Akteur
Rudolf Wäger
* 1941 Götzis † 2019
Der leise Revoluzzer
Zum Tod von Rudolf Wäger
22. April 2019 - Otto Kapfinger
Wir verabschieden uns tief betroffen von Rudolf Wäger, der am Samstag, den 20. April 2019 im 78. Lebensjahr nach längerer Krankheit verschied.
Er bildete mit seinen älteren Brüdern Heinz und Siegfried um 1960 eine wesentliche Urzelle jener Bewegung, die zwei Jahrzehnte später als „Vorarlberger Baukünstler“ regional und österreichweit Beachtung fand, und die sich seither zu dem international akklamierten Phänomen der modernen Vorarlberger Baukultur entfaltete.
In Rudolf Wäger vereinten sich auf einzigartige Weise bodenständige Handfertigkeit und ökonomische Nüchternheit mit einem kulturell weltoffenen Horizont und dem lebensgestalterisch Visionären. Er war aber kein rabiater Barrikadenstürmer oder lautstarker Avantgardist. Es war in Sprache und Gestik, auf der Baustelle wie im privaten Gespräch, ein stets ruhig, bedächtig und zugleich absolut bestimmt, kritisch, auch selbstkritisch agierender, eigenständiger Zeitgenosse.
1941 in Götzis geboren war er 1959 ausgelernter Zimmermann, als planender und bauender Architekt aber fortan Autodidakt.
Alternative Perspektiven zu der damals kulturell wie politisch so konservativen Welt des „Ländle“ eröffneten sich den Wäger-Brüdern um 1958 durch die Ausbildung zum Industriedesigner, die Heinz an der neu eröffneten Hochschule für Gestaltung in Ulm erfuhr. „Wir fuhren per Autostopp hin, um die Architektur von Max Bill, die Möbel und die Arbeit in den Klassen zu sehen – es war eine Offenbarung“, erzählte Rudolf, „Heinz versorgte uns auch mit Fachzeitschriften, die uns die neue Architektur in Skandinavien oder der Schweiz und die Werke von Alvar Aalto, Frank Lloyd Wright und anderen erschlossen.“
1959 begannen die Wäger-Brüder mit dem Haus für Heinz in Götzis ein für einige Zeit praktikables gemeinsames Planen und Bauen, wobei Siegfried als Maurermeister die nötigen Skills komplettierte. „Wir wollten im Kontrast zu der rundum dominierenden Kleinbürgerlichkeit etwas anderes schaffen. Wir hatten – vom Grundstück des Vaters abgesehen – keine Mittel, wir mussten alles selbst machen, wir nutzten den damals billigsten, als Baracken-Material abqualifizierten Baustoff Holz, weil wir damit fast alles auch eigenhändig machen konnten, bis hin zu Möbeln, und weil wir zeigen wollten, dass – wie etwa in Skandinavien – man auch mit Holz etwas ganz Neues, Schönes als Wohnumwelt bilden kann.“
1962 gestalten sie in Götzis als Umbau in einem bestehenden Wohnhaus die Galerie Hämmerle – regional die erste Privatgalerie überhaupt und für viele Jahre dort ein singuläres Schaufenster der zeitgenössischen Avantgarde. Es entstehen wichtige Kontakte zu jungen Künstlern, Literaten, Pädagogen, die umgehend auch zu Bauherren werden und somit jenes geistige und personelle Netzwerk aufspannen, aus dem die auch für spätere Generationen wegweisenden Wäger-Werke der 60er und 70er Jahre hervorgehen.
Zu diesem Kreis zählen damals Bildhauer Walter Salzmann, Lehrer und Kabarettist Heiner Linder, Zeichner Walter Khüny, Pädagoge und Schriftsteller Franz Bertel, Keramiker Helmut Schnetzer, Jurist Günter Hagen, Grafiker und Maler Franz Gassner, dann auch Franz Rauch und andere.
