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Die Welt als Entwurf
Friedrich von Borries' Schrift über das politische Wesen von Design kreist um das Verhältnis von Gestaltung und gesellschaftlicher Entwicklung. So widmet er sich Themen wie Umweltzerstörung, Klimawandel und Überwachungstechnologien.
26. Dezember 2016 - Harald Gründl
Vierzig Jahre schon (1977–2017) ist das Bulgarische Kulturinstitut im Haus Wittgenstein in Wien untergebracht. Um ein Haar wäre der Bau des „Architekten“ Ludwig Wittgenstein abgerissen worden. Ein findiger Bauunternehmer hat das damals weithin unbekannte, desolate Haus gekauft und wollte an seiner Stelle ein Hotel errichten. Der Gemeinderat stimmte einer Umwidmung zu, das Denkmalamt hatte keine Einwände gegen den Plan. Der damals als Architekt und Urban Designer arbeitende Bernhard Leitner hat das verhindert. Seiner Initiative ist es zu verdanken, dass das von Paul Engelmann, einem Schüler von Adolf Loos, und Ludwig Wittgenstein für dessen Schwester Margaret Stonborough entworfene Haus (1926–1928) heute noch steht. Von New York ging die Rettungsaktion des Hauses mit einem Artikel im Artforum im Februar 1970 aus. In dem Beitrag „Wittgenstein's Architecture“ erschienen 14 Fotos, von der Halle bis zum Türgriff, mit einer genauen Beschreibung, welche die baukünstlerische Bedeutung des Hauses hervorhob. Das Denkmalamt zweifelte an dieser Einschätzung Leitners. Der Landeskonservator von Wien, der selbst an der Autorenschaft von Wittgenstein zweifelte, unternahm folgende Einschätzung: „Einem so eigenartigen Gebilde kann jeder beliebige ,Sinn‘ unterlegt werden (...)“.
Mit einer Abbildung zweier Türklinken aus dem Haus Wittgenstein ist das Buch von Friedrich von Borries aufgemacht, das in diesem Jahr in der Edition Suhrkamp erschienen ist. Es trägt den Titel „Weltentwurf. Eine politische Designtheorie“. Darin formuliert der Architekt und Professor für Designtheorie an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg eine Schrift über das politische Wesen von Design. Im Mittelpunkt der Arbeit des sowohl als Praktiker als auch als Theoretiker arbeitenden Autors steht das Verhältnis von Gestaltung und gesellschaftlicher Entwicklung. Als Wissenschaftler die Welt verstehen, als Gestalter die Welt verändern. Als Themen formuliert von Borries die politischen Fragen von wachsender ökonomischer Ungleichheit, Umweltzerstörung, Klimawandel, Überwachungstechnologien und antidemokratischer Sicherheitspolitik und die Möglichkeiten einer positiven gesellschaftlichen Transformation.
Bei einer Theorieschrift mit der Beschreibung von Äußerlichkeiten zu beginnen wäre dem Projekt nicht angemessen, wäre da nicht der nachdrückliche Hinweis des Autors, darauf Augenmerk zu lenken. Das beginnt bei der streng durchnummerierten Textgliederung, die Anleihen an dem 1921 von Ludwig Wittgenstein veröffentlichten „Tractatus logico-philosophicus“ nimmt. Die dem Band „Das Wittgensteinhaus“ von Bernhard Leitner (2000) entnommene Abbildung von zwei abgeschraubten Türklinken aus dem Haus findet sich als Verweis darauf, dass Wittgenstein über das Wesen der Welt ganz grundsätzlich und logisch nachdenkt und dabei seine volle Arbeitskraft ebenso in den Entwurf der Türklinke gesteckt hat. Auch das Detail bezieht sich auf die Welt. Ein anderer Bewunderer von Wittgensteins praktischer Gestaltungsgabe ist Otl Aicher, der Mitbegründer der legendären Hochschule für Gestaltung in Ulm, der auf dem Gebiet des Corporate Designs Ikonisches für die Lufthansa, Braun, ERCO und die Olympischen Spiele in München gestaltet hat. Seine Theorieschrift „Die Welt als Entwurf“ zitiert von Borries auch in seiner Einführung: „Der Entwurf ist das Erzeugen von Welt. Er entsteht dort, wo Theorie und Praxis aufeinanderstoßen.“ Im Nachwort des 1992 erschienenen Bandes „Die Welt als Entwurf“ weist Aicher schon drastisch auf die Gefährdung von Natur und Klima hin und darauf, dass wir wider besseres Wissen nicht aufhören, unsere Zivilisation zu gefährden. Trotz Intellektualismus und Rationalismus sägen wir an dem Ast, auf dem wir sitzen. Als Hommage an einen der wichtigsten Gestalter der jüngeren Designgeschichte mit ausgesprochen politischer Agenda erscheinen die Zwischenüberschriften des Textes in der von Aicher gestalteten Schrift „Rotis“. Der Grafiker Willy Fleckmann hat Anfang der 1960er-Jahre die Gestaltung der Edition Suhrkamp übernommen. Der Band 12, Wittgensteins „Tractatus“ (1963), wurde von Fleckhaus gesetzt.
