Akteur

Matthias Böttger

Wie viel Watt kos­tet die Stadt?

Ge­ra­de fand in Linz das Ar­chi­tek­tur­sym­po­si­um „Woh­nen im Herbst“ statt. Ei­ner der Vor­tra­gen­den war der Ber­li­ner Ar­chi­tek­tur­den­ker Mat­thi­as Bött­ger. Ein Ge­spräch über Ki­wis, Flug­zeu­ge und Ein­fa­mi­li­en­häu­ser.

24. September 2016 - Wojciech Czaja
Stan­dard: Wie viel Watt hat Sie der Flug von Ber­lin nach Linz ge­kos­tet?

Bött­ger: Das weiß ich lei­der nicht ge­nau. Aber er war wohl ziem­lich teu­er. Im Ver­gleich zu an­de­ren Leu­ten ha­be ich ein sehr stra­pa­zier­tes Watt­kon­to.

Stan­dard: In Ih­rem kürz­lich er­schie­ne­nen Buch „Spe­ku­la­tio­nen Trans­for­ma­tio­nen“ skiz­zie­ren Sie ei­ne al­ter­na­ti­ve Zu­kunft für die Stadt, in der man nicht mehr mit Eu­ro, son­dern mit Watt be­zahlt. Kann man sich als Nor­mal­ster­bli­cher Mo­bi­li­tät über­haupt noch leis­ten?

Bött­ger: Das Buch ist Re­sul­tat ei­ner For­schungs­ar­beit, die wir im Auf­trag des deut­schen Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Bau­en ge­macht ha­ben. Das Watt­land, das wir da­rin als ei­nes von drei mög­li­chen Zu­kunftss­ze­na­ri­os ent­wi­ckelt ha­ben, ist kei­ne Prog­no­se, son­dern ein Ge­dan­ken­ex­pe­ri­ment. Hoch­ge­schwin­dig­keits­mo­bi­li­tät wird in die­sem Sze­na­rio je­den­falls zu ei­nem Pri­vi­leg der wat­trei­chen Ge­sell­schaft. Das Flie­gen wird ge­ne­rell neu ge­dacht wer­den müs­sen – nicht nur, was die Häu­fig­keit der kon­su­mier­ten Flü­ge be­trifft, son­dern auch in Hin­blick auf die Dich­te der Flug­ha­fen­ver­tei­lung. Da ha­ben wir in Eu­ro­pa be­reits den Ze­nit er­reicht.

Stan­dard: Wo­rauf müss­te Ot­to Nor­mal­ver­brau­cher im Watt­land ver­zich­ten?

Bött­ger: Je frü­her wir un­se­ren Le­bens­stil kor­ri­gie­ren und je mehr wir uns heu­te schon in Vor­aus­sicht üben, de­sto we­ni­ger ein­ge­schränkt wird die Zu­kunft sein. Ich per­sön­lich schre­cke vor ei­ner Zu­kunft, in der wir mit Watt be­zah­len, zu­rück. Doch mitt­ler­wei­le ist die Be­völ­ke­rung so gut sen­si­bi­li­siert, dass En­er­gie ein gu­tes, pro­ba­tes Mit­tel ist, um die Fast-Aus­weg­lo­sig­keit, in der wir uns be­fin­den, zu ver­an­schau­li­chen.

Stan­dard: Ma­chen Sie es bit­te an­schau­lich!

Bött­ger: Es könn­te die­je­ni­gen ge­ben, sie sehr wat­treich sind. Die­se wer­den wahr­schein­lich ir­gend­wo im Grü­nen le­ben, di­gi­tal ver­netzt sein, ih­ren ei­ge­nen Strom pro­du­zie­ren und es sich leis­ten kön­nen, Ki­wis und Ba­na­nen zu es­sen und das ei­ge­ne Haus im Win­ter zu be­hei­zen und im Som­mer zu küh­len. Und dann wird es die­je­ni­gen ge­ben, die – um ihr Watt­kon­to in Ba­lan­ce zu hal­ten – auf ur­ba­nes Le­ben, lo­ka­le Pro­duk­te, lo­ka­le Nah­rungs­mit­tel, un­mit­tel­ba­re so­zia­le Kon­tak­te und kur­ze, fuß­läu­fi­ge We­ge an­ge­wie­sen sein wer­den. Wer nicht ge­nug Watt hat, der wird sich in ho­her Dich­te in der Stadt, in Clus­tern, in Mi­kro­öko­no­mien or­ga­ni­sie­ren müs­sen.

Stan­dard: Zu­rück zum Ur­sprung?