1964 plant und errichtet Rudolf Wäger neben dem Vaterhaus in Götzis für seine bereits fünfköpfige Familie das legendäre „Würfelhaus“– ein im Nachhinein zur „Ikone“ stilisiertes Musterbeispiel für Rudolf Wägers Fähigkeit, mit einem Minimum an Aufwand, an Material und Fläche ein Optimum an räumlicher und funktionaler Qualität zu schaffen. „Ich habe es zu 80 % selbst gebaut. Es erregte viel Interesse, natürlich auch Kritik, man staunte aber vor allem über die Kosten. Von da kamen dann weitere Aufträge. Mit den viel größeren, viel aufwendigeren alten Wälder- oder Rheintalhäusern hatte das nichts zu tun. Inspiration fand ich eher in einem schlichten Bau von Aalto in Holz, senkrecht verschalt, mit eingeschnittenen Fenstern (...)“
Mit den befreundeten Künstlern gibt es in dieser Zeit auch Exkursionen nach Wien zu Wotruba und zu Avramidis; Mit Franz Bertel und der Baugruppe, die sich zur Planung der Siedlung Halde in Bludenz eigenständig formiert, wird die 1962 nach Plänen des Atelier 5 fertigstellte, revolutionäre Siedlung Halen bei Bern besucht – auch die Weissenhofsiedlung des Werkbundes in Stuttgart. Die konkrete Planung und Umsetzung der „Halde“, die dann tatsächlich ein Markstein für die kommende Wohn- und Siedlungskultur der „Baukünstler“ wird, überlässt Wäger dem erfahreneren Hans Purin. Doch aus Bertels profunder Schulung an der Pädagogischen Akademie Feldkirch kommen die nächsten AuftraggeberInnen für Wäger:
„Die jungen LehrerInnen hatten wenig Geld, meist aber einen Baugrund und in den Ferien Zeit, um selbst Hand anzulegen. Bei den meisten dieser Häuser bis zu den 1980er Jahren war wichtig und entscheidend, dass ich die Leute immer an Ort und Stelle einschulte, wie sie Böden, Wandvertäfelungen und anderes selbst gut machen konnten.“
Wägers Prototyp dafür, wie man statt der Zersiedelung mit Einzelhäusern in Reihenhausverbänden leben könnte, schonender für die Landschaft und die Gemeindekassen, preisgünstiger und komfortabler für die Einzelnen, mit den zusätzlichen Vorteilen und Möglichkeiten gemeinschaftlicher Nutzungen, das entsteht 1970-72 in Schlins. Die in zwei niedrigen Zeilen angeordneten Reihenhäuser für sechs ambitionierte Familien mit Kreativberufen, darunter auch Wäger selbst, sind neben Purins „Halde“ zweifellos die „Urmeter“ für die später so virulente neue Baukunst Vorarlbergs. Friedrich Achleitner hielt sie für vorbildlich „zur Lösung des Wohnproblems mit geringen Mitteln in ländlicher Situation“. Das Preis-Leistungs-Verhältnis war damals einzigartig im Lande, die Wohnqualität ist es bis heute.
Reinhard Gassner erinnert an einen für Wäger charakteristischen Moment: "Als es daran ging, die Häuser aufzuteilen, wer wo einziehen sollte, beanspruchte der mitbauende Architekt nicht, wie sonst völlig üblich, die „beste“ Hausposition für sich. Er brach ein paar Streichhölzer ab und ließ uns ziehen. Ich zog das längere – und bekam somit das „oberste“ Haus, am Ende der oberen Zeile. Er selbst mit Frau Hilde und den Kindern bekam ein mittleres. So einfach und klar war das."
