Zeitschrift
archithese 4.2012
Mischung
Für das vorliegende Heft gab es viele Quellen der Inspiration – und dennoch ist es in seinem Ergebnis eine Überraschung. Auslöser für die Planung des Themas war die Beobachtung einer fortschreitenden Homogenisierung in der Architektur, insbesondere im Wesen einzelner Projekte. Damit folgte die Entwicklung einer von Greg Lynn formulierten Vision, dass nach den Zeiten von «complexity and contradiction», von Postmoderne und Dekonstruktivismus eine Phase einsetzen könnte, die geschmeidiger, integraler ist, die biegsam (pliant) ist statt zu brechen.[1] Das war natürlich sehr beeinflusst von Gilles Deleuze und seinen Gedanken zur Falte (Le Pli).
Greg Lynn wurde insbesondere von den Computer-affinen Architekten studiert, und er ist noch heute Teil dieser Szene. Seine Analysen jedoch – hier verhält es sich möglicherweise wie bei Marx – sind auch auf rationale und minimale Denkrichtungen anzuwenden. Denn selbst in den konservativen und gemässigten Strömungen stellt man eine zunehmend monothematische Herangehensweise fest, wobei sich in manchen Fällen verschiedene Konzepte lose gruppieren, dabei aber selten überlagern.
Greg Lynn sprach nicht von der Einheitlichkeit; er propagierte Unterschiede und unabhängige Elemente in einem viskosen, zusammengehörigen Gesamtsystem «wie Teigschichten» und Rosinenstücke beim Unterheben.[2] Der Rückblick in die Traditionsanalogie der Hausarbeit – er findet seine grössere Realität in der offenen Struktur unserer heutigen vernetzten Welt, die rührt, mixt, tauscht, kaum kontrollierbar, unablässlich, schlaflos über den gesamten Globus verteilt. Ein Zustand, vor dem sich weder die Gesellschaft noch die Wirtschaft noch die Architektur verschliessen kann; er ist bereits da, wie die Smartphones in der Hosentasche.
Unabhängig von der Weltanalyse kann die Redaktion ein Plädoyer für das Mischen nicht verheimlichen. Die Welt entstand aus Mischung, sie entwickelt sich weiter durch Mischung, Ideen entstehen im Kopf aus der Mischung von Erfahrung, Wissen, Eindrücken; Menschen entstehen aus Mischung, und die Architektur wie auch die Stadt sind in ihrem gebauten Zustand ebenfalls selten Werke ohne Mischung. Für die Mischung benötigt es das eine wie das andere – den Mainstream wie das Besondere (Vanilleeis wie Erdbeeren), das Naheliegende wie das Absurde, das Bekannte wie das Unbekannte. Beim Mix ist beinahe alles erlaubt.
Trotz Plädoyer und kulinarischen Metaphern: Tatsächliche Rezepte sind nicht zu erwarten. Dafür ein Heft voller Freude, voller Energie, ein Heft der Architektur für Reichtum und Offenheit – damit das Neue entstehen kann. Die Redaktion hatte Spass, und Spass wünschen wir unseren Lesern.
Die Redaktion
P.S. Einige der Ideen des Heftes entstanden in der Sonne vor der Redaktion auf und an den Möbelklassikern von Max Ernst Haefeli. Wir danken dem Hersteller Embru.
[01] Greg Lynn, «The Folded, The Pliant and the Supple», in: Folds, Bodies & Blobs – Collected Essays, Brüssel 2004, S.109–134.
[02] Ebd.
04 Editorial
Architektur Aktuell
10 Ein unvernünftiges Ganzes. Milstein Hall der Cornell University, Ithaca | André Bideau
18 Entspannter Zusammenhalt. Kukje Gallery, Seoul | Hannes Mayer
Mischung/Mix/Mestizo
24 Mischung. Ein Glossar zur Vielfalt und Omnipräsenz des Verschiedenen | Katharina Sommer
28 Dialog zwischen europäischer und aussereuropäischer Kunst. Lothar Baumgarten im Museum Folkwang Essen
30 Das Ende des Exotismus. Postkoloniale Hybridisierung im Spiegel der documenta-Ausstellungen | Klaus von Beyme
36 Stein, Balken, Tuch. Smiljan Radic: Restaurant Mestizo in Santiago de Chile | Hubertus Adam
38 Der Raum als Ort. Fusionen des Afrofuturismus | Stephan Trüby
44 Zentauren-Biologie. Gestalterische Möglichkeiten im Zeitalter der Genveränderung | Sydney Brenner
46 Postdigital Consciousness. A Paradigm Shift from Hellenistic to Hebraic Roots of Western Civilization | Mel Alexenberg
52 Hybrid Holism. Digital-reale Kreationen von Iris van Herpen | Janele Suntinger
54 Power, Progress, Petrolheads. Über das Verhältnis von Automobildesign und Architektur | Hannes Mayer
58 Who’s afraid of the (Re)Mix? Autorschaft ohne Urheberschaft | Felix Stalder
62 Ceci n’est pas une chambre. Entwürfe der Sommerkollektion 2011 von Mary Katrantzou | Janele Suntinger
64 Remix_. Die Entdeckung des Neuen im Alten | Michael Hirschbichler
68 Gegen das einheitliche Bild. Kritische Potenziale der Postmoderne | Hubertus Adam
76 Die Promenadenmischung der Architektur. Ein Theorie- und Methodenentwurf wider den architektonischen Reinheitsgedanken | Stephan Trüby
82 Könglicher Pastiche. Die architektonische Bildregie von Prinz Charles | Florian Dreher
90 Provinz als Inspiration. Meine Heimat Oberpfalz – eine Avantgarde ohne Allüren | Robert Kaltenbrunner
96 Kraft des Kindes, Kraft der Kleidung. the next ENTERprise: eins zu zwei – zwei zu eins, Ausstellung im aut, Innsbruck | Hannes Mayer
Rubriken
100 fsai
104 Neues aus der Industrie
110 Lieferbare Hefte
112 Vorschau und Impressum
Greg Lynn wurde insbesondere von den Computer-affinen Architekten studiert, und er ist noch heute Teil dieser Szene. Seine Analysen jedoch – hier verhält es sich möglicherweise wie bei Marx – sind auch auf rationale und minimale Denkrichtungen anzuwenden. Denn selbst in den konservativen und gemässigten Strömungen stellt man eine zunehmend monothematische Herangehensweise fest, wobei sich in manchen Fällen verschiedene Konzepte lose gruppieren, dabei aber selten überlagern.
