Zeitschrift
Metamorphose 02/11
Mehr Raum für Bildung
Fokus: Mehr Raum für Bildung
„Eine Investition in Wissen bringt immer noch die besten Zinsen.“ (Benjamin Franklin)
Wenn die Bildung ins Visier öffentlicher Diskussionen gerät, erfahren auch die Orte des Lernens mehr Aufmerksamkeit. Architekten stehen vor der Frage, wie sich unsere Bildungslandschaft wandelt, welche neuen Anforderungen sie an Gebäude stellt, wie Räume beschaffen sein müssen, die zeitgemäßes Lernen unterstützen – und wie sich solche Räume in bestehenden Bauten verwirklichen lassen.
Kaum eine Bauaufgabe ist so politisch wie das Planen von Bildungsbauten. In den Räumen, die für Kinder und Jugendliche geschaffen werden, schlagen sich gesellschaftliche Leitbilder und politische Zielvorstellungen in besonderem Maße nieder. Sehr deutlich zeigt sich dies etwa am Umfang, in dem Kindergärten und -krippen derzeit neu errichtet, umgebaut oder erweitert werden.
Dieser kleine Bauboom resultiert unmittelbar aus gesetzlichen Vorgaben: Gab es bislang nur einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab dem dritten Lebensjahr, so erhält ab 2013 jedes Kind schon nach dem ersten Geburtstag einen Anspruch auf Förderung in einer Kindertageseinrichtung. Damit soll es Eltern erleichtert werden, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren, vor allem Mütter sollen bessere Chancen haben, früh in den Beruf zurückzukehren – eine Etappe auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung in der Arbeitswelt. Und natürlich soll die frühkindliche Förderung auch dafür sorgen, dass Kinder aus bildungsfernen Schichten später bessere Chancen in der Schule haben. Wer in diesem Sinne Kindergärten zu Horten, Krippen oder Tagesstätten umbaut, baut auch ein wenig die Gesellschaft um.
Ähnlich verhält es sich mit dem Ausbau von Halbtags- zu Ganztagsschulen. Dort erhalten auch Kinder aus sozial schwachen Familien, die bislang nach dem Ein-Uhr-Läuten häufig auf sich allein gestellt waren, am Nachmittag Betreuung und Unterstützung; insofern leistet dieses Schulmodell einen Beitrag zu mehr Chancengleichheit in Sachen Bildung – auch hier hat der Umbau eine gesellschaftliche Relevanz.
Neue Räume für neues Lernen
Doch wie werden Bildungsinhalte heute vermittelt und welche Räume werden dafür benötigt? Hier gilt es vor allem, zwischen drei Lernformen zu unterscheiden, die nicht nur die Wissensvermittlung im Kindes- sondern auch im Erwachsenenalter kennzeichnen. Das rezeptive Lernen findet bei Vorträgen und Präsentationen statt, oder auch beim Vorführen eines Experiments. In der Schule kennt man es als klassischen Frontalunterricht, in der Hochschule als Vorlesung; die entsprechenden Räume sind Klassenzimmer und Hörsaal. Es war bislang die vorherrschende Lernform, wird heute aber sehr stark durch das produktive Lernen ergänzt, bei dem der Lehrstoff nicht passiv konsumiert, sondern aktiv erarbeitet wird. Dies findet in kleineren Gruppen bis hin zur Einzelarbeit statt. An den Universitäten gibt es dafür seit langem zahlreiche räumliche Angebote vom Labor über den Seminarraum zum Leseplatz in der Bibliothek. Bei Schulen jedoch mangelt es meist an geeigneten Räumen. Für die konzentrierte Arbeit in Kleingruppen etwa bräuchte das Klassenzimmer leicht abgetrennte Rückzugszonen, etwa eine Nische oder Galerie. Die dritte Lernform, das reproduktive Lernen, ist vielen Menschen noch als das lästige „Üben“ bekannt. Es sichert das erworbene Wissen durch häufiges Wiederholen, entweder in der Gruppe oder allein. Auch hierfür halten die wenigsten Schulen ein räumliches Angebot bereit, nötig wären etwa Lesenischen zum konzentrierten Üben ohne Ablenkung.
