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domus Deutsche Ausgabe 14-011
domus Deutsche Ausgabe 14-011
zur Zeitschrift: domus
Material und seine Eigenschaften

Stampfbeton oder Stampflehm? Reetgedeckt oder aus Faserverbundelementen konstru­iert? Während der Recherche für diese Aus­gabe sind wir auf die unterschiedlichsten Materialien gestoßen. Manche gab es bis vor Kurzem noch nicht, andere haben eine lange Tradition, die zuweilen neu entdeckt und weiter interpretiert wird. Wie aber lassen sich Materialien und ihre Eigenschaften bewerten? Welche Werkstoffe sind für welchen Kontext geeignet? Als der Deutsche Werkbund 1907 gegründet wurde, erklärte er die `Materialgerechtigkeit´ zur Grundlage seines ethisch gefassten Qua­­litätsbegriffs. Bis heute ist diese Defi­nition in vielen Bereichen gültig. Sie setzt auf die `ursprünglichen´ Eigenschaften und Erscheinungsweisen von Materialien: Sie sollen nicht versteckt, sondern sichtbar und spürbar sein! Echte Eiche soll nach frischem Holz duften und Marmor seine Adern zeigen - schließlich machen sie deutlich, dass er zur Königsklasse zählt.

Doch letztlich ist das mit den Materialeigen­schaften so eine Sache, gerade heute, wo die Palette der Baustoffe und Essenzen so vielfältig wie noch nie ist. Die Charakteris­tika von Holz, Ziegel oder Stein sind zweifelsohne im allgemeinen kulturellen Gedächtnis verankert. Doch wie sieht es mit Verbundwerkstoffen wie Beton aus, die in strengem Sinn keine `ursprünglichen´ Materialien sind? Noch problematischer wird es bei den noch jüngeren Substanzen: Welche Qualitäten haben Polymer­fasern, Kunststeine oder spezielle Schicht­stoff­platten? Sind künstlich hergestellte Materialien wie diese grundsätzlich schlechter als die `Naturstoffe´ - als Lehm oder Ziegel? Ist ihre Qualität minderwertiger, weil sie nicht `ursprünglich´ sind? Der Soziologe und Medientheoretiker Jean Baudrillard hat diese Frage mit schlüssigen Argumenten beantwortet: `Jede Gegenüberstellung von Natur- und Kunststoff ist doch bloß ein Moralisieren. In der Tat und Wahrheit sind die Substanzen nur, was sie sind: Es gibt keine echten und unechten, keine natürlichen und künstlichen.´ Die Differenz der Materialien, so Baudrillard, liege nicht in ihrem Ursprung, im Preis oder in der Eignung, sondern in ihrer Fähigkeit, Stimmungen zu schaffen.

In unserer Januar/Februar-Ausgabe haben wir uns von dieser These leiten lassen und stimmige Atmosphären dokumentiert, die aus der jeweiligen Materialwahl resultieren. Ob die ent­sprechenden verwendeten Substanzen uralt sind oder erst vor Kurzem er­funden wurden, ob sie als `künstlich´ oder `natürlich´ eingestuft werden können, war nicht ausschlaggebend für unsere Wahl, die sich auf einige Bei­spie­le beschränken musste. Was zählt, sind die Eigenschaften und Merkmale, die ein Material in einem konkreten Kontext entfaltet. Dazu gehören auch Her­stel­lungs­- oder Energievorteile, die auf den ersten Blick vielleicht nicht unmittelbar sichtbar und trotzdem recht wirkungsvoll sind.

Auf der Sparrenburg in Bielefeld war der Kontext für die Materialwahl klar vorge­geben: Der Schweizer Architekt Max Dudler ergänz­te die historische Wehranlage durch ein Besucher­infor­mationszentrum aus Stampf­beton. Ver­schieden­farbige Schichten zeichnen sich an den Fassaden des kleinen Neubaus ab. Das Material selbst erinnert an das alte Bruchsteinmauerwerk der Burg.

Doch die Architektursprache des neuen Flachdachgebäudes ist eigenständig und rigoros zeitgenössisch. Sie trumpft weder ungebührend auf, noch ordnet sie sich dem historischen Bestand unter. Auch die drei Ferien­häuser auf dem Darß greifen bewusst eine Tradition auf und setzen sich doch ge­zielt von ihr ab. Norbert Möhring hüllte nicht nur die Satteldächer der drei Häuser, sondern auch ihre Längsseiten in Reet.

