Zeitschrift
UmBau 22
Wettbewerb! Competition!
Dem amerikanischen Architekten Henry Hobson Richardson wird die Behauptung zugeschrieben, im Leben eines Architekten gäbe es nur drei elementare Grundregeln: »Get the job, get the job, get the job.« Mit dem Thema Architekturwettbewerb widmet sich der UmBau 22 jener Art der Auftragsakquisition, mit der sich die Architektur von anderen Disziplinen abzuheben glaubt, einerseits durch die geradezu rituelle Selbstausbeutung der Beteiligten, andererseits durch die Richardsons Behauptung widersprechende Imagination, dass der Wettbewerb nicht primär den Architekten, sondern vor allem dem Allgemeinwohl dient, würde er doch aus einer Vielzahl von Ideen der jeweils besten den Weg zur Ausführung ebnen.
Im aktuellen Teil des UmBau finden sich neben der Dokumentation einer von der ig architektur initiierten Diskussion anlässlich des jüngsten Ronacher-Wettbewerbes ein Beitrag über den Wettbewerb für die Europäische Zentralbank in Frankfurt, ein Interview mit Peter Eisenman und in der Rubrik Nachrufe die Würdigung zweier Wettbewerbe, die für die Gewinner voraussichtlich nicht in der Umsetzung enden werden, sondern in einem Rechtsstreit mit den Auslobern.
Der Projektbeitrag – ein Kultur- und Kongresszentrum von Rainer Pirker in Nanjing – fällt als Direktauftrag aus der Reihe, mag aber als Ausnahme gelten, die die Regel bestätigt, dass hohe Qualität am besten durch offene Verfahren zu erzielen ist.
Der Fotoessay, gestaltet vom Bildhauer Werner Feiersinger, befasst sich mit bekannten Projekten Le Corbusiers, gut abgelegenen Ikonen der Architekturgeschichte, die unter Feiersingers Blick zu neuem Leben erwachen.
Der Theorieteil über die »Verkehrte Welt« (Hélène Lipstadt) der Architekturwettbewerbe wird von Kari Jormakka auf Seite 52 eingeleitet. Der Call for Papers für die nächste, mittlerweile in Arbeit befindliche Ausgabe des UmBau findet sich hier gleich anschließend. Gesucht wurde nach Beiträgen über Unschärfe und Diffusität als Charakteristika der heutigen Architektur.
Christian Kühn
Call for Papers UmBau 23
diffus, diffus, diffus
diffus. Das »kunstvolle, korrekte und großartige Spiel von unter dem Licht versammelten Körpern« – Le Corbusiers suggestive Definition von Architektur – ist heute nur noch historische Reminiszenz. Gemeinsames Merkmal vieler zeitgenössischer Architekturen ist die Auflösung der Kontur. Diller + Scofidios »Blur Building« für die Schweizer EXPO 2002 in Yverdon-les-Bains wies als künstliche Wolke keinerlei feste Geometrie mehr auf. R&Sie entwarfen für Bangkok ein Museum, das sich in einer Hülle aus Staub verbirgt. Jean Nouvels Projekt für ein Guggenheim Museum in Tokio gleicht einem Hügel aus Blättern. Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa suchen in ihren jüngsten Projekten nach einer körper- und schattenlosen Architektur mit nur scheinbar einfachen Geometrien. Diese Tendenz zu diffusen Konturen lässt vielfältige Interpretationen zu. Explizite Referenzen wie jene von R&Sie auf Duchamp weisen auf eine Beziehung zum Surrealismus hin. Als weiche, ursprünglich klar konturierte, aber in Auflösung begriffene Form lassen sie sich als pathologisches Symptom lesen, das kulturgeschichtlich der Romantik zuzuordnen ist. Umgekehrt erscheinen sie als Ergebnis unkontrollierbarer Addition, etwa in jenen Architekturen des Schaums, wie sie Peter Sloterdijk im dritten Teil seiner Sphären-Trilogie skizziert.
diffus. Der Dekonstruktivismus hat – trotz der Obsession der Dekonstruktivisten mit formaler Durcharbeitung – die Auflösung der architektonischen Form vorweggenommen. Jacques Derrida stellte in »Die Wahrheit in der Malerei« das Konzept des Kunstwerks als organische Einheit mit Anfang, Mitte und Ende in Frage und damit zugleich den Status von Grenze und Form. Rosalind Krauss und Yve-Alain Bois beziehen sich in jüngeren Arbeiten auf Georges Batailles Konzept der Formlosigkeit, um neue Wege des Denkens über Surrealismus und Kunst zu eröffnen.
