Akteur

Helmut Wimmer
WUP architektur - Wien (A)

Frau N. wohnt violett

Die Menschen werden immer älter. Und die Baubranche muss darauf reagieren. Helmut Wimmer, Architekt des neuen Pflegewohnheims Leopoldstadt, wirft einen Blick in die Zukunft.

23. Oktober 2010 - Wojciech Czaja
Josefine Nebes ist 82 Jahre alt. Seit kurzem wohnt sie im Pflegewohnhaus Leopoldstadt. „Davor hab ich 55 Jahre in meiner eigenen Wohnung auf der Mölkerbastei gelebt“, erzählt sie. „Aber jetzt wohn ich halt hier. Das war eine Riesenumstellung! Aber nicht schlecht, gar nicht schlecht, ist ja alles ultramodern hier!“

Am meisten schätzt die alte Dame, die mit Pelzhut und Rollator durch die Lobby wandert, ihr bunt ausgemaltes Einzelzimmer im vierten Stock: „Es gibt rosane und orangene, aber ich bin die lilane! Feine Farbe, sehr feine Farbe, und alles für mich allein! Aber wissen S' was? Das Ultraplus-Erlebnis, das ist der Balkon! Wenn's net grad so saukalt ist, dann mach ich die Fenster auf und geh raus ins Freie.“

Doch nicht alles ist so großartig, wie es scheint: „Das einzig Schiache, womit die uns abspeisen wollen, das sind die grauslichen Resopal-Tische. Resopal für die Alten! Hamma scho gern. Aber ka Wunder! Wir zittern ja, wemma die Supp'n essen.“

Das Pflegewohnhaus in der Leopoldstadt - vom Begriff Geriatriezentrum möchte sich der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) distanzieren - ist das erste von insgesamt acht Neubauprojekten, die im Rahmen des neuen Wiener Geriatriekonzepts bis 2015 umgesetzt werden sollen. Helmut Wimmer, Architekt des bunten Hauses, spricht mit dem Standard über Integration, Roboter und menschliche Streicheleinheiten.

Standard: Resopal für die Alten?

Wimmer: Manche Kompromisse lassen sich nicht vermeiden. Ja, dann gibt's halt Resopal auf den Tischen. Aber genau aus diesem Grund wurde ja das Wiener Geriatriekonzept ins Leben gerufen: Auf diese Weise wollen wir den alten Mief loswerden! Bei der neuen Generation von Pflegewohnheimen ziehen Architekten und KAV an einem Strang und machen alles Erdenkliche, um das Wohnen im hohen Alter so bequem, so vertraut und so normal wie nur möglich zu gestalten.

Standard: Und das wäre?

Wimmer: In erster Linie müssen die Wohnheime schön sein. Das klingt zwar banal, ist aber ein extrem wichtiger Faktor. In zweiter Linie geht es darum, sich konzeptionell zu überlegen, wie man in Zukunft mit alten und hochbetagten Menschen umgehen möchte. In einem Punkt sind sich Architekten und KAV einig: Weg vom Stadtrand, rein in die Stadt! Ich denke, es ist wichtig, dass man mitten im Stadtgeschehen zu Hause ist und womöglich den Lärm am Spielplatz und das Klingeln der Straßenbahn mitbekommt - und nicht isoliert auf irgendeiner stillen Waldlichtung sitzt.

Standard: Oft hört man in diesem Zusammenhang auch den Begriff Integration. Das bedeutet?

Wimmer: Im Pflegewohnheim Leopoldstadt haben wir eine Gartenverbindung zum angrenzenden Kindergarten. Durch den direkten Zugang soll sichergestellt werden, dass die Senioren und Kinder hin- und herspazieren können, ohne dabei auf die Straße hinausgehen zu müssen.

Standard: Klingt gut. Aber funktioniert das in der Praxis auch?

Wimmer: Bei der Eröffnung im September sind die Kinder und alten Leute zusammen aufgetreten und haben miteinander gesungen. Da hat's geklappt. Das Personal in den beiden Einrichtungen ist sehr engagiert. Ich bin überzeugt, dass es auch in Zukunft gemeinsame Aktivitäten geben wird.

Standard: Das Heim, in dem wir gerade sitzen, fasst über 300 Betten. Ist das noch eine wohnliche Dimension? Oder schon eine Bettenmaschine?

