Akteur

Zvi Hecker
* 1931 Krakau 2023 Berlin

Gewaltige Verschiebungen

Architektur: Der Architekt Zvi Hecker übernahm im Herbst 1998 die Meisterklasse Wilhelm Holzbauers an der Angewandten. Eine Ausstellung im Foyer der Kunst-Uni stellt den delikaten Tel Aviv-Berliner Architekturdenker den Wienern vor.

5. Mai 1999 - Jan Tabor
Zvi Hecker ist in Wien. „Wir freuen uns“, schreibt Hans Hollein im Ausstellungsfolder, „daß er uns seine Sonnenblumen, Spiralen und Explosionen sowohl als Ausstellung präsentiert als auch an unserer Schule persönlich seine Ideen vermittelt. Wir lernen von ihm.“ Und wie!

Die Umwege, über die Zvi Hecker zur Architektur gelangt, sind denkbar einfach. An jedem Ort, wo es zu bauen gilt, lehrt er, sei etwas vorhanden, an das der Architekt anknüpfen soll, um die lokale Geschichte, das heißt die Zeit des Ortes, weiterzuführen. Weiterführen, ohne fortzusetzen oder gar zu wiederholen. Damit meint Hecker nicht den altmodischen und verschwommenen, auch von vielen zeitgenössischen Architekten beschworenen Genius loci und auch nicht die gestaltlose Erinnerung. Er meint etwas als Idee - zeit- oder erdgeschichtlich konkret Vorhandenes -, eine Idee, der es eine architektonische Gestalt zu geben gilt.

Von der Synagoge in der Lindenstraße in Berlin ist nach dem Großen Pogrom im November 1938, nach der sogenannten Reichskristallnacht, nur eine Baulücke übriggeblieben. Büsche und Bäume wachsen hier, Birken vor allem und hohes Gras. Ein Fußgängerweg führt zwischen den Feuermauern der umliegenden Häuser hindurch, über den mittlerweile romantisch gewordenen Ort. Geblieben ist außerdem eine Seite aus einem Gebetbuch, auf der der Grundriß mit den dicht gedrängten Sitzbänken der einstigen Synagoge verzeichnet ist. Ohne einen Baum zu fällen, ohne das Gras zu vernichten und den Verlauf des Weges zu verändern, baute Zvi Hecker gemeinsam mit dem Bildhauer Micha Ullman und dem Architekten Eyal Weizman die zerstörte Synagoge 1997 gleichsam wieder auf. Der Grundriß ist Vergangenheit. Die Baulücke ist Vergangenheit und Gegenwart zugleich. Die Bäume, das Gras, der Weg und die Menschen, die hier unterwegs sind, sind die Gegenwart. Zvi Hecker ergänzte den Ort durch Sitzbänke aus hellem, beinahe weißem, marmorglatt gegossenem Beton; genau nach der Anordnung der einstigen Holzbänke in der Synagoge - soweit es die 1995 (als Zvi Hecker den Denkmal-Wettbewerb gewann) hier vorgefundene Situation erlaubte. Ist ein Baum im Weg gestanden, so sind die neuen Sitzbänke weggelassen worden oder kürzer ausgefallen. Man kann sie auch als Grabsteine deuten.

Das ist alles gewesen. Wenn Zvi Hecker baut, dann will er, daß sich möglichst wenig verändert, daß alles womöglich so bleibt, wie es gewesen ist. Das Gras wächst weiter über die Geschichte. Die Zeit ist zurückgekehrt. Der Ort ist ein Park geworden und doch auch ein Denkmal - unverkennbar, vor allem. Zvi Hecker zwingt die Erinnerungen niemandem auf. Er macht bloß ein Angebot, das man allerdings kaum ablehnen kann. Ein Mensch, der diesen Ort durchschreitet oder sich auf einer der langen kantigen Sitzbänke niederläßt, um die Schönheit dieses verlassenen Ortes zu genießen, kommt nicht umhin, sich zu fragen, warum der Ort heute so ist, wie er ist, und wie es hier einst war. In der Berliner Lindenstraße hat Zvi Hecker wohl das stillste und eindringlichste aller Denkmäler erdacht und verwirklicht, die zum Thema Judenverfolgung in der letzten Zeit entstanden sind.