Rudolf Wägers Œuvre ist – von den erwähnten und noch wenigen anderen Beispielen abgesehen – einem breiteren Publikum kaum bekannt. Neben den Häusern, es sind wohl weit über hundert, realisierte er Siedlungen, Industrie- und Nutzbauten, u.a. auch die große Marien-Kirche in Dornbirn-Watzenegg – mit Sigi Wäger und Wolfgang Ritsch. Er blieb nicht beim präzise, stets auf Ort und Aufgabe variabel abgestimmten Holz-Riegelbau stehen, er erreichte seine exquisiten Zimmermannsproportionen und -qualitäten auch mit industriellen Baustoffen, mit simplen, billigen Schalungsträgern, Eternitbeplankungen und Sperrholzwänden, mit Ytong-Steinen, unverputzt geschlämmten Hohlblockziegeln und so weiter. In einer mittleren Schaffensperiode studierte er wie kein anderer weitum die sozialen, politischen und gestalterischen Prinzipien der Tessiner „Tendenza“ rund um Snozzi, Gianola, Vacchini, Botta, Flora Ruchat u.a.. Und er transformierte deren im Massivbau, in Beton, Stein und Stahl geformte Aspekte in einige seiner materialmäßig und auch formal reicher ausgeformten Hausprojekte.
Seine „Rückkehr“ zu avancierten Holzkonstruktionen traf nach 1990 auf ein sehr paradoxes Phänomen. Bauherren, die ein Holzhaus wollten, konnten sich dieses nicht mehr leisten. Denn mit der grandiosen Holzbau-Hausse im Ländle waren die Firmen nun so ausgebucht, die Preise wegen der Nachfrage so gestiegen, dass Wäger seine kleinen Projekte, um sie für die Klienten erschwinglich zu machen, mitunter auf massiv – Ziegelmauerwerk verputzt –- umplanen musste. Ich konnte aber sehen, dass selbst dann sein struktives Formgefühl, seine vom Holz geprägte Rhythmik und typische Proportionalität im baulichen Ausdruck spürbar blieb.
An der Schwelle zum „Siebziger“ resümierte Rudolf Wäger in einem großen Interview mit Arno Ritter für die Ausstellung „konstantmodern“ sein Werk und auch die Zukunft der Profession ziemlich skeptisch. Wie auch immer – sein Vermächtnis, das heute dringender denn je zu studieren, zu beherzigen, weiterzubilden wäre, ist auch von absolut globaler Relevanz: Weniger ist mehr! – und solches Weniges muss sich am Maß einer humanen, geistbestimmenden, emanzipierten und gemeinschaftlich empathischen Lebensweise definieren. Wäger und seine wichtigen Zeitgenossen/WeggefährtInnen suchten nach einer neuen Lebensform, nach Unbelastetheit, Freiheit, Gleichheit in der Verschiedenheit, nach mentaler/sinnlicher Fülle im materiell Einfachen, nach neuen Inhalten, denen das Bauen adäquat dienen sollte, nach einer Architektur, die als Vorschein, als Werkzeug ein nicht-kommerzialsiertes, ein nicht konsumfixiertes, ein geistig und sozial anspruchsvolles Dasein spiegeln, ermöglichen und inspirieren sollte.
Wo Ludwig Mies van der Rohe sein berühmt-berüchtigstes „less is more“ von der Spitze der Wirtschaft, der industriellen Gesellschaft herab imaginierte, dachten Wäger und sein Umkreis mitten in der Wirtschaftswunderzeit ihre bauliche Einfachheit aber „von unten heraus“, aus sehr konkreter Not und dem Gebot des eigenen Handanlegens heraus einerseits, und aus der sehr kritischen Fragestellung nach den einzig bleibenden, ausschlaggebenden, immateriellen Werten und Qualitäten unseres Lebens andererseits.
Es ist die feinnervige, bei aller Kargheit in allen Teilen „handgreiflich“ schwingende Ausstrahlung der Wäger-Häuser, die ihre Miterrichter und BewohnerInnen nachhaltig geprägt hat, wie sie fast durchwegs bezeugen.
Neben allen ausgeklügelten Funktionen und räumlichen Facetten ist es dieses Spiel der streng optimierten Konstruktivität – mit der Zartheit der rhythmischen Verläufe über alle so haptischen und optischen Details – und das Ganze, das Wägers Bauten unverwechselbar machte und macht – als pure, schlichte, hochpotente Instrumente – für die Musik des guten Seins.
Ein großes Buch, das sein Werk erstmals ganzheitlich darstellen soll, war in den letzten Jahren unter seiner Mitwirkung schon im Werden. Er hat es nicht erlebt. Doch es wird einmal kommen – und uns dabei unterstützen, ja herausfordern, sein Vermächtnis, sein Ideal wieder zu verstehen, es weiterzutreiben, weiterzuleben.
