Akteur
Hans Kollhoff
Kollhoff und Timmermann - Berlin (D)
Auf der Suche nach der verlorenen Baukunst
Hans Kollhoff als Architekt und Lehrer
18. Januar 2005 - Jürgen Tietz
Er zählt zu den einflussreichsten deutschen Architekten der letzten zwanzig Jahre - und zu den streitbarsten. International bekannt wurde Hans Kollhoff seit den achtziger Jahren mit seinen Berliner Wohnbauten, vor allem aber durch den grossen Wohnblock auf dem KNSM-Eiland in Amsterdam (1994) mit den charakteristischen roten Klinkermauern. Während Kollhoff in Amsterdam mit geknickten Fassaden, mit Schrägen und Auskragungen arbeitete, durch die er dem Baukörper eine plastische Durchformung verlieh, wandte er sich in den folgenden Jahren von dieser Formensprache, die sich an der niederländischen Architektur der neunziger Jahre inspiriert hatte, ab. Stattdessen entdeckte er Werte und Qualitäten der Architektur aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg als Inspiration für seine Bauten. Das Ergebnis ist eine «neue Tradition», wie es Jasper Cepl in einer voluminösen, bei Electa erschienenen Monographie über das Büro von Hans Kollhoff und Helga Timmermann formuliert.
Flirt mit der Frühmoderne
Gern spricht Kollhoff von einer neuen Selbstverständlichkeit und Vorbildlichkeit seiner Architektur. Dabei beruft sich der gebürtige Thüringer auf die «alten Meister» der Moderne, allen voran auf Adolf Loos. Das hat auch Einfluss auf Kollhoffs langjährige Lehrtätigkeit an der ETH Zürich. Sie wird anhand von Studentenarbeiten in einem nicht minder voluminösen Buch aus dem Niggli-Verlag dokumentiert.
Die Arbeiten dieser «Architekturlehre» reichen von Planungen für Berlin-Moabit (1987/88) über den Entwurf eines Grand-Hotels (1989/90) bis hin zur Gestaltung von Interieurs. Entsprechend der Entwicklung von Kollhoffs Werk zeigen auch sie eine immer deutlichere Hinwendung zum Duktus der frühmodernen Architektur um 1900. Etwa beim Thema «Wohnen», das Kollhoff mit seinen Zürcher Studenten in den Jahren 1998 bis 2000 behandelte. Eine Aufgabe, die ihm besonders am Herzen liegt. Denn: «Alle Architektur kommt vom Wohnen her.» Doch das werde den Studenten meist schon im ersten Semester ausgetrieben. Und so schliesst Kollhoff ein Plädoyer für die Behaglichkeit an: «Wenn er (der Architekturstudent) nicht gerade einem intellektuellen Milieu entstammt, wird er fortan die Behaglichkeit des Elternhauses verdrängen, um sich in der Architektenzunft nicht lächerlich zu machen.» Die angehenden Baukünstler sollten, statt spöttisch aus dem Elfenbeinturm auf die vielfältigen Sehnsüchte der Menschen hinabzuschauen, diese «als Grundlage der Architektur» zurückzugewinnen suchen.
Mysterium und Monumentalität
Doch erfüllen die Entwürfe seiner Studenten und seine eigenen Bauten tatsächlich jene beschworene «Vielfalt» der Wohnsehnsüchte? Werden sie einer von Geldbeutel und persönlichen Vorlieben bestimmten Wohnindividualität gerecht, die sich in den Zeiten der industriellen Massenanfertigung aus Versatzstücken von Ikea bis Interlübke zusammensetzt? Fraglos, man kann unsere Einrichtungs- und Wohnwirklichkeit als Kulturverlust beklagen. Doch wer kann sich heute noch eine ganze Wohnungseinrichtung mit Möbeln leisten, die die «vielfältigen Verarbeitungstechniken mit Massivholz und Furnierholz» zeigen? Kollhoffs Eintreten für Handwerklichkeit in Ehren, doch die gebauten Ergebnisse tragen den Beigeschmack einer Architektur für Besserverdienende. Vor allem aber verwechseln viele Studenten in ihren Entwürfen Gemütlichkeit und Behaglichkeit mit repräsentativer Gediegenheit. Dem entspricht in Kollhoffs Werk die leuchtend weisse Villa Gerl in Berlin (1997/2000), deren geradezu überbordende Repräsentationskraft letztlich im Formalismus stecken bleibt.