Werden alle drei Lernformen kombiniert, erhöht sich die Chance auf effektives Lernen. Doch dafür brauchen Schulen eine andere räumliche Ausstattung als bisher, vor allem mehr Platz. Nicht zwingend benötigt jede Tätigkeit einen eigenen Raum. Es geht vor allem darum, ausreichend große Räume bereit zu stellen, die sich flexibel gliedern lassen, weil nicht mehr alle Schüler zur gleichen Zeit das Gleiche tun, sondern die unterschiedlichen Aktivitäten und Lernformen parallel nebeneinander stattfinden.
Auch die Umstellung auf Ganztagsbetrieb stellt neue räumliche Anforderungen an die Schulen. Zunächst einmal werden Flächen für die Verpflegung nötig, Küche und Mensa. Doch damit ist es bei weitem nicht getan. Wenn die Schüler länger im Gebäude sind, wird dieses zu einer Art zweiter Heimat. Der Bedarf an Sport- und Spielflächen vergrößert sich, an Aufenthaltsbereichen, an Zonen zum selbständigen Lernen, aber auch an Nischen zum Nichtstun. Auch die Lehrer brauchen mehr Raum, das klassische Lehrerzimmer wird zu klein; denn wenn Pädagogen den ganzen Tag an der Schule verbringen, brauchen auch sie Rückzugsbereiche für konzentriertes Arbeiten. Nicht zuletzt wird es notwendig sein, Räume für außerschulische Aktivitäten zur Verfügung zu stellen. So beklagen Vereine bereits, dass Kinder und Jugendliche wegen der Ganztagsschule kaum noch Zeit für Vereinstätigkeiten fänden, und bemühen sich deshalb, mit ihrem Angebot direkt in die Schulen zu gehen. All dies macht deutlich: Bisher übliche Raumprogramme und Förderrichtlinien werden heutigen Bedürfnissen nicht mehr gerecht.
Altlast Altbau?
Bei der Frage, wie sich diese gewandelten Bedürfnisse erfüllen lassen, ist eines klar: sicher nicht mit massenhaftem Neubau. In florierenden Ballungszentren mit Bevölkerungswachstum mag noch die ein oder andere Schule neu errichtet werden, bei insgesamt sinkenden Geburtenraten und Schülerzahlen wird es aber in weiten Teilen des Landes darum gehen, die vorhandenen Schulbauten anzupassen. Bis zu 35.000 Gebäude – so hoch wird der Bestand an deutschen Schulen geschätzt – kommen dafür rein theoretisch infrage. Der demografische Wandel könnte sich hier ausnahmsweise einmal nicht als Problem, sondern als Chance erweisen: Wo weniger junge Menschen die Schulbank drücken, wird weniger Raum benötigt – Raum, der für die beschriebenen neuen Nutzungen frei wird.
Ältere Schulbauten bieten mitunter auch Qualitäten, die sich im Neubau gar nicht mehr erreichen lassen. Die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren weit verbreitete einhüftige Erschließung etwa, die die Flure mit natürlichem Tageslicht versorgt, gilt unter dem heutigen Kostendruck als unwirtschaftlich und lässt sich bei Neubauten kaum noch verwirklichen; in diesen älteren Fluren steckt Potenzial als Aufenthaltsbereich und für die Einrichtung von Nischen oder Sitzecken zum individuellen Lernen. Viele alte Schulen verfügen aber auch über ausgesprochen große Unterrichtsräume, die aus Zeiten stammen, als Klassengrößen von über 40 Schülern keine Seltenheit waren. Solche Räume bieten heute genug Platz, um auch eine Ecke für die zurückgezogene Arbeit in Kleingruppen einzurichten. Bei jüngeren Bauten mit kleineren Räumen wird man vielleicht jedes dritte oder vierte Klassenzimmer aufteilen und dem benachbarten Raum als Rückzugsbereich für die Gruppenarbeit zuschlagen können. Umbau muss also keineswegs schlechter sein als Neubau.