Wimmer: Die Größe ist ein wichtiger Punkt. Die wirtschaftliche Untergrenze von Pflegewohnheimen liegt bei 240 Betten pro Haus. Alles andere ist aufgrund personeller Besetzung nicht finanzierbar. Die Aufgabe eines Architekten besteht darin, diese große Zahl an Betten so locker und so natürlich unterzubringen wie nur möglich, damit der Eindruck einer riesigen Pflegemaschine gar nicht erst aufkommt. Hier in der Leopoldstadt haben wir eine Art Haus-in-Haus-Prinzip angewandt. Das heißt: Das gesamte Heim ist in viele kleinere Einheiten aufgeteilt. Es gibt Gassen und Plätze, zudem ist jede Zimmergruppe in einer eigenen Farbe gehalten. Diese bunten Häuser, die mehr oder weniger in den Gang hineinragen, sind auch an der Fassade ablesbar.

Standard: Die Bevölkerung wird immer älter. Allein in Wien sind rund acht Prozent der Einwohner älter als 75. Wie muss die Baubranche auf diesen Umstand in Zukunft reagieren?

Wimmer: Einerseits geht es um die Schaffung von Pflegeplätzen, wie das ja schon angedacht ist. Bis 2015 soll die Zahl der Pflegebetten in Wien auf knapp 20.000 aufgestockt werden. Aber natürlich ist das nur ein kleiner, ganz kleiner Bestandteil. Die Hauptarbeit müssen wir Architekten im ganz normalen Wohnbau leisten. Das Zauberwort lautet soziale Nachhaltigkeit.

Standard: Das heißt?

Wimmer: Modulare Wohnungen, die zusammengelegt und wieder getrennt werden können, Sollbruchstellen in Wohnungstrennwänden sowie flexibel gestaltbare und bespielbare Grundrisse. Die Erfahrung der letzten 20, 30 Jahre hat gezeigt, dass das Bauen mit Gipskarton bei weitem nicht so flexibel ist, wie Architekten und Bauträger immer behaupten. Eine Gipskartonwand zu versetzen, das ist eine Riesen-Baustelle für jeden Bewohner! Das kann unmöglich die Lösung sein. Wer glaubt, der Wohnbau sei bereits zu Ende gedacht, der irrt.

Standard: Wohnen im Alter - wie wichtig sind dabei neue Technologien?

Wimmer: Ich kann gerade mal den Computer einschalten! Aber Spaß beiseite. Es sind bereits Bodenbeläge in Entwicklung, die mit speziellen Drucksensoren ausgestattet sind. Sobald jemand stürzt und die Sensoren die Kontur einer liegenden Person erkennen, werden automatisch Heimhilfe oder Rettung verständigt. Ich finde das großartig, denn das sind Maßnahmen, die es alten und gebrechlichen Personen ermöglichen, so lange wie möglich in der eigenen Wohnung leben zu können. Das ist genau das, was sich die meisten alten Menschen wünschen. Gleichzeitig ist das natürlich auch ein volkswirtschaftlicher Gewinn, denn eine einmalige Investition in so eine Technologie ist billiger als eine Langzeitpflege zu Hause und viel billiger als ein Bett in einem Pflegewohnheim.

Standard: Wann werden solche Technologien spruchreif sein?

Wimmer: Das sind sie schon! Ich war unlängst Jurymitglied bei einem Wettbewerb in Salzburg. Da ging es um altersgerechtes Wohnen. In den Ausschreibungsunterlagen waren genau solche Technologien gefordert. Wir stehen kurz davor, dass das Alltag wird.

Standard: In einem Pflegewohnheim in der Nähe von Stuttgart sind seit kurzem Roboter, sogenannte „Care-O-Bots“, im Einsatz. Sie teilen in der Früh die Post aus, sammeln schmutzige Wäsche ein und grüßen freundlich.

Wimmer: Ganz ehrlich, das halte ich für maßlos übertrieben. Technische Unterstützung schön und gut, aber am Ende des Tages zählen ein paar Streicheleinheiten vom Pfleger, von der Pflegerin mehr als ein blödes Hallo vom Roboter. Den Menschen wird man nicht ersetzen können.

Standard: Wie möchten Sie in 20, 30 Jahren leben?

Wimmer: Wenn ich es mir wünschen kann, dann im Kreise meiner Familie. In Wirklichkeit kann man nicht beeinflussen, wo das Schicksal einen hintreiben wird. Und wer weiß, ob ich eines Tages nicht selbst in so einem Pflegewohnheim landen werde.
[ Helmut Wimmer (62) ist Architekt in Wien. Er ist vor allem im geförderten Wohnbau tätig. Im September 2010 wurde das von ihm geplante Pflegewohnhaus Leopoldstadt eröffnet. ]

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