Akteur
ARTEC Architekten ZT GmbH
Wien (A)
Die nackte Wahrheit
Das Wiener Büro Artec zählt zu den radikalsten Architekturschmieden des Landes. Nur gut und recht, dass es im Österreich- Pavillon auf der Biennale in Venedig das Sagen hat. Ein Porträt.
19. Juli 2008 - Wojciech Czaja
Niemals sollte man sich in Anwesenheit der beiden Architekten Bettina Götz und Richard Manahl vor eine unverputzte Wand stellen oder mit dem Zeigefinger auf eine nackerte Stahlstütze deuten und dann fragen: „Bleibt das so?“ Schon hat man sich eiskalt selbst disqualifiziert. Natürlich bleibt das so.
Die Fassade als eigens aufgetragene Haut gibt es nicht, ja nicht einmal Farbe wird verwendet, wo sie nicht auch unbedingt gebraucht wird. Sägeraues Holz, Sichtbeton und Zinkblech mit Nieten drauf - „Materialechtheit“ nennt man im Wiener Architekturbüro Artec das, was bei Menschen gemeinhin als FKK bezeichnet wird. „Wichtig ist, dass die Gestalt des Gebauten aus dem Konzept entsteht und nicht entworfen wird“, sagt Bettina Götz ganz sachlich und nüchtern. Und dann Stille. Nachsatz: „Design ist überflüssig.“
Das merkt man auch in ihrem eigenen Büro in Wien Margareten im ersten Stock eines Wohnhauses, das sie 2004 für den Bauträger Mischek gebaut haben. Alles ist nackt. Die Wände sind nur dort gespachtelt, wo es aufgrund von Stemmarbeiten nötig war. Das Resultat ist Kuhfleckoptik in Spachtelweiß und Betongrau, von Dispersionsfarbe keine Spur. Da und dort ist auf der Wand noch eine Bleistiftskizze zu sehen, Spuren eines längst vergangenen Gesprächs zwischen Bauarbeiter und Polier. Wozu übermalen? So ist es halt.
„Wir wollen nichts verstecken, und wir wollen nichts kaschieren“, sagt Richard Manahl, „aus unserem Wunsch nach Authentizität heraus zeigen wir die Materialien und Konstruktionen gerne in ihrer ursprünglichen Form.“ Eine Oberfläche werde nicht besser dadurch, dass man sie zumale, zuspachtle oder verkleide. „Vor allem mögen wir keine Materialien, die etwas anderes vortäuschen, als sie sind. Ich denke da nur an Melanin und Laminat“, sagt Götz, „das ist schauderhaft.“
Verstehen auf den zweiten Blick
Eines der ersten und gleichzeitig radikalsten Projekte der beiden gebürtigen Vorarlberger ist der sogenannte Raum Zita Kern im niederösterreichischen Raasdorf. Über einen ungehobelten Ziegeltrakt eines alten Bauernhofs stülpten Götz und Manahl ein geknicktes Etwas aus Aluminium. Von New York über Moskau bis Tokio war ein Griss um das Projekt, manche Verlage positionierten es prominent auf dem Cover ihrer Gazetten. Margherita Spiluttinis Foto mit rennender Henne im Vordergrund ging um die Welt.
Das solle Architektur sein? Furchtbar! Viele rümpfen die Nase. „Sehr oft sagen die Leute auf den ersten Blick, dass unsere Gebäude ja noch gar nicht fertig sind. Und dann betreten sie das Haus oder die Wohnung, und plötzlich erschließt sich ihnen der Raum“, erklärt Götz.
Die Kinder scheinen das schon längst begriffen zu haben. Als die Schule Zehdengasse in Wien-Floridsdorf an einem frühen Septembertag im Jahre 1996 ihre Pforten öffnete, wurde sie von den Kids mit Begeisterung gestürmt. Keine fadenscheinige Eleganz, keine High-tech-Details, keine Schickimicki-Farbe an der Wand, und überall kann man mit dem Sportschuh dagegentreten, ohne dass sich irgendjemand darüber mokiert.