Das Umfeld umgarnen
Wenn Schulen zur Anpassung und Modernisierung anstehen, lohnt es sich, dabei über den Tellerrand beziehungsweise die Schulhofmauer zu schauen. Die Bundesstiftung Baukultur empfiehlt, sie stärker zu öffnen und mit dem Stadtteil oder der Gemeinde zu vernetzen. Da Schulen Lärm und Verkehr erzeugen, sind sie in der Nachbarschaft nicht immer beliebt. Deshalb ist es sinnvoll, wenn sie öffentliche Angebote unterbreiten, die dem Umfeld einen Nutzen bringen. Mensa und Bibliothek könnten etwa als Café und Treffpunkt für die Bevölkerung dienen, die Freiflächen als öffentlicher Grünraum. Auf diese Weise würden Schulen weniger als Störfaktor wahrgenommen und könnten stattdessen zu generationsübergreifenden Bildungsstätten avancieren. Kleiner Nebeneffekt: Mehr Menschen bekommen mit, wie es um den baulichen Zustand der örtlichen Schule bestellt ist, jahrelanges Nichtinstandsetzen durch die Kommune, wie es heute vielerorts traurige Realität ist, würde weniger wahrscheinlich.
Christian Schönwetter
Aktuelle Literatur:
- Wüstenrot Stiftung (Hrsg.): Raumpilot Lernen. Karl Krämer Verlag 2010
Vergleichende Gebäudelehre, die Lösungen für die einzelnen räumlichen Bereiche von Schulen – Eingang, Aula, Klassenzimmer, Lehrerbereich etc. – anhand von Grundrissen und Schnitten übersichtlich darstellt.
- Thomas Müller, Romana Schneider: Das Klassenzimmer. Vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute. Wasmuth Verlag 2010
Historischer Überblick, der nicht das Schulgebäude als Ganzes ins Visier nimmt, sondern den Fokus speziell auf das Klassenzimmer und seine Möblierung richtet.
- Michael Braum, Oliver Hamm (Hrsg.): Worauf baut die Bildung? Fakten, Positionen, Beispiele. Birkhäuser Verlag 2010
Die Bundesstiftung Baukultur geht der Frage nach, wie sich die räumliche Qualität von Bildungsbauten steigern lässt und spricht dafür konkrete Empfehlungen aus.
Bestandsaufnahme
06-09 | Kleinod sichtbar gemacht: Staatsgerichtshof des Landes Hessen, Wiesbaden
10-15 | Projekte
16 | Bücher
17 | Termine
18-21 | Mehr Raum für Bildung
22-27 | 01 Kindertagesstätte – Raumreserven nutzen: Thomas-Morus-Haus, Heilbronn
28-33 | 02 Basisschule – Unsichtbares Spektakel: Munkegaards-Schule, Gentofte (DK)
34-39 | 03 Berufsschule – Des Heckner-Riesens Zähmung: Bildungscampus Bestehornpark, Aschersleben
40-43 | 04 Betriebliches Schulungszentrum – Von der Textil- zur Lernfabrik: Ausbildungszentrum „Prolin“, Rehau
44-47 | 05 Hochschule – Sensible Radikalkur: Hörsaalgebäude Montanuniversität Leoben (A)
Technik
48-50 | Historische Bautechnik – Mit Patina bedacht: Von Falz zu Falz – die Geschichte des Zinkdaches
53-55 | Energetische Sanierung – Neues Glas oder neue Fenster? Entscheidungskriterien für die energetische Optimierung
56-59 | Technik aktuell – Weg mit der Wandfeuchte: Hydrophobierende Fassadenimprägnierung
Produkte
60-61 | Fassade
62-63 | Schließanlagen
64-65 | Rund ums Dach
Rubriken
66-67 | Verkannte Perlen – Ein Saal als Denkmal? Streit in Berlin um den Umbau des Pergamonmuseums
68 | Vorschau
68 | Impressum
68 | Bildnachweis
„Eine Investition in Wissen bringt immer noch die besten Zinsen.“ (Benjamin Franklin)
Wenn die Bildung ins Visier öffentlicher Diskussionen gerät, erfahren auch die Orte des Lernens mehr Aufmerksamkeit. Architekten stehen vor der Frage, wie sich unsere Bildungslandschaft wandelt, welche neuen Anforderungen sie an Gebäude stellt, wie Räume beschaffen sein müssen, die zeitgemäßes Lernen unterstützen – und wie sich solche Räume in bestehenden Bauten verwirklichen lassen.
