Akteur
Hans Poelzig
* 1869 Berlin † 1936 Berlin
Baukunst als Inszenierung
Hans und Marlene Poelzig im Architekturmuseum Basel
Im Rahmen einer vom Schweizer Künstler Christian Philipp Müller eingerichteten Ausstellung widmet sich das Architekturmuseum Basel dem Berliner Architekten Hans Poelzig und seiner Frau, der Bildhauerin Marlene Moeschke. Die kulissenhaft inszenierte Schau erinnert an die Leidenschaft des Künstlerpaars für Film und Theater.
24. September 2004 - Hubertus Adam
Über kaum ein Œuvre eines Architekten der klassischen Moderne hat das Wissen binnen weniger Jahre derart zugenommen wie über das von Hans Poelzig (1869-1936). Es bedurfte zunächst des unermüdlichen Engagements des Architekturhistorikers Julius Posener, um Poelzig, der zur radikalen Avantgarde des Neuen Bauens stets Distanz bewahrte, als eigenständige Figur der Moderne wahrnehmen zu können.
Das Bild erweiterte sich, als 1986 in dem zuvor unter Verwaltung der DDR-Reichsbahn stehenden Hamburger Bahnhof in Westberlin mehr als 1000 Zeichnungen des Büros Poelzig entdeckt wurden. Die Öffnung Europas ermöglichte daraufhin die Wiederentdeckung von Poelzigs Frühwerk. Dieses entstand zwischen 1900 und 1916 während Poelzigs Zeit als Lehrer und Leiter der Kunst- und Kunstgewerbeschule Breslau. Erwähnenswert ist dabei besonders die chemische Fabrik Luban, die in ihrer Bedeutung den etwa zeitgleichen Fabrikbauten von Peter Behrens und Walter Gropius gleichkommt. Neues Licht auf diese Epoche warf dann die materialreiche Ausstellung «Hans Poelzig in Breslau», die als Resultat umfänglicher Forschungstätigkeit im Jahr 2000 in der heute polnischen Stadt stattfand.
Konservative Moderne
Doch auch in Deutschland ist Poelzig inzwischen neu zu entdecken: Das Verwaltungsgebäude der I. G. Farben in Frankfurt am Main (1928-30), das monumentale Hauptwerk der späten Schaffensphase, wurde vom dänischen Architekturbüro Dissing & Weitling sensibel saniert und zum Institutsgebäude der Johann-Wolfgang- Goethe-Universität umgestaltet, nachdem es - von den USA benutzt - jahrzehntelang nahezu unzugänglich gewesen war. Jüngstes Beispiel für das anhaltende Interesse an Poelzigs Architektur ist die Renovierung des Kinos «Babylon» (1929) am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin. Es war Teil einer nur partiell ausgeführten Umgestaltung des Scheunenviertels. Poelzig wollte dem Quartier um Oskar Kaufmanns Volksbühne ein neues, grossstädtisches Gesicht verleihen.
Im Kontext der Renovierung des «Babylon» ist unter dem Titel «Im Geschmack der Zeit» eine Poelzig-Ausstellung entstanden, die nun - nach einer Zwischenstation im ehemaligen I.-G.-Farben-Haus in Frankfurt - im Architekturmuseum Basel gezeigt wird. Die Besonderheit der Schau besteht darin, dass ein Künstler für die Konzeption verantwortlich war - der 1957 in Biel geborene und heute in New York lebende Christian Philipp Müller. Wie in früheren Ausstellungen übernimmt Müller dabei nicht nur die Rolle des Historikers, sondern auch die des Reiseführers, der durch die Inszenierung führt. Ein Video zeigt ihn vor verschiedenen Bauten Poelzigs, etwas bemüht aus Architektenmonographien vorlesend. Der filmische Blick auf die Bauten Poelzigs könnte der Ausstellung eine weitere Dimension hinzufügen - doch auf den Cicerone liesse sich verzichten. Auch die Fotos, die Müller von einigen Bauten angefertigt hat, sind kaum als ernsthafte künstlerische Auseinandersetzung mit dem Œuvre des Architekten zu verstehen - ganz im Gegensatz zu den Grossformaten von Candida Höfer (Haus des Rundfunks, Berlin) oder Günther Förg (I.-G.-Farben-Haus), um welche die Basler Veranstalter die Wanderausstellung ergänzt haben. Und schliesslich sind die im ersten Raum aufgestellten Vitrinen mit früheren Büchern Müllers schlicht deplaciert.