Die Oberfläche roh zu belassen sei praktisch, schnell und billig. „Die Kinder haben den von uns sichtbar belassenen Beton auf Anhieb akzeptiert, ihnen gefällt das“, sagen die beiden Architekten im Rückblick. Außerdem eignen sich die unbehandelten Wände als perfekte Mal- und Zeichenunterlage. Nur den Eltern und Lehrern musste erst langwierig erklärt werden, dass es sich hier nicht um einen Baustopp gehandelt habe. Nein, das ist gewollt.
Das Konzept der fehlenden Veredelung scheint jedenfalls aufzugehen. Das Büro expandiert, zeichnet einen Wettbewerb nach dem anderen, nimmt Preise entgegen und vertieft sich zusehends in den Wohnbau. An die 30 Projekte hat Artec bisher realisiert, mehr als die Hälfte davon sind Einfamilienhäuser und mittlere bis große Wohngebäude.
Eines der größten Projekte seit der Bürogründung im Jahre 1985 wurde vor wenigen Wochen begonnen. Derzeit wird das Fundament gebaut. Bei den Bremer Stadtmusikanten werden verschiedene Wohnformen wie Esel, Hund, Katze und Gockelhahn übereinander getürmt.
„Alle Wohnungstypen, die wir da eingeplant haben, kommen häufig in Stadtrandsiedlungen vor“, sagen die beiden, „nur sind sie in diesem Fall nicht freistehend auf der grünen Wiese, sondern gestapelt und komprimiert.“ Die Bewohner haben die Wahl zwischen Atriumswohnung, Maisonnette, Reihenhaus und Kleingartenhaus in luftiger Höhe. Auch in diesem Fall hütet man sich davor, eine Fassade zu entwerfen. Dementsprechend mannigfaltig nehmen sich die unterschiedlichen Schauseiten aus und erwecken den Eindruck, als habe man es mit völlig unterschiedlichen Projekten zu tun. Die Logik des Innenlebens wird einfach nach außen gestülpt.
Die Radikalität in der Architektur von ARTEC bescherte Bettina Götz eine Gastprofessur an der Universität der Künste in Berlin, wo sie etwa zwei bis drei Tage in der Woche verbringt. Am Institut für Entwerfen und Baukonstruktion erzieht sie die Studenten zur materiellen Reduktion und zur gestalterischen Askese. „Mir geht es darum, dass die Studenten anhand ihrer Entwürfe ihre eigene, individuelle Entwurfsmethodik entwickeln“, sagt Götz, „für einen Außenstehenden muss sie aber erklärbar sein.“
Kommissärin für die Biennale
Und auch hierzulande ist man auf den Geschmack des unverblümten Bauens gekommen. Nachdem Götz drei Jahre lang im Architekturbeirat des Bundeskanzleramtes tätig war, wurde sie Anfang des Jahres zur Österreich-Kommissärin für die kommende Architektur-Biennale ernannt. Die Worte von Bildungsministerin Claudia Schmied waren damals kurz und prägnant: „Ich habe die Architektin Bettina Götz zur Kommissärin für die Architekturbiennale Venedig bestellt. Eine Frau.“
Ob das Geschlecht wohl ein Entscheidungskriterium war? „Immer vorausgesetzt, dass wir von gleicher Qualifikation sprechen, hat man es im Architekturberuf heute als Frau leichter. Es gibt in diesem Beruf viel weniger Frauen, und in gewissen Situationen werden sie dann einfach bevorzugt. Das ist eine Tatsache, der man sich stellen muss“, erklärt Bettina Götz. „Es hat eine Zeit gedauert, bis sich Frauen überhaupt einmal durchgesetzt haben, und es wird wieder eine Zeitlang dauern, bis sich dieser Zustand normalisiert hat.“
Partner Richard Manahl freut sich: „Ich muss mich nun verstärkt unseren Projekten widmen. Eine gewisse Gliederung muss sein.“ Als Nächstes steht wohl der Absprung ins Ausland an. Noch war bei den ersten Wettbewerben für Bozen, Tallinn und Riga kein erster Platz dabei, doch auch dort wird man bald auf den Geschmack der nackten Wahrheit kommen.
