Zeitschrift
Metamorphose 06/10
Handel im Wandel
Fokus: Handel im Wandel
„Die Ware ist das Primäre, d. h. der Notwendigkeit ihrer eindruckvollsten Anpreisung dienen alle kaufmännischen und baulichen Maßnahmen. Insbesondere der Bau hat (…) sich von dieser Grundbedingung des Geschäftes bei jeder Phase der Projektierung und der Durchführung leiten zu lassen.“ (Erich Mendelsohn [1])
Teleshopping und Internetverkauf, Factory Outlet und Shoppingcenter haben die Einzelhandelslandschaft stark verändert: Vielerorts droht ein Ausbluten der Fußgängerzone, aber auch die Einkaufszentren in den Wohngebieten der Vorstadt und die Lebensmittelmärkte auf dem Land haben mit den neuen Verhältnissen zu kämpfen. Eine Branche befindet sich im Umbruch – was bedeutet das für ihre Bauten?
Wenn es einen Gebäudetyp gibt, der einer Fußgängerzone Großstadtflair verleiht, dann ist es das Kaufhaus. Vor allem in Deutschland fehlt es in keinem größeren Stadtzentrum und trennt die Spreu der Klein- vom Weizen der Groß- und Mittelstädte. Seine Boomphase erlebte es nach dem Zweiten Weltkrieg: Da nach den Kriegszerstörungen die Innenstädte umfassend modernisiert wurden und auch großen Handelsflächen Platz boten, konnten hierzulande Warenhausketten kräftig wachsen. Im benachbarten Frankreich beispielsweise konzentrierten sich große Verkaufseinheiten wegen der gut erhaltenen Altstädte hingegen eher am Stadtrand, sodass dort heute strukturell die Supermarktketten dominieren. Dies mag erklären, weshalb die Kaufhauspleiten der vergangenen Jahre in Deutschland einen Aufschrei ausgelöst haben. Sie bedeuten einen tiefgreifenden Einschnitt in die Struktur des Einzelhandels.
Die Auswirkungen könnten unterschiedlicher kaum sein. Eine Großstadt kann den Wegfall eines Kaufhauses in der Regel gut verkraften, weitaus diffiziler sieht es in den Mittelstädten aus, die etwa von der Schließung der Hertie-Häuser betroffen sind. Von den 74 ehemaligen Filialen dieser Einzelhandelsmarke stehen derzeit rund 60 leer. Ungefähr 640.000 Quadratmeter sind damit auf einen Schlag auf den Markt gekommen. Prosperierende Städte können von einer solchen Situation profitieren, etwa wenn ihre kleinteilige, womöglich denkmalgeschützte Bebauung in der Innenstadt bislang die Ansiedlung größerer Handelsflächen verhinderte, wie sie etwa von Zara, H&M oder s.Oliver gesucht werden. Hier bietet der Wegfall des Kaufhauses die Chance, neue Marken anzulocken und damit die Angebotsvielfalt der City zu steigern. Ganz anders in wirtschaftlich schwachen Kommunen: Dort war das Warenhaus häufig der letzte Kundenmagnet und einzige Vollsortimenter der Fußgängerzone. Die benachbarten Einzelhändler können mit ihrem Angebot den Wegfall des Kaufhauses nicht ausgleichen, sodass die Innenstadt für Kunden aus dem Umland an Attraktivität verliert. Manche Stadt droht daher in die einkaufstechnische Bedeutungslosigkeit abzurutschen. Insofern wundert es nicht, dass so viele Kommunen bereit waren, dem insolventen Karstadt-Konzern seine Steuerschulden zu erlassen, um ein Überleben der Filialen zu sichern. Sie wussten um die Bedeutung von Karstadt und Co. für das örtliche Gefüge des Einzelhandels: Das Kaufhaus macht Lage, der Laden braucht Lage.