Kaum eine Bauaufgabe ist so politisch wie das Planen von Bildungsbauten. In den Räumen, die für Kinder und Jugendliche geschaffen werden, schlagen sich gesellschaftliche Leitbilder und politische Zielvorstellungen in besonderem Maße nieder. Sehr deutlich zeigt sich dies etwa am Umfang, in dem Kindergärten und -krippen derzeit neu errichtet, umgebaut oder erweitert werden.
Dieser kleine Bauboom resultiert unmittelbar aus gesetzlichen Vorgaben: Gab es bislang nur einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab dem dritten Lebensjahr, so erhält ab 2013 jedes Kind schon nach dem ersten Geburtstag einen Anspruch auf Förderung in einer Kindertageseinrichtung. Damit soll es Eltern erleichtert werden, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren, vor allem Mütter sollen bessere Chancen haben, früh in den Beruf zurückzukehren – eine Etappe auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung in der Arbeitswelt. Und natürlich soll die frühkindliche Förderung auch dafür sorgen, dass Kinder aus bildungsfernen Schichten später bessere Chancen in der Schule haben. Wer in diesem Sinne Kindergärten zu Horten, Krippen oder Tagesstätten umbaut, baut auch ein wenig die Gesellschaft um.
Ähnlich verhält es sich mit dem Ausbau von Halbtags- zu Ganztagsschulen. Dort erhalten auch Kinder aus sozial schwachen Familien, die bislang nach dem Ein-Uhr-Läuten häufig auf sich allein gestellt waren, am Nachmittag Betreuung und Unterstützung; insofern leistet dieses Schulmodell einen Beitrag zu mehr Chancengleichheit in Sachen Bildung – auch hier hat der Umbau eine gesellschaftliche Relevanz.
Neue Räume für neues Lernen
Doch wie werden Bildungsinhalte heute vermittelt und welche Räume werden dafür benötigt? Hier gilt es vor allem, zwischen drei Lernformen zu unterscheiden, die nicht nur die Wissensvermittlung im Kindes- sondern auch im Erwachsenenalter kennzeichnen. Das rezeptive Lernen findet bei Vorträgen und Präsentationen statt, oder auch beim Vorführen eines Experiments. In der Schule kennt man es als klassischen Frontalunterricht, in der Hochschule als Vorlesung; die entsprechenden Räume sind Klassenzimmer und Hörsaal. Es war bislang die vorherrschende Lernform, wird heute aber sehr stark durch das produktive Lernen ergänzt, bei dem der Lehrstoff nicht passiv konsumiert, sondern aktiv erarbeitet wird. Dies findet in kleineren Gruppen bis hin zur Einzelarbeit statt. An den Universitäten gibt es dafür seit langem zahlreiche räumliche Angebote vom Labor über den Seminarraum zum Leseplatz in der Bibliothek. Bei Schulen jedoch mangelt es meist an geeigneten Räumen. Für die konzentrierte Arbeit in Kleingruppen etwa bräuchte das Klassenzimmer leicht abgetrennte Rückzugszonen, etwa eine Nische oder Galerie. Die dritte Lernform, das reproduktive Lernen, ist vielen Menschen noch als das lästige „Üben“ bekannt. Es sichert das erworbene Wissen durch häufiges Wiederholen, entweder in der Gruppe oder allein. Auch hierfür halten die wenigsten Schulen ein räumliches Angebot bereit, nötig wären etwa Lesenischen zum konzentrierten Üben ohne Ablenkung.