Die 11. Architektur-Biennale in Venedig widmet sich dem Thema „Out there. Architecture beyond Building“. Der österreichische Beitrag geht noch einen Schritt zurück und wirft mit „Before Architecture. Vor der Architektur“ die Frage auf, was davor gewesen sein könnte. Von 14. September bis 23. November 2008. der Standard wird berichten.
Die Fassade als eigens aufgetragene Haut gibt es nicht, ja nicht einmal Farbe wird verwendet, wo sie nicht auch unbedingt gebraucht wird. Sägeraues Holz, Sichtbeton und Zinkblech mit Nieten drauf - „Materialechtheit“ nennt man im Wiener Architekturbüro Artec das, was bei Menschen gemeinhin als FKK bezeichnet wird. „Wichtig ist, dass die Gestalt des Gebauten aus dem Konzept entsteht und nicht entworfen wird“, sagt Bettina Götz ganz sachlich und nüchtern. Und dann Stille. Nachsatz: „Design ist überflüssig.“
Das merkt man auch in ihrem eigenen Büro in Wien Margareten im ersten Stock eines Wohnhauses, das sie 2004 für den Bauträger Mischek gebaut haben. Alles ist nackt. Die Wände sind nur dort gespachtelt, wo es aufgrund von Stemmarbeiten nötig war. Das Resultat ist Kuhfleckoptik in Spachtelweiß und Betongrau, von Dispersionsfarbe keine Spur. Da und dort ist auf der Wand noch eine Bleistiftskizze zu sehen, Spuren eines längst vergangenen Gesprächs zwischen Bauarbeiter und Polier. Wozu übermalen? So ist es halt.
„Wir wollen nichts verstecken, und wir wollen nichts kaschieren“, sagt Richard Manahl, „aus unserem Wunsch nach Authentizität heraus zeigen wir die Materialien und Konstruktionen gerne in ihrer ursprünglichen Form.“ Eine Oberfläche werde nicht besser dadurch, dass man sie zumale, zuspachtle oder verkleide. „Vor allem mögen wir keine Materialien, die etwas anderes vortäuschen, als sie sind. Ich denke da nur an Melanin und Laminat“, sagt Götz, „das ist schauderhaft.“
Verstehen auf den zweiten Blick
Eines der ersten und gleichzeitig radikalsten Projekte der beiden gebürtigen Vorarlberger ist der sogenannte Raum Zita Kern im niederösterreichischen Raasdorf. Über einen ungehobelten Ziegeltrakt eines alten Bauernhofs stülpten Götz und Manahl ein geknicktes Etwas aus Aluminium. Von New York über Moskau bis Tokio war ein Griss um das Projekt, manche Verlage positionierten es prominent auf dem Cover ihrer Gazetten. Margherita Spiluttinis Foto mit rennender Henne im Vordergrund ging um die Welt.
Das solle Architektur sein? Furchtbar! Viele rümpfen die Nase. „Sehr oft sagen die Leute auf den ersten Blick, dass unsere Gebäude ja noch gar nicht fertig sind. Und dann betreten sie das Haus oder die Wohnung, und plötzlich erschließt sich ihnen der Raum“, erklärt Götz.
Die Kinder scheinen das schon längst begriffen zu haben. Als die Schule Zehdengasse in Wien-Floridsdorf an einem frühen Septembertag im Jahre 1996 ihre Pforten öffnete, wurde sie von den Kids mit Begeisterung gestürmt. Keine fadenscheinige Eleganz, keine High-tech-Details, keine Schickimicki-Farbe an der Wand, und überall kann man mit dem Sportschuh dagegentreten, ohne dass sich irgendjemand darüber mokiert.
Die Oberfläche roh zu belassen sei praktisch, schnell und billig. „Die Kinder haben den von uns sichtbar belassenen Beton auf Anhieb akzeptiert, ihnen gefällt das“, sagen die beiden Architekten im Rückblick. Außerdem eignen sich die unbehandelten Wände als perfekte Mal- und Zeichenunterlage. Nur den Eltern und Lehrern musste erst langwierig erklärt werden, dass es sich hier nicht um einen Baustopp gehandelt habe. Nein, das ist gewollt.