Doch die Umbrüche beschränken sich nicht nur auf die Mitte der Stadt, auch ihr Rand ist betroffen. Die Einkaufszentren, die in den Sechziger- und Siebzigerjahren in den vorstädtischen Wohngebieten entstanden, müssen immer häufiger den Wegzug ihres wichtigsten Mieters, des Supermarkts, verkraften. Kunden erwarten heute von einem Lebensmittelmarkt Übersichtlichkeit und breite Gänge, sodass sich der Flächenbedarf für die einzelne Filiale deutlich erhöht hat. Die meisten Ketten möchten nur noch Märkte ab 1.000 Quadratmetern betreiben, und solche Flächen sind Mangelware in den Zentren. Verschwindet der Lebensmittelmarkt, droht dem Einkaufszentrum der allmähliche Niedergang und dem Stadtteil ein Problem mit der Nahversorgung. Um dies zu verhindern, muss durch eine rechtzeitige Erweiterung oder durch das Zusammenlegen mehrerer Ladenflächen der Ankermieter bei der Stange gehalten werden.
Noch schwieriger ist die Situation im ländlichen Raum. Der starke Verdrängungswettbewerb zwischen den Lebensmittelmärkten und die damit verbundene Konzentration auf nur noch wenige Anbieter sorgen in vielen Dörfern für leere Ladenlokale. Gab es 1992 bundesweit noch 81.400 Geschäfte, so ist die Zahl bis zum Jahr 2000 auf 61.100 gesunken – ein Rückgang um ein ganzes Viertel! [2] Besonders trifft dies Kinder, ältere Personen, Menschen mit Behinderungen oder Bürger, die kein Fahrzeug besitzen. Ihnen ist es oft nicht mehr möglich, ohne fremde Hilfe ihren täglichen Bedarf an Lebensmitteln zu decken. Da Demografen für die kommenden Jahre ein starkes Anwachsen der älteren Bevölkerung prognostizieren, wird aber gerade eine wohnungsnahe Versorgung deutlich an Wichtigkeit gewinnen. Hier besteht die Herausforderung darin, einen Markt möglichst im Dorfkern anzusiedeln oder zu halten, was bei der kleinteiligen Bebauung nicht leicht ist. Wenn sich die Ketten ganz zurückziehen, gilt es, über andere Betriebsformen nachzudenken, etwa über die gemeinnützigen CAP-Märkte, in denen Behinderte arbeiten, über Bonus-Märkte mit ehemaligen Langzeitarbeitslosen als Personal oder über Ladengemeinschaften von Bäcker, Metzger, Postdienst und Bank in einem einzigen Verkaufsraum. Wo die freie Marktwirtschaft versagt, müssen Verwaltung und Stadtplanung eingreifen und ihn gestalten, den Wandel im Handel.
Christian Schönwetter
Anmerkungen:
[01] Mendelsohn, Erich: Das neuzeitliche Geschäftshaus, o. D. (ca. 1929), KBB E. M. Archiv M. V. 32, S. 6–7
[02] Steffen, Gabriele; Weeber Rotraut: Das Ende der Nahversorgung? Studie zur wohnungsnahen Versorgung (2002), S. 6
Bestandsaufnahme
06-09 | Polygonale Raumschöpfung: Pfarrhaus St. Josef in Zürich
10-17 | Projekte
18 | Bücher
19 | Termine
20-21 | Handel im Wandel
22-23 | Schluss mit Shoppingbrachen: Beispielhafte Umnutzungen ehemaliger Kaufhäuser
24-25 | Auf dem Prüfstand: Hat das Kaufhaus eine Zukunft?
26-27 | Make-up oder Make-over? Strategien beim Umbau von Einkaufszentren
28-33 | 01 Kreisverkehr: Modernisierung der Stachus Passagen in München
34-37 | 02 Wachgeküsst: Die Zeilhöfe in Frankfurt am Main
38-43 | 03 Vom Infrastrukturbauwerk zur Trendmeile: Umnutzung Wipkinger- und Lettenviadukt, Zürich
44-47 | Raumreserven aktivieren: Zukünftige Kommerzarchitektur im Bestand von OMA, UN Studio u. a.
Technik
48-54 | Drunter oder drüber? Nachträgliche Dämmung von Steildächern
55-59 | Neuer Estrich auf alten Balken: Fußbodensanierung bei Holzbalkendecken
Produkte
60-61 | Heizung
62-63 | LED im Denkmal?