Dass es ihm um ein grundsätzlich zu veränderndes Architekturverständnis geht, verdeutlicht Kollhoff bereits in der Überschrift des einleitenden Essays seiner Architekturlehre. «Was ist Architektur?», heisst die grosse Frage, die ihn leitet. Antworten, so wird durch die Foto eines Details von San Giorgio Maggiore auf der folgenden Seite deutlich, vermögen ihm nur die Grossen der Baukunst wie Andrea Palladio zu liefern. Ist dies die Tradition, in der Kollhoff auch sein eigenes Schaffen sieht? Zumindest bietet der Essay dem Leser eine Ortsbestimmung für Kollhoffs Architekturverständnis, das von einer «Sehnsucht nach architektonischer Komplexität und Finesse» getragen wird. Gleichwohl erachtet er «Monumentalität als konstitutiv für eine städtische Architektur» und schwärmt vom «Mysterium der Architektur».
Der Palazzo der Landeszentralbank im thüringischen Meiningen (1997/2000) oder die Säulenstellungen der Leibniz-Kolonnaden am Berliner Walter-Benjamin-Platz (1995-2001) erweisen sich als Versuche, den Faden eines heute nicht mehr gültigen Architekturkanons weiterzuspinnen. Ein Kanon, der einst von Vitruv bis Alberti und Palladio unter grundsätzlich anderen Entstehungsbedingungen für Architektur herausgebildet worden war. Kollhoffs Rückwendung zu den Klassikern der Baukunst ist ihrer historischen Konnotationen entkleidet. Zugleich geht sie mit einer Abrechnung mit dem Bauhaus einher, die er in einem fast alttestamentarischen Zorn vorträgt. Mit der Hartnäckigkeit eines Don Quijote kämpft er dabei gegen die Windmühlenflügel des «funktionalistischen Stumpfsinns». In seinem redlichen Bemühen um eine Rückbesinnung auf architektonische Grundwerte schiesst er weit über das Ziel hinaus und verleiht seinen Häusern den Anschein von gebauten Manifesten. Erdenschwer und bedeutungsschwanger stellen sie eine Aneignung von Vergangenheit dar, die in ihrer Ernsthaftigkeit mitunter fast schon beängstigende Züge trägt.
[ Jasper Cepl: Kollhoff & Timmermann Architetti. Documenti di Architettura, Electa, Mailand 2003, 448 S., Euro 68.-.
Hans Kollhoff, Architekturlehre. Niggli-Verlag, Sulgen 2004. 368 S., Fr. 98.-. ]
Flirt mit der Frühmoderne
Gern spricht Kollhoff von einer neuen Selbstverständlichkeit und Vorbildlichkeit seiner Architektur. Dabei beruft sich der gebürtige Thüringer auf die «alten Meister» der Moderne, allen voran auf Adolf Loos. Das hat auch Einfluss auf Kollhoffs langjährige Lehrtätigkeit an der ETH Zürich. Sie wird anhand von Studentenarbeiten in einem nicht minder voluminösen Buch aus dem Niggli-Verlag dokumentiert.
Die Arbeiten dieser «Architekturlehre» reichen von Planungen für Berlin-Moabit (1987/88) über den Entwurf eines Grand-Hotels (1989/90) bis hin zur Gestaltung von Interieurs. Entsprechend der Entwicklung von Kollhoffs Werk zeigen auch sie eine immer deutlichere Hinwendung zum Duktus der frühmodernen Architektur um 1900. Etwa beim Thema «Wohnen», das Kollhoff mit seinen Zürcher Studenten in den Jahren 1998 bis 2000 behandelte. Eine Aufgabe, die ihm besonders am Herzen liegt. Denn: «Alle Architektur kommt vom Wohnen her.» Doch das werde den Studenten meist schon im ersten Semester ausgetrieben. Und so schliesst Kollhoff ein Plädoyer für die Behaglichkeit an: «Wenn er (der Architekturstudent) nicht gerade einem intellektuellen Milieu entstammt, wird er fortan die Behaglichkeit des Elternhauses verdrängen, um sich in der Architektenzunft nicht lächerlich zu machen.» Die angehenden Baukünstler sollten, statt spöttisch aus dem Elfenbeinturm auf die vielfältigen Sehnsüchte der Menschen hinabzuschauen, diese «als Grundlage der Architektur» zurückzugewinnen suchen.