Phantastische Skizzenbücher
Hingegen vermag angesichts der Leidenschaft des Architekten für Film und Theater zu überzeugen, dass Müller die Räume des Architekturmuseums durch wie Theaterkulissen aufgezogene und farbig beleuchtete Grossfotos einzelner Arbeiten von Poelzig gliedert. Gleichsam beiläufig ergibt sich dadurch eine räumliche und thematische Strukturierung der Ausstellung. Auf das Breslauer Frühwerk, zu dem auch der Umbau des Rathauses im schlesischen Löwenberg (1903-06) oder die imposante Talsperre im sächsischen Klingenberg (1908) zählen, folgen Poelzigs Entwürfe für Paul Wegeners «Der Golem, wie er in die Welt kam» (1920), einen Klassiker des expressionistischen Stummfilms. Ein zentrales Kapitel der Ausstellung gilt der um 1920 mit Keramiken einsetzenden Zusammenarbeit mit der Bildhauerin Marlene Moeschke, Poelzigs zweiter Frau. Welche Bedeutung die von der Forschung lange marginalisierte Marlene Poelzig besessen hat, ist erst jüngst erkannt worden. Der Untertitel von Müllers Ausstellung heisst denn auch «Das architektonische Werk von Hans und Marlene Poelzig aus heutiger Sicht». Marlene war am Umbau des Zirkus Schumann zur berühmten expressionistischen Tropfsteinhöhle für Max Reinhart (1919) massgeblich beteiligt, das Wohnhaus der Poelzigs in Berlin-Westend (1930) wurde von ihr selbst entworfen. - Der etwas penetranten Selbstinszenierung Müllers zum Trotz ist die Ausstellung überaus sehenswert. Und das nicht allein der historischen Fotos oder Pläne wegen, sondern vor allem aufgrund der reichhaltig präsentierten Skizzenbücher, welche das barock anmutende zeichnerische Talent von Hans und Marlene Poelzig anschaulich werden lassen. Bizarre Phantasmagorie und expressive Vision treffen hier zusammen. Es wäre höchste Zeit, diese faszinierenden Quellen zu erschliessen. Die nicht publizierten Skizzenbücher befinden sich indes immer noch im Besitz der beiden Töchter des Architektenpaars.
Bis 14. November. Katalog: Im Geschmack der Zeit. Das Werk von Hans und Marlene Poelzig aus heutiger Sicht. Hrsg. Christian Philipp Müller. Verein zur Förderung von Kunst und Kultur am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin 2003. 126 S., Fr. 28.-.
Das Bild erweiterte sich, als 1986 in dem zuvor unter Verwaltung der DDR-Reichsbahn stehenden Hamburger Bahnhof in Westberlin mehr als 1000 Zeichnungen des Büros Poelzig entdeckt wurden. Die Öffnung Europas ermöglichte daraufhin die Wiederentdeckung von Poelzigs Frühwerk. Dieses entstand zwischen 1900 und 1916 während Poelzigs Zeit als Lehrer und Leiter der Kunst- und Kunstgewerbeschule Breslau. Erwähnenswert ist dabei besonders die chemische Fabrik Luban, die in ihrer Bedeutung den etwa zeitgleichen Fabrikbauten von Peter Behrens und Walter Gropius gleichkommt. Neues Licht auf diese Epoche warf dann die materialreiche Ausstellung «Hans Poelzig in Breslau», die als Resultat umfänglicher Forschungstätigkeit im Jahr 2000 in der heute polnischen Stadt stattfand.
Konservative Moderne
Doch auch in Deutschland ist Poelzig inzwischen neu zu entdecken: Das Verwaltungsgebäude der I. G. Farben in Frankfurt am Main (1928-30), das monumentale Hauptwerk der späten Schaffensphase, wurde vom dänischen Architekturbüro Dissing & Weitling sensibel saniert und zum Institutsgebäude der Johann-Wolfgang- Goethe-Universität umgestaltet, nachdem es - von den USA benutzt - jahrzehntelang nahezu unzugänglich gewesen war. Jüngstes Beispiel für das anhaltende Interesse an Poelzigs Architektur ist die Renovierung des Kinos «Babylon» (1929) am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin. Es war Teil einer nur partiell ausgeführten Umgestaltung des Scheunenviertels. Poelzig wollte dem Quartier um Oskar Kaufmanns Volksbühne ein neues, grossstädtisches Gesicht verleihen.