Werden alle drei Lernformen kombiniert, erhöht sich die Chance auf effektives Lernen. Doch dafür brauchen Schulen eine andere räumliche Ausstattung als bisher, vor allem mehr Platz. Nicht zwingend benötigt jede Tätigkeit einen eigenen Raum. Es geht vor allem darum, ausreichend große Räume bereit zu stellen, die sich flexibel gliedern lassen, weil nicht mehr alle Schüler zur gleichen Zeit das Gleiche tun, sondern die unterschiedlichen Aktivitäten und Lernformen parallel nebeneinander stattfinden.
Auch die Umstellung auf Ganztagsbetrieb stellt neue räumliche Anforderungen an die Schulen. Zunächst einmal werden Flächen für die Verpflegung nötig, Küche und Mensa. Doch damit ist es bei weitem nicht getan. Wenn die Schüler länger im Gebäude sind, wird dieses zu einer Art zweiter Heimat. Der Bedarf an Sport- und Spielflächen vergrößert sich, an Aufenthaltsbereichen, an Zonen zum selbständigen Lernen, aber auch an Nischen zum Nichtstun. Auch die Lehrer brauchen mehr Raum, das klassische Lehrerzimmer wird zu klein; denn wenn Pädagogen den ganzen Tag an der Schule verbringen, brauchen auch sie Rückzugsbereiche für konzentriertes Arbeiten. Nicht zuletzt wird es notwendig sein, Räume für außerschulische Aktivitäten zur Verfügung zu stellen. So beklagen Vereine bereits, dass Kinder und Jugendliche wegen der Ganztagsschule kaum noch Zeit für Vereinstätigkeiten fänden, und bemühen sich deshalb, mit ihrem Angebot direkt in die Schulen zu gehen. All dies macht deutlich: Bisher übliche Raumprogramme und Förderrichtlinien werden heutigen Bedürfnissen nicht mehr gerecht.
Altlast Altbau?
Bei der Frage, wie sich diese gewandelten Bedürfnisse erfüllen lassen, ist eines klar: sicher nicht mit massenhaftem Neubau. In florierenden Ballungszentren mit Bevölkerungswachstum mag noch die ein oder andere Schule neu errichtet werden, bei insgesamt sinkenden Geburtenraten und Schülerzahlen wird es aber in weiten Teilen des Landes darum gehen, die vorhandenen Schulbauten anzupassen. Bis zu 35.000 Gebäude – so hoch wird der Bestand an deutschen Schulen geschätzt – kommen dafür rein theoretisch infrage. Der demografische Wandel könnte sich hier ausnahmsweise einmal nicht als Problem, sondern als Chance erweisen: Wo weniger junge Menschen die Schulbank drücken, wird weniger Raum benötigt – Raum, der für die beschriebenen neuen Nutzungen frei wird.
Ältere Schulbauten bieten mitunter auch Qualitäten, die sich im Neubau gar nicht mehr erreichen lassen. Die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren weit verbreitete einhüftige Erschließung etwa, die die Flure mit natürlichem Tageslicht versorgt, gilt unter dem heutigen Kostendruck als unwirtschaftlich und lässt sich bei Neubauten kaum noch verwirklichen; in diesen älteren Fluren steckt Potenzial als Aufenthaltsbereich und für die Einrichtung von Nischen oder Sitzecken zum individuellen Lernen. Viele alte Schulen verfügen aber auch über ausgesprochen große Unterrichtsräume, die aus Zeiten stammen, als Klassengrößen von über 40 Schülern keine Seltenheit waren. Solche Räume bieten heute genug Platz, um auch eine Ecke für die zurückgezogene Arbeit in Kleingruppen einzurichten. Bei jüngeren Bauten mit kleineren Räumen wird man vielleicht jedes dritte oder vierte Klassenzimmer aufteilen und dem benachbarten Raum als Rückzugsbereich für die Gruppenarbeit zuschlagen können. Umbau muss also keineswegs schlechter sein als Neubau.