„Ich möchte, daß das Werk sich direkt an jedermanns Geist und Herz wendet, als Erinnerung an die Vergangenheit und Warnung für die Zukunft. Ich möchte, daß das Werk von Trauer, Leid und tragischem Schicksal spricht. Gleichzeitig möchte ich, daß das Werk so still ist wie eine Landschaft zeitloser Einsamkeit.“ So beschreibt Zvi Hecker die beabsichtigte Wirkung jenes Denkmals, das er 1996 für den Wettbewerb eines Mahnmals am Judenplatz in Wien entworfen hat. Eine 14 Meter hohe dreieckige Wand lehnt sich, einem gotischen Strebepfeiler gleich, an die Mauer eines Hauses. 16 Meter tief ragt sie in den länglichen Judenplatz hinein. In einer Rille rinnt ein feiner Wasserstrahl die schräge obere Kante hinunter, Symbol des Lebens und des Zeitflusses. Drei flammenförmige Öffnungen in der Wand ermöglichen es den Passanten durchzugehen, schaffen aber dennoch eine Schwellensituation.

Die Wand markiert den Judenplatz an jener Stelle, an der sich die nun freigelegten Fundamente der 1421 zerstörten Synagoge befinden. „Bar aller heroischen Symbole sollte das Werk einen integralen Teil der in der urbanen Situation bestehenden Kunst darstellen, ein gewöhnliches Stück Wand, gebaut aus gewöhnlichem Baumaterial“, beschreibt Zvi Hecker seine Idee, die ein Entwurf geblieben ist, weil die Jury sich für den Bücher-Würfel der britischen Künstlerin Rachel Whiteread entschieden hat. Seinen Entwurf für Wien zeigt Zvi Hecker in der Ausstellung im Foyer der Universität für angewandte Kunst nicht.

Diese Ausstellung ist durch die Initiative von Ulrike Kusztrich, Stephan Szigetvary und Manuel Singer entstanden, drei Architekturstudenten, die das Werk von Zvi Hecker kennenlernen wollten (und die, um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen, nicht seine Schüler sind).

Zvi Hecker stellt weniger seine Werke als sein architektonisches Denken vor: die Art, wie er über Umwege eine neue Identität für die Orte seines Bauens sucht. Bereits eine Woche vor der Eröffnung war die Ausstellung fertig und sehenswert, obwohl die Exponate noch nicht aufgehängt worden waren. Zwei Wände aus Holz stehen diagonal in dem verglasten, durch Tragpfeiler der Außenwände definierten Raum der Eingangshalle. Eine der Stellwände ragt auf den Vorplatz hinaus; beide weisen torartige Einschnitte auf, die den Rhythmus der Pfeiler angenommen haben und ein völlig neues, spannendes Raumerlebnis aus Einblicken, Durchblicken und Blickversperrungen erzeugen. Sie gleichen den Seiten eines geöffneten Buches und sind nur spärlich mit Entwurfszeichnungen behängt.

Darunter findet sich auch der Entwurf für die 1995 fertiggestellte, viel diskutierte und mit den schönsten Kritikermetaphern umschriebene jüdische Galinski-Schule in Berlin. „Ein kleines Wunderwerk, ein architektonisches Abenteuer von Seltenheitswert“, nennt die Wiener Kritikerin Liesbeth Waechter-Böhm das spiralförmig angelegte Gebäude. Layla Dawson (Konkret) sieht den Grundriß als Wirbelsturm, der Hof ist das Auge des Taifuns. Die Spirale, die Zvi Hecker oft als Ausgangsidee für seine Entwürfe verwendet, nennt er „Turm zu Babel en miniature“.

Obwohl sie intellektuell ungemein komplex erdacht und umgesetzt wurden, wirken Heckers Bauten so, als wären sie von elementaren Naturkräften geformt, von einfachen, aber gewaltigen tektonischen Verschiebungen. Als wären sie geologische Formationen. Als wären sie ein Bestandteil der Landschaft, schon immer an diesem Ort gewesen. Das 1999 fertiggestellte Palmach Museum in Tel Aviv zeigt dies besonders deutlich. Es sind die Kräfte einer metaphorischen Tektonik, die Heckers Bauten formen.

Einst war es eine lobenswerte staatliche Tradition in Österreich, einen neu berufenen, zumal einen aus dem Ausland kommenden Architekturlehrer mit einem öffentlichen Bauauftrag zu ehren. So etwa ist 1930 die Tabakfabrik in Linz von Peter Behrens entstanden, ein besonderes Prachtstück in der österreichischen Geschichte der modernen Architektur.

Zvi Hecker ist in Wien. An das muß erinnert werden.

Die Ausstellung ist noch bis 22.5. im Foyer der Universität für angewandte Kunst zu sehen.

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Zvi Hecker, Foto: Anette Kolarski