diffus. Diffuse Konturen sind nicht allein eine Frage der Hülle. In einem Text über ontologische Relativität beschreibt Willard van Orman Quine einen Körper als »eine spezielle Art von physischem Objekt, einigermaßen kontinuierlich im Raum, eher kompakt, das sich deutlich vom Großteil seiner Umgebung abhebt und sich zeitlich durch eine Kontinuität von Ortsveränderung, Verformung und Verfärbung individualisiert«. Er stellt fest, dass diese Vorstellung eines Dings die Basis für die meisten populären Ontologien ist, was sicher auch für das architektonische Denken gilt. Im Gegensatz dazu destabilisiert die diffuse Kontur die geläufigen Vorstellungen von Innen und Außen, Baukörper und Umgebung, Öffentlichem und Privatem. In ihrer radikalsten Version kulminiert diese Tendenz in einem »Flat Space«, wie ihn die japanische Architektengruppe Bow-Wow in ihren Projekten thematisiert.
Für die nächste Ausgabe des UmBau rufen wir zur Einsendung von Beiträgen auf, die ihr Interesse auf das Unscharfe fokussieren. Zu den Fragestellungen gehören neben den aktuellen und historischen Aspekten der erwähnten Phänomene auch technische Aspekte – wie neue Materialien und Fassadensysteme – sowie die Frage nach parallelen Entwicklungen in den bildenden Künsten, in Literatur und Philosophie, die Einfluss auf die Architektur haben beziehungsweise von ihr beeinflusst werden.
Kari Jormakka, Christian Kühn
08 Vorwort | Christian Kühn
09 Architecture in the Age of Terror | Peter Eisenman talking with Kari Jormakka
15 Rebuild the Balance | Christian Kühn
21 ››aut‹‹ im Bräu | Christian Kühn
22 Der Wettlauf um den Euro-Turm | Tatiana Winkelmann
24 Im Zweifel für den Wettbewerb | ig architektur Podiumsdiskussion
28 Über Prozesse und Unsichtbarkeiten | Andreas Rumpfhuber
30 Nachrufe | Christian Kühn
FotoEssay
32 L. C. revisited | Werner Feiersinger
50 Dinge nach Dienstschluss | Christian Kühn
Competition!
52 Foreword: And the Winner is ... | Kari Jormakka
55 Verkehrte Welt | Hélène Lipstadt
67 The Willing Suspension of Disbelief | Mark Gilbert, Kari Jormakka
79 Der Spieler wird Architekt | Manfred Russo
91 Ein Entwurf, der zu früh kommt | Anita Aigner
105 Democracy Degree Zero | Michael Sorkin
117 Mehr Produktivität durch Wettbewerb | Martin Pongratz
124 Der unmögliche Wettbewerb | Rudolf Kohoutek
130 Schöpferisch Dienst leisten | Dieter Spath
Call for Papers
141 UmBau 23: diffus, diffus, diffus. blur, blur, blur. | Christian Kühn, Kari Jormakka
Im aktuellen Teil des UmBau finden sich neben der Dokumentation einer von der ig architektur initiierten Diskussion anlässlich des jüngsten Ronacher-Wettbewerbes ein Beitrag über den Wettbewerb für die Europäische Zentralbank in Frankfurt, ein Interview mit Peter Eisenman und in der Rubrik Nachrufe die Würdigung zweier Wettbewerbe, die für die Gewinner voraussichtlich nicht in der Umsetzung enden werden, sondern in einem Rechtsstreit mit den Auslobern.
Der Projektbeitrag – ein Kultur- und Kongresszentrum von Rainer Pirker in Nanjing – fällt als Direktauftrag aus der Reihe, mag aber als Ausnahme gelten, die die Regel bestätigt, dass hohe Qualität am besten durch offene Verfahren zu erzielen ist.
Der Fotoessay, gestaltet vom Bildhauer Werner Feiersinger, befasst sich mit bekannten Projekten Le Corbusiers, gut abgelegenen Ikonen der Architekturgeschichte, die unter Feiersingers Blick zu neuem Leben erwachen.
Der Theorieteil über die »Verkehrte Welt« (Hélène Lipstadt) der Architekturwettbewerbe wird von Kari Jormakka auf Seite 52 eingeleitet. Der Call for Papers für die nächste, mittlerweile in Arbeit befindliche Ausgabe des UmBau findet sich hier gleich anschließend. Gesucht wurde nach Beiträgen über Unschärfe und Diffusität als Charakteristika der heutigen Architektur.