Solcherart symbolisch gerüstet stürzt sich der Autor in ein Unterfangen, das aufseiten der Referenzliteratur sicher Stand des heutigen Designdiskurskanons ist. Es wäre aber nicht Friedrich von Borries, wenn er akademische Etikette dabei anwenden würde. Er versucht gar nicht, den Anschein zu erwecken, Heidegger und seine Ontologie verstanden zu haben. Er gefällt sich in der Rolle des „Grabräubers der Theorie“ und fügt unterschiedliche Versatzstücke dieses theoretischen Raubgangs zu seinem Entwurf des „Weltentwerfens“ zusammen. Gerade deshalb lohnen die Lektüre des anarchischen Denkers und auch das Wiederlesen von Otl Aicher. Leider sind Aichers Forderungen an ein „politisches Design“ von vor fünfundzwanzig Jahren ebenso aktuell wie der Text von Friedrich von Borries heute.
Aus der Flut an heutigen Prefixen zum Designbegriff (Social-, Transition,- Emergency-, Industrial- und andere) wählt von Borries vier für seine Theorie zentrale Überschriften: Überlebensdesign, Sicherheitsdesign, Gesellschaftsdesign und Selbstdesign. Um den moralischen Anspruch der Arbeit zu unterstreichen, scheut er auch nicht davor zurück, „gutes Design“ einzufordern und vor schlechtem zu warnen. Die definitorische Setzung von „entwerfendem“ und „unterwerfendem“ Design dient ihm als Folie für seinen moralisierenden Diskurs, in dem an vielen Stellen die Unreflektiertheit und feige Angepasstheit heutiger Kreativschaffender in der Kritik stehen. Design, so von Borries, kann neue Wege zeigen, die Welt zu verbessern, Probleme im großen und kleinen Maßstab zu lösen, positive Zukunftsbilder zu entwerfen und an der Vorstellung für ein gutes Leben für alle mitzuwirken – Design als Leitdisziplin der Zukunft!
Entwerfen in einer komplexen Welt braucht intelligentes Systemdesign und kybernetische Modelle als Denk- und Gestaltungswerkzeuge. Setzen wir die vier Begriffe des „Weltentwerfens“ in das von der Organisationskybernetikerin Maria Pruckner entwickelte „4sorgen Modell“, dann zeichnen sich die vier Bereiche Freiheit (Selbstdesign), Sicherheit (Sicherheitsdesign), Zufriedenheit (Überlebensdesign) und Geborgenheit (Gesellschaftsdesign) aus dem Diskurs als die zentralen Qualitäten von „gutem Design“ ab. Doch diese Qualitäten sind aufeinander bezogen, bedingen einander und haben eine logische Abfolge. Von Borries vertritt für sein geschlossenes Systemdesign von Weltentwerfen die gegenteilige Meinung. „Um die Welt zu entwerfen, müssen wir uns in der Unordnung einrichten“, so von Borries. Bleibt zu hoffen, dass dann die neue Ordnung von selbst entsteht – der Weltentwurf als Emergenz des politischen Designs.
Mit einer Abbildung zweier Türklinken aus dem Haus Wittgenstein ist das Buch von Friedrich von Borries aufgemacht, das in diesem Jahr in der Edition Suhrkamp erschienen ist. Es trägt den Titel „Weltentwurf. Eine politische Designtheorie“. Darin formuliert der Architekt und Professor für Designtheorie an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg eine Schrift über das politische Wesen von Design. Im Mittelpunkt der Arbeit des sowohl als Praktiker als auch als Theoretiker arbeitenden Autors steht das Verhältnis von Gestaltung und gesellschaftlicher Entwicklung. Als Wissenschaftler die Welt verstehen, als Gestalter die Welt verändern. Als Themen formuliert von Borries die politischen Fragen von wachsender ökonomischer Ungleichheit, Umweltzerstörung, Klimawandel, Überwachungstechnologien und antidemokratischer Sicherheitspolitik und die Möglichkeiten einer positiven gesellschaftlichen Transformation.