64-65 | Neuheiten
Rubriken
66-67 | Verkannte Perlen – Würdevolles unter Verkrustungen: Ernst Mays Römerstadt in Frankfurt vernachlässigt
68 | Vorschau
68 | Impressum
68 | Bildnachweis
„Die Ware ist das Primäre, d. h. der Notwendigkeit ihrer eindruckvollsten Anpreisung dienen alle kaufmännischen und baulichen Maßnahmen. Insbesondere der Bau hat (…) sich von dieser Grundbedingung des Geschäftes bei jeder Phase der Projektierung und der Durchführung leiten zu lassen.“ (Erich Mendelsohn [1])
Teleshopping und Internetverkauf, Factory Outlet und Shoppingcenter haben die Einzelhandelslandschaft stark verändert: Vielerorts droht ein Ausbluten der Fußgängerzone, aber auch die Einkaufszentren in den Wohngebieten der Vorstadt und die Lebensmittelmärkte auf dem Land haben mit den neuen Verhältnissen zu kämpfen. Eine Branche befindet sich im Umbruch – was bedeutet das für ihre Bauten?
Wenn es einen Gebäudetyp gibt, der einer Fußgängerzone Großstadtflair verleiht, dann ist es das Kaufhaus. Vor allem in Deutschland fehlt es in keinem größeren Stadtzentrum und trennt die Spreu der Klein- vom Weizen der Groß- und Mittelstädte. Seine Boomphase erlebte es nach dem Zweiten Weltkrieg: Da nach den Kriegszerstörungen die Innenstädte umfassend modernisiert wurden und auch großen Handelsflächen Platz boten, konnten hierzulande Warenhausketten kräftig wachsen. Im benachbarten Frankreich beispielsweise konzentrierten sich große Verkaufseinheiten wegen der gut erhaltenen Altstädte hingegen eher am Stadtrand, sodass dort heute strukturell die Supermarktketten dominieren. Dies mag erklären, weshalb die Kaufhauspleiten der vergangenen Jahre in Deutschland einen Aufschrei ausgelöst haben. Sie bedeuten einen tiefgreifenden Einschnitt in die Struktur des Einzelhandels.
Die Auswirkungen könnten unterschiedlicher kaum sein. Eine Großstadt kann den Wegfall eines Kaufhauses in der Regel gut verkraften, weitaus diffiziler sieht es in den Mittelstädten aus, die etwa von der Schließung der Hertie-Häuser betroffen sind. Von den 74 ehemaligen Filialen dieser Einzelhandelsmarke stehen derzeit rund 60 leer. Ungefähr 640.000 Quadratmeter sind damit auf einen Schlag auf den Markt gekommen. Prosperierende Städte können von einer solchen Situation profitieren, etwa wenn ihre kleinteilige, womöglich denkmalgeschützte Bebauung in der Innenstadt bislang die Ansiedlung größerer Handelsflächen verhinderte, wie sie etwa von Zara, H&M oder s.Oliver gesucht werden. Hier bietet der Wegfall des Kaufhauses die Chance, neue Marken anzulocken und damit die Angebotsvielfalt der City zu steigern. Ganz anders in wirtschaftlich schwachen Kommunen: Dort war das Warenhaus häufig der letzte Kundenmagnet und einzige Vollsortimenter der Fußgängerzone. Die benachbarten Einzelhändler können mit ihrem Angebot den Wegfall des Kaufhauses nicht ausgleichen, sodass die Innenstadt für Kunden aus dem Umland an Attraktivität verliert. Manche Stadt droht daher in die einkaufstechnische Bedeutungslosigkeit abzurutschen. Insofern wundert es nicht, dass so viele Kommunen bereit waren, dem insolventen Karstadt-Konzern seine Steuerschulden zu erlassen, um ein Überleben der Filialen zu sichern. Sie wussten um die Bedeutung von Karstadt und Co. für das örtliche Gefüge des Einzelhandels: Das Kaufhaus macht Lage, der Laden braucht Lage.