Christian Kühn
Call for Papers UmBau 23
diffus, diffus, diffus
diffus. Das »kunstvolle, korrekte und großartige Spiel von unter dem Licht versammelten Körpern« – Le Corbusiers suggestive Definition von Architektur – ist heute nur noch historische Reminiszenz. Gemeinsames Merkmal vieler zeitgenössischer Architekturen ist die Auflösung der Kontur. Diller + Scofidios »Blur Building« für die Schweizer EXPO 2002 in Yverdon-les-Bains wies als künstliche Wolke keinerlei feste Geometrie mehr auf. R&Sie entwarfen für Bangkok ein Museum, das sich in einer Hülle aus Staub verbirgt. Jean Nouvels Projekt für ein Guggenheim Museum in Tokio gleicht einem Hügel aus Blättern. Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa suchen in ihren jüngsten Projekten nach einer körper- und schattenlosen Architektur mit nur scheinbar einfachen Geometrien. Diese Tendenz zu diffusen Konturen lässt vielfältige Interpretationen zu. Explizite Referenzen wie jene von R&Sie auf Duchamp weisen auf eine Beziehung zum Surrealismus hin. Als weiche, ursprünglich klar konturierte, aber in Auflösung begriffene Form lassen sie sich als pathologisches Symptom lesen, das kulturgeschichtlich der Romantik zuzuordnen ist. Umgekehrt erscheinen sie als Ergebnis unkontrollierbarer Addition, etwa in jenen Architekturen des Schaums, wie sie Peter Sloterdijk im dritten Teil seiner Sphären-Trilogie skizziert.
diffus. Der Dekonstruktivismus hat – trotz der Obsession der Dekonstruktivisten mit formaler Durcharbeitung – die Auflösung der architektonischen Form vorweggenommen. Jacques Derrida stellte in »Die Wahrheit in der Malerei« das Konzept des Kunstwerks als organische Einheit mit Anfang, Mitte und Ende in Frage und damit zugleich den Status von Grenze und Form. Rosalind Krauss und Yve-Alain Bois beziehen sich in jüngeren Arbeiten auf Georges Batailles Konzept der Formlosigkeit, um neue Wege des Denkens über Surrealismus und Kunst zu eröffnen.
diffus. Diffuse Konturen sind nicht allein eine Frage der Hülle. In einem Text über ontologische Relativität beschreibt Willard van Orman Quine einen Körper als »eine spezielle Art von physischem Objekt, einigermaßen kontinuierlich im Raum, eher kompakt, das sich deutlich vom Großteil seiner Umgebung abhebt und sich zeitlich durch eine Kontinuität von Ortsveränderung, Verformung und Verfärbung individualisiert«. Er stellt fest, dass diese Vorstellung eines Dings die Basis für die meisten populären Ontologien ist, was sicher auch für das architektonische Denken gilt. Im Gegensatz dazu destabilisiert die diffuse Kontur die geläufigen Vorstellungen von Innen und Außen, Baukörper und Umgebung, Öffentlichem und Privatem. In ihrer radikalsten Version kulminiert diese Tendenz in einem »Flat Space«, wie ihn die japanische Architektengruppe Bow-Wow in ihren Projekten thematisiert.
Für die nächste Ausgabe des UmBau rufen wir zur Einsendung von Beiträgen auf, die ihr Interesse auf das Unscharfe fokussieren. Zu den Fragestellungen gehören neben den aktuellen und historischen Aspekten der erwähnten Phänomene auch technische Aspekte – wie neue Materialien und Fassadensysteme – sowie die Frage nach parallelen Entwicklungen in den bildenden Künsten, in Literatur und Philosophie, die Einfluss auf die Architektur haben beziehungsweise von ihr beeinflusst werden.
Kari Jormakka, Christian Kühn
08 Vorwort | Christian Kühn
09 Architecture in the Age of Terror | Peter Eisenman talking with Kari Jormakka
15 Rebuild the Balance | Christian Kühn
21 ››aut‹‹ im Bräu | Christian Kühn
22 Der Wettlauf um den Euro-Turm | Tatiana Winkelmann
24 Im Zweifel für den Wettbewerb | ig architektur Podiumsdiskussion
28 Über Prozesse und Unsichtbarkeiten | Andreas Rumpfhuber
30 Nachrufe | Christian Kühn
FotoEssay
32 L. C. revisited | Werner Feiersinger
50 Dinge nach Dienstschluss | Christian Kühn
Competition!
52 Foreword: And the Winner is ... | Kari Jormakka
55 Verkehrte Welt | Hélène Lipstadt
67 The Willing Suspension of Disbelief | Mark Gilbert, Kari Jormakka
79 Der Spieler wird Architekt | Manfred Russo
91 Ein Entwurf, der zu früh kommt | Anita Aigner
105 Democracy Degree Zero | Michael Sorkin
117 Mehr Produktivität durch Wettbewerb | Martin Pongratz
124 Der unmögliche Wettbewerb | Rudolf Kohoutek
130 Schöpferisch Dienst leisten | Dieter Spath
Call for Papers
141 UmBau 23: diffus, diffus, diffus. blur, blur, blur. | Christian Kühn, Kari Jormakka
Artikel