Akteur
Kisho Kurokawa
* 1934 Nagoya † 2007 Tokio
Philosophie der «Symbiosis»
Der japanische Baukünstler, Theoretiker und Architekturphilosoph Kisho Kurokawa im Gespräch
Als einer der führenden Vertreter der Metabolisten wurde der 1934 in Nagoya geborene Kisho Kurokawa Anfang der sechziger Jahre mit Kapseltürmen und Entwürfen wie der «Helix City» international bekannt. Kurokawa, der noch immer weltweit als Architekt tätig ist, versteht sich als Denker. Seine Philosophie der «Symbiosis» strebt nach dem Ausgleich der Gegensätze. Mit Kurokawa sprach Ulf Meyer in Berlin.
10. September 2005 - Ulf Meyer
Interessieren sich junge japanische Architekten noch für Ihre metabolistischen Stadtideen, mit denen Sie berühmt geworden sind, oder ist der Metabolismus aus Sicht der zweiten Moderne schon eine abgeschlossene Architekturrichtung?
Die beiden wichtigsten Architekten der Generationen nach mir sind Toyo Ito und Tadao Ando. Während Ito versucht, das Paradigma der Moderne zu verändern, ist Ando ein reiner Handwerker. Die Vertreter der jüngeren Generation sind zwar ästhetisch sehr sensibel, aber sie fürchten sich vor dem sozialen Aspekt der Architektur. Sie sind nicht so hungrig, wie wir einst waren, und gehen harten Diskussionen lieber aus dem Weg. Der Metabolismus lebt also vielleicht weniger als Stil weiter denn als Geisteshaltung.
ARCHITEKTONISCHE UTOPIEN
Bisher haben Sie im deutschsprachigen Raum nur die aus den dreissiger Jahren stammende japanische Botschaft in Berlin zum Japanisch- Deutschen Zentrum umgebaut, in dem heute wieder die japanische Botschaft residiert. Haben Sie Interesse an neuen Herausforderungen hier?
Ich habe unlängst dem Berliner Senatsbaudirektor vorgeschlagen, meine «Helix City» in Berlin zu bauen, und er sagte: «Wir brauchen keine städtebaulichen Träume mehr. Ihre Visionen haben hier keine Chance.»
Ihre Utopien entstanden während des japanischen Booms der sechziger und siebziger Jahre. Aber die Zeiten haben sich geändert. Viele europäische Städte wachsen kaum noch, und in Deutschland gilt es noch immer eher, die Kriegswunden zu heilen, als neue Utopien zu kreieren.
Die japanischen Städte waren auch verwundet, wurden aber rasend schnell wieder aufgebaut. Wenn man ständig neu baut und wieder abreisst, ist das ein sehr verschwenderischer Umgang mit den Ressourcen. Meine Kapseltürme und Megastrukturen sind rezyklierbar. Während beispielsweise in Italien nach dem Zweiten Weltkrieg sehr qualitätvolle Wohnungsbauprogramme gestartet wurden, ist die Nachkriegsarchitektur in Japan jetzt schon abbruchreif. Und in China baut man heute noch viel weniger nachhaltig. Nach zehn oder fünfzehn Jahren werden die Gebäude schon wieder abgerissen. Meine metabolistischen Ideen sind für eine hohe Baudichte ausgelegt. Denn Japan besteht zu 80 Prozent aus Bergen, und die über 100 Millionen Einwohner müssen auf den verbleibenden 20 Prozent der Fläche wohnen.
Entgegen dem Klischee ist Tokio sehr flach bebaut; die meisten Häuser sind nur zweistöckig.
Ja, aber wenn die städtische Wucherung so weitergeht wie beispielsweise in Los Angeles und sich die Metropolen in die Landschaft ergiessen, kann man diese mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht mehr erschliessen, weil die Dichte zu gering ist. Meine kompakte Stadt hingegen sucht eine «Symbiosis» mit der Natur. Die «Helixstadt» wird über dem Meer oder einem See gebaut, so dass sie kein Land verbraucht, und kann an das U-Bahn-Netz angeschlossen werden. Stattdessen wird die Bucht von Tokio immer kleiner durch die zunehmende Landgewinnung. Für die Politik ist es einfacher, wenn die Städte sich ins Land oder Meer hinaus ausbreiten. Es ist sehr schade, dass meine Ideen nicht umgesetzt wurden.