Er bildete mit seinen älteren Brüdern Heinz und Siegfried um 1960 eine wesentliche Urzelle jener Bewegung, die zwei Jahrzehnte später als „Vorarlberger Baukünstler“ regional und österreichweit Beachtung fand, und die sich seither zu dem international akklamierten Phänomen der modernen Vorarlberger Baukultur entfaltete.
In Rudolf Wäger vereinten sich auf einzigartige Weise bodenständige Handfertigkeit und ökonomische Nüchternheit mit einem kulturell weltoffenen Horizont und dem lebensgestalterisch Visionären. Er war aber kein rabiater Barrikadenstürmer oder lautstarker Avantgardist. Es war in Sprache und Gestik, auf der Baustelle wie im privaten Gespräch, ein stets ruhig, bedächtig und zugleich absolut bestimmt, kritisch, auch selbstkritisch agierender, eigenständiger Zeitgenosse.
1941 in Götzis geboren war er 1959 ausgelernter Zimmermann, als planender und bauender Architekt aber fortan Autodidakt.
Alternative Perspektiven zu der damals kulturell wie politisch so konservativen Welt des „Ländle“ eröffneten sich den Wäger-Brüdern um 1958 durch die Ausbildung zum Industriedesigner, die Heinz an der neu eröffneten Hochschule für Gestaltung in Ulm erfuhr. „Wir fuhren per Autostopp hin, um die Architektur von Max Bill, die Möbel und die Arbeit in den Klassen zu sehen – es war eine Offenbarung“, erzählte Rudolf, „Heinz versorgte uns auch mit Fachzeitschriften, die uns die neue Architektur in Skandinavien oder der Schweiz und die Werke von Alvar Aalto, Frank Lloyd Wright und anderen erschlossen.“
1959 begannen die Wäger-Brüder mit dem Haus für Heinz in Götzis ein für einige Zeit praktikables gemeinsames Planen und Bauen, wobei Siegfried als Maurermeister die nötigen Skills komplettierte. „Wir wollten im Kontrast zu der rundum dominierenden Kleinbürgerlichkeit etwas anderes schaffen. Wir hatten – vom Grundstück des Vaters abgesehen – keine Mittel, wir mussten alles selbst machen, wir nutzten den damals billigsten, als Baracken-Material abqualifizierten Baustoff Holz, weil wir damit fast alles auch eigenhändig machen konnten, bis hin zu Möbeln, und weil wir zeigen wollten, dass – wie etwa in Skandinavien – man auch mit Holz etwas ganz Neues, Schönes als Wohnumwelt bilden kann.“
1962 gestalten sie in Götzis als Umbau in einem bestehenden Wohnhaus die Galerie Hämmerle – regional die erste Privatgalerie überhaupt und für viele Jahre dort ein singuläres Schaufenster der zeitgenössischen Avantgarde. Es entstehen wichtige Kontakte zu jungen Künstlern, Literaten, Pädagogen, die umgehend auch zu Bauherren werden und somit jenes geistige und personelle Netzwerk aufspannen, aus dem die auch für spätere Generationen wegweisenden Wäger-Werke der 60er und 70er Jahre hervorgehen.
Zu diesem Kreis zählen damals Bildhauer Walter Salzmann, Lehrer und Kabarettist Heiner Linder, Zeichner Walter Khüny, Pädagoge und Schriftsteller Franz Bertel, Keramiker Helmut Schnetzer, Jurist Günter Hagen, Grafiker und Maler Franz Gassner, dann auch Franz Rauch und andere.