Bei einer Theorieschrift mit der Beschreibung von Äußerlichkeiten zu beginnen wäre dem Projekt nicht angemessen, wäre da nicht der nachdrückliche Hinweis des Autors, darauf Augenmerk zu lenken. Das beginnt bei der streng durchnummerierten Textgliederung, die Anleihen an dem 1921 von Ludwig Wittgenstein veröffentlichten „Tractatus logico-philosophicus“ nimmt. Die dem Band „Das Wittgensteinhaus“ von Bernhard Leitner (2000) entnommene Abbildung von zwei abgeschraubten Türklinken aus dem Haus findet sich als Verweis darauf, dass Wittgenstein über das Wesen der Welt ganz grundsätzlich und logisch nachdenkt und dabei seine volle Arbeitskraft ebenso in den Entwurf der Türklinke gesteckt hat. Auch das Detail bezieht sich auf die Welt. Ein anderer Bewunderer von Wittgensteins praktischer Gestaltungsgabe ist Otl Aicher, der Mitbegründer der legendären Hochschule für Gestaltung in Ulm, der auf dem Gebiet des Corporate Designs Ikonisches für die Lufthansa, Braun, ERCO und die Olympischen Spiele in München gestaltet hat. Seine Theorieschrift „Die Welt als Entwurf“ zitiert von Borries auch in seiner Einführung: „Der Entwurf ist das Erzeugen von Welt. Er entsteht dort, wo Theorie und Praxis aufeinanderstoßen.“ Im Nachwort des 1992 erschienenen Bandes „Die Welt als Entwurf“ weist Aicher schon drastisch auf die Gefährdung von Natur und Klima hin und darauf, dass wir wider besseres Wissen nicht aufhören, unsere Zivilisation zu gefährden. Trotz Intellektualismus und Rationalismus sägen wir an dem Ast, auf dem wir sitzen. Als Hommage an einen der wichtigsten Gestalter der jüngeren Designgeschichte mit ausgesprochen politischer Agenda erscheinen die Zwischenüberschriften des Textes in der von Aicher gestalteten Schrift „Rotis“. Der Grafiker Willy Fleckmann hat Anfang der 1960er-Jahre die Gestaltung der Edition Suhrkamp übernommen. Der Band 12, Wittgensteins „Tractatus“ (1963), wurde von Fleckhaus gesetzt.
Solcherart symbolisch gerüstet stürzt sich der Autor in ein Unterfangen, das aufseiten der Referenzliteratur sicher Stand des heutigen Designdiskurskanons ist. Es wäre aber nicht Friedrich von Borries, wenn er akademische Etikette dabei anwenden würde. Er versucht gar nicht, den Anschein zu erwecken, Heidegger und seine Ontologie verstanden zu haben. Er gefällt sich in der Rolle des „Grabräubers der Theorie“ und fügt unterschiedliche Versatzstücke dieses theoretischen Raubgangs zu seinem Entwurf des „Weltentwerfens“ zusammen. Gerade deshalb lohnen die Lektüre des anarchischen Denkers und auch das Wiederlesen von Otl Aicher. Leider sind Aichers Forderungen an ein „politisches Design“ von vor fünfundzwanzig Jahren ebenso aktuell wie der Text von Friedrich von Borries heute.
Aus der Flut an heutigen Prefixen zum Designbegriff (Social-, Transition,- Emergency-, Industrial- und andere) wählt von Borries vier für seine Theorie zentrale Überschriften: Überlebensdesign, Sicherheitsdesign, Gesellschaftsdesign und Selbstdesign. Um den moralischen Anspruch der Arbeit zu unterstreichen, scheut er auch nicht davor zurück, „gutes Design“ einzufordern und vor schlechtem zu warnen. Die definitorische Setzung von „entwerfendem“ und „unterwerfendem“ Design dient ihm als Folie für seinen moralisierenden Diskurs, in dem an vielen Stellen die Unreflektiertheit und feige Angepasstheit heutiger Kreativschaffender in der Kritik stehen. Design, so von Borries, kann neue Wege zeigen, die Welt zu verbessern, Probleme im großen und kleinen Maßstab zu lösen, positive Zukunftsbilder zu entwerfen und an der Vorstellung für ein gutes Leben für alle mitzuwirken – Design als Leitdisziplin der Zukunft!
Entwerfen in einer komplexen Welt braucht intelligentes Systemdesign und kybernetische Modelle als Denk- und Gestaltungswerkzeuge. Setzen wir die vier Begriffe des „Weltentwerfens“ in das von der Organisationskybernetikerin Maria Pruckner entwickelte „4sorgen Modell“, dann zeichnen sich die vier Bereiche Freiheit (Selbstdesign), Sicherheit (Sicherheitsdesign), Zufriedenheit (Überlebensdesign) und Geborgenheit (Gesellschaftsdesign) aus dem Diskurs als die zentralen Qualitäten von „gutem Design“ ab. Doch diese Qualitäten sind aufeinander bezogen, bedingen einander und haben eine logische Abfolge. Von Borries vertritt für sein geschlossenes Systemdesign von Weltentwerfen die gegenteilige Meinung. „Um die Welt zu entwerfen, müssen wir uns in der Unordnung einrichten“, so von Borries. Bleibt zu hoffen, dass dann die neue Ordnung von selbst entsteht – der Weltentwurf als Emergenz des politischen Designs.
Friedrich von Borries
Weltentwerfen
Eine politische Designtheorie. 144 S., Tb., € 14,40 (Edition Suhrkamp, Berlin)
Weltentwerfen
Eine politische Designtheorie. 144 S., Tb., € 14,40 (Edition Suhrkamp, Berlin)
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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