Haben Sie als Chefplaner von Astana, der neuen Hauptstadt von Kasachstan, einige Ihrer Ideen der siebziger Jahre umsetzen können, oder haben Sie sich selbst von diesen distanziert?
In Astana ging es in erster Linie darum, die bestehende Stadt aus niedrigen, einfachen Bauten zu erhalten. Ich habe die Neustadt am anderen Flussufer vorgesehen und verbinde die Strassennetze der alten und neuen Stadt miteinander. Hier geht es um Städtebau und nicht um Architektur, denn die meisten Gebäude werden von Russen und Osteuropäern gebaut. Ich habe nur den neuen Flughafen entworfen. Sonst stammen lediglich die Infrastruktur und der neue Zonenplan von mir. Das Sumpfgebiet um die Stadt herum wird bei der Schneeschmelze regelmässig überschwemmt. Deshalb musste zuerst der Fluss befestigt werden. In meinem Plan wird er zum Zentrum der Stadt.
BAUENDER DENKER
Sie entwerfen eine neue Millionenstadt in China mit demselben leichten Strich wie ein Baudetail. Sind Architektur und Städtebau für Sie eins?
Die Prinzipien der «Symbiosis» sind universell und können gleichermassen auf Kunst, Gesellschaft oder Politik angewendet werden. Ich bin kein Sozialreformer oder Geschäftsmann, aber in meiner Profession, der Architektur, habe ich in fünfzig Jahren Praxis meine Philosophie ausgedrückt.
Sind Sie ein philosophierender Architekt oder ein entwerfender Philosoph?
Letzteres. Ich bin nie zufrieden mit meinem gebauten Werk, auch wenn ich viel Anerkennung dafür bekomme. Ein Gebäude kann in fünfzig Jahren schon abgerissen sein, aber Bücher bleiben. Der Zweite Weltkrieg hat bewiesen, wie vergänglich Architektur ist.
Bedeutet es Ihnen viel, dass Ihr «Kurokawa- Manifest», das 1987 erstmals auf Japanisch erschien, nun auf Deutsch vorliegt?
Ja, denn das Deutsche ist die Sprache von Immanuel Kant. Die Moderne in Europa und Amerika, die wir heute geniessen, basiert auf Kants Denken: Wissenschaft, Logik, Technik und der Mensch als Mittelpunkt beherrschen unser Weltbild. Aber in der Zukunft wird es andere Werte geben. Unsere Städte sind modernisiert, aber sind wir glücklich damit? Ich denke anders. Wir brauchen zwar auch zukünftig Metropolen, aber auch grosse Städte sind nur Gruppen von kleinen Städten. Städte werden in Zukunft immer stärker verschiedene Kulturen inkorporieren und dezentral werden. Wir leben jetzt in einer zunehmend grenzenlosen Gesellschaft, und das wirft viele Sicherheitsfragen auf, wie jüngst die U-Bahn-Attentate in London bewiesen haben. Die Schweiz zum Beispiel ist ein schönes und touristisch attraktives Land, aber was sie für mich interessant macht, ist der Zivilschutz. Unsere Verfassung schreibt uns ebenfalls vor, neutral zu sein - aber wenn ein anderes Land eine Rakete auf Japan abschiesst, können wir uns nicht verteidigen, bevor die Bombe eingeschlagen ist. Dennoch gibt es keinerlei Zivilschutz in meiner Heimat.
Auf Japanisch verwenden Sie für «Symbiosis» das Wort «Kyo-sei». Haben Sie es erfunden?
