Akteur

Martin Summer
baucombinat - Wien (A)

Moderne Jurte mit Wollpullover

Vom österreichischen Studenten-Entwurf in die mongolische Steppe: Im Filzhaus mit Schafwolldämmung wird im Mai ein Kinderbetreuungszentrum eröffnet

6. Mai 2011 - Jasmin Al-Kattib
Ulan Bator gilt als kälteste Hauptstadt der Welt. Sie zählt etwa eine Million Einwohner, das sind rund 40 Prozent aller Bewohner der Mongolei. Wie vielerorts auf der Welt werden die Randzonen der Städte mit ihren armen Bevölkerungsschichten immer größer. „In Ulan Bator gibt es ein ziemlich großes Wohnproblem für Leute, die vom Land in die Stadt ziehen. Also haben wir im Jahr 2005 begonnen, Jurten für Obdachlose in den Slumvierteln von Ulan Bator aufzustellen“, erzählt Martin Summer vom Beginn seines Engagements in der mongolischen Hauptstadt.

„Dann wurde mir als Architekt aber bald klar, dass das natürlich keine Lösung ist. Die Jurten sind für die Nomaden toll, aber nicht für Leute, die fest ansässig sind.“ Die Jurte - das traditionelle Nomadenzelt aus Wollfilz - lässt sich an und für sich leicht beheizen. Am Land machen es die Nomaden mit Kamel-Dung, den gibt es aber in der Stadt nicht. Auch Holz ist im ganzen Land sehr knapp, und Braunkohle aus China ist sehr teuer. „Also heizen die Leute in den Vororten von Ulan Bator mit Müll und Autoreifen,“ schildert Summer. „Und das ergibt dann alle Lungenkrankheiten, die man sich vorstellen kann.“

Gleiche Materialien wie bei traditioneller Jurte

Also begann der österreichische Architekt über eine längerfristige Lösung für wärmere Behausungen in den Armenvierteln Ulan Bators nachzudenken. Im Rahmen der Lehrveranstaltung „Entwerfen“ an der TU Wien, die Martin Summer gemeinsam mit Kollegin Karin Stieldorf im Wintersemester 2007/2008 durchführte, entwickelten StudentInnen verschiedene Ideen, die für das rauhe Klima und die dort lebenden Menschen sinnvoll sein könnten.

Ergebnis des Seminars war unter anderem das von Christoph Grabner und Sebastian Brandner entworfene Haus „GERald“ („ger“ ist das mongolische Wort für Jurte, „-ald“ steht für „advanced living design“) - ein System aus den gleichen Materialien wie der traditionellen Jurte, nämlich Holz und Schafwollfilz, das zunächst als Familienwohneinheit geplant wurde. Dicke, mit Schafwolle gefüllte Filzkissen sollen das Gebäude gut dämmen, mit seinem modularen Aufbau soll eine Basiseinheit bei Bedarf jederzeit erweitert werden können.

Vom Entwurf zum konkreten Projekt

Nachdem der Entwurf 2009 einen internationalen Studentenwettbewerb gewonnen hatte, kam es im Frühjahr 2010 zu einer konkreten Anfrage für den Bau des Gebäudes. Eine langjährige mongolische Projektpartnerin Summers hatte sich zum Ziel gesetzt, ein Zentrum zur Nachmittagsbetreuung von Kindern am Rande von Ulan Bator aufzubauen. „Also habe ich Christoph und Sebastian gefragt, ob sie Lust haben, aus der Idee etwas zu entwickeln, was schon im Sommer aufgebaut werden könnte. Die beiden hatten gerade fertig studiert, und wir haben gleich begonnen das Gebäude weiter zu entwickeln.“ Das ursprünglich als eher kleines Wohnhaus geplante Gebäude wurde dann zu einer etwa 100 Quadratmeter großen Bildungsstätte adaptiert.

Leichte Holzkonstruktion, Filz und Schafwolle

Die Grundidee, das Haus mit den Materialien der Jurte zu bauen, ergab sich aus den Ressourcen vor Ort. Aufgrund der Holzknappheit in der Mongolei sollte die tragende Holzkonstruktion möglichst schlank gehalten werden. Anstatt wie bei der Jurte nur den Filz auf die Holzkonstruktion zu befestigen, entwickelten Summer, Grabner und Brandner 32 Zentimeter starke Kissen aus Filz, die mit loser Schlafwolle gefüllt und dann zwischen die Träger der Wände gehängt wurden. „Filz ist ja komprimierte Schafwolle, wir wollten sie aber möglichst wenig komprimieren, damit der Wärmedämmwert einfach möglichst groß wird,“ so Summer. Die zweigeteilten Träger sollten nicht nur verhindern, unnötig viel Holz zu verwenden, sondern auch vor Wärmebrücken schützen. „Die Träger sind nur mit Leisten verbunden, und dazwischen haben wir Filz hineingeklemmt.“

Drei Wochen arbeiteten etwa zehn Personen daran, das neue Haus aus Holz, Filz und Schafwolle aufzubauen. Die Trägerteile wurden per Video-Anleitungen aus Österreich von einer Tischlerei-Firma vor Ort vorgefertigt, ebenso die Kissen, die Stück für Stück per Hand genäht und danach mit Schafwolle gefüllt wurden. Gegen Motten wurde Sägemehl aus Zedernholz unter die Wolle gemischt.

Schaf- statt Mineralwolle

Geheizt wird im „GERald“ mit einem Ofen, der in seiner Bauweise dem traditionellen Jurte-Ofen nachempfunden ist, aber mit Schamott verkleidet wurde. „Früher gab es in der Jurte ein offenes Feuer“, schildert Summer die Heizgewohnheiten der Nomaden, „der später entwickelte Jurteofen besteht nur aus ganz dünnem Blech und hat keine Speichermasse. Wenn es im Winter also minus 40 Grad hat, müssen die Leute in der Nacht öfters aufstehen und immer wieder heizen, damit sie nicht erfrieren.“ Im „GERald“ bleibt nicht nur der Ofen länger warm, sondern die Wärme aufgrund der dicken Schafwolldämmung auch länger im Raum.

„Wir wollten den Leuten in einem sehr armen Gebiet zeigen, dass man mit sehr einfachen Mitteln und den Materialien, die sie ohnehin verwenden und mit denen sie umgehen können, auch noch etwas anderes machen kann. Wie zum Beispiel die Schafwolle zum Dämmen zu verwenden. Wenn den Leuten unser Konzept gefällt und es sich bewährt, werden sie es kopieren,“ fasst Summer den Grundgedanken seines Jurte-Projekts zusammen. Auch in der Mongolei wird beim Thema Dämmen meist auf teure Mineralwolle gesetzt. - Und die heimische und erschwingliche Schafwolle wird zu billigen Preisen nach China verkauft. (Jasmin Al-Kattib, derStandard.at, 5. Mai 2011)

Noch im Mai wird es mit dem Bildungsangebot und der Nachmittagsbetreuung im „GERald“ losgehen. Kindern aus sehr armen Familien wird hier eine behagliche Freizeitunterkunft geboten, gekoppelt mit dem Zugang zu Bildung, Büchern und Computern. Organisiert wird die Betreuung von der NGO „Gerelt Mur“ mit Sitz in Ulan Bator.

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