Im Kontext der Renovierung des «Babylon» ist unter dem Titel «Im Geschmack der Zeit» eine Poelzig-Ausstellung entstanden, die nun - nach einer Zwischenstation im ehemaligen I.-G.-Farben-Haus in Frankfurt - im Architekturmuseum Basel gezeigt wird. Die Besonderheit der Schau besteht darin, dass ein Künstler für die Konzeption verantwortlich war - der 1957 in Biel geborene und heute in New York lebende Christian Philipp Müller. Wie in früheren Ausstellungen übernimmt Müller dabei nicht nur die Rolle des Historikers, sondern auch die des Reiseführers, der durch die Inszenierung führt. Ein Video zeigt ihn vor verschiedenen Bauten Poelzigs, etwas bemüht aus Architektenmonographien vorlesend. Der filmische Blick auf die Bauten Poelzigs könnte der Ausstellung eine weitere Dimension hinzufügen - doch auf den Cicerone liesse sich verzichten. Auch die Fotos, die Müller von einigen Bauten angefertigt hat, sind kaum als ernsthafte künstlerische Auseinandersetzung mit dem Œuvre des Architekten zu verstehen - ganz im Gegensatz zu den Grossformaten von Candida Höfer (Haus des Rundfunks, Berlin) oder Günther Förg (I.-G.-Farben-Haus), um welche die Basler Veranstalter die Wanderausstellung ergänzt haben. Und schliesslich sind die im ersten Raum aufgestellten Vitrinen mit früheren Büchern Müllers schlicht deplaciert.
Phantastische Skizzenbücher
Hingegen vermag angesichts der Leidenschaft des Architekten für Film und Theater zu überzeugen, dass Müller die Räume des Architekturmuseums durch wie Theaterkulissen aufgezogene und farbig beleuchtete Grossfotos einzelner Arbeiten von Poelzig gliedert. Gleichsam beiläufig ergibt sich dadurch eine räumliche und thematische Strukturierung der Ausstellung. Auf das Breslauer Frühwerk, zu dem auch der Umbau des Rathauses im schlesischen Löwenberg (1903-06) oder die imposante Talsperre im sächsischen Klingenberg (1908) zählen, folgen Poelzigs Entwürfe für Paul Wegeners «Der Golem, wie er in die Welt kam» (1920), einen Klassiker des expressionistischen Stummfilms. Ein zentrales Kapitel der Ausstellung gilt der um 1920 mit Keramiken einsetzenden Zusammenarbeit mit der Bildhauerin Marlene Moeschke, Poelzigs zweiter Frau. Welche Bedeutung die von der Forschung lange marginalisierte Marlene Poelzig besessen hat, ist erst jüngst erkannt worden. Der Untertitel von Müllers Ausstellung heisst denn auch «Das architektonische Werk von Hans und Marlene Poelzig aus heutiger Sicht». Marlene war am Umbau des Zirkus Schumann zur berühmten expressionistischen Tropfsteinhöhle für Max Reinhart (1919) massgeblich beteiligt, das Wohnhaus der Poelzigs in Berlin-Westend (1930) wurde von ihr selbst entworfen. - Der etwas penetranten Selbstinszenierung Müllers zum Trotz ist die Ausstellung überaus sehenswert. Und das nicht allein der historischen Fotos oder Pläne wegen, sondern vor allem aufgrund der reichhaltig präsentierten Skizzenbücher, welche das barock anmutende zeichnerische Talent von Hans und Marlene Poelzig anschaulich werden lassen. Bizarre Phantasmagorie und expressive Vision treffen hier zusammen. Es wäre höchste Zeit, diese faszinierenden Quellen zu erschliessen. Die nicht publizierten Skizzenbücher befinden sich indes immer noch im Besitz der beiden Töchter des Architektenpaars.
Bis 14. November. Katalog: Im Geschmack der Zeit. Das Werk von Hans und Marlene Poelzig aus heutiger Sicht. Hrsg. Christian Philipp Müller. Verein zur Förderung von Kunst und Kultur am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin 2003. 126 S., Fr. 28.-.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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