Greg Lynn sprach nicht von der Einheitlichkeit; er propagierte Unterschiede und unabhängige Elemente in einem viskosen, zusammengehörigen Gesamtsystem «wie Teigschichten» und Rosinenstücke beim Unterheben.[2] Der Rückblick in die Traditionsanalogie der Hausarbeit – er findet seine grössere Realität in der offenen Struktur unserer heutigen vernetzten Welt, die rührt, mixt, tauscht, kaum kontrollierbar, unablässlich, schlaflos über den gesamten Globus verteilt. Ein Zustand, vor dem sich weder die Gesellschaft noch die Wirtschaft noch die Architektur verschliessen kann; er ist bereits da, wie die Smartphones in der Hosentasche.
Unabhängig von der Weltanalyse kann die Redaktion ein Plädoyer für das Mischen nicht verheimlichen. Die Welt entstand aus Mischung, sie entwickelt sich weiter durch Mischung, Ideen entstehen im Kopf aus der Mischung von Erfahrung, Wissen, Eindrücken; Menschen entstehen aus Mischung, und die Architektur wie auch die Stadt sind in ihrem gebauten Zustand ebenfalls selten Werke ohne Mischung. Für die Mischung benötigt es das eine wie das andere – den Mainstream wie das Besondere (Vanilleeis wie Erdbeeren), das Naheliegende wie das Absurde, das Bekannte wie das Unbekannte. Beim Mix ist beinahe alles erlaubt.
Trotz Plädoyer und kulinarischen Metaphern: Tatsächliche Rezepte sind nicht zu erwarten. Dafür ein Heft voller Freude, voller Energie, ein Heft der Architektur für Reichtum und Offenheit – damit das Neue entstehen kann. Die Redaktion hatte Spass, und Spass wünschen wir unseren Lesern.
Die Redaktion
P.S. Einige der Ideen des Heftes entstanden in der Sonne vor der Redaktion auf und an den Möbelklassikern von Max Ernst Haefeli. Wir danken dem Hersteller Embru.
[01] Greg Lynn, «The Folded, The Pliant and the Supple», in: Folds, Bodies & Blobs – Collected Essays, Brüssel 2004, S.109–134.
[02] Ebd.
04 Editorial
Architektur Aktuell
10 Ein unvernünftiges Ganzes. Milstein Hall der Cornell University, Ithaca | André Bideau
18 Entspannter Zusammenhalt. Kukje Gallery, Seoul | Hannes Mayer
Mischung/Mix/Mestizo
24 Mischung. Ein Glossar zur Vielfalt und Omnipräsenz des Verschiedenen | Katharina Sommer
28 Dialog zwischen europäischer und aussereuropäischer Kunst. Lothar Baumgarten im Museum Folkwang Essen
30 Das Ende des Exotismus. Postkoloniale Hybridisierung im Spiegel der documenta-Ausstellungen | Klaus von Beyme
36 Stein, Balken, Tuch. Smiljan Radic: Restaurant Mestizo in Santiago de Chile | Hubertus Adam
38 Der Raum als Ort. Fusionen des Afrofuturismus | Stephan Trüby
44 Zentauren-Biologie. Gestalterische Möglichkeiten im Zeitalter der Genveränderung | Sydney Brenner
46 Postdigital Consciousness. A Paradigm Shift from Hellenistic to Hebraic Roots of Western Civilization | Mel Alexenberg
52 Hybrid Holism. Digital-reale Kreationen von Iris van Herpen | Janele Suntinger
54 Power, Progress, Petrolheads. Über das Verhältnis von Automobildesign und Architektur | Hannes Mayer
58 Who’s afraid of the (Re)Mix? Autorschaft ohne Urheberschaft | Felix Stalder
62 Ceci n’est pas une chambre. Entwürfe der Sommerkollektion 2011 von Mary Katrantzou | Janele Suntinger
64 Remix_. Die Entdeckung des Neuen im Alten | Michael Hirschbichler
68 Gegen das einheitliche Bild. Kritische Potenziale der Postmoderne | Hubertus Adam
76 Die Promenadenmischung der Architektur. Ein Theorie- und Methodenentwurf wider den architektonischen Reinheitsgedanken | Stephan Trüby
82 Könglicher Pastiche. Die architektonische Bildregie von Prinz Charles | Florian Dreher
90 Provinz als Inspiration. Meine Heimat Oberpfalz – eine Avantgarde ohne Allüren | Robert Kaltenbrunner
96 Kraft des Kindes, Kraft der Kleidung. the next ENTERprise: eins zu zwei – zwei zu eins, Ausstellung im aut, Innsbruck | Hannes Mayer
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100 fsai
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112 Vorschau und Impressum
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