Akteur

Wolfgang Tschapeller
Wolfgang Tschapeller Architekt - Wien (A)

Stadt ohne Körper

„Architektur als Gebäude spielt hier überhaupt keine Rolle mehr“: Wolfgang Tschapeller über seinen Beitrag für die nächste Architekturbiennale in Venedig und das Wettbewerbsprojekt für die Universität für angewandte Kunst in Wien. Ein Gespräch.

14. April 2012 - Christian Kühn
Wolfgang Tschapeller, der österreichische Beitrag bei der nächsten Architekturbiennale wird unter dem Titel „Reports from a City Without Architecture“ stehen. Was darf man sich darunter vorstellen?

Gemeinsam mit dem Kurator Arno Ritter haben wir uns die letzten österreichischen Beiträge zur Biennale angesehen. Die waren auf Personen und deren Werk bezogen, also retrospektiv. Wir verstehen den österreichischen Pavillon dagegen als räumliches Instrument der architektonischen Forschung, mit dem wir utopisch klingende Fragen behandeln wollen, unter Einbeziehung von Naturwissenschaften und neuesten medialen Technologien. Eine Stadt als Summe von „Gebäuden“ zu sehen ist ja als Konzept eine Voreingenommenheit. Letzten Endes geht es darum, Situationen zu schaffen, die uns das Leben erlauben, „sympathische Umgebungen“. Wir untersuchen, wohin es führt, wenn wir Architektur aus dieser Richtung her denken und nicht als die Realisierung von Baukörpern.

Das sind ja nicht unbedingt neue Ideen. Yona Friedman hat schon Ende der 1950er-Jahre Architektur als Infrastruktur verstanden, in die man dann erst über Membranen und Interfaces solche „sympathischen Umgebungen“ implantiert.

Die Recherche, gleich, ob historisch, tektonisch, technisch oder topografisch, ist ein wichtiger Teil unserer Arbeit, nicht nur für Venedig. Aber es stimmt, dass um 1960 viel in diese Richtung gedacht wurde. Ein Schlüsselbeispiel für uns ist ein Film, den Charles und Ray Eames zwischen 1968 und 1977 realisiert haben, „Powers of Ten“, der von einer Alltagsszene ausgeht, einem jungen Pärchen beim Picknick auf einer Decke, von oben gefilmt, und dann zoomt die Kamera schrittweise hinaus, man sieht die Erdkugel und dann das Universum, und danach geht es zurück in den Mikrokosmos bis auf die molekulare Ebene. Was Charles und Ray Eames hier als Architekten thematisieren, muss man im Vergleich zur Vitruvschen Figur sehen, die in die Quadratur des Kreises eingespannt ist, oder zu Le Corbusiers berühmtem Modulor-Mann.

Bei „Powers of Ten“ ist es nicht nur ein Mann, sondern ein Paar, und die Figuren stehen nicht, sondern liegen auf einer horizontalen Fläche. Die Betrachtung bleibt auch nicht beim Körper stehen, sondern führt den Blick nach innen, in das Innere von Körpern und Materialien. Das sind Perspektiven, mit denen wir in der Architektur bisher wenig arbeiten, aber wir stehen an einer Schwelle. Wir müssen, vereinfacht gesagt, unser Verhältnis zum umgebenden Raum und zur Materie neu klären.

Wie wird das in Venedig umgesetzt?

Der Pavillon wird im Innenraum an den Längsseiten Projektionen digitaler Figuren mit interaktiven Fähigkeiten zeigen, die wir mit Martin Perktold und Rens Veltmann entwickeln. Mit diesen Figuren, die teilweise als Avatare funktionieren, erzeugen wir eine Stadt, die auf die Beziehung zwischen Figuren reduziert ist. Architektur als Gebäude spielt hier überhaupt keine Rolle mehr.

Wir beziehen uns dabei nicht nur auf Elemente der Science-Fiction, obwohl dieser Aspekt eine große Rolle spielt, sondern auch auf scheinbar ganz anders gelagerte Überlegungen wie die von Bernard Rudofsky, der sich als Architekt ebenfalls weniger fürs Bauen und mehr für eine neue Lebensweise interessiert hat. Sein Buch über den „Unfashionable Human Body“ erschien 1971, als sich parallel die Cultural Studies zu formieren begannen und dort die Körperdiskussion in voller Breite losbrach. Die bildende Kunst hatte die Leinwand verlassen und sich im Aktionismus dem Körper zugewendet, und etwas Ähnliches geschah in der Architektur, in den Arbeiten von Walter Pichler, den Haus-Ruckern und Coop Himmelb(l)au, die Architekturen als Erweiterung des Körpers dachten.

Auch dem Projekt, mit dem Sie den Wettbewerb für die Erweiterung der Universität für angewandte Kunst gewonnen haben, merkt man ein Interesse für die Ideen aus dieser Zeit an.

Ja, natürlich, offensichtlich greift dieses Projekt gezielt auf Themen und Versprechungen, die auch um 1960 relevant waren, zu. Wir haben diesen direkten Zugriff gründlich diskutiert, etwa anhand der Kugelformen oder der Ballons oder der vorgestellten Erschließungselemente, und haben entschieden, dieses Potenzial zu aktivieren. Viel mehr hat mich aber die serielle Qualität des Bestandsgebäudes von Karl Schwanzer aus dem Jahr 1962 interessiert, ein Stahlbetonraster parallel zum Wienfluss, der nur durch zwei Stiegenhäuser unterbrochen wird. Diese Stiegenhäuser sind die eigentlichen Schlüssel zur Lösung der Bauaufgabe. Wir nehmen sie aus dem Raster heraus und setzen sie hofseitig vor das Gebäude, und damit haben wir eigentlich schon den Raum erreicht, den wir brauchen: Etagen mit 86 Meter Länge und 17 Meter Breite so gut wie ohne fixe Einbauten.

Der Schwanzer-Bau wird damit das, was er vorgibt zu sein, nämlich reine Konstruktion, nur Decken und Stützen, und davor steht die Erschließung, vergleichbar dem Prinzip des Centre Pompidou oder der Versorgungstürme für Raketen in Cape Caneveral, wenn man die Verbindungsstege betrachtet. Zusätzlich zu diesen Sicherheitsstiegenhäusern und Lifttürmen gibt es noch ein verbindendes, breites Stiegenelement, das wie ein Broadway diagonal über den Fassadenraster führt. Diese Treppe ist einer der gemeinsamen Räume für alle Studios, und im Untergeschoß gibt es die neue Verbindung zum Ferstel-Bau am Ring, wo in Zukunft auch der Haupteingang sein wird.

Im Vergleich zu früheren Projekten geht ihr mit dem Altbau eher sanft um, ohne die „schönen Kollisionen“, die für den Dekonstruktivismus typisch waren.
Mag sein, tatsächlich nutzt dieses Projekt die Erfahrung einer langen Reihe von Experimenten, die wir mit seriellen Elementen und Rastern durchgeführt haben. Im Gegensatz zu anderen, ähnlich gelagerten Projekten suchen wir hier nicht die Kollision, sondern legen den Raster frei, fast im archäologischen Sinn, und fügen zu den drei bestehenden Rastern einen vierten hinzu, der sich wie eine Haut an die neuen Bauteile anschmiegen wird. Wenn Sie wollen: schmiegen statt splittern.

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