1964 plant und errichtet Rudolf Wäger neben dem Vaterhaus in Götzis für seine bereits fünfköpfige Familie das legendäre „Würfelhaus“– ein im Nachhinein zur „Ikone“ stilisiertes Musterbeispiel für Rudolf Wägers Fähigkeit, mit einem Minimum an Aufwand, an Material und Fläche ein Optimum an räumlicher und funktionaler Qualität zu schaffen. „Ich habe es zu 80 % selbst gebaut. Es erregte viel Interesse, natürlich auch Kritik, man staunte aber vor allem über die Kosten. Von da kamen dann weitere Aufträge. Mit den viel größeren, viel aufwendigeren alten Wälder- oder Rheintalhäusern hatte das nichts zu tun. Inspiration fand ich eher in einem schlichten Bau von Aalto in Holz, senkrecht verschalt, mit eingeschnittenen Fenstern (...)“
Mit den befreundeten Künstlern gibt es in dieser Zeit auch Exkursionen nach Wien zu Wotruba und zu Avramidis; Mit Franz Bertel und der Baugruppe, die sich zur Planung der Siedlung Halde in Bludenz eigenständig formiert, wird die 1962 nach Plänen des Atelier 5 fertigstellte, revolutionäre Siedlung Halen bei Bern besucht – auch die Weissenhofsiedlung des Werkbundes in Stuttgart. Die konkrete Planung und Umsetzung der „Halde“, die dann tatsächlich ein Markstein für die kommende Wohn- und Siedlungskultur der „Baukünstler“ wird, überlässt Wäger dem erfahreneren Hans Purin. Doch aus Bertels profunder Schulung an der Pädagogischen Akademie Feldkirch kommen die nächsten AuftraggeberInnen für Wäger:
„Die jungen LehrerInnen hatten wenig Geld, meist aber einen Baugrund und in den Ferien Zeit, um selbst Hand anzulegen. Bei den meisten dieser Häuser bis zu den 1980er Jahren war wichtig und entscheidend, dass ich die Leute immer an Ort und Stelle einschulte, wie sie Böden, Wandvertäfelungen und anderes selbst gut machen konnten.“
Wägers Prototyp dafür, wie man statt der Zersiedelung mit Einzelhäusern in Reihenhausverbänden leben könnte, schonender für die Landschaft und die Gemeindekassen, preisgünstiger und komfortabler für die Einzelnen, mit den zusätzlichen Vorteilen und Möglichkeiten gemeinschaftlicher Nutzungen, das entsteht 1970-72 in Schlins. Die in zwei niedrigen Zeilen angeordneten Reihenhäuser für sechs ambitionierte Familien mit Kreativberufen, darunter auch Wäger selbst, sind neben Purins „Halde“ zweifellos die „Urmeter“ für die später so virulente neue Baukunst Vorarlbergs. Friedrich Achleitner hielt sie für vorbildlich „zur Lösung des Wohnproblems mit geringen Mitteln in ländlicher Situation“. Das Preis-Leistungs-Verhältnis war damals einzigartig im Lande, die Wohnqualität ist es bis heute.
Reinhard Gassner erinnert an einen für Wäger charakteristischen Moment: "Als es daran ging, die Häuser aufzuteilen, wer wo einziehen sollte, beanspruchte der mitbauende Architekt nicht, wie sonst völlig üblich, die „beste“ Hausposition für sich. Er brach ein paar Streichhölzer ab und ließ uns ziehen. Ich zog das längere – und bekam somit das „oberste“ Haus, am Ende der oberen Zeile. Er selbst mit Frau Hilde und den Kindern bekam ein mittleres. So einfach und klar war das."
Rudolf Wägers Œuvre ist – von den erwähnten und noch wenigen anderen Beispielen abgesehen – einem breiteren Publikum kaum bekannt. Neben den Häusern, es sind wohl weit über hundert, realisierte er Siedlungen, Industrie- und Nutzbauten, u.a. auch die große Marien-Kirche in Dornbirn-Watzenegg – mit Sigi Wäger und Wolfgang Ritsch. Er blieb nicht beim präzise, stets auf Ort und Aufgabe variabel abgestimmten Holz-Riegelbau stehen, er erreichte seine exquisiten Zimmermannsproportionen und -qualitäten auch mit industriellen Baustoffen, mit simplen, billigen Schalungsträgern, Eternitbeplankungen und Sperrholzwänden, mit Ytong-Steinen, unverputzt geschlämmten Hohlblockziegeln und so weiter. In einer mittleren Schaffensperiode studierte er wie kein anderer weitum die sozialen, politischen und gestalterischen Prinzipien der Tessiner „Tendenza“ rund um Snozzi, Gianola, Vacchini, Botta, Flora Ruchat u.a.. Und er transformierte deren im Massivbau, in Beton, Stein und Stahl geformte Aspekte in einige seiner materialmäßig und auch formal reicher ausgeformten Hausprojekte.