Mysterium und Monumentalität
Doch erfüllen die Entwürfe seiner Studenten und seine eigenen Bauten tatsächlich jene beschworene «Vielfalt» der Wohnsehnsüchte? Werden sie einer von Geldbeutel und persönlichen Vorlieben bestimmten Wohnindividualität gerecht, die sich in den Zeiten der industriellen Massenanfertigung aus Versatzstücken von Ikea bis Interlübke zusammensetzt? Fraglos, man kann unsere Einrichtungs- und Wohnwirklichkeit als Kulturverlust beklagen. Doch wer kann sich heute noch eine ganze Wohnungseinrichtung mit Möbeln leisten, die die «vielfältigen Verarbeitungstechniken mit Massivholz und Furnierholz» zeigen? Kollhoffs Eintreten für Handwerklichkeit in Ehren, doch die gebauten Ergebnisse tragen den Beigeschmack einer Architektur für Besserverdienende. Vor allem aber verwechseln viele Studenten in ihren Entwürfen Gemütlichkeit und Behaglichkeit mit repräsentativer Gediegenheit. Dem entspricht in Kollhoffs Werk die leuchtend weisse Villa Gerl in Berlin (1997/2000), deren geradezu überbordende Repräsentationskraft letztlich im Formalismus stecken bleibt.
Dass es ihm um ein grundsätzlich zu veränderndes Architekturverständnis geht, verdeutlicht Kollhoff bereits in der Überschrift des einleitenden Essays seiner Architekturlehre. «Was ist Architektur?», heisst die grosse Frage, die ihn leitet. Antworten, so wird durch die Foto eines Details von San Giorgio Maggiore auf der folgenden Seite deutlich, vermögen ihm nur die Grossen der Baukunst wie Andrea Palladio zu liefern. Ist dies die Tradition, in der Kollhoff auch sein eigenes Schaffen sieht? Zumindest bietet der Essay dem Leser eine Ortsbestimmung für Kollhoffs Architekturverständnis, das von einer «Sehnsucht nach architektonischer Komplexität und Finesse» getragen wird. Gleichwohl erachtet er «Monumentalität als konstitutiv für eine städtische Architektur» und schwärmt vom «Mysterium der Architektur».
Der Palazzo der Landeszentralbank im thüringischen Meiningen (1997/2000) oder die Säulenstellungen der Leibniz-Kolonnaden am Berliner Walter-Benjamin-Platz (1995-2001) erweisen sich als Versuche, den Faden eines heute nicht mehr gültigen Architekturkanons weiterzuspinnen. Ein Kanon, der einst von Vitruv bis Alberti und Palladio unter grundsätzlich anderen Entstehungsbedingungen für Architektur herausgebildet worden war. Kollhoffs Rückwendung zu den Klassikern der Baukunst ist ihrer historischen Konnotationen entkleidet. Zugleich geht sie mit einer Abrechnung mit dem Bauhaus einher, die er in einem fast alttestamentarischen Zorn vorträgt. Mit der Hartnäckigkeit eines Don Quijote kämpft er dabei gegen die Windmühlenflügel des «funktionalistischen Stumpfsinns». In seinem redlichen Bemühen um eine Rückbesinnung auf architektonische Grundwerte schiesst er weit über das Ziel hinaus und verleiht seinen Häusern den Anschein von gebauten Manifesten. Erdenschwer und bedeutungsschwanger stellen sie eine Aneignung von Vergangenheit dar, die in ihrer Ernsthaftigkeit mitunter fast schon beängstigende Züge trägt.
[ Jasper Cepl: Kollhoff & Timmermann Architetti. Documenti di Architettura, Electa, Mailand 2003, 448 S., Euro 68.-.
Hans Kollhoff, Architekturlehre. Niggli-Verlag, Sulgen 2004. 368 S., Fr. 98.-. ]
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom
Kontakt
Kollhoff und TimmermannKurfürstendamm 178 - 179
10707 Berlin
Deutschland
Tel +49 30 8841850
buero[at]kollhoff.de