Der ghanaisch-britische Architekt David Adjaye hat von seinen ersten Londoner Projekten an viel Mut zu radikalen Ent­schei­dun­gen bei der Materialwahl bewiesen. Zoë Ryan, die gemeinsam mit Okwui Enwezor die große David-Adjaye-Ausstellung im Haus der Kunst kuratiert, zeigt auf, inwie­fern Adjaye dabei stets kontextabhängig vor­geht und oben­drein gesellschaftspolitische Parameter berücksich­tigt. Der Essay der Professorin und Kuratorin am Art Institute of Chicago gibt Ihnen einen Vorgeschmack zu `David Adjaye. Form, Ge­wicht, Material´ - die Schau wird Ende Januar in München eröffnen und später nach Chicago wandern.

In unserem Designteil geht Volker Albus der Renaissance des Flech­tens auf den Grund und untersucht das Potenzial dieser Tradi­tionstechnik am Beispiel aktueller Ent­wür­fe. Nicola Stattmann und Shay Assaf erörtern die Eigenschaften textiler Fasern. Ihre exemplarische Über­sicht zeigt eine überraschende Vielfalt, von drei­dimensionalen Ge­stricken bis zu statisch leistungsfähigen Faserverbundstrukturen. Dass Fasern leuch­ten oder leiten können, hart oder weich sind und sich mit computer­gesteuerten Technologien verar­beiten lassen, ist für spezifische Anwen­dungsbereiche von maßgeblichem Vorteil.

Mit unserer Januar/Februar-Ausgabe blicken wir auch auf ein neues Jahr und neue Projekte wie die Full House Roadshow, die im Herbst wieder touren wird. Wir freuen uns, wenn Sie uns 2015 wieder begleiten.

Viel Spaß beim Lesen.

Seite 0I Editorial
Seite 12 Meldungen

Ansichten
Seite 36 Gegen den Mainstream - Die Installationen der Biennale Interieur in Kortrijk; von Sandra Hofmeister
Seite 38 Architekturutopie Reloaded - Zur Relevanz von Mindexpandern und Riesenbillard; von Katja Bromberg
Seite 40 Making Form
Seite 42 Größer als das Leben - Die fantastischen Filmsets des Ken Adam; von Norman Kielmann
Seite 44 Confotografia - Nach der Erdbebenkatastrophe in L’Aquila; von Alessandra Chemollo
Seite 48 Google Ingress; vom Dario Checci
Seite 50 Plattform für kreative Interaktion
Seite 54 Oslo School of Architecture and Design; von Karl Otto Ellefsen
Seite 58 Konservierte Atmosphären - Der Umbau der Gedenkstätte Hohenschönhausen; von Clara Welbergen

Projekte
Seite 61 Besucherinformationszentrum Starkenburg - Stampfbeton und seine Schichten; von Uta Winterhager
Seite 68 Grüne Wände - Vertikale Pflanzenarchitektur in Osaka
Seite 74 Umgestaltung der Ausgrabungsstätte Can Tacó - Gabionen für die Antike
Seite 80 Scheunentrio auf dem Darß - Mit Reet umhüllt; von Florian Heilmeyer
Seite 84 Ways of Building - Zur Bedeutung des Materials im Werk von David Adjaye; von Zoë Ryan
Seite 90 Kräuterzentrum in Laufen - Kommentar: Herzog & de Meuron und Nicola; von Gerhard Mack
Seite 100 Glasgow School of Arts - Kommentar: Architektonische Promenade; von Ulf Meyer
Seite 110 Zentrum für Innovation in Santiago de Chile - Sichtbeton und seine Eigenschaften
Seite 118 Unter der Kathedrale von Caserta
Seite 126 Meine Freunde / Meine Feinde
Seite 128 Flechtwerke - Beispiele für eine neu interpretierte Tradition; von Volker Albus
Seite 134 Masche für Masche, Faser für Faser - Textile Vielfalt und ihre Charakteristika; von Nicola Stattmann, Shay Assaf
Seite 142 100 Jahre Schweizer Design; von Renate Menzi, Arthur Rüegg
Seite 148 Architektur und Design
Seite 154 Meine Freunde / Meine Feinde
Seite 156 Wie Bäume Perspektiven schaffen

Produktkultur
Seite 162 Dreidimensionales Zeichen von Europa - Wolf D. Prix über die Arbeitsplätze im EZB-Gebäude; Interview: Alexander Hoch
Seite 166 Am Arbeitsplatz: Büroneuheiten; von Robert Haidinger

Feedback
Seite 174 Ljubljana; von Andrej Hrausky

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