Bött­ger: Fakt ist: Der heu­ti­ge Le­bens­stil, den wir in stark ent­wi­ckel­ten Län­dern pfle­gen, ist ei­gent­lich ein Lu­xus­gut. Wir le­ben über un­se­re Ver­hält­nis­se. Und wir le­ben auf Kos­ten an­de­rer.

Stan­dard: Der durch­schnitt­li­che Ös­ter­rei­cher, Deut­sche und Schwei­zer ver­braucht in sei­nem Wohn- und Le­bens­all­tag rund 6500 Watt. Das ist das Drei­fa­che des­sen, was uns res­sour­cen­tech­nisch zu­ste­hen wür­de.

Bött­ger: Das hat vie­le Fa­cet­ten. Das be­trifft die Mo­bi­li­tät, den Kon­sum, vor al­lem aber auch den Flä­chen­be­darf und den da­mit ver­bun­de­nen En­er­gie­ver­brauch in der Er­rich­tung und im Be­trieb. In den deutsch­spra­chi­gen Län­dern le­ben wir mit 40 bis 45 Qua­drat­me­tern pro Kopf auf be­son­ders gro­ßem Fuß. Das ist an sich nicht schlecht. Wer will schon auf ge­rin­ger Flä­che le­ben, wenn er auch mehr ha­ben kann? Die Fra­ge ist nur: Muss ich wirk­lich das ge­sam­te Haus be­hei­zen? Kann ich Tei­le der pri­va­ten Wohn­räu­me viel­leicht mit an­de­ren tei­len? Kann ich mir nicht über­haupt ein al­ter­na­ti­ves Wohn­mo­dell über­le­gen? Da­mit lie­ße sich viel En­er­gie spa­ren.

Stan­dard: In Ös­ter­reich wer­den je­des Jahr zwi­schen 14.000 und 18.000 Ein­fa­mi­li­en­häu­ser ge­baut. Und sie wer­den im­mer grö­ßer und grö­ßer.

Bött­ger: Ja, und ei­nes Ta­ges zie­hen die Kin­der aus, der Ehe­part­ner stirbt, und dann sitzt man al­lein da auf 200 Qua­drat­me­tern. Das ist auch nicht schön.

Stan­dard: Die Schweiz hat sich zum Ziel ge­nom­men, bis zum Jahr 2050 ei­ne 2000-Watt-Ge­sell­schaft zu wer­den. Das wur­de 2008 in ei­ner Volks­ab­stim­mung be­schlos­sen. Ist das ein gang­ba­rer Weg?

Bött­ger: Ich fin­de den Schwei­zer Weg sehr am­bi­tio­niert. Und die Schwei­zer mei­nen es auch wirk­lich ernst! Es gibt vie­le in­no­va­ti­ve, ja fast schon ra­di­ka­le Wohn­mo­del­le und sehr pro­gres­si­ve Wohn­bau­ge­nos­sen­schaf­ten, die dem Be­woh­ner nicht nur ei­ne Woh­nung an­bie­ten, son­dern ei­gent­lich ein Ge­samt­le­bens­mo­dell, das Woh­nen, Mo­bi­li­tät und In­fras­truk­tur gleich­er­ma­ßen be­rück­sich­tigt.

Stan­dard: In Linz ha­ben Sie vor­ge­stern ei­nen Vor­trag un­ter dem Ti­tel „We­ge aus der Wohn­kri­se. Neue Stan­dards“ ge­hal­ten. Was kön­nen die­se Stan­dards zu ei­ner bes­se­ren Wohn­zu­kunft bei­tra­gen?

Bött­ger: Bau­vor­schrif­ten, Richt­li­ni­en und Nor­men sind Re­gel­wer­ke, mit de­nen sich je­der Ar­chi­tekt her­um­plagt, weil sie ei­nem auf tau­sen­den Sei­ten die ei­er­le­gen­de Woll­milch­sau ab­ver­lan­gen. Das ist müh­sam. Es ist qua­si un­mög­lich. Wir woll­ten das The­ma an­ders den­ken und ha­ben zehn Ar­chi­tek­tur­bü­ros ge­be­ten, je­weils ei­nen Stan­dard zu ver­fas­sen, der in Zu­kunft be­ach­tet wer­den soll­te. Al­ler­dings han­delt es sich da­bei nicht um quan­ti­ta­ti­ve Nor­men wie bis­her – son­dern um qua­li­ta­ti­ve. Das Er­geb­nis er­scheint im Ok­to­ber als Aus­stel­lung.

Stan­dard: Wie kann man sich ei­ne sol­che Norm vor­stel­len?