Ja, und sogar Bill Clinton und der Papst haben es aufgegriffen. In Japan wird das Wort von Politikern, Künstlern oder Geschäftsleuten schon sehr viel verwendet, auch wenn sie manchmal nicht seine volle Bedeutung kennen. Es ist einfach, die Welt in Ja und Nein, Ost und West, kapitalistisch und kommunistisch einzuteilen. Aber wie charakterisieren wir ein Land wie China? Wirtschaftlich ist China ein Paradebeispiel für «Symbiosis». Es ist weder noch. Mein Manifest wird gerade ins Chinesische übersetzt. Meine Philosophie versucht, nicht nur den einseitigen Rationalismus, sondern auch die Vorherrschaft der westlichen Kultur zu überwinden.
Die beiden wichtigsten Architekten der Generationen nach mir sind Toyo Ito und Tadao Ando. Während Ito versucht, das Paradigma der Moderne zu verändern, ist Ando ein reiner Handwerker. Die Vertreter der jüngeren Generation sind zwar ästhetisch sehr sensibel, aber sie fürchten sich vor dem sozialen Aspekt der Architektur. Sie sind nicht so hungrig, wie wir einst waren, und gehen harten Diskussionen lieber aus dem Weg. Der Metabolismus lebt also vielleicht weniger als Stil weiter denn als Geisteshaltung.
ARCHITEKTONISCHE UTOPIEN
Bisher haben Sie im deutschsprachigen Raum nur die aus den dreissiger Jahren stammende japanische Botschaft in Berlin zum Japanisch- Deutschen Zentrum umgebaut, in dem heute wieder die japanische Botschaft residiert. Haben Sie Interesse an neuen Herausforderungen hier?
Ich habe unlängst dem Berliner Senatsbaudirektor vorgeschlagen, meine «Helix City» in Berlin zu bauen, und er sagte: «Wir brauchen keine städtebaulichen Träume mehr. Ihre Visionen haben hier keine Chance.»
Ihre Utopien entstanden während des japanischen Booms der sechziger und siebziger Jahre. Aber die Zeiten haben sich geändert. Viele europäische Städte wachsen kaum noch, und in Deutschland gilt es noch immer eher, die Kriegswunden zu heilen, als neue Utopien zu kreieren.
Die japanischen Städte waren auch verwundet, wurden aber rasend schnell wieder aufgebaut. Wenn man ständig neu baut und wieder abreisst, ist das ein sehr verschwenderischer Umgang mit den Ressourcen. Meine Kapseltürme und Megastrukturen sind rezyklierbar. Während beispielsweise in Italien nach dem Zweiten Weltkrieg sehr qualitätvolle Wohnungsbauprogramme gestartet wurden, ist die Nachkriegsarchitektur in Japan jetzt schon abbruchreif. Und in China baut man heute noch viel weniger nachhaltig. Nach zehn oder fünfzehn Jahren werden die Gebäude schon wieder abgerissen. Meine metabolistischen Ideen sind für eine hohe Baudichte ausgelegt. Denn Japan besteht zu 80 Prozent aus Bergen, und die über 100 Millionen Einwohner müssen auf den verbleibenden 20 Prozent der Fläche wohnen.
Entgegen dem Klischee ist Tokio sehr flach bebaut; die meisten Häuser sind nur zweistöckig.
Ja, aber wenn die städtische Wucherung so weitergeht wie beispielsweise in Los Angeles und sich die Metropolen in die Landschaft ergiessen, kann man diese mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht mehr erschliessen, weil die Dichte zu gering ist. Meine kompakte Stadt hingegen sucht eine «Symbiosis» mit der Natur. Die «Helixstadt» wird über dem Meer oder einem See gebaut, so dass sie kein Land verbraucht, und kann an das U-Bahn-Netz angeschlossen werden. Stattdessen wird die Bucht von Tokio immer kleiner durch die zunehmende Landgewinnung. Für die Politik ist es einfacher, wenn die Städte sich ins Land oder Meer hinaus ausbreiten. Es ist sehr schade, dass meine Ideen nicht umgesetzt wurden.
Haben Sie als Chefplaner von Astana, der neuen Hauptstadt von Kasachstan, einige Ihrer Ideen der siebziger Jahre umsetzen können, oder haben Sie sich selbst von diesen distanziert?