Seine „Rückkehr“ zu avancierten Holzkonstruktionen traf nach 1990 auf ein sehr paradoxes Phänomen. Bauherren, die ein Holzhaus wollten, konnten sich dieses nicht mehr leisten. Denn mit der grandiosen Holzbau-Hausse im Ländle waren die Firmen nun so ausgebucht, die Preise wegen der Nachfrage so gestiegen, dass Wäger seine kleinen Projekte, um sie für die Klienten erschwinglich zu machen, mitunter auf massiv – Ziegelmauerwerk verputzt –- umplanen musste. Ich konnte aber sehen, dass selbst dann sein struktives Formgefühl, seine vom Holz geprägte Rhythmik und typische Proportionalität im baulichen Ausdruck spürbar blieb.
An der Schwelle zum „Siebziger“ resümierte Rudolf Wäger in einem großen Interview mit Arno Ritter für die Ausstellung „konstantmodern“ sein Werk und auch die Zukunft der Profession ziemlich skeptisch. Wie auch immer – sein Vermächtnis, das heute dringender denn je zu studieren, zu beherzigen, weiterzubilden wäre, ist auch von absolut globaler Relevanz: Weniger ist mehr! – und solches Weniges muss sich am Maß einer humanen, geistbestimmenden, emanzipierten und gemeinschaftlich empathischen Lebensweise definieren. Wäger und seine wichtigen Zeitgenossen/WeggefährtInnen suchten nach einer neuen Lebensform, nach Unbelastetheit, Freiheit, Gleichheit in der Verschiedenheit, nach mentaler/sinnlicher Fülle im materiell Einfachen, nach neuen Inhalten, denen das Bauen adäquat dienen sollte, nach einer Architektur, die als Vorschein, als Werkzeug ein nicht-kommerzialsiertes, ein nicht konsumfixiertes, ein geistig und sozial anspruchsvolles Dasein spiegeln, ermöglichen und inspirieren sollte.
Wo Ludwig Mies van der Rohe sein berühmt-berüchtigstes „less is more“ von der Spitze der Wirtschaft, der industriellen Gesellschaft herab imaginierte, dachten Wäger und sein Umkreis mitten in der Wirtschaftswunderzeit ihre bauliche Einfachheit aber „von unten heraus“, aus sehr konkreter Not und dem Gebot des eigenen Handanlegens heraus einerseits, und aus der sehr kritischen Fragestellung nach den einzig bleibenden, ausschlaggebenden, immateriellen Werten und Qualitäten unseres Lebens andererseits.
Es ist die feinnervige, bei aller Kargheit in allen Teilen „handgreiflich“ schwingende Ausstrahlung der Wäger-Häuser, die ihre Miterrichter und BewohnerInnen nachhaltig geprägt hat, wie sie fast durchwegs bezeugen.
Neben allen ausgeklügelten Funktionen und räumlichen Facetten ist es dieses Spiel der streng optimierten Konstruktivität – mit der Zartheit der rhythmischen Verläufe über alle so haptischen und optischen Details – und das Ganze, das Wägers Bauten unverwechselbar machte und macht – als pure, schlichte, hochpotente Instrumente – für die Musik des guten Seins.
Ein großes Buch, das sein Werk erstmals ganzheitlich darstellen soll, war in den letzten Jahren unter seiner Mitwirkung schon im Werden. Er hat es nicht erlebt. Doch es wird einmal kommen – und uns dabei unterstützen, ja herausfordern, sein Vermächtnis, sein Ideal wieder zu verstehen, es weiterzutreiben, weiterzuleben.
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