Bött­ger: Die Ber­li­ner Ar­chi­tek­ten Prae­ger Rich­ter bei­spiels­wei­se ha­ben vor­ge­schla­gen, Woh­nun­gen nicht mehr im kom­plett aus­ge­stat­te­ten End­aus­bau zu ver­mie­ten oder zu ver­kau­fen, son­dern im Roh­bau. Die Wohn­kos­ten wä­ren da­durch bil­li­ger, und die Be­woh­ner könn­ten für sich selbst ent­schei­den, wann und wie sie die Woh­nung selbst aus­bau­en. Da­mit wä­ren sie fi­nanz­iell fle­xi­bler. Das ist ein span­nen­des Mo­dell.

Stan­dard: Ein wei­te­res Bei­spiel?

Bött­ger: Die Wie­ner Ar­chi­tek­tin Sa­bi­ne Pol­lak sagt: „Den­ke nicht in Kor­ri­do­ren!“ Sie for­dert ei­nen of­fen­eren Um­gang mit Gang­flä­chen in Wohn­bau­ten und regt an, die­se auch als kol­lek­ti­ve Wohn­zim­mer zu nut­zen. Da­mit könn­ten Le­bens­qua­li­tät und Nach­bar­schaft stei­gen. Und ge­ne­rell ist bei den meis­ten Ar­chi­tek­ten, die wir be­fragt ha­ben, zu er­ken­nen, dass wir im Sin­ne ei­ner le­bens­wer­ten, durch­misch­ten Stadt mehr Cha­os und mehr Ne­ben­ein­an­der un­ter­schied­li­cher Men­schen, Le­bens­sti­le und Wert­evor­stel­lun­gen brau­chen. Das ist si­cher ei­ne der größ­ten und auch schöns­ten Her­aus­for­de­run­gen für die Zu­kunft.

Stan­dard: Ste­fan Berg­heim, Di­rek­tor des Frank­fur­ter Zen­trums für ge­sell­schaft­li­chen Fort­schritt, hat ein­mal ge­sagt: „Die gro­ße Fra­ge für die Bau­kul­tur ist, ob sich die ge­sell­schaft­li­che Er­zäh­lung wan­deln wird – ent­we­der durch ei­nen brei­ten Dis­kurs oder erst nach ei­ner noch tief­eren wirt­schaft­li­chen Kri­se in Eu­ro­pa.“

Bött­ger: Als Op­ti­mist hof­fe ich na­tür­lich, dass wir al­le die Dis­kurs­va­ri­an­te ein­schla­gen. Man kann nicht ge­nug über die Zu­kunft von Ar­chi­tek­tur, Bau­kul­tur und Le­bens­vor­stel­lun­gen dis­ku­tie­ren. Doch gleich­zei­tig er­ken­ne ich, dass wir längst schon von Kri­sen um­ge­ben sind. Die größ­te Her­aus­for­de­rung die­ser Kri­sen ist, dass die sehr kurz­fri­sti­gen Pro­ble­me und Pro­blem­lö­sun­gen meist die lang­fri­sti­gen Zie­le über­la­gern. Hier durch­zu­ma­növ­rie­ren ist nicht ein­fach – auch nicht für die Po­li­tik.

Stan­dard: Al­so?

Bött­ger: Wir dür­fen nicht nur die Bäu­me se­hen. Wir müs­sen im­mer auch den Wald im Blick­feld be­hal­ten. Sonst stimmt die Ba­lan­ce nicht. An­sons­ten fürch­te ich, dass uns die ganz tie­fe Kri­se nicht er­spart bleibt.

Mat­thi­as Bött­ger (42) stu­dier­te Ar­chi­tek­tur und Städ­te­bau in Karls­ru­he und Lon­don. Mit sei­nem Ber­li­ner Bü­ro Raum­tak­tik forscht er zu den The­men Stadt, Mig­ra­ti­on und öf­fent­li­cher Raum. Er lei­tet das Deut­sche Ar­chi­tek­tur Zen­trum (DAZ) in Ber­lin und ist Pro­fes­sor an der Kunst­uni­ver­si­tät Linz. Sein Buch „Spe­ku­la­tio­nen Trans­for­ma­tio­nen“ ist bei Lars Mül­ler Pu­blis­hers er­schie­nen. Am 27. Ok­to­ber wird im DAZ „Neue Stan­dards. 10 The­sen zum Woh­nen“ er­öff­net. Zur Aus­stel­lung er­scheint ein Ka­ta­log (Jo­vis-Ver­lag).

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