Das Umfeld umgarnen
Wenn Schulen zur Anpassung und Modernisierung anstehen, lohnt es sich, dabei über den Tellerrand beziehungsweise die Schulhofmauer zu schauen. Die Bundesstiftung Baukultur empfiehlt, sie stärker zu öffnen und mit dem Stadtteil oder der Gemeinde zu vernetzen. Da Schulen Lärm und Verkehr erzeugen, sind sie in der Nachbarschaft nicht immer beliebt. Deshalb ist es sinnvoll, wenn sie öffentliche Angebote unterbreiten, die dem Umfeld einen Nutzen bringen. Mensa und Bibliothek könnten etwa als Café und Treffpunkt für die Bevölkerung dienen, die Freiflächen als öffentlicher Grünraum. Auf diese Weise würden Schulen weniger als Störfaktor wahrgenommen und könnten stattdessen zu generationsübergreifenden Bildungsstätten avancieren. Kleiner Nebeneffekt: Mehr Menschen bekommen mit, wie es um den baulichen Zustand der örtlichen Schule bestellt ist, jahrelanges Nichtinstandsetzen durch die Kommune, wie es heute vielerorts traurige Realität ist, würde weniger wahrscheinlich.
Christian Schönwetter
Aktuelle Literatur:
- Wüstenrot Stiftung (Hrsg.): Raumpilot Lernen. Karl Krämer Verlag 2010
Vergleichende Gebäudelehre, die Lösungen für die einzelnen räumlichen Bereiche von Schulen – Eingang, Aula, Klassenzimmer, Lehrerbereich etc. – anhand von Grundrissen und Schnitten übersichtlich darstellt.
- Thomas Müller, Romana Schneider: Das Klassenzimmer. Vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute. Wasmuth Verlag 2010
Historischer Überblick, der nicht das Schulgebäude als Ganzes ins Visier nimmt, sondern den Fokus speziell auf das Klassenzimmer und seine Möblierung richtet.
- Michael Braum, Oliver Hamm (Hrsg.): Worauf baut die Bildung? Fakten, Positionen, Beispiele. Birkhäuser Verlag 2010
Die Bundesstiftung Baukultur geht der Frage nach, wie sich die räumliche Qualität von Bildungsbauten steigern lässt und spricht dafür konkrete Empfehlungen aus.
Bestandsaufnahme
06-09 | Kleinod sichtbar gemacht: Staatsgerichtshof des Landes Hessen, Wiesbaden
10-15 | Projekte
16 | Bücher
17 | Termine
18-21 | Mehr Raum für Bildung
22-27 | 01 Kindertagesstätte – Raumreserven nutzen: Thomas-Morus-Haus, Heilbronn
28-33 | 02 Basisschule – Unsichtbares Spektakel: Munkegaards-Schule, Gentofte (DK)
34-39 | 03 Berufsschule – Des Heckner-Riesens Zähmung: Bildungscampus Bestehornpark, Aschersleben
40-43 | 04 Betriebliches Schulungszentrum – Von der Textil- zur Lernfabrik: Ausbildungszentrum „Prolin“, Rehau
44-47 | 05 Hochschule – Sensible Radikalkur: Hörsaalgebäude Montanuniversität Leoben (A)
Technik
48-50 | Historische Bautechnik – Mit Patina bedacht: Von Falz zu Falz – die Geschichte des Zinkdaches
53-55 | Energetische Sanierung – Neues Glas oder neue Fenster? Entscheidungskriterien für die energetische Optimierung
56-59 | Technik aktuell – Weg mit der Wandfeuchte: Hydrophobierende Fassadenimprägnierung
Produkte
60-61 | Fassade
62-63 | Schließanlagen
64-65 | Rund ums Dach
Rubriken
66-67 | Verkannte Perlen – Ein Saal als Denkmal? Streit in Berlin um den Umbau des Pergamonmuseums
68 | Vorschau
68 | Impressum
68 | Bildnachweis
Weiterführende Links:
Konradin Medien GmbH