Editorial
Architektur Aktuell
12 6a architects, Raven Row, London, Hannes Mayer
Russland
22 Nach der Wende
32 Russische Architektur 1991–2010 | Elena Kossovskaja
Nach der Stilkontroverse? Anmerkungen zur zeitgenössischen russischen Architektur, Irina Chipova, Bernhard Schulz
38 «Die Russen verstehen die Werte des Neuen» Erick van Egeraat im Gespräch mit Thomas Wortmann
44 Die potemkinsche Metropole
Abriss, Rekonstruktion und Fälschung der Geschichte in der postsowjetischen Moskauer Architektur | Jan Skuratowski
50 «Evrostandard». Russlands Architektur und das Bild vom Westen | Elena Kossovskaja
56 Industriestädte des russischen Nordens. Sozialistischer Stadtraum in der postsozialistischen Epoche | Anna Zhelnina, Alla Bolotova
62 Eine Metropole am Rand. Betrachtungen zur aktuellen Lage und historischen Entwicklung der Stadt Perm | Martina Baum, Mark Michaeli
66 Perm Strategic Masterplan: Planning Strategies as defined by the involved Offices
68 Krapivna 010 - Auferstehung: Erfahrungen eines Diplomprojektes | Evgeny Asse
74 Zweites Leben für eine altrussische Stadt: Sergei Tchoban im Gespräch mit Hubertus Adam und Elena Kossovskaja
78 Kunst und Architektur: Nikola-Lenivets und Pirogovo | Hubertus Adam
84 «Höhere Qualität mit weniger Kosten»: Sowjetische Architektur zwischen Stalin und Glasnost | Philipp Meuser
90 Konstantin Melnikows Zylinderhaus in Moskau: Die Rettung eines Symbols | J. Christoph Bürkle
Rubriken
94 Interview: Wider die Kohärenz: Magarete von Lupin im Gespräch mit E2A
98 Junge Architektinnen und Architekten: OOS | J. Christoph Bürkle
100 Essay: The mediated city | Peter Staub
107 Baugeschichten: Resignation nach russischen Erfahrungen: Ernst May besucht Karl Moser 1933 in Zürich | Hubertus Adam
108 fsai
109 Neues aus der Industrie
119 Lieferbare Hefte
120 Vorschau und Impressum
Bitter und resignativ fällt daher das Resümee von Evgeny Asse aus, der als Lehrer an der Moskauer Architekturfakultät unterrichtet, inzwischen aber auf das Bauen mehr oder minder verzichtet. Korruption, absurde Bürokratie und schlechte Bauausführung sind nur drei der Faktoren, welche eine qualitätvolle Architektur behindern, zumeist sogar verhindern. Noch mehr aber schmerzt Asse, dass der soziale Aspekt der Architektur überhaupt keine Rolle spielt. Gebaut wird, was den Investoren Profit verspricht: Shopping Malls, Bürogebäude, Gated Communities. Öffentliche Bauaufgaben werden vernachlässigt, ein Wettbewerbswesen ist so gut wie unbekannt. Bei einigen Prestigeprojekten – etwa dem Mariinskij-Theater oder dem Gazprom-Tower in St. Petersburg – fanden zwar Konkurrenzen statt, doch das Schaulaufen westlicher Architekturstars führte nicht zum Erfolg: Kaum ein ausländischer Stararchitekt, der es geschafft hätte, ein Bauprojekt in Russland auch wirklich auszuführen. Als ein leises Hoffnungszeichen sieht Asse die unlängst gegründete Architekturschule Strelka, in unmittelbarer Nähe des Kreml am Ufer der Moskwa gelegen. Von Rem Koolhaas und seinem Thinktank AMO programmiert, ist Strelka ein Gegenentwurf zu den noch ganz auf der Beaux-Arts-Tradition fussenden russischen Architekturfakultäten. Finanziert wird sie von einigen wohlhabenden Privatleuten, die sich des Wohlwollens der russischen Führungselite erfreuen. Doch das kann sich in Russland schnell ändern.
Das vorliegende Heft wurde gemeinsam mit der in Berlin lebenden Architektin und Architekturkritikerin Elena Kossovskaja konzipiert und realisiert.
Redaktion
02 Editorial
Architektur Aktuell
12 6a architects, Raven Row, London, Hannes Mayer
Russland
22 Nach der Wende
32 Russische Architektur 1991–2010 | Elena Kossovskaja
Nach der Stilkontroverse? Anmerkungen zur zeitgenössischen russischen Architektur, Irina Chipova, Bernhard Schulz
38 «Die Russen verstehen die Werte des Neuen» Erick van Egeraat im Gespräch mit Thomas Wortmann
44 Die potemkinsche Metropole
Abriss, Rekonstruktion und Fälschung der Geschichte in der postsowjetischen Moskauer Architektur | Jan Skuratowski
50 «Evrostandard». Russlands Architektur und das Bild vom Westen | Elena Kossovskaja
56 Industriestädte des russischen Nordens. Sozialistischer Stadtraum in der postsozialistischen Epoche | Anna Zhelnina, Alla Bolotova
62 Eine Metropole am Rand. Betrachtungen zur aktuellen Lage und historischen Entwicklung der Stadt Perm | Martina Baum, Mark Michaeli
66 Perm Strategic Masterplan: Planning Strategies as defined by the involved Offices
68 Krapivna 010 - Auferstehung: Erfahrungen eines Diplomprojektes | Evgeny Asse
74 Zweites Leben für eine altrussische Stadt: Sergei Tchoban im Gespräch mit Hubertus Adam und Elena Kossovskaja
78 Kunst und Architektur: Nikola-Lenivets und Pirogovo | Hubertus Adam
84 «Höhere Qualität mit weniger Kosten»: Sowjetische Architektur zwischen Stalin und Glasnost | Philipp Meuser
90 Konstantin Melnikows Zylinderhaus in Moskau: Die Rettung eines Symbols | J. Christoph Bürkle
Rubriken
94 Interview: Wider die Kohärenz: Magarete von Lupin im Gespräch mit E2A
98 Junge Architektinnen und Architekten: OOS | J. Christoph Bürkle
100 Essay: The mediated city | Peter Staub
107 Baugeschichten: Resignation nach russischen Erfahrungen: Ernst May besucht Karl Moser 1933 in Zürich | Hubertus Adam
108 fsai
109 Neues aus der Industrie
119 Lieferbare Hefte
120 Vorschau und Impressum
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