In Astana ging es in erster Linie darum, die bestehende Stadt aus niedrigen, einfachen Bauten zu erhalten. Ich habe die Neustadt am anderen Flussufer vorgesehen und verbinde die Strassennetze der alten und neuen Stadt miteinander. Hier geht es um Städtebau und nicht um Architektur, denn die meisten Gebäude werden von Russen und Osteuropäern gebaut. Ich habe nur den neuen Flughafen entworfen. Sonst stammen lediglich die Infrastruktur und der neue Zonenplan von mir. Das Sumpfgebiet um die Stadt herum wird bei der Schneeschmelze regelmässig überschwemmt. Deshalb musste zuerst der Fluss befestigt werden. In meinem Plan wird er zum Zentrum der Stadt.
BAUENDER DENKER
Sie entwerfen eine neue Millionenstadt in China mit demselben leichten Strich wie ein Baudetail. Sind Architektur und Städtebau für Sie eins?
Die Prinzipien der «Symbiosis» sind universell und können gleichermassen auf Kunst, Gesellschaft oder Politik angewendet werden. Ich bin kein Sozialreformer oder Geschäftsmann, aber in meiner Profession, der Architektur, habe ich in fünfzig Jahren Praxis meine Philosophie ausgedrückt.
Sind Sie ein philosophierender Architekt oder ein entwerfender Philosoph?
Letzteres. Ich bin nie zufrieden mit meinem gebauten Werk, auch wenn ich viel Anerkennung dafür bekomme. Ein Gebäude kann in fünfzig Jahren schon abgerissen sein, aber Bücher bleiben. Der Zweite Weltkrieg hat bewiesen, wie vergänglich Architektur ist.
Bedeutet es Ihnen viel, dass Ihr «Kurokawa- Manifest», das 1987 erstmals auf Japanisch erschien, nun auf Deutsch vorliegt?
Ja, denn das Deutsche ist die Sprache von Immanuel Kant. Die Moderne in Europa und Amerika, die wir heute geniessen, basiert auf Kants Denken: Wissenschaft, Logik, Technik und der Mensch als Mittelpunkt beherrschen unser Weltbild. Aber in der Zukunft wird es andere Werte geben. Unsere Städte sind modernisiert, aber sind wir glücklich damit? Ich denke anders. Wir brauchen zwar auch zukünftig Metropolen, aber auch grosse Städte sind nur Gruppen von kleinen Städten. Städte werden in Zukunft immer stärker verschiedene Kulturen inkorporieren und dezentral werden. Wir leben jetzt in einer zunehmend grenzenlosen Gesellschaft, und das wirft viele Sicherheitsfragen auf, wie jüngst die U-Bahn-Attentate in London bewiesen haben. Die Schweiz zum Beispiel ist ein schönes und touristisch attraktives Land, aber was sie für mich interessant macht, ist der Zivilschutz. Unsere Verfassung schreibt uns ebenfalls vor, neutral zu sein - aber wenn ein anderes Land eine Rakete auf Japan abschiesst, können wir uns nicht verteidigen, bevor die Bombe eingeschlagen ist. Dennoch gibt es keinerlei Zivilschutz in meiner Heimat.
Auf Japanisch verwenden Sie für «Symbiosis» das Wort «Kyo-sei». Haben Sie es erfunden?
Ja, und sogar Bill Clinton und der Papst haben es aufgegriffen. In Japan wird das Wort von Politikern, Künstlern oder Geschäftsleuten schon sehr viel verwendet, auch wenn sie manchmal nicht seine volle Bedeutung kennen. Es ist einfach, die Welt in Ja und Nein, Ost und West, kapitalistisch und kommunistisch einzuteilen. Aber wie charakterisieren wir ein Land wie China? Wirtschaftlich ist China ein Paradebeispiel für «Symbiosis». Es ist weder noch. Mein Manifest wird gerade ins Chinesische übersetzt. Meine Philosophie versucht, nicht nur den einseitigen Rationalismus, sondern auch die Vorherrschaft der westlichen Kultur zu überwinden.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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