Doch die Umbrüche beschränken sich nicht nur auf die Mitte der Stadt, auch ihr Rand ist betroffen. Die Einkaufszentren, die in den Sechziger- und Siebzigerjahren in den vorstädtischen Wohngebieten entstanden, müssen immer häufiger den Wegzug ihres wichtigsten Mieters, des Supermarkts, verkraften. Kunden erwarten heute von einem Lebensmittelmarkt Übersichtlichkeit und breite Gänge, sodass sich der Flächenbedarf für die einzelne Filiale deutlich erhöht hat. Die meisten Ketten möchten nur noch Märkte ab 1.000 Quadratmetern betreiben, und solche Flächen sind Mangelware in den Zentren. Verschwindet der Lebensmittelmarkt, droht dem Einkaufszentrum der allmähliche Niedergang und dem Stadtteil ein Problem mit der Nahversorgung. Um dies zu verhindern, muss durch eine rechtzeitige Erweiterung oder durch das Zusammenlegen mehrerer Ladenflächen der Ankermieter bei der Stange gehalten werden.
Noch schwieriger ist die Situation im ländlichen Raum. Der starke Verdrängungswettbewerb zwischen den Lebensmittelmärkten und die damit verbundene Konzentration auf nur noch wenige Anbieter sorgen in vielen Dörfern für leere Ladenlokale. Gab es 1992 bundesweit noch 81.400 Geschäfte, so ist die Zahl bis zum Jahr 2000 auf 61.100 gesunken – ein Rückgang um ein ganzes Viertel! [2] Besonders trifft dies Kinder, ältere Personen, Menschen mit Behinderungen oder Bürger, die kein Fahrzeug besitzen. Ihnen ist es oft nicht mehr möglich, ohne fremde Hilfe ihren täglichen Bedarf an Lebensmitteln zu decken. Da Demografen für die kommenden Jahre ein starkes Anwachsen der älteren Bevölkerung prognostizieren, wird aber gerade eine wohnungsnahe Versorgung deutlich an Wichtigkeit gewinnen. Hier besteht die Herausforderung darin, einen Markt möglichst im Dorfkern anzusiedeln oder zu halten, was bei der kleinteiligen Bebauung nicht leicht ist. Wenn sich die Ketten ganz zurückziehen, gilt es, über andere Betriebsformen nachzudenken, etwa über die gemeinnützigen CAP-Märkte, in denen Behinderte arbeiten, über Bonus-Märkte mit ehemaligen Langzeitarbeitslosen als Personal oder über Ladengemeinschaften von Bäcker, Metzger, Postdienst und Bank in einem einzigen Verkaufsraum. Wo die freie Marktwirtschaft versagt, müssen Verwaltung und Stadtplanung eingreifen und ihn gestalten, den Wandel im Handel.
Christian Schönwetter
Anmerkungen:
[01] Mendelsohn, Erich: Das neuzeitliche Geschäftshaus, o. D. (ca. 1929), KBB E. M. Archiv M. V. 32, S. 6–7
[02] Steffen, Gabriele; Weeber Rotraut: Das Ende der Nahversorgung? Studie zur wohnungsnahen Versorgung (2002), S. 6
Bestandsaufnahme
06-09 | Polygonale Raumschöpfung: Pfarrhaus St. Josef in Zürich
10-17 | Projekte
18 | Bücher
19 | Termine
20-21 | Handel im Wandel
22-23 | Schluss mit Shoppingbrachen: Beispielhafte Umnutzungen ehemaliger Kaufhäuser
24-25 | Auf dem Prüfstand: Hat das Kaufhaus eine Zukunft?
26-27 | Make-up oder Make-over? Strategien beim Umbau von Einkaufszentren
28-33 | 01 Kreisverkehr: Modernisierung der Stachus Passagen in München
34-37 | 02 Wachgeküsst: Die Zeilhöfe in Frankfurt am Main
38-43 | 03 Vom Infrastrukturbauwerk zur Trendmeile: Umnutzung Wipkinger- und Lettenviadukt, Zürich
44-47 | Raumreserven aktivieren: Zukünftige Kommerzarchitektur im Bestand von OMA, UN Studio u. a.
Technik
48-54 | Drunter oder drüber? Nachträgliche Dämmung von Steildächern
55-59 | Neuer Estrich auf alten Balken: Fußbodensanierung bei Holzbalkendecken
Produkte
60-61 | Heizung
62-63 | LED im Denkmal?
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