Akteur
Gio Ponti
* 1891 Mailand † 1979 Mailand
Mailänder Sesselwurf
Für viele war Gio Ponti der erste aller italienischen Designer - Er entwarf Gabeln ebenso wie das Interieur des Luxusliners Andrea Doria oder Wolkenkratzer
14. März 2011 - Fabian Wurm
Wir schreiben das Jahr 1957. Just zur gleichen Zeit, da bei Rock'n'Roll-Darbietungen in Kinos und Mehrzweckhallen mitunter das gesamte Inventar zu Bruch geht, unterzieht der Architekt und Designer Gio Ponti (1891-1979) seinen gerade fertiggestellten Stuhl Superleggera (Ultraleicht) ebenfalls einer harten Probe: Er wirft ihn aus dem vierten Stock auf die Straße. Das Sitzmöbel, so geht die Fama, kommt heil unten an und federt wie ein Ball.
Ein bisschen Happening, ein bisschen Propaganda: Mit dem Mailänder Stuhlwurf führte Ponti einem verblüfften Publikum vor, wie stabil sein betont fragil wirkendes Modell ist. Mehr noch: Er wollte zeigen, was ein gutes Möbel in bewegten Zeiten aushalten kann. Die Leichtigkeit des Stuhls hatte Pontis Freund, der Möbelfabrikant Cesare Cassina, bereits ähnlich öffentlichkeitswirksam demonstriert. Er balancierte Superleggera nach Jongleursart auf einem Finger. Wenig später warb sein Unternehmen mit dem Bild eines fein herausgeputzten Jungen, der den Stuhl von gerade mal 1,66 Kilo Gewicht mit dem kleinen Finger an der Lehne emporhob.
Für Ponti war Superleggera schlicht der Inbegriff des modernen Möbels: leicht, fein, bequem. Ein Archetyp beinahe. „Lasst uns zurückkehren zu Stuhl-Stühlen, Haus-Häusern“, hatte Ponti 1952 gefordert, „zurück zu Arbeiten ohne Etikett, ohne Adjektive, zu richtigen, wahren, natürlichen, einfachen und spontanen Dingen und basta!“ Fünf Jahre lang hat er dann an seinem Stuhl-Stuhl experimentiert. Immer wieder von vorn angefangen. Vom Schwergewichtigen zum Leichten, vom Überflüssigen zum Klaren. Mit seinem Superleggera, von dem es bei seiner ersten Präsentation hieß, er sei der leichteste Stuhl der Welt, verfolgte der Architekt ein Programm: Handwerkliches Geschick und moderne Massenfertigung galt es zu verbinden. Abgeleitet von den typischen Stühlen aus dem ligurischen Küstenstädtchen Chiavari, den „Chiavarine“, verwendete Ponti die traditionellen Materialien Eschenholz und Rohrgeflecht; inspiriert von den Extravaganzen der 1950er-Jahre formte er die Stuhlbeine dreieckig und gab der Lehne ihren charakteristischen Knick.
Universeller Geist
Ohne Pontis Idee des „Diamante“, der facettierten, in der Sonne strahlenden, kristallinen Architektur, hätte es das dreieckige Bein des Superleggera nicht geben können, bemerkte der Designer und Kritiker Marco Romanelli einmal treffend. Keine Frage, in diesem Stuhl steckt der ganze Ponti, der sich als Begründer einer neuen Italianità, eines mediterranen Lebensstils sah, der Inspirator der späteren Designerverbindungen Memphis und Alchimia.
Über fünf Jahrzehnte prägte Ponti das italienische Design unmittelbar - als Architekt, als Designer, Künstler und nicht zuletzt als Publizist, Gründer der Designzeitschrift Domus, die er mit kurzer Unterbrechung in den 1940er-Jahren bis zu seinem Tod am 16. September 1979 leitete. Ein universeller Geist. Er hat Wolkenkratzer konstruiert - sein Mailänder Torre Pirelli avancierte zum Ausrufezeichen italienischer Nachkriegsprosperität - und Schiffe eingerichtet - sein Interieur des Turboliners Andrea Doria wurde zum Inbegriff des Dolce Vita. Neben Möbeln - von denen einige, so der Superleggera, noch heute produziert werden - hat er Leuchten entworfen, Vasen, Bestecke, sogar eine Nähmaschine und einen Espresso-Automaten, Sanitärarmaturen zudem, auch Bühnenbilder und Kostüme für die Mailänder Scala.
Modernisierer der Werte
Er war Mittler zwischen den Zeiten, ein großer Anreger zugleich. Nicht ohne Grund wird er als der erste italienische Designer bezeichnet. In einer Epoche, da dieser Begriff in Italien gar nicht verwendet wurde, forcierte Ponti Produktgestaltung im umfassenden Sinne. Bei der Keramikfirma Richard Ginori etwa verantwortete er seit den 1920er-Jahren die gesamte Gestaltung, die zwischen Klassizismus und Moderne changierte. Ponti, der Modernisierer traditioneller Werte, war weder Futurist noch Rationalist.
Als Klassizist hatte er begonnen, gehörte zu den Begründern der Novecento-Bewegung. „Ritorno all'ordine“ lautete die Forderung damals, „Rückkehr zur Ordnung“. Dekoration, Form und Stilwille spielten dabei eine zentrale Rolle. Kein Wunder, dass der Mailänder Universalgestalter stets den Wiener Architekten Josef Hoffmann zu seinen Vorbildern zählte. Wie Hoffmann wollte Ponti seine Villen, Geschäftshäuser und Wohnanlagen in Gesamtkunstwerke verwandeln.