Das Konzept der fehlenden Veredelung scheint jedenfalls aufzugehen. Das Büro expandiert, zeichnet einen Wettbewerb nach dem anderen, nimmt Preise entgegen und vertieft sich zusehends in den Wohnbau. An die 30 Projekte hat Artec bisher realisiert, mehr als die Hälfte davon sind Einfamilienhäuser und mittlere bis große Wohngebäude.
Eines der größten Projekte seit der Bürogründung im Jahre 1985 wurde vor wenigen Wochen begonnen. Derzeit wird das Fundament gebaut. Bei den Bremer Stadtmusikanten werden verschiedene Wohnformen wie Esel, Hund, Katze und Gockelhahn übereinander getürmt.
„Alle Wohnungstypen, die wir da eingeplant haben, kommen häufig in Stadtrandsiedlungen vor“, sagen die beiden, „nur sind sie in diesem Fall nicht freistehend auf der grünen Wiese, sondern gestapelt und komprimiert.“ Die Bewohner haben die Wahl zwischen Atriumswohnung, Maisonnette, Reihenhaus und Kleingartenhaus in luftiger Höhe. Auch in diesem Fall hütet man sich davor, eine Fassade zu entwerfen. Dementsprechend mannigfaltig nehmen sich die unterschiedlichen Schauseiten aus und erwecken den Eindruck, als habe man es mit völlig unterschiedlichen Projekten zu tun. Die Logik des Innenlebens wird einfach nach außen gestülpt.
Die Radikalität in der Architektur von ARTEC bescherte Bettina Götz eine Gastprofessur an der Universität der Künste in Berlin, wo sie etwa zwei bis drei Tage in der Woche verbringt. Am Institut für Entwerfen und Baukonstruktion erzieht sie die Studenten zur materiellen Reduktion und zur gestalterischen Askese. „Mir geht es darum, dass die Studenten anhand ihrer Entwürfe ihre eigene, individuelle Entwurfsmethodik entwickeln“, sagt Götz, „für einen Außenstehenden muss sie aber erklärbar sein.“
Kommissärin für die Biennale
Und auch hierzulande ist man auf den Geschmack des unverblümten Bauens gekommen. Nachdem Götz drei Jahre lang im Architekturbeirat des Bundeskanzleramtes tätig war, wurde sie Anfang des Jahres zur Österreich-Kommissärin für die kommende Architektur-Biennale ernannt. Die Worte von Bildungsministerin Claudia Schmied waren damals kurz und prägnant: „Ich habe die Architektin Bettina Götz zur Kommissärin für die Architekturbiennale Venedig bestellt. Eine Frau.“
Ob das Geschlecht wohl ein Entscheidungskriterium war? „Immer vorausgesetzt, dass wir von gleicher Qualifikation sprechen, hat man es im Architekturberuf heute als Frau leichter. Es gibt in diesem Beruf viel weniger Frauen, und in gewissen Situationen werden sie dann einfach bevorzugt. Das ist eine Tatsache, der man sich stellen muss“, erklärt Bettina Götz. „Es hat eine Zeit gedauert, bis sich Frauen überhaupt einmal durchgesetzt haben, und es wird wieder eine Zeitlang dauern, bis sich dieser Zustand normalisiert hat.“
Partner Richard Manahl freut sich: „Ich muss mich nun verstärkt unseren Projekten widmen. Eine gewisse Gliederung muss sein.“ Als Nächstes steht wohl der Absprung ins Ausland an. Noch war bei den ersten Wettbewerben für Bozen, Tallinn und Riga kein erster Platz dabei, doch auch dort wird man bald auf den Geschmack der nackten Wahrheit kommen.
Die 11. Architektur-Biennale in Venedig widmet sich dem Thema „Out there. Architecture beyond Building“. Der österreichische Beitrag geht noch einen Schritt zurück und wirft mit „Before Architecture. Vor der Architektur“ die Frage auf, was davor gewesen sein könnte. Von 14. September bis 23. November 2008. der Standard wird berichten.
Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard
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Tel +43 1 5868670
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