Von der Gabel bis zum Wolkenkratzer: Die neue Welt sollte stilvoll harmonisch sein. In einem Punkt freilich unterschied sich Ponti von seinem österreichischen Kollegen deutlich: Er träumte von einem italienischen Zugang zur Moderne. Von der Leichtigkeit des Seins in der bunten, mediterranen Welt; kurz: von einer neuen Italianità.
Ein bisschen Happening, ein bisschen Propaganda: Mit dem Mailänder Stuhlwurf führte Ponti einem verblüfften Publikum vor, wie stabil sein betont fragil wirkendes Modell ist. Mehr noch: Er wollte zeigen, was ein gutes Möbel in bewegten Zeiten aushalten kann. Die Leichtigkeit des Stuhls hatte Pontis Freund, der Möbelfabrikant Cesare Cassina, bereits ähnlich öffentlichkeitswirksam demonstriert. Er balancierte Superleggera nach Jongleursart auf einem Finger. Wenig später warb sein Unternehmen mit dem Bild eines fein herausgeputzten Jungen, der den Stuhl von gerade mal 1,66 Kilo Gewicht mit dem kleinen Finger an der Lehne emporhob.
Für Ponti war Superleggera schlicht der Inbegriff des modernen Möbels: leicht, fein, bequem. Ein Archetyp beinahe. „Lasst uns zurückkehren zu Stuhl-Stühlen, Haus-Häusern“, hatte Ponti 1952 gefordert, „zurück zu Arbeiten ohne Etikett, ohne Adjektive, zu richtigen, wahren, natürlichen, einfachen und spontanen Dingen und basta!“ Fünf Jahre lang hat er dann an seinem Stuhl-Stuhl experimentiert. Immer wieder von vorn angefangen. Vom Schwergewichtigen zum Leichten, vom Überflüssigen zum Klaren. Mit seinem Superleggera, von dem es bei seiner ersten Präsentation hieß, er sei der leichteste Stuhl der Welt, verfolgte der Architekt ein Programm: Handwerkliches Geschick und moderne Massenfertigung galt es zu verbinden. Abgeleitet von den typischen Stühlen aus dem ligurischen Küstenstädtchen Chiavari, den „Chiavarine“, verwendete Ponti die traditionellen Materialien Eschenholz und Rohrgeflecht; inspiriert von den Extravaganzen der 1950er-Jahre formte er die Stuhlbeine dreieckig und gab der Lehne ihren charakteristischen Knick.
Universeller Geist
Ohne Pontis Idee des „Diamante“, der facettierten, in der Sonne strahlenden, kristallinen Architektur, hätte es das dreieckige Bein des Superleggera nicht geben können, bemerkte der Designer und Kritiker Marco Romanelli einmal treffend. Keine Frage, in diesem Stuhl steckt der ganze Ponti, der sich als Begründer einer neuen Italianità, eines mediterranen Lebensstils sah, der Inspirator der späteren Designerverbindungen Memphis und Alchimia.
Über fünf Jahrzehnte prägte Ponti das italienische Design unmittelbar - als Architekt, als Designer, Künstler und nicht zuletzt als Publizist, Gründer der Designzeitschrift Domus, die er mit kurzer Unterbrechung in den 1940er-Jahren bis zu seinem Tod am 16. September 1979 leitete. Ein universeller Geist. Er hat Wolkenkratzer konstruiert - sein Mailänder Torre Pirelli avancierte zum Ausrufezeichen italienischer Nachkriegsprosperität - und Schiffe eingerichtet - sein Interieur des Turboliners Andrea Doria wurde zum Inbegriff des Dolce Vita. Neben Möbeln - von denen einige, so der Superleggera, noch heute produziert werden - hat er Leuchten entworfen, Vasen, Bestecke, sogar eine Nähmaschine und einen Espresso-Automaten, Sanitärarmaturen zudem, auch Bühnenbilder und Kostüme für die Mailänder Scala.
Modernisierer der Werte
Er war Mittler zwischen den Zeiten, ein großer Anreger zugleich. Nicht ohne Grund wird er als der erste italienische Designer bezeichnet. In einer Epoche, da dieser Begriff in Italien gar nicht verwendet wurde, forcierte Ponti Produktgestaltung im umfassenden Sinne. Bei der Keramikfirma Richard Ginori etwa verantwortete er seit den 1920er-Jahren die gesamte Gestaltung, die zwischen Klassizismus und Moderne changierte. Ponti, der Modernisierer traditioneller Werte, war weder Futurist noch Rationalist.
Als Klassizist hatte er begonnen, gehörte zu den Begründern der Novecento-Bewegung. „Ritorno all'ordine“ lautete die Forderung damals, „Rückkehr zur Ordnung“. Dekoration, Form und Stilwille spielten dabei eine zentrale Rolle. Kein Wunder, dass der Mailänder Universalgestalter stets den Wiener Architekten Josef Hoffmann zu seinen Vorbildern zählte. Wie Hoffmann wollte Ponti seine Villen, Geschäftshäuser und Wohnanlagen in Gesamtkunstwerke verwandeln.
Von der Gabel bis zum Wolkenkratzer: Die neue Welt sollte stilvoll harmonisch sein. In einem Punkt freilich unterschied sich Ponti von seinem österreichischen Kollegen deutlich: Er träumte von einem italienischen Zugang zur Moderne. Von der Leichtigkeit des Seins in der bunten, mediterranen Welt; kurz: von einer neuen Italianità.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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